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Bogotá vermochte die Fremden kaum zu fassen, die herbeigeeilt waren, um bei der Wahl des neuen Staatsoberhauptes anwesend zu sein. De Valla hatte seit Wochen die gesamte Macht des Staates in seinen Händen. Der Präsident war tot, der Vizepräsident seit längerer Zeit erkrankt.
In dem harten, im Verlauf seines wilden Lebens innerlich erstarrten Manne hatten die durch den Tod des Staatsoberhauptes veranlaßten politischen Ereignisse jede bessere Regung, wie sie durch die plötzliche Bedrohung des geliebten Sohnes hervorgerufen worden waren, schnell erstickt. Der Sohn war wieder da, die Boten, die er abgesandt hatte, um den jungen d'Alcantara zu schützen, waren zu spät gekommen. Steinernen Gesichtes hatte der Minister die Nachricht von dem plötzlichen Verschwinden des jungen Mannes zur Kenntnis genommen. Es ist gut so, dachte er; das Schicksal wollte es so. Ich habe das Meine getan. Mögen die Dinge nun ihren Lauf nehmen.
Es ging um die höchste Sprosse der Macht. Er würde sie ersteigen, wie er alle vorherigen Stufen erstiegen hatte. Die Regierungsmaschine spielte in seiner Hand; alle Rücksichten schwanden. Sein Gegenkandidat bedeutete, er wußte es, keine ernsthafte Gefahr. General Mosquerra, der ehemalige Gobernador von Santander, war ein ehrenwerter Mann, aber kein Mann der Masse; er würde nur wenige Stimmen auf sich zu vereinigen vermögen. Carlos de Valla hatte für sich nahezu alle Farbigen, dazu die gemischte Bevölkerung der Hafenstädte. Die ruhigen und friedfertigen Leute waren so eingeschüchtert worden, daß sie in der Mehrzahl auch kaum wagen würden, von der Linie abzuweichen. In den südlichen Gobernios, vor allem in den Llanos zwar würde er nicht viele Erfolge buchen können, aber sie würden – er zweifelte nicht daran – in der Minderheit bleiben.
Der Junta des Staatsrates, die sich gleichfalls zur Präsidentenwahl vereinigte, glaubte de Valla durchaus sicher zu sein. Viele ihrer Mitglieder waren auf Lebenszeit gewählt; einige Sitze waren sogar erblich im Besitz großer Familien. Die Mehrheit konnte de Valla hier zweifellos für sich buchen, denn er hatte seit Jahren Sorge getragen, den Staatsrat mit seinen Kreaturen zu durchsetzen. Für alle Fälle hatte der Minister zwei Regimenter Soldaten aufgeboten und in die Hauptstadt beordert. Diese Regimenter bestanden zu neun Zehnteln aus Farbigen.
Eugenio de Valla weilte nicht in Bogotá. Er hatte, als er von dem plötzlichen Verschwinden seines Lebensretters erfuhr, die Stadt verlassen und sich im Einverständnis mit seinem Vater nach Kuba begeben. De Valla hatte seine Erlaubnis zu der Reise um so lieber gegeben, als er den reichlich weltfremden jungen Mann nicht gern zum Zeugen der Wahlvorgänge haben wollte.
Schon am frühen Morgen des Wahltages waren die auf Bogotá zuführenden Straßen stark belebt. Es war ein heller, lachender Morgen. In flammendem Licht glühten die nahen Berge Guadalupe und Monserate, und eine Flut von Licht ergoß sich über die Straßen und Plätze der Stadt. Die Mehrzahl der Bewohner war früh auf den Straßen, lebhaft gestikulierende Gruppen standen an den Ecken, und überall hörte man die Namen de Valla und Mosquerra.
Die Plaza Bolivar, an der sich das Kapitol, das große neue Parlamentsgebäude erhob, war dicht mit Menschen gefüllt, ebenso die benachbarten Straßen. Die Soldaten mühten sich, Ordnung zu halten. Unter den Leuten gewahrte man viele Weiße aus den Gebirgen; die Indianer Bogotás hielten sich fern. Hier und da sah man auch Llaneros zu Pferde, und vor den Toren der Stadt konnte man ganze Lager von Steppenreitern feststellen, die über Nacht eingetroffen waren. Eine schwüle Stimmung herrschte in der Stadt, ähnlich der, die einem Gewitter voranzugehen pflegt; man hörte nur selten ein lautes Wort.
Ab zehn Uhr vormittags begannen die Juntamitglieder und die Staatsräte sich in der großen Sala des Parlaments zu versammeln. Unter ihnen erschienen sehr früh auch die Brüder de Vivanda und der Mestize Antonio de Minas.
