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Der Orinoko, der gewaltige, breit und mächtig dahinströmende Fluß, kommt vom Äquator her. In seinem nördlichen Lauf bildet er viele Meilen weit die Grenze zwischen den Staaten Kolumbien und Venezuela; alsdann eilt er, in weitem Bogen nach Osten ausgreifend, dem Atlantischen Ozean zu. In seinem ganzen Lauf begrenzt er nach Osten und Süden die ungeheure Ebene, die der Spanier die Llanos nennt.
Die Llanos gleichen der Pampa des Südens und den Prärien des Nordens zwar in ihrer Bodengestaltung, nicht aber im Pflanzenwuchs, der durchweg tropischen Charakters ist; weit entfernt sind sie von der tristen Einförmigkeit jener endlosen Steppen. Saftige Weideflächen und wild wucherndes Buschwerk beleben das Land. In Hainen und Wäldern wachsen vielfältige Palmenarten; zahlreiche Wasseradern vervollständigen das abwechslungsreiche Bild.
Aus dieser endlosen Ebene steigen nach Westen die Gebirgszüge an, die in ihrer fast den ganzen amerikanischen Kontinent durchziehenden Kette sich nirgends höher erheben als im Nordwesten Südamerikas, nirgends geschlossener und gewaltiger auftreten.
Die klimatischen Verhältnisse des Landes sind höchst unterschiedlich. In der Ebene herrscht unter den sengenden Strahlen der Äquatorsonne tropische Hitze, in den Vorbergen der Andenkette ein gemäßigtes Klima. Die Spitzen der Bergriesen aber, die bis zu siebentausend Meter Höhe aufragen, deckt ewiges Eis, trotz der spürbar werdenden vulkanischen Tätigkeit im Innern.
In der heißen Ebene, die durch zahlreiche, dem Gebirge entquollene Wasserläufe befruchtet wird, gedeiht die Agave; die Königspalme läßt ihre riesigen Blätter im Winde wehen. Hier hausen die mit ihren Pferden verwachsenen Llaneros, die in der Steppe ihre riesigen Herden weiden, ein wildes, rauhes, ausdauerndes Zentaurengeschlecht, das seine Freiheit über alles liebt.
In den Bergen wohnt ein zäher Stamm von Ackerbauern, der durch schwere, mühsame Arbeit sein Brot gewinnt, Mais, Weizen und Kartoffeln baut und seine Herden in den Bergen weiden läßt, die Montaneros.
Die Andentäler beherbergen ausgedehnte Kolonien von Ureinwohnern, die, für das Christentum gewonnen, friedlich ihren Acker bauen und sehr um die Wahrung ihrer Stammesreinheit besorgt sind.
Hoch oben im Gebirge schließlich leben in schwer zu ersteigenden Felstälern einzelne, niemals unterworfene Indianerstämme, die, unzugänglich aller europäischen Zivilisation, noch treu die Überlieferungen ihrer einst mächtigen Vorfahren bewahren und den Weißen als ihren Todfeind betrachten.
Solange die spanische Regierung in jenen Ländern mit eiserner Faust herrschte, verhielten sich diese zerstreuten Horden in ihrer weglosen Abgeschlossenheit ruhig, als aber zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts der Unabhängigkeitskampf ausbrach und die Weißen, Nachkommen der eingewanderten Spanier, in jahrelangen blutigen Kämpfen mit der Macht des Mutterlandes rangen, um sich von dessen Herrschaft zu befreien und ihre staatliche Selbständigkeit zu erkämpfen, kam auch in diese abgelegenen Indianersiedlungen bewegtes Leben; die Indios beteiligten sich an den Kämpfen der Parteien, wobei ihr Beitrag sich freilich in der Regel auf Raub, Mord und Plünderung beschränkte und es ihnen vollkommen gleichgültig war, ob sie Königliche oder Liberale niedermetzelten.
