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Wjasemskij wurde schrecklicher Folter unterzogen, aber keine noch so fürchterlichen Qualen vermochten ihm auch nur ein einziges Wort zu entlocken. Mit eiserner Willensstärke ertrug er schweigend die unmenschlichsten Schmerzen, mit denen Maljuta versuchte, ihm das Geständnis seines Verrates wider den Zaren abzupressen, ja, er versuchte nicht einmal Baßmanoffs Verleumdung gegen ihn dadurch zu entkräftigen, daß er aussagte, er habe diesen mit eigenen Augen in der Hexenmühle angetroffen. Auf Befehl des Zaren war auch der Müller ergriffen und in die Sloboda gebracht, aber noch nicht gefoltert worden. Baßmanoff schrieb den Erfolg seiner Verleumdungen der Wirkung des Zauberkrautes zu, das er noch immer am Halse trug, und war um so mehr von dessen Kraft überzeugt, als Iwan ihm gegenüber nicht den geringsten Argwohn durchblicken ließ, sich zwar nach wie vor über ihn lustig machte, aber ihn doch huldvoll behandelte. Da es ihm so leicht gelungen schien, seinen hauptsächlichsten Nebenbuhler zu beseitigen und er außerdem zu merken glaubte, daß der Zar ihm allmählich wieder die frühere Gunst zuwandte, und nicht ahnte, daß der Müller in der Sloboda hinter festen Kerkermauern saß, wurde Baßmanoff in seinem Wesen hochfahrender denn je. Alle Ratschläge des Müllers genau befolgend, blickte er dem Zaren stets dreist in die Augen und antwortete keck auf Iwans spöttische Bemerkungen. Der Zar ließ alles ruhig über sich ergehen.
Eines Tages wohnte Iwan bei seinen üblichen Besichtigungsfahrten mit seinen nächsten Günstlingen, darunter auch Baßmanoff, in einem benachbarten Kloster der Frühmesse bei, suchte dann den Abt auf und geruhte eine Erfrischung bei Ihm einzunehmen. Der Zar hatte sich auf eine Bank direkt unter den Heiligenbildern niedergelassen, seine Günstlinge standen mit Ausnahme Skuratoffs, der nicht an der Fahrt teilgenommen hatte, längs der Wand hinter ihm, und der Abt bot, sich tief vor Iwan verneigend, allerlei Metsorten, eingemachte Konfitüren und Schalen mit saurer Milch und frischen Eiern an. Iwan war in aufgeräumter Stimmung, er sprach herzhaft den gereichten Speisen zu, scherzte herablassend und führte religiöse Gespräche. Baßmanoff gegenüber zeigte er sich wohlwollender als sonst, so daß sich dieser noch mehr von der unfehlbaren Zauberkraft seines Talismans überzeugte. In diesem Augenblick hörte man an der Klostermauer Pferdegetrappel.
»Fedja«, sprach Iwan, »geh, sieh nach, wer da gekommen ist!«
Baßmanoff war noch nicht bis zur Tür gelangt, als diese sich schon öffnete und Maljuta Skuratoff auf der Schwelle erschien. Der Ausdruck seines Gesichtes war geheimnisvoll; eine nur schlecht verhohlene Schadenfreude zuckte um seinen Mund.
»Tritt näher, Lukjanyitsch«, sagte der Zar herablassend, »was bringst du uns für Nachrichten?«
Maljuta kam etwas näher, warf dem Zaren einen bedeutungsvollen Blick zu, trat dann aber erst auf die Heiligenbilder zu, vor denen er sich mehrmals bekreuzigte.
»Woher kommst du?« fragte Iwan erstaunt, als hätte er ihn überhaupt nicht erwartet.
Maljuta aber schien es mit der Antwort nicht sonderlich eilig zu haben. Er verneigte sich zuerst schweigend vor dem Zaren und trat dann zu dem Abt heran.
»Erteile mir deinen Segen, ehrwürdiger Vater!« sprach er, sich tief verneigend, was ihn nicht verhinderte, Baßmanoff einen schnellen Blick zuzuwerfen.
»Nun sprich, woher kommst du?« wiederholte Iwan, abermals einen heimlichen Blick mit Maljuta austauschend.
