Leo Tolstoj
Die Kreutzersonate
Leo Tolstoj

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XXVII

Das erste, was ich tat, war, daß ich die Stiefel auszog und in bloßen Strümpfen zu der Wand über dem Diwan hintrat, wo meine Schußwaffen und Dolche hingen. Ich nahm einen noch nie gebrauchten, sehr scharfen Damaszenerdolch von der Wand und zog ihn aus der Scheide, die, wie ich mich erinnere, hinter den Diwan fiel. ›Später will ich sie dort hervorholen,‹ sagte ich mir noch, ›sonst geht sie verloren.‹ Dann zog ich den Paletot aus, den ich die ganze Zeit über angehabt hatte, und ging, leise auftretend, in bloßen Strümpfen nach dem Salon zu. Als ich mich sacht herangeschlichen hatte, öffnete ich plötzlich die Tür.

Ich sehe noch den Ausdruck ihrer Gesichter. Ich erinnere mich dieses Ausdrucks deshalb, weil er mir eine qualvolle Wonne bereitete. Es war der Ausdruck des Entsetzens. Das war es, was ich brauchte. Niemals werde ich den Ausdruck verzweifelten Entsetzens vergessen, der im ersten Augenblick auf den Gesichtern der beiden hervortrat, als sie mich erblickten. Er saß, glaube ich, am Tische, sobald er mich jedoch sah oder hörte, sprang er auf und blieb mit dem Rücken gegen das Büfett stehen. In seinen Zügen malte sich einzig und unverhohlen der Ausdruck des Entsetzens. In ihrem Gesichte lag derselbe Ausdruck, doch war noch ein zweiter ihm beigemengt. Wäre nur der Ausdruck des Entsetzens darauf zu lesen gewesen, dann wäre vielleicht das nicht geschehen, was schließlich geschehen ist, doch prägte sich in ihrem Gesichte, wie mir wenigstens schien, im ersten Augenblick noch der Unwille und die Empörung darüber aus, daß man ihren Liebesrausch und ihr Glück an seiner Seite zu stören wage. Sie hatte jetzt sozusagen kein anderes Bedürfnis, als daß man sie in ihrem Glück nicht störe. Doch der Ausdruck ihrer Gesichter blieb nur einen Augenblick unverändert. Der Ausdruck des Entsetzens in seinem Gesichte wechselte sogleich mit dem fragenden Ausdruck: ›Kann ich leugnen oder nicht? Wenn Leugnen noch einen Zweck hat, dann heißt es sofort beginnen. Sonst heißt es die Sache anders anfangen. Doch wie?‹ Und er sah sie fragend an. Der Ausdruck des Unwillens und der Empörung in ihrem Gesichte schien mir gewichen zu sein, nachdem sie ihm einen besorgten Blick zugeworfen hatte. Ich war, den Dolch im Rücken haltend, einen Augenblick in der Tür stehengeblieben. In diesem Moment lächelte er und begann in einem bis zur Lächerlichkeit gleichgültigen Tone: ›Wir hatten gerade musiziert . . .‹ – ›Ich hatte nicht erwartet . . .‹, bemerkte sie, sich seinem Tone anpassend. Keiner von beiden sprach seinen Satz zu Ende. Dieselbe Wut, die mich damals, vor einer Woche, überkam, bemächtigte sich meiner auch jetzt. Wiederum empfand ich diesen Drang des Zerstörens, des gewaltsamen Austobens, der Freude an der Raserei und gab mich ihr hin.

