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Sie erwähnten soeben die Kinder. Auch die geben zu Lug und Heuchelei Anlaß. Kinder sind ein Segen Gottes, Kinder sind die Freude der Eltern! Alles das ist reine Lüge. Alles das war wohl früher einmal der Fall, hat aber längst aufgehört. Kinder sind eine Plage und weiter nichts. Die Mehrzahl der Mütter haben diese Empfindung und sprechen sie zuweilen unwillkürlich auch aus. Fragen Sie die Mehrzahl der Mütter unserer wohlhabenden Kreise – sie werden Ihnen sagen, daß sie vor lauter Angst, ihre Kinder könnten krank werden und sterben, keine Kinder haben wollen oder, wenn sie schon welche geboren haben, sie nicht nähren wollen, damit die Anhänglichkeit an sie ihr Herz nicht allzu fest kettet und sie darunter leiden. Die Freude, die ihnen das Kind durch seinen Liebreiz bereitet, durch die Anmut der Ärmchen und Beinchen und des ganzen kleinen Körpers, die Lust, die das Kind gewährt, ist geringer als das Leid, das sie zu bestehen haben, nicht nur, wenn das Kind wirklich krank wird oder stirbt, sondern schon, wenn die Angst sie peinigt, daß es krank werden könnte. Wenn sie Freud und Leid gegeneinander abwägen, ergibt sich, daß das Leid überwiegt, und darum ziehen sie es vor, keine Kinder zu haben. Sie sagen das ganz offen und ehrlich heraus und bilden sich ein, diese Gefühle hätten ihren Ursprung in ihrer Liebe zu den Kindern, seien also löbliche und edle Gefühle, auf die sie stolz sein dürften. Sie bemerken nicht, daß in einer solchen Auffassung geradezu eine Verleugnung der Liebe zu den Kindern und ein Beweis ihrer Selbstsucht liegt. Der Liebreiz des Kindes scheint ihnen nicht Freude genug zu bereiten, um das Leid aufzuwiegen, welches die Sorge um das Kind verursacht, und daher wollen sie dieses Kind, das sie so maßlos lieben würden, gar nicht erst haben. Sie opfern nicht sich selber für das geliebte Wesen, sondern das künftige geliebte Wesen opfern sie dem Ich. Es ist klar, daß dies nicht Liebe, sondern Egoismus ist. Doch vermag niemand gegen diese Mütter der wohlhabenden Familien um ihrer egoistischen Regungen willen die Hand zu erheben, wenn man bedenkt, wie sie alles, dank jenen Ärzten, die in unseren Gesellschaftskreisen ihr Wesen treiben, mit den Krankheiten ihrer Kinder durchzumachen haben. Wenn ich so an das Leben und den Zustand meiner Frau in der ersten Zeit zurückdenke, als wir erst drei, vier Kinder hatten und sie ganz in der Sorge für sie aufging, dann ergreift mich ein wahrer Schrecken. Ein Leben war das nicht mehr zu nennen. Es war wie eine ewige Gefahr, wie die Flucht vor dieser Gefahr, die doch gleich wieder drohend vor uns hintrat und verzweifelte Anstrengungen und Rettungsversuche von uns erforderte – kurz eine Lage, wie auf einem Schiffe, das sicherem Untergange geweiht ist. Zuweilen kam es mir vor, als tue sie das alles absichtlich, als stelle sie sich so ängstlich um der Kinder willen, um mich auf diese Weise zu bezwingen. Es war dies eine Mutmaßung, die alles auf sehr einfache Weise, und zwar zu ihren Gunsten zu entscheiden schien. Andererseits jedoch quälte sie sich wirklich unablässig mit den Kindern, mit ihrer Gesundheit und ihren Krankheiten. Es war eine Folter für sie und auch für mich. Sie mußte eben diese Folterqualen erdulden, das war nun einmal unvermeidlich. Die Zuneigung zu den Kindern, der animalische Trieb, sie zu nähren, zu hätscheln, zu schützen, war bei ihr wie bei den meisten Frauen vorhanden. Eines jedoch besaß sie nicht, was die Tiere besitzen: sie war nicht, wie diese, frei von Phantasievorstellungen und Verstandesskrupeln. Die Henne fürchtet sich nicht vor all den Schrecknissen, die ihren Küchlein begegnen könnten, sie kennt all die Krankheiten nicht, denen sie verfallen könnten; sie kennt nicht alle die Mittel, mit denen die Menschen glauben, sich vor Krankheit und Tod zu bewahren. Die Küchlein sind für die Henne keine Plage. Sie tut für sie das, was zu tun ihr Freude macht und in ihrem Wesen liegt, die Kinder sind also für sie ein Quell der Freude. Sobald ein Hühnchen krank wird, weiß sie sehr wohl, wie sie für das Kranke zu sorgen hat: sie wärmt und füttert es, und wenn sie das tut, weiß sie, daß sie alles Nötige getan hat. Geht das Küchlein ein, so fragt sie sich nicht lange, warum es eingegangen und wohin es gegangen sei, sondern stößt ein kurzes Gackern aus und lebt in der alten Weise fort. Für unsere unglücklichen Frauen jedoch – auch bei meiner war es so – liegen die Dinge anders. Ich will nicht mehr von den Krankheiten reden und der Sorge, wie man sie heilen solle, noch von den verschiedenen Erziehungs- und Auffütterungsmethoden: von allen Seiten hatte sie darüber alles Erdenkliche gehört und alle möglichen einander widersprechenden Ratschläge gelesen. Nähren soll man die Kinder so und so; oder nein – nicht so und so, sondern so; über Kleidung, Trinken, Baden, Schlafenlegen, Spazierengehen, Lüften gab man uns, namentlich ihr, jede Woche neue Ratschläge; als wäre die Kunst des Kindergebärens erst seit gestern erfunden. Da hieß es, das Kind habe zur Unzeit seine Nahrung bekommen, es sei zur Unzeit gebadet worden und davon erkrankt, so daß die Schuld auf uns falle, weil wir nicht getan hätten, was wir hätten tun sollen.