»Aus dem Kerker, Herr, wir haben soeben den Zauberer gefoltert.«
»Nun? Und?« fragte der Zar, Baßmanoff mit einem einzigen flüchtigen Blick streifend.
»Ja, er murmelt immer so allerhand Zeug vor sich hin; es ist schwer etwas zu verstehen. Nur das eine haben wir aus ihm herausgebracht, als wir anfingen, ihm die Gelenke zu knicken: ›Wjasemskij war nicht der einzige, der mich aufsuchte. Auch Fjodor Alexewitsch Baßmanoff hat mich oft beehrt und sich ein Kraut von mir erbeten; das trägt er jetzt immer noch um den Hals.‹«
Und Maljuta blickte Baßmanoff abermals von der Seite an. Aus dessen Gesicht war alles Blut gewichen; seine ganze frühere Dreistigkeit war mit einem Schlag verschwunden.
»Herr«, sprach er, krampfhaft bemüht, ruhig zu bleiben, »wahrscheinlich verleumdet er mich, um sich dafür zu rächen, daß ich ihn deiner Gnaden ausgeliefert habe ...«
»Und als wir dann anfingen, ihm die Fußsohlen zu sengen«, fuhr Maljuta fort, »da hat er auch gestanden, daß Baßmanoff sich jenes Kraut von ihm ausgebeten hatte, um die Gesundheit des Zaren zu erschüttern ...«
Iwan heftete einen so furchtbaren, durchdringenden Blick auf Baßmanoff, daß dieser zusammenzuckte.
»Ach, Väterchen Zar«, jammerte er, »wie kannst du den Aussagen des Müllers Glauben schenken! Wenn ich mit ihm gemeinsame Sache gemacht hätte, meinst du, ich hätte dich dann gerade auf ihn aufmerksam gemacht?«
»Nun, wir wollen schon sehen. Knöpfe doch bitte einmal deinen Kaftan auf und laß schauen, was du um den Hals trägst!«
»Nun, was denn anders als das Kreuz mit den Heiligenbildchen, Herr!« versetzte Baßmanoff mit schon ganz unsicherer Stimme.
»Knöpfe deinen Kaftan auf!« wiederholte Iwan Wassiljewitsch ruhig.
Baßmanoff riß erregt die obersten Knöpfe seines Gewandes auf.
»Sieh doch«, sagte er, Iwan die Kette mit dem silbernen Heiligenbilde hinhaltend.
Der Zar hatte bereits eine feine Seidenschnur bemerkt, die außer der Kette um Baßmanoffs Hals lag.
»Und was ist das da?« fragte er, indem er eigenhändig eine kostbare Saphirspange, die das Gewand zuhielt, löste und unter dem Hemd die Seidenschnur mit dem daran hängenden Beutelchen hervorholte.
»Das, Herr –«, brachte Baßmanoff mit einer letzten verzweifelten Anstrengung hervor, »ist ein Andenken, mit dem mich die Mutter gesegnet hat.«
»Ach, laß doch mal das mütterliche Andenken näher betrachten!«
Iwan reichte Grjasnoi das Amulett.
»Da, Waßjuk, öffne es doch mal!«
Grjasnoi schnitt mit dem Dolche das Beutelchen auf, holte daraus ein Leinwandsäckchen hervor, öffnete auch dieses und schüttete den Inhalt auf den Tisch aus.
»Nun, was ist das?« fragte der Zar, der sich wie alle anderen Anwesenden neugierig über den Tisch beugte und feststellte, daß es einige mit Froschknochen vermischte Wurzeln waren. Der Abt schlug entsetzt ein Kreuz.
»Damit also, mein Sohn, hat dich die Mutter gesegnet?« höhnte Iwan.
Baßmanoff stürzte dem Zaren zu Füßen.
»Vergib deinem Sklaven, erhabener Zar!« stöhnte er schreckensbleich. »Deine Gleichgültigkeit mir gegenüber hatte ich mir so zu Herzen genommen, daß ich, nur um deine Gunst wiederzuerringen, den Müller um dieses Kraut bat. Es ist ja nichts weiter als Fingerhut. Der Müller hat es mir gegeben, damit du deinen treuen Diener wieder in Gnaden aufnehmen solltest, sonst habe ich nichts gegen dich im Schilde geführt. Gott der Herr sieht es, daß ich die Wahrheit spreche!«
»Und was sollen die Froschknochen?« fragte Iwan, sich weidend an der Verzweiflung Baßmanoffs, dessen Dreistigkeit ihm längst zuwider geworden war.
