Franz Treller
Der Gefangene der Aimaràs
Franz Treller

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Zwei Ehrenmänner

Das alte Santa Fé de Bogatá, die Hauptstadt Kolumbiens (das zur Zeit unserer Geschichte noch den Namen Neugranada, die Bezeichnung des alten spanischen Generalkapitanates, auch als selbständiges Staatswesen führte), liegt hoch über den Llanos, eingebettet zwischen ragenden Bergen. Die schroffen Felskegel des Guadalupe und des Monserate sind von Kapellen gekrönt, und weithin schimmern die schneebedeckten Riesen der himmelanstrebenden Kordilleren. Anmutig und reizvoll liegt die Stadt inmitten einer zauberhaft schönen Landschaft. Schräge rote Ziegeldächer und gelb oder weiß getünchte Lehmwände geben dem Ort ein freundliches Gesicht; die überall aufragenden schlanken Stämme der Eukalypten vervollständigen das anmutige Bild.

Die Doppeltürme der Kathedrale, die Kuppel der Santa Clara, der weiße Turm von San Franzisko grüßen den Ankömmling schon auf weite Ferne hin, über die nach Osten und Süden sich ausdehnenden Hochebenen hinaus.

Die Sonne neigte sich schon den unwirtlichen Höhen des Westens zu, als ein Mann auf müdem Pferd, das einen weiten Weg hinter sich zu haben schien, von Süden her in die Stadt einritt. Der breitrandige Sombrero, der hier und da durchlöcherte Poncho und die langen Reitgamaschen des Mannes waren mit Sand und Staub über und über bedeckt, und die Haltung des Reiters ließ auf starke Erschöpfung schließen.

Der Mann war hager und groß; das scharf geschnittene Profil zeigte eine starke Habichtsnase. Unter den dichten dunklen Brauen leuchteten Augen, die etwas Raubtierhaftes an sich hatten. Vom untern Teil des Gesichtes war wenig zu sehen, denn der Mann trug nach Art der Männer, die aus den Llanos kommen, ein seidenes Tuch um Mund und Kinn als Schutz vor dem Staub des Weges. Einen Karabiner hatte er quer über dem Rücken und den Lasso am Sattelknopf.

Er schien seinen Weg zu kennen, der Mann, denn augenscheinlich hatte er es nicht nötig, sich nach dem Weg zu erkundigen. Ohne zu zögern, bog er in eine Quergasse ein, die hier in der Vorstadt San Diego noch Häuser aus der Zelt Philipps II. aufwies. Vor einer Posada, die eine große Weintraube im Schild führte, stieg er vom Pferd.

»Wenn der Alte noch lebt, können wir gleich die Probe machen, ob mein Gesicht in Bogotá noch bekannt ist«, knurrte der Mann und rief nach dem Wirt. Aber es erschien niemand, um ihm das Pferd abzunehmen. Der Mann schlug mit der Faust gegen die Tür. »Hallo, Posadero!« brüllte er, »ist es hier üblich geworden, einen Caballero warten zu lassen?« Aber es vergingen noch ein paar Minuten, bis der Posadero, ein großer, fleischiger Mann mit einem gutmütigen Gesicht, im Torweg erschien. »Langsam, langsam, Señor«, sagte er, »ohne ein bißchen Geduld geht's nun mal nicht.«

Der Reiter hatte das Seidentuch von seinem Gesicht entfernt. Er trug einen Knebelbart, der das gebräunte Gesicht noch hagerer erscheinen ließ. »Er ist's jedenfalls noch«, murmelte er vor sich bin, um gleich darauf laut fortzufahren: »Eigentlich hatte ich mir in der berühmten Posada Don Geronimos einen herzlicheren Empfang erwartet.«

Der Wirt hatte den Fremden aufmerksam gemustert; dessen letzte Worte mochten ihm schmeicheln. Er verzog das breite Gesicht zu einem freundlichen Lächeln. »Seid immerhin willkommen, Señor«, sagte er, »möge es euch in meiner schlechten Behausung gefallen.« »Hallo, Pepe«, rief er in das Haus zurück, »nimm dem Caballero das Pferd ab.«

Ein Peon erschien, nahm das Pferd am Zügel und führte es fort. Der Fremde folgte dem Wirt in das Zimmer des Erdgeschosses, das als Gaststube diente; es war zur Zeit leer.

Der Mann warf den Poncho ab, stellte den Karabiner in eine Ecke und sagte: »Rasch einen Schluck Aguardiente, Mann, ich muß den Staub aus dem Halse kriegen.«

Der Posadero brachte ein Glas des scharfen Getränkes. Während er es vor ihn hinstellte, ruhte sein forschender Blick nachdenklich auf dem Gesicht des Gastes; es sah aus, als suche er in seiner Erinnerung. Der Mann stürzte den Trunk hinunter und verlangte zu essen. Der Posadero empfahl ihm ein gebratenes Huhn mit frischen Tortillas und begab sich auf die Zustimmung des Gastes hin in die Küche. Über des Fremden verwitterte Züge blitzte ein flüchtiges Lächeln. »Immerhin hat er mich nicht wiedererkannt, der Gute«, sagte er vor sich hin, »das ist mir doch lieb.«