Keiner von beiden hatte seinen Satz beendet. Es begann nun jenes andere, das er fürchtete und das ihre Worte mit einemmal gegenstandslos machte. Ich stürzte mich auf sie, immer noch den Dolch verbergend, damit er mir nicht in den Arm fiele, wenn ich nach der Stelle stechen würde, die ich von Anfang an zum Angriff ausgewählt hatte – nämlich nach ihrer linken Brust unterhalb der Rippen. Im Augenblick, da ich mich auf sie stürzte, sah er, was ich vorhatte, faßte, was ich nie von ihm erwartet hätte, nach meiner Hand und schrie: ›Kommen Sie zu sich! Was haben Sie vor? Zu Hilfe!‹

Ich entriß ihm meine Hand und stürzte mich schweigend auf ihn. Seine Blicke kreuzten sich mit meinen. Er wurde plötzlich bleich wie ein Linnen, die Augen glänzten ganz seltsam, und er schlüpfte, was ich gleichfalls nicht erwartet hätte, unter dem Flügel hindurch zur Tür hinaus. Ich stürzte ihm nach, verspürte jedoch eine schwere Last an meinem linken Arm. Es war meine Gattin. Ich wollte mich losreißen, sie hängte sich jedoch noch schwerer an mich und ließ mich nicht los. Das unerwartete Hindernis, ihr Gewicht und ihre mir widerwärtige Berührung erregten mich noch mehr. Ich fühlte, daß ich ganz toll war vor Raserei und furchtbar aussehen mußte, und ich freute mich darüber. Ich holte aus voller Kraft mit dem linken Arme aus und versetzte ihr mit dem Ellbogen einen Stoß mitten ins Gesicht. Sie schrie auf und ließ meinen Arm los. Ich wollte ihm nacheilen, sagte mir jedoch, daß es lächerlich sein würde, dem Liebhaber seiner Frau in Strümpfen nachzulaufen, und ich wollte nicht lächerlich, sondern furchtbar sein. In all meiner Wut dachte ich die ganze Zeit über doch auch daran, welchen Eindruck ich auf die anderen machte, und dieser Eindruck war zum Teil sogar bestimmend für mein Handeln. Ich wandte mich nach ihr um. Sie war auf das Sofa gefallen, hielt die Hand vor die Augen, in die mein Stoß sie getroffen, und sah mich an. In ihrem Gesicht waren Angst und Haß gegen mich, ihren Feind, zu lesen – derselbe Haß, der aus den Augen der Ratte spricht, wenn man die Falle emporhebt, in die sie geraten ist. Ich konnte wenigstens nichts anderes an ihr wahrnehmen, als Angst und Haß gegen mich, den die Liebe zu dem anderen in ihr hervorrief. Aber ich hätte mich vielleicht noch bezwungen und meine Tat nicht vollbracht, wenn sie geschwiegen hätte. Doch sie begann plötzlich zu sprechen und nach meiner Hand, die den Dolch hielt, zu fassen. ›Komm doch zur Besinnung! Was tust du denn? Was ist mit dir? Nichts ist geschehen, nichts, nichts! Ich schwöre es dir!‹ Ich hätte noch gezögert, aber diese ihre letzten Worte, aus denen ich auf das Gegenteil schloß – nämlich, daß alles geschehen sei, forderten eine Antwort heraus. Und die Antwort mußte der Seelenstimmung entsprechen, in die ich mich versetzt hatte, und die sich in einem ständigen crescendo befand. Auch die Wut hat ihr Gesetz. – ›Lüge nicht, Elende!‹ rief ich und faßte mit der Linken nach ihrer Hand, die sie mir jedoch entriß. Da packte ich sie, ohne den Dolch loszulassen, mit der linken Hand an der Kehle, warf sie hinten über und begann sie zu würgen. Was für einen feisten Hals hatte sie doch! Sie faßte mit beiden Händen nach meinen Händen, suchte ihren Hals zu befreien, und als wenn ich das erwartet hätte, stach ich sie aus aller Macht mit dem Dolche unterhalb der Rippen in die linke Seite . . .

