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In der Nacht, die dem Tage der Verlobung folgte, hatte Eva einen kurzen Brief an Hasso von Eppendorf geschrieben und ihm darin mitgeteilt, daß sie durch die Verhältnisse gezwungen sei, sich mit Doktor Gervinus zu verloben. Sie bemühte sich absichtlich, die Worte nüchtern abzufassen; Hasso brauchte nicht zu wissen was sie litt.
Als sie am übernächsten Tage das Laboratorium verließ, stand Hasso wartend vor der Tür. Sie schrak zusammen und hatte Mühe, die nötige Fassung zu bewahren.
Hasso ging geraden Weges auf sein Ziel los. Er fragte Eva, welchen Einflüssen er den Absagebrief zuzuschreiben habe. Erst wich sie aus, dann aber erzählte sie, daß die Mutter dieses Opfer verlangt und daß auch sie zu der Ueberzeugung gekommen sei, daß Norbert, der Wohltäter der Familie, ein Anrecht auf ihr Leben habe.
Anfänglich brauste Hasso auf. Er versuchte, Eva immer wieder zu einer Lösung des übereilten Verlöbnisses zu überreden. »Jeder Dank hat seine Grenzen. Er wäre kein edler Mann, wenn er dich zwingen würde. Denke an meine Liebe und gib ihm dein Wort zurück.«
Er sah, wie sie litt und ein unsägliches Mitleid überkam ihn. »Ich will selbst mit ihm reden, Eva, er wird dich dann freigeben.«
Eva wehrte erschrocken ab. »Nein, laß mich, schwer genug ist mir der Entschluß geworden. Ich fühle auch, er gibt mich nicht mehr frei, denn seine Hände sind von Eisen, die halten fest, was sie ergriffen haben.«
»Du liebst mich nicht so, wie ich dich liebe, Eva, sonst würden dir diese Bedenken nicht kommen. Liebe kennt kein Gebot. Gib ihm dein Wort zurück!«
Sie wandte sich ab und schüttelte schmerzlich den Kopf. Da streckte er ihr die Hand hin: »So ist es ein Lebewohl, was wir uns jetzt sagen?«
»Ja,« hauchte sie.
Da schwieg er und aus zusammengepreßter Kehle kam es kurz: »Leb' wohl.«
So gingen zwei Menschen auseinander, die sich in ehrlicher, heißer Liebe zugetan waren. –
Wenige Tage später meldete der Diener Doktor Gervinus, daß ihn eine Dame, die ihren Namen nicht nennen wolle, in privater Angelegenheit zu sprechen wünsche. Gervinus ließ sie eintreten und erkannte in ihr Gertraude von Eppendorf, die sich, wie er gehört hatte, mit Herrn von Billerbeck vermählt hatte. Ihre einst so fröhlichen Augen waren müde und verschleiert, eine tiefe Schwermut lag auf ihrem Antlitz.
»Sie sind gewiß erstaunt, mich hier zu sehen, aber ich will Sie nicht lange im Unklaren über meinen Besuch lassen.«
Dann erzählte sie dem Arzt, daß sie ohne Wissen des Bruders hierher gekommen sei. Sie kenne die Herzensangelegenheit, und wenn man sich auch anfänglich gegen die nicht standesgemäße Partie gesträubt hätte, sei man anderer Meinung geworden, als man Eva kennen gelernt habe. Sie wünsche daher dem Bruder von Herzen sein Glück und bäte Gervinus, er möge nicht zwei Menschen auseinanderreißen, die sich innig zugetan seien.
