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Auf einer weiten, von uralten Eichen, undurchdringlichem Gestrüpp und Fallholz umgebenen Waldlichtung standen einige Lehmhütten, und um sie herum saß und lag auf gefällten Baumstämmen, ausgerodeten Wurzeln, auf Heubündeln und Haufen trockenen Laubes eine große Anzahl verwegener Gesellen. Aus der Tiefe des Waldes strömten ständig weitere Burschen hinzu und gesellten sich zu den anderen. Aussehen und Kleidung waren ganz verschieden. Grobe Bauernkaftans und kostbare Sammetkittel, elende Lumpen und gleißendes Gold, alles das wogte in buntem Vielerlei durcheinander. Gestalten mit tiefgefurchten Gesichtern, struppigen Haarmähnen und ungepflegten Bärten schwangen Schwerter und Wurfkugeln, oder hatten lange Streitäxte umgeschnallt. In der Mitte des Platzes wurde ein Brei gekocht und am Spieß ein Hammelrücken gebraten. Über dem knisternden Feuer hingen dampfende Kessel, und der Rauch stieg inmitten des dichten Waldesgrüns, das die Wiese wie eine Mauer schützend umgab, als blaue Wolke hoch; die Köche mußten häufig husten, rieben sich die Augen und kehrten sich, so gut es ging, vom Rauche ab.
Etwas weiterhin erzählte ein Alter mit buschigem grauen Haar und einem langen Bart der Jugend eine spannende Geschichte. Er sprach stehend, auf seine lange Streitaxt gestützt. In dieser Stellung erzählte es sich besser als sitzend. So konnte er sich stolz ausstrecken, sich nach allen Seiten wenden und an passender Stelle wuchtig das Beil schwingen oder bedeutungsvoll dazwischen pfeifen.
Die Burschen lauschten mit ehrlicher Begeisterung und sperrten Mund und Nase auf. Einige saßen, die anderen hatten sich auf einen Ast geschwungen, manch einer stand regungslos vor dem Erzähler und glotzte ihn mit weitaufgerissenen Augen an, die meisten aber lagen flach auf dem Bauch, die Ellenbogen auf die Erde gestützt, das Kinn in der Handfläche. So hörte es sich am gemütlichsten zu. Ein wenig seitab maßen zwei stämmige Burschen ihre Kräfte im Faustkampf. Das Spiel bestand darin: ›Wer von uns beiden wird zuerst um Gnade bitten?‹ und das wollte natürlich keiner von beiden. Schon waren die Gegner blaurot im Gesicht wie rote Rüben, aber noch immer sausten die mächtigen Fäuste auf die Köpfe nieder wie wuchtige Hämmer auf den Amboß.
»He, Chlopko, hast du noch nicht bald genug?« fragte derjenige, der der Schwächere zu sein schien.
»Das könnte dir so passen, Brüderchen Andrjuschka! Warte nur, dir soll es bald ebenso schlecht ergehen!«
Und von neuem hagelten die Püffe nieder.
»Paßt auf, Kinder! Andrjuschka wird gleich fallen!« meinten die Zuschauer.
»Nein, unmöglich, er kriegt ihn nicht!« sagten die anderen eifrig. »Weshalb sollte er auch nachgeben, sein Kopf sitzt ja noch ganz fest!«
»Doch, paßt auf, gleich hat er ihn!«
Aber Andrjuschka wollte nicht nachgeben. Er war wieder ganz obenauf und versetzte seinem Gegner statt auf den Kopf einen Schlag gegen die Schläfe.
Chlopko stürzte.
Einige der Zuschauer brachen in lautes Gelächter aus, der größte Teil aber gab seinem Mißfallen Ausdruck.
»Das war gemein! Nein, das gibt es nicht!« riefen sie entrüstet aus. »Andrjuschka hat gemogelt. Er muß Prügel haben!«
Und Andrjuschka wurde auf der Stelle tüchtig das Fell gegerbt.
»Woher des Wegs, Leute?« fragte der Alte, der so schön erzählen konnte, einige Burschen, die zum Feuer herangetreten waren und sich scheu nach allen Seiten umblickten.
Ein kräftiger Gesell mit einem breiten Dolch im Gürtel hatte sie gebracht; die Neulinge besaßen keinerlei Waffen.
