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I
Quer durch Russland und Russisch-Turkestan

Karte von Afghanistan

Karte von Afghanistan

Am Freitag, dem 6. August, abends 11 Uhr, verließ ich mit meinen Kameraden Wagner und Blaich Riga. Der Wagen, den wir angewiesen bekamen, war augenscheinlich ganz neu. Er hatte elektrische Beleuchtung, bequeme aufklappbare Polstersitze und war sehr sauber. Als wir uns am anderen Morgen erhoben und gefrühstückt hatten, wurden die Abteile vom Zugpersonal ausgekehrt und geputzt, und der erste Eindruck, den wir von Rußland erhielten, war nicht schlecht.

Mit großer Spannung erwarteten wir unsere Einfahrt in das Reich der Sowjets. Wenn wir aus dem Fenster blickten, zeigte sich immer dasselbe Bild: Wald, Wald und wieder Wald, Äcker, einsame kleine Bauerndörfer, mit niedrigen strohgedeckten Holzhäusern, hin und wieder große Wiesen und Sümpfe. Gegen zwölf Uhr fahren wir durch ein großes hölzernes Tor, auf dem die rote Fahne weht und an dem das Sowjetwappen – Sichel, Hammer und Stern – angebracht ist. Wir sind an der Grenze angelangt, und der Zug hält, bis die Paßkontrolle erledigt ist. Zu beiden Seiten erheben sich neuerbaute Blockhäuser, auf denen ebenfalls die roten Fahnen flattern. Militärposten mit aufgepflanztem Bajonett bewachen den Zug, den niemand verlassen darf. Bald fahren wir weiter nach Sebesch, wo die Gepäckrevision stattfindet. Es gießt in Strömen, als wir gegen ein Uhr unsere Reise fortsetzen können. Endlos erscheint uns die Fahrt durch Rußlands Ebenen, durch unendliche Wälder und Sümpfe. Der graue Himmel und der klatschende Regen lassen das Bild noch trauriger erscheinen. Auf den Stationen kann man Lebensmittel erhalten, Weißbrot, Wurst, Früchte, Käse und Milch. Hier sehen wir schon typisch russische Bilder: Frauen und Mädchen in bunten Kopftüchern, Soldaten in verschiedenen Uniformen und zerlumpte Bettler.

siehe Bildunterschrift

11. Militärschüler in Herat

Oft kann man an den Bahnhofsgebäuden in großen Lettern lesen: »Proletarier aller Länder vereinigt euch«. Das Wetter klärt sich auf, und beim Abendsonnenschein fahren wir in eine größere Stadt, deren viele weiße Kirchen mit grünen Kuppeln schon von weitem leuchten. Am Sonntagmittag, fünf Minuten vor zwölf Uhr, ohne eine Minute Verspätung fährt unser Zug in den Moskauer Bahnhof ein.

Ich will mich nicht lange mit der Beschreibung Moskaus aufhalten, denn die Zustände haben sich seit 1923 geändert, und das Bild, das ich von der Hauptstadt des Sowjetreiches empfing und entwerfen müßte, wäre nicht mehr zutreffend. – Als wir in Moskau weilten, waren nur zwei Hotels geöffnet; da das Savoy besetzt war, fanden wir im Knjajnüj Dwor, im Fürstenhof, Unterkunft. Lebensmittel gab es 1923 gut und reichlich; aber für russische Verhältnisse waren sie zu teuer. Doch ist Moskau wohl schon in Friedenszeiten eine der teuersten Städte Europas gewesen. Hier sieht man bereits ganz asiatische Bilder, und in den Basaren und auf den Märkten begegnet man häufig Turkmenen, Chinesen, Armeniern und Persern. Die Menschen erschienen aber alle bedrückter Stimmung; Sorge und Kummer sprachen aus den Gesichtern; ich habe in Moskau nie einen Menschen herzlich lachen hören. Alle waren sehr schlecht gekleidet, und obgleich wir gar nicht elegant gekleidet gingen, fielen wir doch überall sehr auf. Derjenige, der sich näher über die jetzigen Verhältnisse in Rußland zu unterrichten wünscht, dem kann nur das in diesem Verlage erschienene Buch von Prof. Obst: »Russische Skizzen« aufs wärmste empfohlen werden.