Die Unabhängigkeit von Spanien wurde errungen; der Boden des Landes aber war mit Blut getränkt und die Bewohner bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erschöpft. Die Bruderkämpfe unter den Weißen hatten nicht dazu beigetragen, die von Natur wilden und grausamen Indios der Berge friedlicher zu stimmen, um so weniger, als sie in ihren Felsschluchten praktisch unangreifbar waren und die Macht des Staates kaum zu fürchten hatten, zumal die fortdauernden Parteikämpfe im Innern des Landes eine schlechte Voraussetzung für ein geschlossenes Auftreten bildeten.
Die friedlich gesinnten, halbzivilisierten Indianer der Vorberge fürchteten ihre wilden Stammesgenossen im Hochgebirge kaum weniger als die Weißen; tatsächlich machten die letzteren auch zwischen beiden kaum einen Unterschied, wenn sie räuberisch in die Ebene einbrachen.
Zum Glück waren die ›Indios bravos‹, wie die Bergindianer genannt wurden, zahlenmäßig nur mehr unbedeutend; eine ernsthafte Gefahr bildeten sie nicht. Nur von Zeit zu Zeit wagten es die Nachkommen des einst mächtigen Aimaràvolkes, aus ihren verborgenen Schlupfwinkeln hervorzubrechen, um einen Raubzug zu unternehmen, von dem sie sich alsdann mit der Beute unverzüglich in ihre Felsspalten zurückzogen. Die Aimaràs hausten in dem Gebirgsstock, der nach Kolumbien wie nach Ecuador hineinragt; der Zugang zu ihren Dörfern schien nahezu unmöglich.
Auf der Spitze eines rauh zerklüfteten Felsens, hoch im Gebirge, stand ein Junge. Er hatte die Hand über die Augen gelegt und blickte sinnend nach Osten, über Berge, Hügel und Wälder hinweg, bis weit hinaus, wo sich im bläulichen Schimmer Erde und Himmel zu vereinen schienen. Der Anblick, der sich ihm bot, war von seltener Großartigkeit, von einer feierlichen Erhabenheit, wie ihn diese Erde nur an seltenen Plätzen dem Menschen gewährt; die tiefe, feierliche Stille ringsumher machte ihn noch eindringlicher.
Der Junge trug die Gewandung der hier oben hausenden Ureinwohner: eine bis zu den Knien reichende ärmellose Tunika von Vikunjawolle, die ein Ledergürtel zusammenhielt, und hohe, lederne Gamaschen. Antlitz und Arme waren von Sonne und Luft gebräunt; gleichwohl war unverkennbar, daß europäisches Blut in den Adern des Jungen floß. Das gut, ja edel geschnittene Gesicht mit den dunklen Augen wurde von lang herabwallendem schwarzen Haar umflossen; ein Streifen Leopardenhaut, um Stirn und Hinterhaupt geschlungen, hielt es zusammen.
Er stand bewegungslos, der Junge, den Blick in die Ferne gerichtet. Seine Lippen waren fest geschlossen, in den Augen brannte ein dunkles Feuer.
Plötzlich zuckte er zusammen; ein Überraschungslaut entfuhr seinem Munde. »Bei der heiligen Jungfrau, sie bringen einen Weißen«, murmelte er. Er mußte sehr gute Augen haben, denn der kleine Zug von Eingeborenen, der sich langsamen Schrittes näherte, war noch fern, und ein gewöhnliches Auge hätte kaum zu erkennen vermocht, daß sich ein Europäer unter den Indios befand. »Gott schütze ihn«, stammelte der Junge. Im gleichen Augenblick sank er lautlos zur Erde und war wie mit dem Gestein verschmolzen; sein wachsames Ohr hatte das schlürfende Geräusch eines leichten Schrittes wahrgenommen.