Der Wirt war schon nach wenigen Minuten wieder da. »Verzeiht, Señor«, sagte er, »ich muß leider nach Eurem Namen und Euren Geschäften fragen. Der Alkalde ist seit einiger Zeit sehr neugierig. Alle Posaderos haben strenge Anweisung, jeden Fremden zu melden.«

»Reizende Zustände«, knurrte der Reisende. »Aber ich werde Eure oder Eures Alkalden Neugier befriedigen. Sagt mir vorerst aber, ob Excellenza de Valla zur Zeit in der Stadt ist.«

»Excellenza de Valla?« Der Posadero zog ein erstauntes Gesicht. »Der allmächtige Herr Minister? Wollt Ihr gar zu der Excellenza persönlich? Ich glaube wohl, daß er hier ist.«

»Ich will allerdings zu ihm persönlich.« Der Mann zeigte mit breitem Lächeln die Zähne. »Und zwar will ich ihm noch heute meine Aufwartung machen. Das also wäre mein Geschäft, und mein Name« – er hob ruckartig den Kopf und sah den Wirt mit einem spöttischen Blitzen der Augen gerade in das feiste Gesicht – »mein Name ist Sancho Tejada, ehemals Lugarteniente im Heer der Republik.«

Der Posadero fuhr zurück, als habe er einen Faustschlag erhalten; aus seinem weinroten Gesicht war die Farbe gewichen, er starrte entsetzt auf den Fremden.

»An sich ist es ja bemerkenswert und aufschlußreich, daß du für die edlen Züge deines gehorsamen Neffen ein so schlechtes Gedächtnis hast«, sagte der Mann, nun mit offenem Hohn in der Stimme, »na, hoffen wir, daß wenigstens dein Herz noch das alte ist.«

Des Posaderos Gesicht hatte sich in Sekunden verändert; es war kalt und verschlossen, aber in den sonst so gutmütig blinkenden Augen blitzte es gefährlich.

»Hinaus! Auf der Stelle!« sagte er heiser, ohne sonderlich die Stimme zu erheben. »Fünf Minuten hast du Zeit, dann rufe ich die Alguacils

»Wahrhaftig ein reizender Empfang!« höhnte Tejada, ohne seine lässige Haltung im geringsten zu verändern. »Nun, da wirst du schon nach den Alguacils rufen müssen, damit sie mich zum Hause seiner Excellenza geleiten.«

»Du scheinst vergessen zu haben, daß hier der Galgen auf dich wartet«, knirschte der Wirt.

»Laß doch die Tiraden!« Über des Fremden Stirn flog eine Wolke, die aber gleich wieder verschwand. »Ein Urteil, das vom politischen Haß diktiert wurde«, sagte er. »Ich bin ein Caballero, heute wie damals, und du kannst versichert sein, daß Excellenza de Valla es sich zur Ehre anrechnen wird, mich zu empfangen. Na, und ich denke, was dem allmächtigen Staatsminister recht ist, sollte dem Onkel billig sein. Also laß das Geschwätz.«

»Du magst meinetwegen mit dem Teufel paktieren!« Der Posadero verkrampfte die Hände zu Fäusten. »Mich schert es nicht. Dies ist ein ehrliches Haus und hat für deinesgleichen keinen Raum. Mach es also kurz: was willst du von mir?«

»Oh, nicht viel, einen Poncho und ein gutes Pferd, letzteres leihweise. Ich möchte einen guten Eindruck machen, wenn ich Seiner Gnaden meine Aufwartung mache.«

Der Wirt sah ihn finster an. »Gut«, sagte er, »du sollst beides haben. Ich verzichte im voraus auf die Rückerstattung. Das aber ist das letzte, was du von mir zu erwarten hast. Solltest du es wagen, noch einmal mein Haus zu betreten oder mich irgendwo als deinen Onkel zu bezeichnen, soll mich kein Minister daran hindern, dich dem Alkalden zu übergeben.«

»Du schadest deiner Gesundheit, mein Alter«, grinste Tejada, »die Erregung bekommt Männern deines Alters und deiner Körperbeschaffenheit nicht mehr. Übrigens kommt da das Huhn. Vielleicht bist du nun so freundlich, mich von deiner Gegenwart zu befreien, ich möchte in Ruhe speisen. Dein Gesicht würde mir den Appetit verderben.«

Dem Posadero sah man an, daß er am liebsten zugeschlagen hätte, aber da ein Aufwärter in diesem Augenblick mit dem bestellten Gericht an den Tisch trat, beherrschte er sich und verließ schweigend den Raum.

Sancho Tejada speiste in aller Ruhe und augenscheinlich mit vortrefflichem Appetit. Nach einiger Zeit erschien ein Peon im Zimmer, legte einen fast neuen Poncho über die Stuhllehne und sagte: »Das Pferd steht draußen gesattelt.«

Tejada erhob sich, warf den Poncho um und nahm seinen Karabiner auf. »Meine Empfehlung an Señor Geronimo«, sagte er und verließ das Haus. Bald darauf ritt er langsam durch die engen Gassen der Vorstadt. Sein Gesicht war finster verschlossen, er sah starr geradeaus. Als er die breiteren und neueren Straßen erreichte, gab er dem Gaul die Sporen und galoppierte nach der Plaza, an der das Haus des Ministers gelegen war.