Die fünftägige Bahnfahrt von Moskau nach Taschkent verlief sehr angenehm, da die Züge, die auf dieser Strecke verkehren, internationale Schlaf- und Speisewagen haben. Je mehr wir uns Taschkent näherten, desto wärmer wurde es, und während der letzten beiden Tage der Fahrt war die Hitze beinahe unerträglich. Unvergeßlich wird mir die Überfahrt über Europas größten Fluß bleiben. Es war frühmorgens; die Strahlen der Morgensonne lagen auf den großen Wäldern und Feldern, die die gewaltige Wolga einsäumen. Es rollte dumpf, als wir langsam über die berühmte, ca. 1500 m lange Brücke fuhren. Einige Dampfer und Flöße zogen langsam stromabwärts. Frieden und Ruhe weit umher, Feiertagsstimmung!

Langsam verschwinden die Wälder, Schwarzerdeboden tritt auf, durch den sich wie samtene Bänder dunkelgrüne Felder hinziehen, und dann tritt die Steppe die Herrschaft an. Tag und Nacht haben wir dasselbe Bild der verbrannten dürren Einöde. Wir sehen die ersten Kamele, passieren Jurtensiedelungen der Kirgisen, vor denen abends die Lagerfeuer hell flackern, und sehen die Sonne wie eine blutrote Kugel am Abendhimmel versinken. Auf den Stationen wird meistens lange gehalten. Hier kann man seinen Proviant ergänzen und Obst, Hühner, Brot, Milch und Eier zu teueren Preisen erstehen. An jeder Station bekommt man auch heißes Wasser, denn den Tee bereitet man sich selbst im Wagen. Köstlich mundeten die Zucker- und Wassermelonen, die wenigstens etwas den Durst stillten.

Am vierten Tag zeichnet sich die tiefblaue Fläche des Aralsees auf dem braunen Steppenboden ab. Von Grün war nichts zu erblicken; nur dürres gelbes Gras und Sandboden so weit der Blick reichte! Eines Abends sahen wir eine Herde Kamele auf der Steppe weiden, und eine Karawane zog langsamen Schrittes der untergehenden Sonne entgegen. Keine Wolke war mehr am blauen Himmel zu sehen, und es sollte Monate dauern, bis wir den ersten bewölkten Himmel wieder erblickten. In Kasalinsk war großer Fischmarkt. Stör und Kaviar wurden hier zu billigen Preisen angeboten. Die Reisetage vergingen uns noch viel zu schnell; am fünften Tage mittags trafen wir in Taschkent fahrplanmäßig ein.

Tagsüber war es noch sehr heiß, und wir waren immer froh, wenn der Abend kam. Dann saßen wir im Garten des Turkwojenkop-Restaurants, tranken ein Glas Turkestaner Roten und lauschten der Musik einer Zigeunerkapelle. Sobald das Tagesgestirn am Horizont versunken war, erwachten die Lebensgeister wieder, und jeder freute sich der frischen würzigen Luft.

Orient umgibt uns; er leuchtet uns entgegen im farbenprächtigen Leben der Basare, in den von einfachen Lehmmauern eingefaßten Blumengärten, im hellen Blau des Himmels und in der flammenden Lichtflut der Sonne. An allen Straßenecken haben die Turkmenen ihre Verkaufsstände aufgeschlagen, die fast unter der Fülle des Obstes zusammenzubrechen drohen. Weintrauben, deren Beeren ungefähr so groß wie Pflaumen sind, sowie große süße Zucker- und Wassermelonen verführen fast immer zum Kaufen. In den Basaren herrscht orientalisches Leben. Die bunte Kleidung der Sarten und ihre vielfarbig gestickten Kappen ziehen immer wieder den Blick auf sich.

Mittags wird es sehr heiß; dann sieht man auch nur wenige Menschen auf den Straßen, über denen die Luft flimmert. Vor den Hauseingängen hocken Eingeborene, essen Obst, schlafen oder träumen vor sich hin. Nach Möglichkeit vermeidet man es, in den Mittagsstunden auszugehen, wenn auch prächtige Pappelalleen etwas Schutz spenden. Überall ist es sehr staubig. Die Blätter der Bäume sind grau, und abends liegt eine dicke Staubwolke über der Stadt, so daß man glaubt, alles durch einen Schleier zu sehen. Manchmal machte ich mit Wagner abends noch einen Spaziergang. Wir hatten in jenen Tagen gerade Vollmondschein, und die Straßen waren in silberhelles Licht getaucht. In den Häusern brannten noch spätnachts die Lampen, und oft hörte man die Klänge eines Klaviers oder einer Gitarre die Nacht durchdringen. Auf einem großen Basarplatz spielten die Mondstrahlen Verstecken und warfen von einer Kirche tiefe Schatten.