»Hört doch, ihr Rösser!« sagte der Stämmige, »Großvater Korschun will wissen, woher ihr seid, gebt ihm gefälligst Antwort!«
»Ja«, fing der eine verlegen und umständlich zu erzählen an, »bei mir ist die Sache so: Ich bin aus der Gegend von Moskau her.«
»Und weshalb bist du aus dem warmen Nestchen geflogen?« fragte Korschun. »Hat dich der Frost vertrieben oder war dir die Hitze zu groß?«
»Dann war mir wohl eher die Hitze zu groß«, antwortete der Bursche. »Als mir nämlich die Opritschniks die Hütte über dem Kopf angesteckt hatten, da wurde es mir erst zu heiß und als sie dann das Feuer verschluckt hatte, da war es mir wieder zu kalt auf dem leeren Hofe!«
»So, so, das also hat dich vertrieben! Du scheinst mir ja den Kopf auf dem rechten Fleck zu haben. Und weshalb bist du gekommen?«
»Um mir eine Familie zu suchen!«
Die Räuber lachten laut auf.
»Du scheinst mir der Rechte zu sein. Was für eine Familie suchst du denn?«
»Nun, als die Opritschniks mir Vater und Mutter, Brüder und Schwestern erschlagen hatten, wurde es mir langweilig so ganz allein auf der weiten Welt, und da hab' ich mir gedacht, ich will zu guten Leuten gehen, sie werden mir schon zu essen und zu trinken geben und mir wie Vater und Mutter sein. In der Schenke traf ich dann diesen Burschen hier und bat ihn, mich mitzunehmen.«
»Du bist ein guter Kerl!« sagten die Räuber, »komm, setze dich zu uns, teile unser Salz und Brot, und wir wollen dir gute Brüder sein.«
»Und jener dort, der die Nase so hängen läßt, als hätte er sie zu tief ins Glas gesteckt? Hör', du alter Jammerlappen, was ziehst du eine so saure Fratze? Woher kommst du denn?«
»Aus der Gegend von Kolomna«, antwortete tranig ein kräftiger junger Bursche, der trübselig hinter den anderen stand.
»Nun, und haben auch dir die Opritschniks etwas zuleide getan?«
»Haben mir die Braut verschleppt!« erwiderte der Bursche langsam, mit sichtlichem Widerwillen.
»Ach, erzähl' doch, wie das war!«
»Was ist da viel zu erzählen: Kamen eben angesprengt und schleppten sie mit sich fort!«
»Na, und dann?«
»Was dann? Na, gar nichts!«
»Weshalb hast du ihnen denn die Braut nicht wieder abgejagt?«
»Wie sollte ich denn das machen? Kamen eben daher und schleppten sie mit sich fort!«
»Und du hast mit offenem Munde zugeguckt?«
»Das nicht, nachher, da packte mich eine Wut, kann ich euch sagen, eine solche Wut, daß ... Gott verzeih mir!«
Die Räuber begannen laut zu lachen.
»Na, Brüderchen, du scheinst mir ein bißchen schwer auf die Beine zu kommen!«
»Ja, du alte Runkelrübe«, meinte einer, »wenn sie dir die Braut fortgeholt haben, so brauchst du deswegen den Kopf nicht so hängen zu lassen, du findest schon wieder eine andere!«
Der Bursche hob den Kopf und starrte den Sprecher mit offenem Munde an, ohne ein Wort zu verlieren.
Sein Gesicht schien den Räubern Spaß zu machen.
»So höre doch, wir reden mit dir!« sagte ein anderer und versetzte ihm einen derben Puff in die Seite.
Der Bursche schwieg weiter.
Der Räuber puffte ihn noch stärker.
Der Bursche blickte ihn darauf töricht an und schwieg sich weiter aus, so daß alle in ein schallendes Gelächter ausbrachen.
Jetzt traten mehrere an ihn heran und versetzten ihm Rippenstöße. Der arme Tölpel wußte wirklich nicht, ob er lachen oder wütend werden sollte, aber ein besonders heftiger Schlag brachte ihn endlich doch aus seiner schläfrigen Gleichgültigkeit heraus.
»Nun ist es aber genug mit der Anrempelei!« sagte er ärgerlich. »Haltet ihr mich für einen Mehlsack, he? Ich sag' euch, hört lieber beizeiten auf, sonst krieg' ich die Wut!«
Alles lachte laut auf. Der Bursche wollte nun wirklich in Wut geraten, aber die Trägheit und angeborene Schläfrigkeit ließen den Zorn noch immer nicht in ihm hochkommen. Lohnte es sich doch kaum, sich wegen einer solchen Kleinigkeit aus der Ruhe bringen zu lassen!
»Na, so werde doch endlich wütend!« riefen die Räuber. »Das wollen wir gerade sehen.«
»Wartet doch ab; einstweilen schubst man immer noch ein bißchen! Nur zu! Ich merk' noch nichts!«
»Da hast du! Da! Da! Und hier noch einmal!«
»So, nun paßt aber mal auf!« sagte er, endlich wirklich in Wut geratend.