Dieses Haus, ein stattliches, im Stil des sechzehnten Jahrhunderts errichtetes Gebäude, war vor Zeiten von einem Alcantara gebaut worden. Es zeigte einige erleuchtete Fenster. Das eiserne Gittertor, das zum Patio führte, war weit geöffnet. Zwei Pechpfannen erhellten mit ihrem rötlichen Schein den Eingang. Tejada ritt in leichtem Galopp an und befand sich bald darauf im Hof.

Als er beim Schein eines Feuers einige Lanzeros gewahrte, deren gesattelte Pferde bereit standen, zuckte er kaum merkbar zusammen, hatte sich aber sofort in der Gewalt. »Natürlich hat der hohe Herr eine Leibwache«, knurrte er, »jeder, was ihm gebührt.« Er ritt bis dicht vor die zum Hauseingang führende Treppe; hier sprang er vom Pferd. Ein Peon näherte sich, blieb aber in einiger Entfernung stehen; auf der Treppe erschien ein galonierter Diener.

»Melde mich seiner Excellenza«, sagte der Reiter.

Der Diener hob bedauernd die Schultern: »Excellenza wird schwerlich zu sprechen sein. Wen soll ich melden?«

»Einen Mann, der eine Botschaft aus dem Tal der drei Quellen bringt. Verlaß dich darauf, daß Excellenza zu sprechen ist. Eile! Ich habe keine Zeit.« Dies alles ward in hochfahrendem Ton hingeworfen, ganz wie es sich für einen Caballero gehört.

Der Diener, sichtlich beeindruckt, verschwand und war schon nach wenigen Minuten wieder da. »Excellenza lassen bitten«, sagte er und verbeugte sich. Nun kam der Peon heran und nahm Tejada das Pferd ab. Der stellte seinen Karabiner an die Wand und folgte dem Diener durch die hellerleuchtete Halle nach einem Zimmer im Erdgeschoß. »Excellenza wird gleich erscheinen«, sagte der Diener und entfernte sich.

Während Tejada durch die Halle gegangen war, hatte dort, hinter einer Treppenwange verborgen, ein indianischer Peon gekauert. Der Caballero hatte den Indio keines Blickes gewürdigt, hatte ihn wohl gar nicht gesehen. Dessen Augen aber hatten blitzartig aufgeleuchtet, als er den Fremden erblickte, und seine Hand hatte unwillkürlich nach der Machete im Gürtel gezuckt. Die Bewegung hatte freilich nur Sekunden gewährt, sie wäre Tejada vermutlich auch entgangen, wenn er den Indio beachtet hätte.

Jetzt stand der Caballero in dem reich ausgestatteten Gemach, dessen kostbare Möbel, Teppiche und Vorhänge für den Geschmack des Bewohners zeugten. Er musterte die vornehme Umgebung mit spöttischen Blicken. »Wohnt wahrhaftig wie ein Grande, der gute Don Carlos«, knurrte er, »und unsereiner darf sich wie ein Hund durch die Welt schlagen. Nun, warte, mein Freund, wir werden sehen.« Er faßte in die Tasche und entfernte sorgfältig die Sicherung von der Doppelpistole.

Ein leises Rauschen war vernehmbar; die Waffe verschwand entsichert und schußfertig unter den Falten des Poncho. Ein Türvorhang schob sich auseinander, und ein Herr betrat den Raum.

Señor Carlos de Valla, der erste Minister des Staates Neugranada, der Herr ergiebiger Silberminen und riesiger Liegenschaften, war ein Mann von mittelgroßer Gestalt und vornehmer Haltung. Der elegante Sommeranzug war nach der neuesten Pariser Mode gefertigt. Das gut geformte, bartlose Gesicht zeigte die vornehmen Spaniern eigentümliche Elfenbeinfarbe; es atmete Ruhe und Gelassenheit, indessen waren die dunkel brennenden Augen forschend und mißtrauisch auf den Besucher gerichtet.

Sancho Tejada verbeugte sich mit geschmeidiger Höflichkeit.

»Was führt Sie zu mir, Señor?« fragte der Minister. »Sie gebrauchten da eine merkwürdige Form der Anmeldung.«

»Es scheint bedauerlicherweise, daß Excellenza sich meiner nicht mehr erinnern, und ich hätte vielleicht fürchten müssen, daß mein Name nicht ausgereicht hätte, mir Zutritt zu Euer Gnaden zu verschaffen. Und doch sollten Excellenza sich eigentlich an Sancho Tejada erinnern.«

Der Minister fuhr bei der Nennung dieses Namens nicht zurück, wie vorher der Posadero Geronimo; in seinem kühlen Gesicht veränderte sich kein Zug, aber in den Augen blitzte es gefährlich auf, und seine rechte Hand schob sich wie absichtslos unter den Rock. »Oh, Señor Tejada, das ist freilich überraschend«, sagte de Valla. »Ja, mir scheint, es ist sogar kühn, wenn man bedenkt, daß die Diener der Gerechtigkeit versucht sein könnten, sich für Sie zu interessieren.«

»Ich würde Excellenza empfehlen, die Hand unter dem Rock hervorzunehmen«, – um Tejadas Lippen spielte ein böses Lächeln – »und im übrigen hoffe ich, mich unter den Schutz Euer Excellenza stellen zu können.«

Die Hand blieb unter dem Rock, und die dunkle Drohung in den Augen des Ministers vertiefte sich. »Ich verspüre große Lust, Sie meinen Lanzeros zu übergeben«, sagte er kalt.