Zwischen dem Buschwerk, das den Felskegel deckte, erschien das braune Gesicht eines jungen Indianers. Er war ähnlich gekleidet wie der weiße Junge, doch zeichnete sich seine Tracht durch größeren Reichtum aus. Stirnband und Gürtel zeigten den Schmuck goldener und silberner Stickereien. Das Gesicht des jungen Indios war unschön; in seinen Augen war ein tückischer, lauernder Zug. Er betrachtete einen Augenblick den Weißen, der sich aufgerichtet hatte und seiner nicht achtete. Dann sagte er in den rauhen Kehllauten der Aimaràsprache: »Sinnt der Blanco wieder, wie er uns entlaufen könnte?«
Der Weiße wandte langsam den Kopf und sah den Indio mit gelassener Ruhe an. »Ich weiß nicht, was du willst«, sagte er in der gleichen Sprache. »Ich bin längst ein Aimarà geworden, Guati.«
Um die Lippen des anderen spielte ein höhnisches Lächeln. »Du bist klug, Blanco«, versetzte er, »die Erfahrung hat dich gelehrt, daß es unmöglich ist zu entkommen.«
Der Weiße hielt dem lauernden Blick ruhig stand. »Warum rufst du zurück, was vor Sommern geschah?« sagte er. »Damals war ich ein Kind.«
»Weil ich weiß, daß du dich nach deiner verwünschten Rasse sehnst«, entgegnete der Indio. »Darum trifft man dich immer wieder auf den höchsten Gipfeln, nach Osten spähend.«
Der Blanco zuckte die Achseln. »Du irrst, Guati«, sagte er gleichmütig, »die Vergangenheit ist tot. Ich gehöre zu euch.«
Das Lauern in dem unschönen Antlitz verstärkte sich. »Es ist gut«, sagte der Indio nach einer Weile, »gut für dich, wenn du die Wahrheit sprichst, denn der Opferstein dürstet nach dem Blut eines Weißen.« Die Züge des Jünglings blieben bewegungslos.
»Im vergangenen Jahr dürstete er vergebens«, fuhr der Indio fort. »Die Unsichtbaren zürnten ihren Kindern.«
»Sie werden uns ihr Angesicht wieder enthüllen«, sagte der Weiße. Er sagte es, aber hinter seiner Stirn jagten sich die Gedanken; dort sah es anders aus. Ein schauriges Bild stand vor seiner Seele. Vor zwei Jahren war es gewesen, als die fanatisch an ihren abergläubischen Gebräuchen hängenden Wilden einen geraubten Spanier ihrem Götzen geopfert hatten. Zwar hatte man den Jungen damals während der grausigen Zeremonie entfernt und in eine abgelegene Schlucht gesandt, aber er hatte später den entstellten Leichnam des unglücklichen Mannes gesehen und den entsetzlichen Vorgang aus den Gesprächen der Indios kennengelernt. Im letzten Jahr war das Opfer in Ermangelung eines geeigneten Gefangenen unterblieben, nun aber – – er hatte einen Weißen unter den von einem Raubzug heimkehrenden Aimaràkriegern erblickt, und er wußte, was diesem bevorstand.
Man sah ihm dieses Wissen, man sah ihm seine Gedanken nicht an. Er gab an stoischer Haltung keinem der Indianer etwas nach, in deren Mitte er nun schon so lange leben mußte.
Guati gab seine Bemühung, des weißen Jungen Seele zu erforschen, einstweilen auf. »Du sollst vor dem Kaziken erscheinen, Techpo«, sagte er, »ich bin ausgesandt, dich zu suchen.«
Augenblicklich erhob sich der Junge. Guati warf einen Blick über die Schluchten nach Osten hin, doch von dem Zug, der den gefangenen Weißen mit sich führte, war nichts mehr zu erblicken. »Komm«, sagte er kurz und begann den Fels hinabzusteigen. Der andere folgte ihm schweigend.
Sie hatten bald das von einem Bach durchrauschte Tal vor sich, in dem dieser Aimaràstamm hauste. Unregelmäßig zerstreut standen hier kleine Häuser, aus Adobeziegeln errichtet; sie waren von Gärten umgeben und von Bäumen umstanden. Maisfelder erstreckten sich dazwischen und kleine saftige Wiesen, auf denen Gebirgspferde und Maultiere weideten.