Er streifte die Ärmel auf, spuckte sich in die Fäuste und fing dann an, nach rechts und links um sich zu hauen, wohin er gerade traf. Solch einen Angriff hatten die Räuber nicht erwartet. Alle, die um ihn herumgestanden hatten, flogen im weiten Bogen fort und kugelten zur Erde. Die ganze Gesellschaft wich zum Feuer zurück, der Kessel fiel herunter und der ganze Brei ergoß sich zischend ins Feuer.
»Na, na, sachte, alter Teufel! Du haust ja alles kurz und klein! Hörst du, sachte!« riefen die Räuber dem Burschen zu.
Der aber sah und hörte nicht, was um ihn herum vorging. Er schlug weiter mit den Fäusten um sich und streckte bei jedem Hieb einen oder gleich zwei zu Boden.
»Solch ein Bär!« riefen diejenigen, denen es gelungen war, ihm zu entschlüpfen.
Endlich kam er wieder zu sich. Er hielt inne und blieb zwischen umgestoßenen und zerbrochenen Töpfen stehen und kratzte sich hinter den Ohren, als wollte er sagen: ›Ach, du meine Güte, da hab' ich ja was Schönes angerichtet!‹
»Ei, ei, Brüderchen!« spotteten die Räuber, die sich allmählich wieder aufgerichtet und ihre Rippen mühsam zusammengelesen hatten. »Wenn du damals beizeiten in Wut geraten wärst, weiß der liebe Himmel, sie hätten dir die Braut nicht verschleppt! Du bist ja ein zweiter Ilja Murometz!« Ein durch besondere Stärke ausgezeichneter Held der russischen Volkssage.
»Wie heißt du übrigens, mein Junge?« fragte der alte Korschun.
»Nun, ich heiße Mitjka.«
»Also Mitjka! Bravo Mitjka! Ein Teufelskerl dieser Mitjka!«
»Kinder«, rief vorbeieilend ein anderer Bursche, »der Ataman Bezeichnung für den Häuptling. erzählt wieder von seinem Leben an der Wolga. Sie haben alle Liedersingen und Geschichtenerzählen sein lassen und sich um den Ataman versammelt. Kommt schnell! Schnell! Sonst kriegen wir keinen guten Platz mehr!«
»Ja, kommt, wir wollen auch dem Ataman zuhören, kommt!« hieß es von allen Seiten.
Im Schatten einer mächtigen Eiche saß auf einem Baumstumpf ein breitschultriger Mann in einem kostbaren goldbestickten Kittel. Seinen Kopf bedeckte eine Mißjurka, eine Art runder Mütze aus Eisen, an der die Barmitza, ein Stahlnetz, befestigt war, das Hals, Nacken und Ohren vor Säbelhieben schützen sollte. In der Hand hielt er einen Tschekan, einen mächtigen, unten zugespitzten Hammer an einem langen Stiel. In dieser Ausrüstung hätte man schwerlich in ihm unseren alten Bekannten Wanjucha Perstenj wiedererkannt. Sein scharfer Blick spähte aufmerksam nach allen Seiten. Unter dem kurzen schwarzen Schnurrbart schimmerten kräftige blendendweiße Zähne hervor, die das dunkle Gesicht förmlich zu erhellen schienen.
Die Räuber hörten ihm schweigend zu.
»Seht, Jungens, einen Wagen anzuhalten oder einen Bojaren um ein paar Goldmünzen leichter zu machen, ist keine allzu große Kunst, wenn zehn gegen einen sind. Etwas anderes aber ist es für einen einzelnen, mit ihrer fünfzig oder gar noch mehr fertig zu werden.«
»Wahrhaftig keine Kleinigkeit!« meinten die Räuber nachdenklich. »Wer bringt das fertig. Hast du das etwa getan?«
»Nein, nicht von mir rede ich, aber ich kenne einen Teufelskerl, der ganz allein große Wagenzüge gestellt hat!«
»Sollte das nicht wieder dein Held von der Wolga gewesen sein?«
»Kein andrer als er! Da fährt zum Beispiel einmal eine Barke, die von Astrachan kommt, die Mutter Wolga herauf. Auf der Barke aber ist viel Volk, alles Kaufleute, tüchtige Kerls, mit Pistolen und Schwertern, die Kaftans nachlässig aufgeknöpft, die Mützen keck aufs Ohr gesetzt, nicht schlechter als unsereins. Und ihre Ladung: Gold, Edelsteine und allerhand Waren aus Astrachan, und sonstiger Kram mehr. Jedenfalls lauter lohnende Sachen! Das Ufer ist steil, der Pfad für die Schlepper eng, und mitten in der Wolga in der heftigsten Strömung ein nackter Felsen, scharf und spitz wie ein Messer. Mein wackerer Bursche hat erfahren, was die Barke geladen hat. Sagt keinem ein Sterbenswörtchen, schleicht sich in aller Frühe fort und legt sich im Gebüsch auf die Lauer. Es vergeht eine Stunde, es vergehen zwei, endlich kommen die Schlepper heran, ihrer zwölf, einer hinter dem anderen, tief vornübergeneigt, sich abquälend, daß ihnen die Zungen nur so aus dem Halse hängen. Die Barke scheint offenbar nicht gerade leicht geladen und die starke Strömung schwer zu überwinden. Mein tapferer Held bleibt ganz ruhig in seinem Versteck, bis sie den Felsen ein gutes Stück hinter sich haben, dann aber springt er plötzlich aus dem Gebüsch hervor, kriegt das Seil zu fassen, haut es mit dem Säbel mitten durch, so daß meine guten Schlepper, wie sie stehen und gehen, der Länge nach hinpurzeln. Dem einen aber gibt er eins mit der flachen Hand, dem anderen mit der Faust, so daß sie sich alle aus dem Staube machen, so schnell wie sie können. Die Barke aber treibt mit der Strömung zurück, direkt auf den Felsen zu. Mein kühner Held aber ist nicht faul, kriegt mit der einen Hand das Seil zu fassen und hält sich dabei mit der anderen am Baume fest, so daß er die Barke anhält.