Er hatte es noch nicht ausgesprochen, da blickte er bereits in die Öffnungen der auf ihn gerichteten Doppelpistole. »Keine üblen Scherze, Señor de Valla«, knurrte Tejada, »im Schießen nehmen wir beide es miteinander auf. – Die Hand aus dem Rock!« setzte er eine Tonlage schärfer hinzu.

Der Minister zuckte die Achseln und maß seinen Besucher mit einem geringschätzig verächtlichen Blick, aber die Hand erschien wieder waffenlos im Freien. Tejada steckte die Pistole ein.

»Narrheiten«, sagte de Valla. »Ich erinnere mich unserer alten Kriegskameradschaft, das hält mich vorerst von Weiterem ab. Im übrigen: der Señor wird sich hüten, den ersten Beamten des Staates in seinem eigenen Hause niederzuschießen. Sein Schuldkonto ist ohnehin voll, und er käme hier keine drei Schritte weit. Also, machen wir's kurz. Was willst du von mir? Und was sollte die sonderbare Anmeldungsform?«

»Ich sehe mich hier um; ich höre von dem Ruhm und der Achtung, die Carlos de Valla an seinen Namen geheftet hat, und ich bin überzeugt, daß das Tal der drei Quellen ihm in angenehmer Erinnerung ist«, sagte Tejada, offenen Hohn in der Stimme.

»Laß das Geschwätz und komm zur Sache.«

»Ich bin schon mitten darin«, grinste Tejada. »Erinnern sich Euer Gnaden an einen Mann namens Gomez?«

Der Minister hatte sich ausgezeichnet in der Gewalt, aber er konnte nicht verhindern, daß seine elfenbeinfarbene Haut einen Grad blasser wurde. »Was soll das?« stieß er heraus, und er sah aus, als wolle er den anderen mit seinen Blicken durchbohren.

»Der Mann ist tot, und ich bin sein Erbe geworden«, sagte Tejada.

»Rede, Mensch!« De Valla war offensichtlich nahe daran, die Beherrschung zu verlieren. Tejada indessen gewann von Minute zu Minute an Sicherheit. »Das ist ein kostbares Erbe«, sagte er, »obgleich es nur aus ein paar – – Briefen besteht.«

Man sah, wie der Minister sich zur Ruhe zwang. Der andere, ihn keine Sekunde aus den Augen lassend, fuhr fort:

»Diese Briefe stammen von der Hand Euer Gnaden. Sie werfen ein absonderliches Licht auf die Vorgänge, die sich vor nunmehr zehn Jahren in dem sogenannten Tal der drei Quellen ereigneten. Was meinen Excellenza, was die Chefs der liberalen Partei mir für diese Briefe zahlen würden? Ich wagte es bisher nicht abzuschätzen, und ich wollte – aus alter Kameradschaft – vorerst auch darauf verzichten. Deshalb kam ich hierher.«

Der Minister hatte seine Ruhe zurück; sein Antlitz schien aus Stein gemeißelt. »Mit anderen Worten, du willst mir die wertlosen Schreibereien verkaufen«, sagte er langsam.

»Über den Wert wagte ich bisher, wie gesagt, nicht zu urteilen«, grinste Tejada. »Euer Gnaden erinnern sich: die Familie d'Alcantara wurde damals umgebracht. Es sah bisher so aus, als ob es sich da um einen Überfall räuberischer Indios gehandelt habe. Wenn die Herren Liberalen nun Einsicht in die von mir ererbten Briefe erlangten, möchten sie daraus vielleicht einen etwas anderen Zusammenhang jener alten Vorgänge entnehmen. Ich stelle Euer Gnaden anheim – –«

»Schweig, Bandido!« Der Minister wandte sich ab und trat an ein Fenster. Tejada war bei der Beschimpfung aufgefahren, hielt sich aber ruhig und betrachtete den ihm zugewandten Rücken de Vallas mit finsterer Miene.

»Euer Gnaden sollten in Ihren Formulierungen etwas vorsichtiger sein«, sagte er; »schließlich ist es mein gutes Recht, eine Erbschaft auszuwerten, und wenn ich dies im Sinne Euer Excellenza tue, dann sollte ich mir einen Dank verdient haben.«

De Valla wandte sich um; er lehnte mit über der Brust verschränkten Armen am Fenster und sah den Mann im Poncho mit einem Ausdruck kalter Geringschätzung, in den sich heftigster Widerwille mischte, an.

»Deine Frechheit, Sancho Tejada, ist verblüffend«, sagte er, »aber deine Torheit ist fast noch größer. Überdenke deine Lage: Du kannst mich hier niederschießen, dann wäre dein Leben zu Ende, zugleich mit dem meinen. Außerdem käme es schließlich noch darauf an, wer schneller schösse. Ich brauche nur einmal in die Hände zu klatschen, dann bist du ein Gefangener, und der Strick ist dir sicher. Deine Briefe magst du dann dem Henker zeigen. Du hast das Spiel ein bißchen weit getrieben, du Narr!«

Während er dies mit absoluter Kaltblütigkeit sagte, jagten sich hinter seiner Stirn die Gedanken. Was stand in jenen Briefen? Er hatte damals an diesen Gomez geschrieben, ja, sicherlich stand Verfängliches darin. Gomez war seine Kreatur gewesen; er hatte seinen gefährlichsten politischen Gegner, Don Pedro d'Alcantara, in die Hände der Aimaràs liefern sollen. Es hätte völlig genügt, wenn d'Alcantara für einige Monate von der politischen Bühne verschwunden wäre. Niemand hatte damit gerechnet und vernünftigerweise damit rechnen können, daß die Indios den Mann mitsamt seiner ganzen Familie umbringen würden. Niemals hätte er, Carlos de Valla, seine Hände wissentlich mit Blut beschmutzt. Immerhin, die Briefe konnten heute, bei der äußerst gespannten politischen Lage, in der Hand seiner Gegner gefährlich werden; er mußte sie haben. Aber er wußte auch, wes Geistes Kind da vor ihm stand.