Von den Bewohnern war wenig zu sehen. Da und dort spielten Kinder, und einige Frauen waren in den Gärten beschäftigt. Vor manchen Häusern saß ein alter Indianer und starrte stumpfsinnig und teilnahmslos vor sich hin.
Guati und der weiße Junge schritten mitten durch das Dorf und näherten sich einer größeren Behausung. Hier war ein Pferd an die Hecke gebunden, das offenbar einen weiten Weg hinter sich hatte. Unter dem Vordach saßen zwei Indianer, der Kazike Tucumaxtli und ein jüngerer Mann. Techpo kannte ihn flüchtig; er gehörte einem unweit hausenden Stammesteil an. Offenbar war er soeben gekommen, um die Ankunft der Krieger mit ihrem Gefangenen zu melden.
Die beiden Jünglinge warteten schweigend, bis der Kazike Notiz von ihnen nehmen würde. Dieser, ein älterer Mann mit harten, brutalen Zügen, trug ein prächtig geschmücktes Gewand, in der Form ähnlich dem, das die beiden Jungen umhüllte. Es ließ die sehnigen Arme frei, deren Handgelenke goldene Spangen umschlossen.
Der junge Mann neben dem Kaziken sagte: »Ich wundere mich, daß du diesen spanischen Wolf noch immer an deinen Feuern nährst, statt ihn den Göttern zu opfern.« Er bediente sich bei diesen Worten eines Dialektes, von dem er wohl annahm, daß der weiße Junge ihn nicht verstehe. Der verstand ihn aber sehr wohl, doch verriet kein Zucken seines in eiserner Ruhe verharrenden Gesichtes eine innere Bewegung,
»Ich hoffe, noch viel Geld für ihn zu erhalten«, erwiderte der Kazike in der gleichen Mundart; »sein Leben ist für einige spanische Großen gefährlich; sie müssen es mir abkaufen; ich habe ihn nicht grundlos so lange bewahrt.«
»Warum willst du ihn aber in die Berge senden?«
»Er soll den Gefangenen nicht sehen«, versetzte der Kazike. Und seine Stimme zum Flüstern dämpfend, fuhr er fort: »Auch von der Opferung soll er nichts sehen; lösen die Seinen ihn eines Tages aus, darf er nichts von diesen Dingen erzählen können.«
»Und wenn er entweicht?«
»Er entweicht nicht mehr. Er ist ein Aimarà geworden und spricht kaum noch die Sprache der Weißen. Außerdem weiß er, daß es aus diesen Bergen kein Entrinnen gibt; er hat es einmal versucht.«
»Der Wolf wird größer und gefährlicher.«
»Er ist gezähmt, sei unbesorgt. Er ist trotz seiner Jugend ein geschickter Jäger. Deshalb mag er dem Wild nachstellen, während wir den Göttern dienen. Er soll fort, ehe die Krieger mit dem Gefangenen kommen.«
Mit diesen Worten wandte er sich dem Techpo genannten Jungen zu und forderte ihn mit einer Handbewegung zum Nähertreten auf. Der Junge nahte sich ihm in ehrerbietiger Haltung.
»Du mußt zur Jagd aufbrechen, Techpo«, sagte der Kazike, »wir brauchen das Fleisch des Berghirsches.« In den Augen des Jungen leuchtete es auf.
»Du gehst gern?« fragte der Kazike.