Gegen elf Uhr erschien der Staatsminister Carlos de Valla; er kam im Wagen. Schweigend empfing ihn die Menge; aus der Reihe der Soldaten wurden einige Zurufe laut.
In der großen Sala waren Staatsrat und Junta zusammengetreten, um unter dem Vorsitz des Präsidenten des Staatsrates die Wahlhandlung vorzunehmen. Schweigend saßen die Herren in Erwartung des feierlichen Aktes; der Minister de Valla auf der Regierungsbank.
Der Präsident des Staatsrates erhob sich, um die Versammlung zu eröffnen, da trat zu einer der großen Flügeltüren ein junger Mann herein. Er trug einen dunklen Anzug von ausgezeichnetem Schnitt, war hochgewachsen und schlank und zeigte ein sonngebräuntes Gesicht mit kühnem, adligen Profil. Alle Blicke richteten sich auf die auffällige Erscheinung. Der junge Mann ging in sicherer, fast hochmütiger Haltung auf die Bänke des Staatsrates zu, grüßte mit leichter Verbeugung die dort versammelten Señores und ließ sich auf einem freien Platz nieder. Erstaunen und Verblüffung malten sich auf allen Gesichtern.
Der Präsident wandte sich an den Neuankömmling. »Darf ich fragen, mit welchem Recht Sie hier erscheinen und Ihren Platz unter den Staatsräten nehmen?« fragte er. Lautlose Stille folgte den Worten. Der Herr im dunklen Anzug erhob sich und sagte mit scharfer Betonung jedes einzelnen Wortes: »Mit dem Recht, das mir als dem Sohn meines Vaters zusteht, der erbliches Mitglied des Staatsrates war. Ich bin Alonzo d'Alcantara, der Sohn Don Pedros.«
Der Name, fast drohend herausgestoßen, zuckte wie ein Blitz durch die Versammlung.
Bleich wie ein Toter starrte der Minister de Valla auf den Jüngling. In dem verschlossenen Antlitz Alonzos regte sich nichts. Der Präsident sagte, und seine Stimme schwankte bei den wenigen Worten: »Das werden Sie zu beweisen haben, Señor.«
Vincente de Vivanda erhob sich, ließ einen stolzen Blick über die Versammlung gleiten und sagte: »Ich bürge mit meiner Ehre für die Identität Don Alonzo d'Alcantaras.«
Der Cura stand auf; sein ruhiges Greisenantlitz war unbewegt: »Ich bürge mit meinem Priestereid, den ich dem Höchsten geschworen habe, für die Identität des Señor d'Alcantara.«
Er setzte sich und Antonio de Minas stand vor der Versammlung. Seine Hand wies auf den jungen Mann auf der Bank des Staatsrates. »Dort sitzt Alonzo d'Alcantara«, sagte er, »der langjährige Gefangene der Aimaràs. Er hat mich dort von einem furchtbaren Tode errettet. In meiner Gegenwart hat der Kazike der Aimaràs unter Berufung auf seine Götter ausgesagt, daß sein Gefangener der Sohn Don Pedro d'Alcantaras sei, den er nach der Ermordung seiner Angehörigen im Tal der drei Quellen geraubt und in die Berge entführt habe.«
Mehrere Caballeros aus den Llanos erhoben sich von ihren Plätzen. »Wir verbürgen uns für die Person und den erhobenen Anspruch«, sagten auch sie.