»Euer Gnaden wollen die Briefe also nicht?« fragte Tejeda; seine Sicherheit war angesichts der steinernen Ruhe seines Gegenübers im Schwinden. Er wußte sehr wohl um die Gefährlichkeit seiner Lage.

»Gott, nicht unbedingt. Ich müßte sie sehen. Du hast sie hier?«

»Ich habe sie hier, ja.« Tejada griff unter den Poncho und brachte ein kleines Päckchen vergilbter Briefe zum Vorschein. »Wenn Euer Gnaden sich davon überzeugen wollten, daß die Handschrift echt ist«, sagte er, das Päckchen dem Minister entgegenhaltend, ohne es freilich aus der Hand zu lassen.

Der Minister trat angewidert ein paar Schritte näher; er sah mit einem Blick: es waren seine Briefe.

»Ich kenne sie«, sagte er. »Zu deinem Unglück überschätzt du den Wert, den sie für dich haben. Du kennst die Zusammenhänge nicht. Immerhin, damit dieser Auftritt sein Ende findet: Was sollen sie kosten?«

Tejada zog das Päckchen zurück. »Leider sind meine Finanzen zur Zeit ziemlich zerrüttet«, sagte er, »unter sechshundert Pesos möchte ich sie nicht gerne hergeben.«

»Das ist zwar vollkommen lächerlich, aber ich habe nicht die Absicht, mit dir zu verhandeln. Wieviel Briefe sind es?«

»Vier.«

De Valla hatte nicht in Erinnerung, wieviel Briefe er damals in jenem Zusammenhang an Gomez geschrieben hatte, aber die Zahl mochte stimmen. »Es sind alle Briefe, die du hast?« fragte er.

»Es sind alle.«

»Es wäre auch gleichgültig, da ich bei dem geringsten Versuch zu einer weiteren Erpressung rechtzeitig handeln würde«, – in de Vallas Augen stand ein gefährliches Funkeln – »also gut: sechshundert Pesos.« Er zog seine Brieftasche, entnahm ihr eine Anzahl größerer Scheine und reichte sie Tejada, gleichzeitig die Hand nach den Briefen ausstreckend. Der Austausch wurde vollzogen. »Geh! Geh auf der Stelle«, sagte der Minister.

Der Bandido sah ihm mit einem frechen Lächeln gerade ins Gesicht. »Das Geschäft wäre abgeschlossen«, sagte er, »aber Excellenza würden es zweifellos bedauern, wenn ich jetzt ginge. Excellenza unterschätzen mich und meine Anhänglichkeit überhaupt. Denn nun möchte ich, ebenfalls im Gedenken an unsere alte Kriegskameradschaft, Euer Gnaden noch aus freien Stücken und ohne Gegenleistung eine Neuigkeit mitteilen, von der ich überzeugt bin, daß sie mir im Augenblick die Sympathie Euer Excellenza verschafft.«

Der Minister hielt nur mit Mühe an sich, aber er bezwang sich. »Sei überzeugt, daß ich beim geringsten Versuch einer weiteren Erpressung die Lanzeros rufe«, sagte er kalt.

»Es ist jammervoll, wie man verkannt wird«, bemerkte Tejada; »fast hätte ich Neigung, meine Neuigkeit für mich zu behalten, aber ich bringe es nicht übers Herz. Was würden Euer Gnaden sagen, wenn Sie erführen, daß der älteste Sohn Don Pedros, Alonzo d'Alcantara, seinerzeit dem Blutbad entgangen und am Leben ist?«

Jetzt konnte selbst der in allen Fasern beherrschte de Valla ein heftiges, ruckartiges Zusammenzucken nicht vermeiden; er starrte sein Gegenüber aus weit aufgerissenen Augen an. »Was soll das Märchen?« hauchte er.

»Die Neuigkeit scheint Excellenza in der Tat zu interessieren«, lächelte Tejada.

»Hüte dich, mit mir zu spielen«, knirschte de Valla.

»Aber wo werde ich denn! Und was sollte das für einen Zweck haben?« Der Erpresser schüttelte wie in ratloser Verwunderung den Kopf. »Es hätte auch gar keinen Sinn gehabt, die Neuigkeit zu einem Geschäft auszuwerten«, sagte er, »Euer Gnaden werden die Richtigkeit meiner Behauptung ohnehin bald genug erfahren.«

»Alonzo d'Alcantara ist am Leben?«

»Ganz ohne Zweifel. Es scheint, daß er damals als einziger von den Aimaràs fortgeschleppt wurde; jetzt ist er jedenfalls nach jahrelanger Gefangenschaft zurückgekehrt, und zwar auch schon seit Jahren.«

»Seit Jahren? Und das erführe ich erst jetzt?« Der Minister hatte seine Ruhe schon wieder zurück. Zweifel und Mißtrauen spielten auf seinem Gesicht.