Wenn die Leute behaupten, daß sie in einem Wutanfall nicht wissen, was sie tun, so ist das unsinnig und unwahr. Ich wußte alles, nicht für einen Augenblick verlor ich das klare Bewußtsein. Je stärker ich selbst in mir meine Wut anfachte, desto greller leuchtete das Licht des Bewußtseins in mir auf, das mich alles das deutlich sehen ließ, was ich tat. Ich kann nicht sagen, daß ich alles voraus wußte, was ich tun würde, in dem Augenblick jedoch, da ich handelte, ja vielleicht noch ganz kurz vorher, wußte ich, was ich tun würde, und hatte gar noch, im Falle des Bereuens, die Möglichkeit, einzuhalten. Ich wußte, daß ich sie unterhalb der Rippen treffen und daß der Dolch dort eindringen würde. Im Augenblick, da ich es tat, wußte ich, daß ich etwas Entsetzliches tue, etwas, das ich noch nie getan und das noch furchtbarere Folgen haben würde. Aber dieses Bewußtsein fuhr nur wie ein Blitz durch mein Hirn, und diesem Blitz folgte sogleich die Tat. Die Tat selbst spiegelte sich im Bewußtsein mit ungewohnter Grellheit. Ich spürte den jähen Widerstand des Korsetts und noch irgendeines Gegenstandes, hörte irgendeinen Laut und fühlte dann das Eindringen der Klinge ins Weiche. Sie griff mit den Händen nach dem Dolche, schnitt sich dabei und ließ los. Ich habe später im Gefängnis, nachdem die sittliche Wandlung sich in mir vollzogen hatte, lange über diesen Augenblick nachgedacht und mir davon ins Gedächtnis zurückzurufen versucht, was ich nur irgend konnte. Ich erinnere mich eines Augenblicks, nur eben eines Augenblicks, der der Tat vorausging, in dem ich das furchtbare Bewußtsein hatte, eine Frau, meine Gattin, getötet zu haben. Das Entsetzen dieses Bewußtseins ist mir noch im Gedächtnis, und ich nehme an und entsinne mich sogar dunkel, daß, nachdem ich ihr den Dolch in die Brust gestoßen, ich ihn sogleich wieder herauszog in dem Wunsche, das Geschehene wieder gutzumachen und einzuhalten. Eine Sekunde lang stand ich unbeweglich in der Erwartung, was wohl geschehen würde: ob es wohl möglich sei, hier noch etwas gutzumachen. Sie sprang auf und schrie: ›Amme, er hat mich getötet!‹

Die Kinderfrau, die den Lärm gehört hatte, stand in der Tür. Ich stand da und wartete und wollte noch immer nicht recht an das Geschehene glauben. Doch da strömte das Blut schon unter ihrem Korsett hervor. Und da begriff ich, daß nichts mehr gutzumachen sei, und entschied mich auch gleich dahin, daß das gar nicht nötig sei, daß ich es so gewollt und daß ich das, was geschehen, auch habe tun müssen. Ich wartete, bis sie hinfiel und die Kinderfrau mit dem Rufe: ›Um Gottes willen!‹ zu ihr hineilte – dann erst warf ich den Dolch fort und verließ das Zimmer. ›Ich darf mich nicht aufregen, ich muß wissen, was ich tue‹, sprach ich zu mir selbst, ohne nach ihr und der Kinderfrau hinzublicken. Die Kinderfrau schrie und rief das Mädchen.

Ich ging den Korridor entlang, schickte das Mädchen hinein und begab mich in mein Zimmer. ›Was soll ich nun tun?‹ fragte ich mich und begriff sogleich, was ich zu tun hätte. Ich trat an die Wand in meinem Kabinett, nahm einen Revolver herunter, untersuchte ihn – er war geladen – und legte ihn auf den Tisch. Dann holte ich die Dolchscheide hinter dem Diwan hervor und setzte mich auf diesen. Lange saß ich da, ohne an etwas zu denken oder mich an etwas zu erinnern. Ich hörte, daß draußen irgendwelches Getriebe war. Ich hörte, wie dort jemand kam und dann noch jemand. Dann hörte und sah ich, wie Jegor meinen Reisekorb ins Kabinett trug. Als ob ihn jetzt noch jemand hätte brauchen können!