Ein junger Mann drängte sich durch die Sitzreihen nach vorn. Er stand hochaufgerichtet vor dem Präsidententisch und wies auf Alonzo. »Ich bin Fernando de Mosquerra«, rief er, »jeder kennt mich hier. Dies, Señores, ist mein kühner Retter, Don Alonzo d'Alcantara, der Mann, der mich, als er fast noch ein Knabe war, aus den Händen der Aimaràs rettete, zusammen mit dem Señor Antonio de Minas. Seht ihn Euch an, Señores. Diesen jungen Caballero traf ich vor fünf Jahren im Dorf der Aimaràs, wohin mich die Bandidos geschleppt hatten. Seinem Mut und seiner Tatkraft danke ich mein Leben. Ich bürge für ihn mit meiner Ehre als für den Sohn Don Pedros.«
Lähmendes Schweigen lag über der Versammlung. Carlos de Valla sah bleichen, verkrampften Gesichts vor sich hin. Der Präsident, der inzwischen mit einigen Mitgliedern des Staatsrates geflüstert hatte, sagte: »Wir wollen diesen seltsamen Zwischenfall später klären und jetzt zunächst in der Verhandlung fortfahren.«
Don Alonzo erhob sich; ein wildes Feuer brannte in seinen Augen. Mit weithin schallender Stimme sprach er: »Erlaubt, Señores, daß ich zuvor darauf aufmerksam mache, daß sich innerhalb dieser erlauchten Versammlung ein dem Gesetz verfallener Meuchelmörder befindet. Die Wahl könnte ungültig werden, wenn dieser Mann an ihr mitwirkt.«
Ein ungeheurer Tumult erhob sich. Alonzo, ehernen Gesichts, wartete ab, bis Ruhe eingetreten war. Dann fuhr er fort:
»Vor den Señores dieses hohen Hauses, vor der Regierung des Landes, vor Gott und der Welt klage ich den Minister Carlos de Valla der mehrfachen Anstiftung zum Meuchelmord an. Er hat die Aimaràs vor zehn Jahren gedungen, meinen Vater zu beseitigen; die Räuber haben ihn, ein erbliches Mitglied dieses Hauses, und meine Mutter und Geschwister ermordet. Der intellektuelle Urheber dieser Schandtat sitzt hier auf der Ministerbank. Ich klage Carlos de Valla an, dreimal Meuchelmörder nach mir ausgesandt zu haben, denen ich nur durch Gottes gnädige Hilfe entgangen bin. Wollt Ihr, Señores, Euch zu Mitschuldigen eines verworfenen Schurken machen? Alles aber, was ich jetzt gesagt habe, will ich beweisen.«
Aller Augen waren auf Carlos de Valla gerichtet. Der war, wie er da saß, schon ein Gerichteter. Seine gelbliche Haut war aschfahl, in den Augen glomm ein trübes Feuer, sie flackerten unstet. Jeder sah es: in dem Mann lebte kein Wille mehr.
Aber seine Anhänger wußten, daß mit ihm, ihrem Oberhaupt, auch sie verloren seien. Und sie waren noch keineswegs entschlossen, die Ungeheuerlichkeit schweigend hinzunehmen, die dieser junge Mann da auszusprechen wagte. Einer der Staatsräte sprang auf und rief in hoher Erregung: »Ich protestiere gegen den unerhörten Mißbrauch dieses Hauses! Wer wagt es, gegen einen Ehrenmann wie Excellenza de Valla derart wahnwitzige Beschuldigungen auszusprechen? Das ganze ist eine abgekartete Kabale, die Zeugen sind gekauft.«
Die Sicherheit, mit der das vorgebracht wurde, gab den Böswilligen, die weitaus in der Mehrzahl waren, neuen Mut, zahllose Stimmen der Empörung wurden laut, und vor dem Sitz des Ministers bildete sich eine Phalanx.
Alonzo winkte und hereingeführt wurde Sancho Tejada, der mit scheuem Blick um sich sah und sich wenig wohl in seiner Haut zu fühlen schien.
»Hier ist einer der Männer, die als Meuchelmörder nach mir ausgesandt wurden«, rief Alonzo in die lärmende Unruhe hinein, »und hier« – er schwenkte die Schuldverschreibung, die der Minister dem Bandido ausgestellt hatte –»hier ist die verklausulierte Lohnzusicherung, die wir dem Mann abgenommen haben.«
De Valla sah mit leerem Blick auf seine Kreatur; es funkelte matt in seinen Augen, seine Mundwinkel zogen sich verächtlich herab.
»Und hier«, fuhr Alonzo fort. »ist ein eigenhändiger Brief des Ministers de Valla, gerichtet an einen gewissen Gomez, der darin aufgefordert wird, meinen Vater durch die Aimaràs unschädlich machen zu lassen. Wenn die Señores sich überzeugen wollen: die Handschrift Seiner Excellenza. Der Mann dort hat de Valla weitere Briefe an Gomez verkauft, den wichtigsten, entscheidenden, hat er zurückbehalten.«
Und wieder setzte lähmendes Schweigen ein.
»Es ist so, Señores«, sagte Sancho Tejada in dieses Schweigen hinein, »ich habe Carlos de Valla wie einen Bruder behandelt. Er hat mich, einen ehrenwerten Mann, verführt, dann hat er einen Indianer hinter mir hergeschickt, der mich ermorden sollte, wenn Don Alonzo ihm nicht mehr zu schaden vermöchte. So hat dieser Ehrenmann einen Dienst vergelten wollen, den ich ihm aus alter Freundschaft leisten wollte. Als ich dies erfuhr, hörten für mich alle Rücksichten auf.«
Jetzt endlich ermannte sich de Valla. »Ich protestiere gegen die Aussage dieses Bandido«, sagte er matt; »der Mann ist ein Verbrecher und längst schon dem Strick verfallen.« Tobendes Geschrei seiner Anhänger unterstützte ihn.