»Offenbar hat man es für ratsam gehalten, dem gewaltigen Minister, dem Erben der Familie d'Alcantara, die Tatsache zu verschweigen«, spottete Tejada. »Übrigens bin ich in der erfreulichen Lage, meine Behauptung beweisen zu können. Euer Excellenza entsinnen sich zweifellos noch der Handschrift unseres gemeinsamen Freundes Gomez.« Er entnahm seiner Tasche ein Stück Papier und überreichte es de Valla. Der Minister nahm es und las halblaut: »Und so schwöre ich bei Gott und den Helligen, so wahr ich im Angesicht des Todes auf Vergebung meiner Sünden und ewige Seligkeit hoffe, daß der vor uns stehende junge Mann Alonzo, der erstgeborene Sohn Don Pedro d'Alcantaras ist, der dem Blutbad im Tal der drei Quellen entging und von den Aimaràs gefangen fortgeführt wurde. Enriques Gomez.«

»Es ist zwar von der Hand Señor Gomez', aber, wie Euer Gnaden wohl bemerken werden, nur ein Konzept. Das Original ist in guter Hand und wird zweifellos zu gegebener Zeit vorgewiesen werden.«

Der Minister starrte noch immer regungslos auf das Papier; dann zerknüllte er es in der Hand und ging einige Male erregt im Zimmer auf und ab.

»Es ist klar«, sagte er nach einer Weile, »es handelt sich da um ein abgekartetes Machwerk meiner politischen Gegner, die mich stürzen wollen. Dieser Gomez war käuflich. Ich sehe vollkommen klar. Man will mir eine Blutschuld aufbürden und mir diesen angeblichen d'Alcantara als Gegner präsentieren. Ich wäre ein Narr, wenn ich darauf hineinfiele. Alonzo d'Alcantara ist seit zehn Jahren tot. Wo befindet sich der Betrüger, der sich für einen Sohn Don Pedros ausgibt?«

Mit geschmeidiger Höflichkeit und seinem gewinnendsten Lächeln entgegnete Tejada: »Das, Excellenza, ist mein Geheimnis, das ich zur gegebenen Zeit auszuwerten gedenke.«

»Dein Geheimnis?« Der Minister fuhr auf. »Weißt du, daß es in meiner Macht steht, dir dieses Geheimnis aus der Seele peitschen zu lassen?«

»Excellenza würden das Übel nur vermehren und einen treuen und ergebenen Diener ungerecht behandeln«, versetzte der Bandido.

Und wieder ging der Minister im Raum auf und ab. »Schlau ausgedacht, diese Sache«, sagte er. »Die Wahlen zur großen Junta stehen vor der Tür. Eine Flut von Verleumdungen würde sich mit dem Auftauchen des falschen d'Alcantara über mich ergießen. Es ist keine Frage: Das Interesse des Staates ist im Spiel. Der Betrüger muß unschädlich gemacht werden. Er muß verhindert werden, gegen mich aufzutreten.« Ruckartig blieb er stehen und sah Tejada mit einem lauernden Blick an.

»Du wirst das übernehmen«, sagte er.

Der andere zog bedächtig die Schultern hoch und machte ein bedenkliches Gesicht. »Eine gefährliche Sache, Excellenza«, sagte er; »der junge Mann hat einflußreiche Freunde in den Llanos.«

»Wo man mir ohnehin nicht wohl will.«

»Wie meinen Excellenza, daß man gegen den Menschen vorgehen soll?«

»Das ist deine Sache. Es geht mir lediglich darum, einem etwaigen Angriff gegen mich die Spitze abzubrechen.«

Der Mann im Poncho grinste wie ein Teufel. »Die Sache wird Geld kosten, Excellenza«, sagte er. »Ich setze mein Leben aufs Spiel. Aber gut; was tut man nicht für seine Freunde! Wenn Euer Gnaden fünftausend Pesos anlegen wollten, würde kein Alonzo d'Alcantara mehr auftreten.«

»Welche Sicherheit habe ich?«

»Meinen Vorteil, wenn Euer Excellenza ein wenig nachdenken wollen. Excellenza zahlen mir jetzt tausend Pesos, denn ich muß mich ein wenig installieren, um als Caballero auftreten zu können, den Rest erhalte ich, wenn ich Euer Excellenza überzeuge, daß die Gefahr vorüber ist.«

»Gut.«

»Freilich müßten Excellenza die Güte haben, mir um Lebens und Sterben willen eine Anweisung zu geben.«

Der Minister fuhr auf: »Genügt dir mein Wort als Caballero nicht?«

»Oh, vollständig, Excellenza, nur – für alle Fälle!«

De Valla wandte sich schweigend ab, setzte sich an einen Tisch, ergriff Feder und Papier und schrieb. Abgewandten Gesichts reichte er dem andern das Blatt. Tejada las halblaut:

»Vorzeiger dieses Schreibens ist von mir beauftragt worden, Nachforschungen nach dem angeblich von den in der Sierra Morena hausenden Aimaràs gefangengehaltenen Alonzo d'Alcantara anzustellen. Er erhält viertausend Pesos gezahlt, wenn er mir bis zum l. Oktober dieses Jahres günstige Nachrichten von dem Sohn meines verstorbenen Freundes Don Pedro bringt.