Nachdem es uns in Taschkent endlich geglückt war, Fahr- und Platzkarten für den Zug nach Samarkand zu erhalten, sowie das umfangreiche Gepäck zu befördern, konnten wir die neue Fahrt beginnen. Früh um drei Uhr, in einer hellen Vollmondnacht, trafen wir in Samarkand ein und ließen uns in die Stadt fahren, die ziemlich weit vom Bahnhof entfernt liegt.

Es war noch still und sehr frisch. Wir begegneten einer großen Kamelkarawane, die langsam im Morgengrauen dahinzog, und trafen einige Sarten, die auf kleinen Eseln vorbeiritten. Die von hohen Pappeln eingefaßten Straßen waren auch hier sehr staubig; unser Kutscher fuhr wie toll, und wir fürchteten jeden Augenblick, daß er mit uns in einem Straßengraben landete.

Im »Hotel« war natürlich alles besetzt, denn es hatte nur zehn Zimmer, aber wir konnten uns wenigstens etwas frisch machen, da im Hofe Waschtische aufgestellt waren. Dann ließen wir uns einen Samowar bringen, kochten Tee und frühstückten im Hof. Darauf machten wir einen Spaziergang in die Stadt. Der Hotelbesitzer, der auch etwas Deutsch verstand, führte uns zu einem österreichischen Sanitäter, der als Kriegsgefangener hier interniert worden war und seinen Wohnsitz jetzt hier aufgeschlagen hatte. Je mehr wir uns der Eingeborenenstadt näherten, um so bunter wurde das Bild.

Orient, wohin das Auge blickt! und so bunt und schillernd, daß man kaum weiß, wohin man den Blick zuerst lenken soll! Hellblauer, reiner Himmel strahlt über der Stadt Timurs, und das Sonnenlicht ist so hell, daß man kaum die Augen öffnen kann. Die Straßen sind sehr staubig; bei jedem Schritt wird eine dicke Staubwolke aufgewirbelt. Es war großer Markttag und das Gedränge in den engen Gassen war groß. Europäer trifft man selten; überall beherrschen die Sarten in ihren bunten Gewändern das Feld. Mitten durch die farbige Menge ziehen Kamele bedächtigen Schrittes, trippeln kleine Esel, bahnen sich Reiter den Weg oder werden große, zweiräderige Lastkarren von Ochsen gezogen. Überall wird gehandelt und gefeilscht; dieser bietet Teppiche, jener Käppis, dieser Obst, jener seidene Stoffe und Edelsteine an. Vor einigen Verkaufsläden sind Tische gedeckt, und man fordert uns zum Kebabessen auf (am Spieß gebratenes Hammelfleisch). Junge Burschen tragen große Tabletts auf dem Kopfe und gehen durch die Menge, um frischgebackenes Brot, Kuchen oder Trauben anzubieten; andere sitzen am Boden und verkaufen aus großen Tonkrügen frisches Wasser. Wir gehen an den Ständen der Schmiede, Fleischer und Schneider vorbei und sehen schon von weitem die weltberühmten Bauten Samarkands: das Grabmal Timurlenks und die von seinem Enkel Ullugh Begh erbauten Medressen, die den Registan einfassen. Schöner blauer Kachelschmuck erfreut hier das Auge. In der Tila Kari werden wir vom Oberpriester, einem alten Weißbart in wallendem Gewande und großem Turban, freundlich begrüßt, und es wird uns gestattet, auf das Dach der alten Hochschule zu steigen, von dem aus wir einen umfassenden Ausblick auf die Stadt haben. Ein alter Mohammedaner, mit großem, weißem Turban, führt uns die baufälligen Stufen hinan. Auf dem Dache dürfen wir nur an einzelnen Stellen uns bewegen, da die Gefahr des Einsturzes droht. Wie durch einen feinen Schleier sehen wir das umliegende Land, da die Luft so stauberfüllt ist. Unter uns ziehen sich die bunten Basarstraßen hin, in denen es wie in einem Ameisenhaufen wimmelt. Der Führer erklärt uns die verschiedenen Kuppelgräber, die man sieht. Die Hitze auf dem flachen Dache wird schon nach einigen Minuten unerträglich, und wir steigen gerne wieder in den Hof hinab. Immer wieder muß man die farbenprächtigen Kacheln bewundern, die mit ihrem Tief- und Hellblau sich so gut aus dem Gelbbraun der Lehmmauern herausheben. Das eine Minaret steht ganz schief und wird nur durch dicke Drahtseile gehalten.