Da erhob sich abermals der Cura und seine ehrwürdige Gestalt gebot auch den Freunden de Vallas Schweigen. Der Cura entfaltete ein Papier. »Hier«, sagte er, »habe ich das schriftliche Bekenntnis eines Mannes, dem ich selbst die letzte Beichte abgenommen habe. Der Mann hat dieses Bekenntnis in den letzten Augenblicken seines Lebens geschrieben und vor mir mit einem Eide bekräftigt. Danach ist Carlos de Valla der Anstifter und geistige Urheber des Verbrechens, das vor nunmehr zehn Jahren in dem sogenannten Tal der drei Quellen verübt wurde. Den letzten Dienst in diesem Leben erwies dem durch de Valla gedungenen Helfershelfer eines seiner Opfer, der hier anwesende Don Alonzo d'Alcantara.«
Das war eine furchtbare Anklage, doppelt schwer wirkend aus solch ehrwürdigem Munde. Selbst die Anhänger des Ministers schwiegen. Hier war der unanfechtbare Beweis geführt worden, daß die Verantwortung für die dunklen Vorgänge im Tal der drei Quellen in erster Linie Carlos de Valla traf. Die Erregung, die sich dem Hause mitgeteilt hatte, war ungeheuer.
In einem Augenblick äußerster Verwirrung, während zahllose Stimmen durcheinanderriefen, flüsterte einer der Staatsräte einem anderen zu: »Soldados, oder wir sind verloren!« Eilig entfernte sich der Angeredete, aber Antonio de Minas, der den Wortwechsel mit angehört hatte, trat an eines der großen Fenster und winkte mit der Hand nach unten.
Der Mann, der nach Soldaten verlangt hatte, sagte jetzt in die tobende Unruhe hinein: »Ich schlage vor, den jungen Herrn, der sich d'Alcantara nennt, bis zur Klärung seiner Ansprüche und bis zur Nachprüfung seiner Beschuldigung in Haft zu nehmen.«
»Ja, ja, ja!« brüllten die in ihrer Existenz bedrohten Anhänger des Ministers. Minas, Fernando de Mosquerra und eine Anzahl junger Hazienderos stellten sich vor Alonzo und nahmen eine drohende Haltung ein. Draußen klangen die Schritte zahlreicher Menschen auf, gleich darauf wurde eine der Saaltüren aufgerissen, eine Schar Soldaten betrat die Sala. Im gleichen Augenblick aber öffnete sich die entgegengesetzte Tür und fünfzig Montaneros traten herein, die Büchsen in der Hand. Unten auf der Plaza hatte sich, wie Minas gesehen hatte, eine starke Schar berittener Llaneros zusammengezogen, die langen Lanzen im Arm; zahlreiche Montaneros flankierten sie mit schußfertigen Büchsen.
Fernando de Mosquerra erhob sich und rief mit weithin hallender Stimme: »Der Friede des Hauses ist gebrochen. Hinaus die Soldados und Montaneros, im Namen des Gesetzes!«
Die Soldaten, denen beim Anblick der offensichtlich zum äußersten entschlossenen Bergbewohner nicht wohl sein mochte, entfernten sich, worauf auch die Montaneros die Sala verließen.
Da erhob sich, leichenblaß und am ganzen Leibe zitternd, Carlos de Valla. »Ich will nicht die Ursache des Unfriedens in dieser Versammlung sein«, sagte er, »ich gebe hiermit alle meine Ämter in die Hand des Staates zurück.« Unter dem allgemeinen Schweigen der Versammlung verließ der innerlich und äußerlich gebrochene Mann den Raum. Seine Anhänger konnten nun nicht mehr zweifeln, daß ihre Sache verloren sei.
Und abermals erhob Fernando de Mosquerra die Stimme. »Die Wahlen zu dieser Junta könnten nicht stattfinden«, sagte er. »Die Bevölkerung ist mit ungesetzlichen Mitteln unter moralischen Druck gesetzt worden. Es wird Zeit, daß unser schönes, von Parteien zerrissenes Vaterland eine Regierung erhält, die ausschließlich das Wohl des Ganzen im Auge hat. Ich schlage vor, wir benutzen unser Mandat und ernennen eine vorläufige Regierungskommission, die Neuwahlen ausschreiben wird, damit der Wille des Volkes festgestellt werde.«
Alle, die nicht unbedingte Kreaturen des gestürzten Ministers waren, stimmten zu, die anderen schwiegen. Auf den Vorschlag Fernandos wurde eine Kommission eingesetzt, in der auch die Brüder Vivanda und Antonio de Minas Sitz und Stimme hatten. Die Kommission trat ihr Amt auf der Stelle an und löste die Versammlung auf.