»Von den Knochen hab' ich nichts gewußt, so wahr Gott lebt, nein, davon ahnte ich nichts!«
Iwan Wassiljewitsch wandte sich wieder an Maljuta.
»Du erzähltest doch vorhin, daß Fedja nach der Aussage des Zauberers dessen Hilfe in Anspruch genommen hätte, um mich zu vernichten.«
»Ja, so sagte er!« bestätigte Maljuta, der sich aufs neue an der Verzweiflung seines alten Feindes ergötzte.
»Nun, mein Fedjuscha«, fuhr der Zar mit spöttischer Miene fort, »es wird uns wohl kaum etwas anderes übrig bleiben, als euch Aug' in Auge einander gegenüberzustellen. Er hat schon etwas Folter hinter sich, auch du sollst sie genießen, damit man nicht sagen kann, daß der Zar nur die Semskijs peinigen läßt und die Opritschniks verschont!«
Baßmanoff warf sich dem Zaren abermals zu Füßen.
»Ach, du unser aller strahlende Sonne!« rief er, sich an den Saum seines Gewandes klammernd. »Ach, du unser helles Licht, verdirb mich nicht! Du mein heller Mond, mein Falke, mein Hermelin! Denke doch daran, wie treu ich dir gedient; wie ich mich nie geweigert habe, deine Befehle auszuführen!«
Iwan wandte sich verächtlich ab.
Baßmanoff blickte sich flehend nach allen Seiten um; überall traf er auf feindselige oder verstörte Gesichter. Da ging eine plötzliche Veränderung in ihm vor. Er begriff, daß er der Folter nicht entgehen konnte, die noch schrecklicher war als der Tod durch die Hand des Henkers und in den meisten Fällen auch mit einem qualvollen Sterben endete. Er wußte, daß er nichts mehr zu verlieren hatte, und mit dieser Erkenntnis gewann er seinen Mut wieder. Er erhob sich, richtete sich stolz auf, legte seine Hand an den Gürtel und betrachtete Iwan mit einem spöttischen Lächeln.
»Erhabener Zar!« sprach er mit dreister Stimme, sein Haupt schüttelnd, um seine verwirrten Locken zu richten. »Erhabener Zar! Auf deinen hohen Befehl stehen mir Folterqualen und der Tod bevor. So laß mich dir denn zum allerletzten Male danken für all deine reichen Gunstbezeugungen. Ich führte nichts gegen dein Leben im Schilde; aber meine anderen Sünden sind auch deine Sünden. Wenn man mich den letzten Gang führen wird, so werde ich sie vor versammeltem Volke aufzählen. Und du, ehrwürdiger Vater«, fuhr er zum Abt gewandt fort, »nimm jetzt meine Beichte entgegen.«
Die Opritschniks ließen ihn nicht weitersprechen. Sie führten ihn gewaltsam aus der Klosterzelle auf den Hof, Maljuta hob ihn gefesselt aufs Pferd und ritt mit ihm in die Sloboda zurück.
»Du siehst, heiliger Vater«, sprach Iwan, zum Abt gewandt, »von wie vielen offenen und versteckten Feinden ich umgeben bin. Bete zu Gott für mich, Unwürdigen, daß er es mir vergönnen möge, das Werk, das ich begonnen, zu einem guten Ende zu führen, daß er mir, dem großen Sünder, seinen heiligen Segen erteilen möge, den schnöden Verrat mit der Wurzel auszurotten.«
Der Zar erhob sich, bekreuzigte sich vor den Heiligenbildern und trat dann zum Abt heran, um den Segen zu empfangen. Gefolgt von allen seinen Klosterbrüdern führte ihn der zitternde Greis bis zur Klosterumzäunung, wo die Reitknechte des Zaren mit den kostbar gesattelten Rossen seiner harrten. Noch lange, nachdem Zar Iwan mit seinem ganzen Gefolge in einer fernen Staubwolke verschwunden und das Pferdegetrappel verstummt war, standen die Mönche regungslos da, ohne den Mut zu finden, die Augen zu erheben.