Und dann gehen wir zu dem Grabmal Timurs. In einem Hain von hohen Pappeln erhebt sich stolz die blaue Kuppel. Ein Molla führt uns durch den dunklen Eingang in das Innere, wo der Sarkophag steht, der aus einem einzigen Nephritkristall gearbeitet ist. Das Licht ist gedämpft; nur durch eine Öffnung in der Wand dringt ein Bündel Sonnenstrahlen in den Raum und zaubert helle Flecke auf den Boden und das Marmorgitter, das den Sarkophag umgibt. Auf diesem liest man in persischen Lettern den berühmten Spruch: »Wenn ich noch lebte, sollte die Welt vor mir erzittern.« Beim Scheine einer Kerze führt uns der Molla in ein unterirdisches Gewölbe, wo verschiedene Grabsteine liegen und wo unter anderem sich auch die eigentliche Grabstätte Timurs befindet. Timurlenk oder Tamerlan war sicher einer der größten Herrscher, die je gelebt haben, und er sowie Dschinghis-Khan haben mehr als einmal ganz Asien in Schrecken versetzt. Noch heute begegnet man ihren Spuren auf Schritt und Tritt in den vielen Ruinen, die man in Persien, Afghanistan und Turkestan antrifft. Trotzdem diese Herrscher unerhörte Grausamkeiten begangen haben, muß man doch auch wieder ihren Sinn für Kunst und Wissenschaft bewundern, ließ doch z. B. Timur von weither (Damaskus) Baumeister kommen, die die Prachtbauten aufführten.

Einmal waren wir bei einem Deutschen zu Gast. Wir saßen in einem großen schattigen Garten, der von einer hohen Lehmmauer umgeben war. Des Mondes silberne Strahlen spielten auf den Wegen, fielen durch das Blattwerk und warfen helle, runde Flecke in die dunklen Schatten. Es war einer jener Sommerabende, die man nie vergißt und die sich für immer fest in unsere Seele einprägen. Zum ersten Male aßen wir hier den »Pilau« aus gewürztem Reis, Hammelfleisch mit Tomaten, Gurken und Rosinen und ließen uns den Turkestaner Wein gut schmecken. Erst gegen Mitternacht brachen wir auf, und lange noch lagen wir wach und hörten das Heulen und Weinen der wilden Hunde und Schakale.

Am anderen Tage ging es weiter nach Merw. Wir waren schon früh am Bahnhof, da wir noch Karten lösen mußten und dies in Rußland immer ziemlich umständlich ist. Wir tranken noch einen Kaffee und suchten dann im Gedränge unser Abteil, da wir Platzkarten hatten. Kaum saßen wir im Zuge, da merkte ich, daß mir meine Brieftasche fehlte. Ich hatte sie in dem Wartesaal noch gehabt, hatte selbst die Fahrkarten gelöst und den Kaffee bezahlt. Entweder war sie mir gestohlen worden, was wohl das wahrscheinlichste war, oder sie war beim Einsteigen in den Wagen aus der Tasche gefallen. Daß in der Tasche zirka fünfzig Mark waren, war weniger schmerzlich, aber sie enthielt auch meinen Paß und andere wichtige Ausweispapiere. Bis zur Abfahrt des Zuges waren noch ein paar Minuten Zeit übrig. Ich eilte in die Bahnhofshalle zum Vorsteher, setzte ihm so kurz wie möglich den Sachverhalt auseinander, worauf er mich an die Bahnhofskommandantur der Tscheka verwies, wo mir eine Bescheinigung ausgestellt wurde. Es ging alles in furchtbarer Hast, denn in jeder Sekunde mußte der Zug abfahren, da schon zweimal das Abfahrtssignal gegeben war. Als ich wieder im Zuge war, fiel mir auch ein, daß unser Gepäckschein ebenfalls in der Tasche war, aber dies war nicht das Schlimmste. Langsam ahnte ich, welche Kette von Unannehmlichkeiten und Sorgen folgen würden.