»Ja. Die Jagd macht mir Freude.«
»Ich weiß es. Es ist gut. Du mußt gleich aufbrechen, denn ich erwarte Gäste, die ich bewirten will. Ich gebe dir drei Tage Zeit. Guati wird dich begleiten; zwei Büchsen sind besser als eine, und die Hirsche werden seltener.«
Guatis Gesicht verriet bei aller Beherrschung, daß ihm der Auftrag nicht angenehm war. Tucumaxtli sah es nicht. »Gehe ins Haus, Techpo, nimm dir Waffen, fülle den Kugelbeutel und deine Jagdtasche«, sagte er. Der Junge begab sich ins Hausinnere. Der Kazike aber winkte Guati heran. »Der kluge Sohn Tucumaxtlis muß mit dem Blanco gehen, damit dieser den Weg zurückfindet.«
»Wo betet Guati zu den Göttern, wenn der Tag ihres Festes da ist?« fragte der Junge, nicht ohne heimlichen Trotz in der Stimme.
Der Vater streckte den Arm nach den im Nebel schwimmenden Höhen aus. »Guati betet auf den Bergen«, sagte er nachdrücklich. »Geh, rüste dich zur Jagd, es muß sein.« Gehorsam entfernte sich der Junge, aber der Zorn brannte in seinem dunklen Gesicht.
Kurze Zeit später ritten Techpo und Guati auf Maultieren, bewaffnet und ausgerüstet, zur Jagd; ein drittes Maultier führten sie am Lasso mit; es war bestimmt, die Jagdbeute zu tragen.
Sie waren kaum in den düsteren Hohlwegen untergetaucht, die in die Berge führten, als von Osten her ein Zug in das Dorf einzog; es waren dies an die dreißig Reiter, die auf Saumtieren reiche Beute mitzuführen schienen.
Die Dorfbewohner eilten ihnen entgegen, doch richtete sich die Neugier der Wilden weniger auf die beladenen Maultiere als auf den weißen Gefangenen, der inmitten der Krieger ritt. Es war dies ein noch junger Mann. Sein bleiches Gesicht wurde von einem dunklen Bart eingefaßt; in seinen Augen war ein unruhiges Flackern. Trotz seiner erkennbaren Erschöpfung saß er in guter Haltung zu Pferde; die zusammengelaufenen Indios würdigte er keines Blickes.
Der Zug hielt vor dem Hause des Kaziken. Der Anführer der Krieger stieg ab und begab sich in Begleitung des Gefangenen, dem man die Fußfesseln gelöst hatte, zu dem Häuptling.
In hochmütiger Haltung stand der junge Spanier vor dem Kaziken, der ihn aufmerksam betrachtete. Der Häuptling winkte, und der begleitende Krieger erstattete einen kurzen Bericht. Der Weiße wartete geduldig, bis der Indio geendet hatte, dann wandte er sich mit nachlässiger Höflichkeit an den Kaziken und redete ihn in spanischer Sprache an.
»Ich vermute, du bist der Jefe dieser Indios«, sagte er, »hoffentlich sprichst du spanisch?«
»Ich verstehe deine Sprache. Was willst du?« entgegnete der Kazike.
Der hochmütige Zug im Antlitz des Spaniers verstärkte sich. »Ich will kein Wort über die Art und Weise verlieren, wie ich hierhergekommen bin«, sagte er. »Ich wünsche nur, bald wieder wohlbehalten in den Llanos zu sein. Du erlaubst deshalb wohl, Caudillo, daß ich dir einige Vorschläge mache. Die braunen Caballeros, die mich hier gefangennahmen, wiesen sie zurück und vertrösteten mich auf deine Weisheit.«
»Sprich«, sagte der Kazike.
»Es ist natürlich, daß ihr für einen Gefangenen Lösegeld verlangt. Was hätte eine Gefangennahme sonst für einen Sinn? Und ich bin auch bereit zu zahlen. Nenne also deine Forderung.«
Auf dem Antlitz des Kaziken erschien ein düsteres Lächeln. »Du bist mir als Geschenk der Götter willkommen, Blanco«, sagte er, »ich brauche dein Geld nicht.« Er sprach gar nicht übel spanisch.