Bogotá, 17. Juli 1853.

Carlos de Valla, Staatsminister.«

»Ausgezeichnet, Excellenza«, sagte der Bandido, faltete das Blatt und barg es sorgfältig in seiner Tasche. »Excellenzas Interessen sind fortan die meinen. Der falsche d'Alcantara wird Euer Gnaden nicht mehr belästigen.« Er nahm das Banknotenbündel, das de Valla ihm reichte, und steckte es ein.

»Verlasse augenblicklich die Stadt und hüte dich vor den Alguacils«, sagte der Minister. Tejada verbeugte sich schweigend und ging, die Hand am Pistolenkolben, denn immer noch fürchtete er, der Minister könnte ihn festhalten lassen. Erst als er auf der Plaza war, atmete er auf. Und auch diesmal hatte er nicht auf den hinter der Treppe kauernden Indianer geachtet, und auch der Indiojunge, der heimlich seinen Schritten folgte, fiel ihm nicht auf.

Carlos de Valla sah ihm mit finsterem Gesicht nach. Er klingelte, und ein Diener trat ein.

»Ist der Indio Maxtla draußen?«

»Er ist draußen, Excellenza.«

»Schick ihn herein.«

Der Diener ging, und gleich darauf trat der Indio, der hinter der Treppenwange gekauert hatte, ins Zimmer. Der Mann, eine untersetzte, breitschultrige Gestalt mit dem traurigen, fast stumpfsinnigen Gesichtsausdruck, der den Indianern jener Länder als Auswirkung jahrhundertelanger Sklaverei eigen ist, richtete die dunklen Augen auf den in Gedanken versunkenen Minister. Er wartete geduldig, bis der ihn bemerken würde. Der Indianer mochte etwa vierzig Jahre zählen, sein Äußeres ließ auf erhebliche Körperkraft schließen. Bewegungslos stand er da, in seinem braunen Gesicht regte sich kein Muskel.

De Valla, der sich wieder an dem Schreibtisch niedergelassen hatte, hob den Kopf und sah den Indio wie einen Gegenstand an.

»Ich habe einen Auftrag für dich«, sagte er kurz.

»Maxtla hört.«

»Du hast den Mann gesehen, der eben bei mir war?«

»Maxtla sah ihn.«

»Gut. Ein Indio vergißt kein Gesicht, das er einmal gesehen hat. Du entsinnst dich, daß vor Jahren der große Señor d'Alcantara mit seiner Familie von deinen wilden Stammesgenossen aus den Bergen ermordet wurde?«

»Maxtla weiß es.«

De Valla sprach über den Indio hinweg; er sah ihn gar nicht an. Vielleicht wäre ihm sonst nicht entgangen, daß die Augen Maxtlas bei Nennung des Namens d'Alcantara in einem dunklen Glanz aufgeleuchtet waren. Aber Carlos de Valla war weit entfernt davon, einem Indio überhaupt irgendwelche menschlichen Gefühle zuzumuten. Er sagte:

»Der Mann, der eben bei mir war, brachte mir eine sonderbare Nachricht. In den Llanos soll ein junger Mann leben, der behauptet, Alonzo d'Alcantara, der Sohn Don Pedros, zu sein.«

Und wieder leuchtete es, unbemerkt von dem Minister, in den Augen des Indios auf. De Valla fuhr fort:

»Die Nachricht ist zweifellos falsch. Der Überbringer ist unzuverlässig. Der junge Mann, der sich d'Alcantara nennt, ist ein Betrüger, von meinen Feinden gekauft. Er ist selbst mein Todfeind. Du verstehst?«

»Maxtla versteht.«

»Der Mann, der hier war, wird den Weg nach den Llanos einschlagen. Du wirst ihm unbemerkt folgen. Es ist möglich, daß er jenen falschen d'Alcantara stellt und – unschädlich macht. Dann ist es gut. Du wirst es feststellen und mir berichten. Wie gesagt, der Mann ist unzuverlässig, außerdem zu jedem Schurkenstreich fähig. Vor allem suche den Betrüger zu ermitteln; ich weiß nicht, wo er sich aufhält, aber jener Mann, der sich Tejada nennt, in weiten Kreisen aber als Coyote bekannt ist, behauptet es zu wissen. Hefte dich an seine Fersen, er muß dir den Weg zeigen. Du hast begriffen?« Zum erstenmal sah der Minister den Indio an, mit einem eiskalten, forschenden Blick.

Der Indio hielt ihm stand. »Ich – habe begriffen, Herr«, sagte er. »Maxtla wird dem Coyoten auf den Fersen bleiben. Der Betrüger wird Euer Gnaden nicht schaden.«

»Sollte der Coyote falsch an mir handeln, so rechne ich gleichfalls – auf deine Treue.«

»Maxtla ist treu. Der Coyote mag sich hüten.«

De Valla entnahm der Schreibtischlade einen Beutel und warf ihn dem Indio zu. »Das wird reichen«, sagte er, »ich verlasse mich auf dich. Nimm dir nun deine Mula und laß dir vom Majordomo geben, was du sonst noch brauchst. Eile!«

Der Indianer steckte den Beutel zu sich, neigte den Kopf und ging aus dem Zimmer.