»Ich bedaure, Ihnen hier nicht helfen zu können. Ich schätze Ihre Beweggründe, gnädige Frau, ich zwang Fräulein Krenkow nicht, mir ihr Jawort zu geben. Sie tat es aus freien Stücken.«
»O nein, Herr Doktor, Sie irren. Sie als Mensch zwangen Fräulein Krenkow gewiß nicht, aber Eva glaubt, daß eine moralische Verpflichtung vorhanden sei, sie trägt an dem Gefühl der Dankesschuld und will aus diesem Grunde ihr Glück opfern.«
»Fräulein Krenkow wird es niemals bereuen, mir ihr Jawort gegeben zu haben.«
Da wich die kühle Ruhe von Gertraude. »Sind Sie denn wirklich dazu bestimmt, Herr Doktor, Unglück über unsere ganze Familie zu bringen? Denken Sie zurück an frühere Zeiten. Da war ein junges Mädchen, das Sie auch liebte, aber Sie schritten achtlos über sie hinweg. Die andere ist fast zu Grunde gegangen und sah vor Leid nicht mehr den rechten Weg. Sie nahm einen Mann zum Gatten, an dessen Seite sie jetzt langsam zu Grunde geht. Mein Lebensglück haben Sie zertrümmert, aber ich will nicht, daß Sie auch über meinen Bruder Unglück bringen. Und so sagen Sie mir jetzt, daß Sie Eva aufgeben.«
Mit einem herzlichen, warmen Blick schaute er die Sprecherin an: »Ich wußte nicht, gnädige Frau, daß ich Ihnen damals so wehe tat. Verzeihen Sie mir! Auch ich erinnere mich genau jener Stunde, da Gertraude von Eppendorf vor mir stand. Glauben Sie mir, gnädige Frau, damals war mein Innerstes aufgewühlt, damals beabsichtigte ich, meinem Leben ein Ende zu machen, denn es gab für mich etwas, das mich stärker packte, als das Wörtchen Liebe. Sie sagen, Sie sind unglücklich geworden. Auch ich war es Jahre lang. Aber endlich kommt das Glück zu mir, nach mehr als zehn Jahren, und nun kommen Sie und verlangen, ich soll entsagen? Nein, gnädige Frau, das Glück ist da und ich halte es fest!«
»Denken Sie denn garnicht an Eva?«
»Ich werde sie glücklich machen und auch sie wird mich lieben lernen.«
Gertraude von Billerbeck lachte schrill auf. »Die Liebe ist doch kein Kleid, das man nach Belieben wechselt. Habe ich in den zehn Jahren vergessen? Niemals wird sich dieses Mädchenherz Ihnen zuneigen.«
Er lächelte sanft. »Ich will es versuchen, gnädige Frau. Es gibt eine Liebe, die zwingt auch das störrischste Herz. Das ist nicht die Liebe der ersten Leidenschaft, das ist die gereifte Hingabe des Mannes an das Weib seiner Wahl. Eva wird sich diesem Gefühl nicht entziehen können und wird glücklich werden.«
»So war mein Weg vergeblich! Aber ich glaube nicht Herr Doktor, daß Ihnen aus dieser Ehe ein wahrhaftes Glück erblühen wird.«
Sie wandte sich zur Tür. Da trat er noch einmal an ihre Seite. »Ich wäre so froh gewesen, wenn ich Sie hätte mit leichtem Herzen gehen sehen. Ich weiß jetzt, Sie haben meinetwegen gelitten und das schmerzt mich. Aber auch ich bin ein Mann mit heißer Sehnsucht nach Glück. Zürnen Sie mir deswegen nicht. Suchen Sie zu verstehen, daß auch für den Einsamen auch einst die Melodie erklingt, die selbst das härteste Herz erweicht und zärtlich fühlen läßt. Geben Sie mir Ihre Hand zum Abschied, damit ich nicht aufs neue sagen muß: Gertraude von Eppendorf schied von dir im Groll.«
Sie lachte bitter auf. »Es hätte in Ihrer Hand gelegen, Herr Doktor, hier mir unglücklichen Frau eine helle Stunde zu bereiten. Heute möchte ich fast glauben, daß Sie ein Mann sind, wie alle anderen, und daß Ihr Edelmut und Ihre Güte der Familie Krenkow gegenüber ganz anderen Motiven entsprang, als dem einen, der armen Familie zu helfen.«
Eine leichte Blässe ging über sein Gesicht. »Was wollen Sie mit diesen Worten sagen, gnädige Frau?«
Sie schrak zusammen. »O, lassen wir das.«