›Hast du gehört, was geschehen ist?‹ sprach ich zu ihm. ›Sag' dem Hauswart, man solle es der Polizei melden.‹ Er erwiderte nichts und ging hinaus. Ich erhob mich, schloß die Tür, zog eine Zigarette und Zündhölzer heraus und begann zu rauchen. Ich hatte die Zigarette noch nicht zu Ende geraucht, als ich in einen dumpfen, schweren Schlaf verfiel. Ich schlief wohl an die zwei Stunden. Mir träumte, wir hätten uns vertragen und seien beinahe wieder Freunde, nur eine Kleinigkeit stehe noch zwischen uns, doch sonst sei alles in Ordnung. Ein Klopfen an der Tür weckte mich. ›Das ist die Polizei,‹ dachte ich beim Erwachen, ›ich habe ja wohl jemanden getötet. Aber vielleicht ist sie es auch, die da klopft, vielleicht ist gar nichts geschehen.‹ Noch einmal klopfte es an der Tür. Ich öffnete nicht und beschäftigte mich mit der Frage: ›Ist es Wirklichkeit oder nicht?‹ Ja, es ist Wirklichkeit. Ich dachte an den Widerstand des Korsetts, an das Eindringen der Klinge in den Körper, und ein Schauer lief mir über den Rücken . . . Ja, es ist wahr; es ist wahr. ›Nun muß ich auch mich töten‹, sprach ich zu mir selbst. Aber ich sprach es – und wußte doch, daß ich mich nicht töten würde. Dennoch erhob ich mich und nahm den Revolver wieder zur Hand. Aber, wie seltsam: so nahe ich auch früher oft dem Selbstmord gewesen war und so lebhaft ich noch kürzlich während der Bahnfahrt an diese Möglichkeit, durch die ich sie erschrecken wollte, gedacht hatte – jetzt lag mir der Gedanke, mich zu töten, völlig fern. ›Warum sollte ich das tun?‹ fragte ich mich. Und ich fand keine Antwort auf die Frage. Wieder wurde an die Tür geklopft. Jedenfalls muß ich erst einmal nachsehen, wer da klopft. Das andere eilt noch nicht. Ich legte den Revolver auf den Tisch und deckte ein Zeitungsblatt darüber. Dann ging ich nach der Tür und schob den Riegel zurück. Es war die Schwester meiner Frau, eine gutmütige, beschränkte Witwe. ›Wassja, was hast du da angerichtet?‹ und ihre stets bereitgehaltenen Tränen begannen zu fließen. – ›Was wünschst du?‹ fragte ich sie grob. Ich sah sehr wohl, daß gar kein Grund vorlag, gegen sie grob zu sein, doch ich konnte keinen anderen Ton für unsere Unterhaltung finden. – ›Wassja, sie stirbt. Iwan Sacharytsch hat es gesagt.‹ Iwan Sacharytsch war der Hausarzt, ihr Arzt und Berater. – ›Ist er denn hier?‹ fragte ich, und der ganze Zorn, den ich gegen sie gehegt, kam wieder zum Durchbruch. ›Nun also – was soll ich?‹ – ›Wassja, geh doch zu ihr! Ach, wie entsetzlich ist das doch!‹ sagte sie. – ›Zu ihr gehen?‹ fragte ich mich selbst und gab mir alsbald zur Antwort, das müsse ich wohl tun, das sei wahrscheinlich immer so, daß, wenn ein Gatte seine Frau getötet hat wie ich, er dann unbedingt zu ihr hingeht. Wenn das so üblich ist, so muß auch ich hingehen, sagte ich mir. Und was das andere betrifft – ich dachte an meine Absicht, mich zu erschießen – so werde ich, falls es notwendig sein sollte, immer noch Zeit dazu haben. Und so ging ich denn zu ihr. ›Jetzt wird es Phrasen geben und Grimassen,‹ sprach ich zu mir selbst, ›aber ich lasse mich nicht von ihr unterkriegen.‹ ›Halt,‹ sagte ich zu ihrer Schwester, ›es sieht dumm aus, wenn ich ohne Stiefel hineingehe, laß mich wenigstens die Pantoffel anziehen.‹


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