Der Minister blieb zurück. Er legte die Hand vor die Augen; seine Schultern zuckten wie im Krampf. »Ich wollte dich nicht töten, Pedro d'Alcantara«, stöhnte er, »aber wenn jetzt dein Schatten aus dem Grabe steigt, um gegen mich zu zeugen, dann muß ich ihn zurücksenden in die ewige Nacht. Ich habe nicht jahrelang gerungen, um mir nun den Preis im letzten Augenblick entreißen zu lassen.«

Ein leises Klopfen an der Tür ließ sich vernehmen. De Valla richtete sich auf. Sein Gesicht entspannte sich, ein warmes Leuchten trat in seine Augen. »Eugenio«, rief er, »komm herein.«

Die Tür öffnete sich, und ein schlanker junger Mann mit einem guten, offenen Gesicht trat ins Zimmer. »Ich störe dich nicht, Vater?« fragte er.

»Nein, du störst nicht. Komm her, mein Junge!« Ein strahlendes Lächeln stand jetzt auf den eben noch so hart verschlossenen Zügen des Ministers. »Was führt meinen Infanten zu mir?« fragte er und reichte dem Jüngling die Hand. »Braucht der Señorito Geld?«

»O nein, Vater, was sollte ich mit Geld? Du gibst mir ja genug.«

»Du dürftest ruhig etwas mehr ausgeben«, lachte der Vater mit gutmütigem Spott. »Ein de Valla darf etwas großzügiger sein.«

Der Junge lachte zurück: »Ich habe nun einmal keine Begabung dazu«, erwiderte er. »Aber trotzdem habe ich heute gleich zwei Bitten.«

»Heraus damit, Señorito!«

»Man hat da den Señor Bonego plötzlich nach Buanamaria in die Wüste verbannt. Er soll staatsgefährlich sein – –«

Des Ministers Antlitz verschattete sich: »Wohinein mischst du dich da, Eugenio?«

»Ich kenne Señor Bonego, Vater. Er ist ein harmloser Gelehrter.«

»Woher kennst du ihn denn?«

»Ich habe mit seinem Sohn das Lizeo besucht. Der war nun bei mir und bat mich, deine Güte in Anspruch zu nehmen.«

»Mein lieber Junge, du weißt kaum, worum du da bittest. Señor Bonego hat sich durch aufrührerische Äußerungen sehr verdächtig gemacht, und du weißt, Excellenza, der Herr Präsident, sind ein sehr strenger Herr.«

»Aber Vater, ich weiß, daß Señor Bonego sich nur um seine Wissenschaft kümmert. Außerdem ist er krank. Bitte, mache deinen Einfluß beim Präsidenten für ihn geltend, er ist sicher ungerecht verleumdet worden.«

De Valla, der das Verbannungsdekret gegen Bonego selber veranlaßt hatte, weil er den Unabhängigkeitssinn des Gelehrten fürchtete, vermochte den bittenden Augen des Sohnes nicht zu widerstehen. So gefährlich war der Mann schließlich wirklich nicht. »Also gut, Eugenio«, sagte er, »ich werde schon morgen mit dem Präsidenten sprechen. Vielleicht gelingt es mir, ihn zu überzeugen. Jedenfalls verspreche ich dir, die Angelegenheit nachzuprüfen.«

»Danke, Vater. Ich wußte es ja. Ich kenne doch dein Herz.«

»Wollen sehen, wollen sehen, mein Sohn«, wehrte der Minister die ihm irgendwie peinlichen Freudenbezeigungen des Sohnes ab. »Sage mir lieber, was du noch auf dem Herzen hast.«

»Ich weiß nicht, ob du gehört hast, Vater: Señor Pinola unternimmt eine wissenschaftliche Reise in die Llanos, um deren Fauna und Flora zu durchforschen – –«

»Nun, und – –?«

»Ich möchte ihn begleiten, Vater.«

»Du – ihn begleiten? Warum?«

»Weil seine Studien mich interessieren, Vater. Du kennst doch meine Liebhaberei.«

»Leider, ja. Eine seltsame Liebhaberei für einen Eugenio de Valla. Aber immerhin – ich will es bedenken.« De Valla überlegte, daß es vielleicht vorteilhaft sein möchte, wenn sein sanfter und liebenswürdiger Sohn in den Llanos auftauchte, wo der Name des Vaters nicht eben beliebt war. »Ich werde selbst mit Señor Pinola reden«, sagte er.

»O Vater, ich danke dir«; der Jüngling strahlte über das ganze Gesicht. »Du bist nicht nur der größte Staatsmann deiner Zeit, sondern auch der beste aller Väter.«

»Und der schwächste.«

»Nein, der liebevollste. Tausend Dank, Vater. Aber jetzt will ich schnell zu Bonego gehen und ihm sagen, daß du dich seines Vaters annehmen wirst.«

»Versprich nicht mehr, als du versprechen kannst.«

»O nein, aber das ist schon genug. Ich kenne doch deinen Einfluß auf Excellenza, den Herrn Präsidenten.« Und nach einer kurzen stürmischen Umarmung, der sich der Vater nicht zu entziehen vermochte, war Eugenio aus dem Zimmer.

Lange sah der Vater ihm nach. »Wäre ich doch noch wie du, mein Junge«, sagte er leise vor sich hin. »Aber das ist vorbei. Endgültig vorbei. Ich muß meinen Weg nun zu Ende gehen.«


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