»Das klingt etwas dunkel«, versetzte der Spanier; seine Mundwinkel zogen sich noch tiefer herab. »Hoffentlich habt ihr nicht vor, mich zum Feldherrn, Minister oder gar zum König zu machen«, spottete er; »das wäre zwar sehr ehrenvoll, ich müßte es aber trotzdem ablehnen. Also sprich, edelster aller ureingeborenen Fürsten, was verlangst du für meine Freiheit? Gold, Silber, Pferde, Rinder, Waffen? Ich gedenke nicht kleinlich zu sein, aber ich möchte diese verwünschten Berge baldmöglichst hinter mich bringen.« Er war sich der Gefährlichkeit seiner Lage durchaus bewußt, der junge Spanier, und es war eine Art Galgenhumor, die ihn so reden ließ.
Der Kazike schien ihn gut zu verstehen, doch machte das Angebot eines reichen Lösegeldes ganz offenbar keinerlei Eindruck auf ihn.
»Der Blanco macht viele Worte«, sagte er, »wir haben sein Gold und sein Silber nicht nötig. Es ist unnütz, weiterzusprechen; der Blanco wird sehen, wozu die Götter ihn ausersehen haben.«
Die kalte Ruhe, mit der das gesagt war, ließ den Spanier stutzen; er kannte die Habgier dieser Indios. So warf er einen forschenden Blick auf den Kaziken und sagte, nunmehr mit großem Ernst in der Stimme: »Ich bin der Sohn eines großen Caudillos, Señor, und es ist sicher, daß mein Vater seine Krieger aussenden wird, mich zu suchen, wenn ich nicht rechtzeitig heimkehre.«
Das kalte Lächeln im Antlitz des Indianers ließ den Weißen heimlich erschauern. Der Kazike sagte: »Sie mögen suchen. Ihre Gebeine werden in den Felsenschluchten bleichen. Geh und spare deine Worte! Man droht uns nicht.« Er befahl, den Gefangenen abzuführen.
Den überfiel, da er an der Seite seines Wächters dahinschritt, eine düstere Ahnung. »Was mögen die Halunken mit mir vorhaben«, murmelte er vor sich hin. Doch er zeigte seine Unruhe nicht; er verachtete die Indios zu sehr. Man begleitete ihn durch die Reihen der in stumpfem Schweigen verharrenden Dorfbewohner zu einem Hause, das sich in der Nähe eines terrassenförmig ansteigenden Bauwerkes erhob. Hier führte man ihn in einen halbdunklen viereckigen Raum, der sein schwaches Licht durch einige in über Mannshöhe angebrachte Luken empfing. Der Boden des Raumes war mit viereckigen Steinplatten gedeckt; ein niedriger Tisch und ein Lager aus Fellen bildeten die ganze Einrichtung.
Man ließ den Gefangenen allein und schloß hinter ihm die Tür, ohne den Schlüssel umzudrehen, doch blieben einige Wächter draußen zurück.
Der junge Spanier sah sich in dem düsteren Raum um. Was bedeutet das alles? dachte er, was wollen diese Ladrones von mir? Er sah starr vor sich hin. Was droht mir? Was können sie wollen außer dem Lösegeld? Er vermochte es nicht zu erraten; erschöpft ließ er sich auf das Lager gleiten, war er doch todmüde von dem langen, beschwerlichen Ritt durch die Bergwelt.
Bald darauf trat eine alte Frau herein und setzte tönerne Schüsseln mit duftendem Braten und frischem Maisbrot vor ihn hin, auch ein Gefäß mit Schokolade und einen Krug Wasser; dann entfernte sie sich schweigend.
»Verhungern lassen will man mich also nicht«, sagte der Gefangene mit einem Aufblitzen guter Laune, und trotz seiner Erschöpfung und der düsteren Stimmung, die ihn überkommen hatte, griff er herzhaft zu. Was konnte ihm schon geschehen!
Nachdem er sich gestärkt hatte, sank er auf das Lager zurück; wenige Minuten später schlief er schon fest.