So ging es, wenn die Kleinen gesund waren. Doch auch das war eine Quälerei. Wurde jedoch eines ernstlich krank, dann war alles aus. Dann wurde das Haus zur wahren Hölle. Es hieß doch, die Krankheit könne geheilt werden, und es gebe solch eine Wissenschaft und solche Menschen, Ärzte geheißen, die da Bescheid wüßten. Nicht alle wüßten es, aber doch die besten unter ihnen. Nun war das Kind erkrankt und nun galt es, einen dieser besten Ärzte zu finden, einen von denen, die das Kind zu retten vermögen, dann wäre es gerettet; fand man jedoch diesen besten Arzt nicht oder wohnte man nicht in demselben Orte wie er, dann gab man das Kind verloren. Und das war nicht etwa nur der Glaube meiner Frau allein, sondern das ist der Glaube aller Frauen ihres Kreises, und von allen Seiten hörte sie nur immer das gleiche: ›Jekaterina Ssemjonowna hat zwei Kinder verloren, weil Iwan Sacharytsch nicht rechtzeitig gerufen wurde, und Maria Iwanowna verdankt ihm die Rettung ihres ältesten Mädchens; die Petrows haben auf den Rat des Arztes eine Reise gemacht und ihre Kinder gerettet, den anderen aber, die nicht umgesiedelt waren, sind die Kinder gestorben. Frau so und so hatte ein schwächliches Kind, fuhr auf den Rat des Arztes nach dem Süden und rettete es so.‹ Wie sollen alle diese Dinge einen nicht quälen und das ganze Leben lang beunruhigen? Wo doch das Leben der Kinder, denen die Mutter mit tierischer Anhänglichkeit zugetan ist, angeblich davon abhängt, ob sie rechtzeitig erfährt, was Iwan Sacharytsch über den Fall denkt und kein Mensch eigentlich weiß, was Iwan Sacharytsch sagen wird, am wenigsten er selber, weil er sehr wohl weiß, daß er gar nichts weiß und nicht zu helfen vermag, sondern nur Winkelzüge macht, damit die Leute nicht aufhören, an sein Wissen zu glauben. Wäre sie ganz und gar Tier, dann würde sie sich nicht so sehr quälen. Wäre sie dagegen ganz und gar Mensch, dann würde sie den Glauben an Gott besitzen und würde denken und reden, wie die Gläubigen reden: ›Gott hat es gegeben, Gott hat es genommen, Gott kann man nicht entgehen.‹
Das ganze Leben mit den Kindern war für meine Frau – somit auch für mich – nicht eine Freude, sondern eine Plage. Sie quälte sich unaufhörlich mit ihnen. Kaum hatten wir uns zuweilen nach einer Eifersuchtsszene oder einem einfachen Zank beruhigt und nun daran gedacht, ein wenig Atem zu schöpfen, ein Buch zu lesen oder einen vernünftigen Gedanken zu fassen; kaum hatten wir irgendeine Arbeit vorgenommen, so kam auch schon die Nachricht, daß Wassja erbrechen mußte oder daß Mascha einen blutigen Stuhlgang gehabt, oder daß Andrjuscha einen Ausschlag bekäme. Nun war es natürlich wieder vorbei mit dem vernünftigen Leben. Wohin sollte man rennen, wo einen Arzt auftreiben, wie die gesunden Kinder abschließen? Und nun begann die Wirtschaft mit den Klystieren, dem Temperaturmessen, den Mixturen und den Ärzten. Kaum war der eine Fall erledigt, war schon ein neuer da. Ein regelmäßiges, geordnetes Familienleben gab es nicht. Es gab nur, wie ich Ihnen bereits sagte, eine beständige Flucht vor eingebildeten und wirklichen Gefahren. So ist es jetzt in den meisten Familien. In meiner Familie war es besonders schlimm, denn meine Frau war eine sehr zärtliche Mutter und sehr leichtgläubig.
Der Besitz von Kindern erleichterte uns also das Leben keinesfalls, sondern vergiftete es ganz und gar. Die Kinder gaben immer wieder Anlaß zu Zank und Hader. Seit wir Kinder hatten und diese heranwuchsen, wurden sie mehr und mehr die Veranlassung und der Gegenstand von Streit und Zwist. Ja nicht nur ein Gegenstand des Streites, sondern geradezu eine Waffe im Kampfe – wir lieferten uns gleichsam Schlachten mittels der Kinder. Jeder von uns hatte seinen Liebling, dessen er sich als Waffe im Kampfe bediente. Meine Waffe war später in der Regel Wassja, der Älteste, während sie sich Lisas bediente. Als die Kinder herangewachsen und ihre Charaktere gereift waren, suchten wir sie als Bundesgenossen auf unsere Seite zu bringen. Die armen Wesen litten schwer darunter, aber in unserem unaufhörlichen Kriege dachten wir eben nicht an sie. Das Mädchen fand sich jetzt zumeist auf meiner Seite, während der älteste Knabe, der der Mutter ähnlich war, ihr Liebling wurde und oft von Haß gegen mich erglühte.