Der Zug war ganz besetzt. Einige Leute lagen auf dem Boden, man konnte sich kaum rühren. Die Luft war stickig und stauberfüllt, und man konnte beobachten, wie die Staubschicht auf den Bänken von Stunde zu Stunde dicker wurde, als der Zug sich pustend und keuchend durch die Sandwüste der Kara-kum schleppte. Wie ein erstarrtes Meer reiht sich Sanddüne an Sanddüne, so weit das Auge sehen kann, und nur an den kleinen Stationen sieht man Leben: ein oder zwei kleine rote Häuschen, ein paar Kinder, die inmitten einiger Schafe und Ziegen herumtollen.

In aller Frühe trafen wir in Merw ein und ließen uns nach dem »Hotel« Franzia bringen. Wir mußten lange klopfen, ehe ein Junge uns öffnete. Das Haus machte einen primitiven Eindruck: kein Fenster war heil, die Stühle zerschlagen und die Zimmer sahen wie Gefängniszellen aus. Im Hof lagen zwei Lausejungen in ihren Betten, und das Zimmermädel hatte das ihre am Rande eines kleinen Tümpels aufgeschlagen, der schmutzig graugrünes Wasser enthielt. Der Herr »Portier«, dessen verlauster Kopf ebenfalls aus einer schmierigen Decke herausguckte, fluchte, daß wir ihn in seiner Ruhe gestört hatten. Das schien ja ein fideles Gefängnis zu sein! Und wir mußten ein paar Tage in dieser trostlosen Stadt zubringen, ehe wir nach Kuschk weiterfahren konnten. Merw ist wegen seines heißen, ungesunden Klimas berüchtigt, und wir waren daher recht froh, als wir mit dem kleinen Zuge, in dem nur ein Personenwagen war, nach Kuschk weiterfahren konnten. In Merw trafen wir auch noch zwei afghanische Kuriere, die ebenfalls nach Afghanistan wollten; durch ihre Freundlichkeit hatten wir viele Erleichterungen und erhielten ein geschlossenes Abteil.

Als es dämmerte, fuhren wir schon in ein hügeliges Steppengebiet ein, und als ich nachts einmal aufwachte, sah ich, wie sich schwarze Bergsilhouetten vom sternenübersäten Himmel abhoben. Dann schlief ich wieder ein. Plötzlich hielt der Zug. Die Afghanen weckten uns und sagten, wir müßten aussteigen! Von einer Station aber sahen wir nichts, keine Lichter, keine Menschen, vollkommene Finsternis! Im Abteil brannte kein Licht, und wir mußten beim Schein einer Wachskerze unsere Sachen zusammenpacken. Der Schaffner kam und schimpfte, daß wir noch nicht draußen waren. Wir begriffen gar nicht, was eigentlich los war, denn der Zug konnte noch nicht in Kuschk sein, da wir die einzigsten Fahrgäste waren, die ausstiegen. Aber wir hatten gar keine Zeit zu fragen; unser Gepäck flog einfach aus dem Fenster auf den Bahndamm, und kaum waren wir aus dem Zuge, da fuhr er auch bereits weiter in die Nacht hinaus. Es war sehr kalt und wir waren noch halb verschlafen und vollkommen im ungewissen, als wir unser herumliegendes Gepäck, den Afghanen folgend, in ein kleines, weißes Haus brachten, das in einem von hohen Pappeln eingefaßten Garten stand. Wir wurden in ein Zimmer geführt, in das eine brennende Wachskerze ihren fahlen, flackernden Lichtschein warf, und in dem wir ein paar Stühle und eine Bank erkennen konnten. Ein russischer Beamter – der Grenzkommissar Ostanin – begrüßte uns kurz. Dann legten wir uns auf den Fußboden und schliefen bald ein.


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