Das Volk von Bogotá nahm die dramatische Wendung der Sache, den Sturz des Ministers de Valla und das Wiedererscheinen eines d'Alcantara, mit stürmischer Begeisterung auf. Die Soldaten bekamen Befehl zum Abmarsch und verließen die Stadt.
Als die gegen de Valla erhobenen Beschuldigungen öffentlich bekannt wurden, bemächtigte sich der Bevölkerung eine ungeheure Empörung. Das Haus, in dem der Minister wohnte und das von Rechts wegen Alonzo d'Alcantara gehörte, mußte durch Alguacils vor Zerstörung geschützt werden. Als die Beamten das Haus betraten, um den gestürzten Minister zu verhaften, fanden sie ihn tot; er hatte seinem verfehlten Leben selbst ein Ende gesetzt.
Tejada, dem man für seine Aussage vor der Junta freies Geleit zugesichert hatte, wurde über die Grenze gebracht und erhielt den dringenden Rat, sich anderswo hängen zu lassen. Die provisorische Regierung übte, von einer aus Llaneros und Montaneros bestehenden Miliz unterstützt, die unter Alonzos Kommando stand, ihre Gewalt unter peinlichster Wahrung der Rechte des Einzelnen und der Gesamtheit aus. Alle anständigen Bewohner des Landes atmeten auf. Eine ihrer ersten Maßnahmen galt der Pirateninsel. Als die von Orocue und Cabuyara aus vorgehenden Truppen die Insel betraten, fanden sie das Nest leer, nur einzelne Leichen, so die eines Zambo und eines Handelsagenten aus Orocue, zeugten von blutigen Vorgängen, die unlängst auf dem Felseneiland stattgefunden hatten. Die Piraten selbst blieben verschwunden und tauchten auch anderwärts nicht wieder auf; der Orinoko war fortan gefahrlos passierbar.
Von Don Eugenio de Valla, den die Nachricht von den Vorgängen in der Junta und vom Tode seines Vaters noch innerhalb des Landes erreicht hatten, trafen Briefe ein, in denen er allen Ansprüchen auf das ehemalige Eigentum des Hauses d'Alcantara feierlich entsagte. An Alonzo schrieb er: »Seien Sie glücklich, Señor, Sie, den ich so gern meinen Freund genannt hätte. Und denken Sie so milde, wie Sie können, von Carlos de Valla; er war mir stets der gütigste und zärtlichste Vater; ich werde mein Leben lang für seine Seele beten.«
Und dann kam der Tag heran, da wieder ein d'Alcantara in das große Haus an der Plaza einzog. Von Otoño waren Elvira de Vivanda und Juana in Bogotá eingetroffen.
Seine Schwester an der Hand betrat Alonzo d'Alcantara die Stätte, in der er seine Kinderjahre verlebt hatte. Das Bild der Mutter hatte sich in einem abgelegenen Teil des Hauses wiedergefunden; nun hing es an der alten Stelle.
»Sieh, wie du ihr gleichst, Juana«, sagte Alonzo, »begreifst du nun, was für Gefühle mich bewegten, als ich dich plötzlich vor mir sah?« Das Mädchen, fassungslos auf das Bild starrend, brach in Tränen aus.
»Weine nicht, Schwester«, sagte Alonzo. »Sie blickt vom Himmel auf dich herunter, suche ihrer würdig zu werden.«
Die Freunde drängten sich um die Geschwister. Da waren Señor und Señora Mauricio, die Pflegeeltern des Mädchens, da waren die Brüder de Vivanda, da war Antonio, der Mestize und Don Fernando de Mosquerra. Und sie alle eiferten, den Wiedervereinten Liebes und Gutes zu tun.
Und da war schließlich Elvira de Vivanda, die Alonzo aus strahlenden Augen anlachte, als wolle sie ihn alles Schwere vergessen lassen. Er nahm ihre Hand und hielt sie, und in seinem Herzen beschloß er, diese liebe Hand nicht mehr aus der seinen zu lassen.
Im Hintergrund stand Maxtla, der Chibchaindianer. Aber er sah gar nicht stumpfsinnig aus in diesem Augenblick. Auf seinem braunen, verwitterten Gesicht stand ein strahlendes Lächeln. Es glänzte wie die Sonne am blauen Himmel eines schönen Landes.