»Ich verlange eine Antwort, gnädige Frau!«
Sie schlug die Augen zu Boden. »Ich habe damals in meinem Schmerz viel über Ihre Worte nachgedacht, die Sie mir bei meinem letzten Besuche sagten. Sie selbst bezichtigten sich des Mordes an dem Manne, dessen Kinder Sie später erzogen, dessen Tochter Sie jetzt zur Gattin begehren. Glauben Sie, daß Eva noch immer auf ihrem Ja beharrte, wenn man ihr sagte, daß Doktor Norbert Gervinus einst den Vater – allerdings nur versehentlich – tötete?«
Seine Hände krampften sich um die Lehne des Stuhles. »Sie werden es Eva wissen lassen?«
Mit einer hoheitsvollen Gebärde warf Gertraude den Kopf zurück. »Aus meinem Munde wird Fräulein Krenkow nie ein Wort darüber erfahren. Ich rief Ihnen nur ins Gedächtnis zurück, was Sie scheinbar vergaßen. Werden Sie auch jetzt noch Eva Krenkow zu Ihrer Gattin machen?«
Er stöhnte tief und schmerzlich auf. Da streckte ihm Gertraude abermals die Hand entgegen. »Ich wollte Ihnen nicht weh tun, Herr Doktor. Ueberlegen Sie alles und dann entscheiden Sie sich.«
Er rührte sich nicht, er ließ Gertraude gehen, und erst als die Tür leise hinter ihr ins Schloß fiel, raffte er sich wieder zusammen. Die geballten Fäuste streckte er zum Himmel. »Fort mit den Gespenstern, sie wird mein Weib, sie soll an meiner Seite glücklich werden.« –
Schneller als man beabsichtigt hatte, wurden die Vorbereitungen für die Hochzeit getroffen. Eine fieberhafte Unruhe war über Doktor Gervinus gekommen und angstvoll beobachtete er seine Braut, die merkwürdig still geworden war.
Lothar sah er nur selten. Jener fand stets die glaubhafte Ausrede, er sei jetzt, so dicht vor dem Examen, sehr mit Arbeiten überhäuft – er müsse jede freie Minute ausnützen. Trotzdem suchte Gervinus immer wieder Gelegenheit, Lothar Krenkow an sich heranzuziehen. Er wollte mit ihm Rücksprache nehmen über dessen Zukunft. Da sich seine Praxis von Monat zu Monat vergrößerte, hoffte er, sich in seinem Mündel den Assistenten heranzubilden, den er brauchte. Er selbst wollte sich mehr den wissenschaftlichen Forschungen widmen. Gervinus zählte heute bereits zu den anerkannten Fachgrößen und der Professorentitel war ihm nach Abschluß seiner neuesten Arbeit über Rückenmarkserkrankungen gewiß. Da sich auch Lothar mit besonderem Eifer auf dieses Spezialfach warf, hoffte Gervinus, an ihm später eine große Stütze zu haben.
So kam die Hochzeit heran, die still und ruhig verlief und nur im Beisein weniger Freunde gefeiert wurde. Gervinus hatte sich für drei Wochen von aller Arbeit losgelöst, um seiner jungen Frau die Schönheiten Deutschlands zu zeigen. Er umgab sie mit rührender Liebe und Zärtlichkeit, aber das unbewußte Wehren entging ihm nicht, das sie all seiner Güte entgegenstellte. Trotzdem hoffte Gervinus zuversichtlich, daß Eva ihn lieben lernen werde.
Als dann der Wagen auf das junge Paar wartete, um es fortzuführen, als Eva zum letzten Male in den Armen des Bruders lag, war es mit ihrer Fassung vorbei. Ein Schluchzen schüttelte ihren schlanken Körper und fest legte Lothar seine Arme um sie. Er wußte selbst nicht, was ihm die Worte auf die Lippen trieb:
»Hab' Vertrauen zu mir, Eva, ich werde dir beistehen gegen ihn.«
Erst viel später dachte sie über das Gehörte nach. War denn Gervinus nicht ihr Gatte, der es gut mit ihr meinte? Braucht sie jetzt noch den Bruder zur Hilfe, zum Schutz gegen ihn?
Sie fühlte die Hand Norberts auf der ihrigen und senkte errötend den Kopf. Der Bruder tat ihm wohl doch unrecht. Gervinus war gut und liebevoll, und so wollte auch sie sich bemühen, ihm alles das durch freundliche Zuneigung zu vergelten.