»Heda, ihr Ritter von der Elle, ihr wackeren Kaufherren! Werft mal ganz schnell eure Pistolen ins Wasser, möchte ich gebeten haben, sonst könnte ich vielleicht das Seil loslassen und ihr würdet mitsamt eurer Ladung ein wenig auf den Felsen setzen!«
Zuerst verspüren die Kaufleute die allergrößte Lust, ihre Röhrchen auf meinen Helden zu richten, aber schnell besinnen sie sich eines Besseren. Man tötet ihn jetzt wohl lieber nicht, denn dann ist es um das Fahrzeug geschehen! Was bleibt ihnen schon anderes übrig als die Waffen ins Wasser zu werfen, ein paar aber behalten sie zurück. Man kann doch nicht wissen, wenn der Kerl nachher womöglich auf die Barke kommt und das Schiff plündern will, kann man sie gut gebrauchen und ihm schnell den Garaus machen.
Mein Held hat aber auch den Kopf auf dem rechten Fleck.
›Schön‹, sagt er, ›meine guten Kaufleute, liebe Täubchen, eure Waffen ruhen fein auf dem Grunde, nun macht auch ihr, daß ihr fortkommt! Eins, zwei, drei, ins Wasser mit euch allen!‹ Zuerst zieren sie sich noch ein Weilchen, da bindet er ganz einfach das Seil an den Baum fest und knallt ein bißchen dazwischen, da aber springen sie alle, wieviele ihrer sind, ins Wasser wie die Fröschchen. Er aber ruft: ›Daß ihr euch nicht untersteht, an dieses Ufer zu schwimmen! Macht, daß ihr nach drüben kommt, sonst schieß' ich euch ab wie die Enten!‹ –
»Nun, Kinder, sagt, wie gefällt euch mein Held?«
»Ein Teufelskerl! Wirklich ein Teufelskerl! Das muß man ihm schon lassen!« meinten die Räuber voller Bewunderung.
»Und was hat er dann mit der Barke gemacht?«
»Nun, er wickelte sich das Seil um den Arm, just wie die Schnur eines Papierdrachens und zog sich das Schiffchen fein aufs Trockene.«
»Na, höre, der muß ja ein wahrer Riese sein!«
»So schlimm ist es gar nicht, er wird nicht größer sein als ich, nur in den Schultern ist er wohl ein wenig breiter!«
»Noch breiter als du? – Ach, du meine Güte, wie mag er da nur aussehen!«
»Nun, wie so ein tüchtiger Kerl schon aussieht! Der Kopf etwas zottlig, der Bart pechschwarz, das Gesicht nicht weiter auffallend, aber ein paar Augen, sage ich euch, Augen, daß man Angst kriegen kann!«
»Das mag ja schon alles sein, Ataman; aber du sprichst immer von ihm, als wäre er weiß Gott was für ein Wundertier. Er kann doch nicht noch waghalsiger sein als du?«
»Ach, ihr Narren«, versetzte Perstenj mit Leidenschaft, »im Vergleich zu ihm bin ich gar nichts, nichts als Tand, eitler Tand!«
»Und wie nennt sich dein Held?«
»Nun, man nennt ihn Jermak!«
»Jermak? Welch ein spaßiger Name! Arbeitet er denn ganz allein, oder hat er gute Gesellschaft?«
»Nein, er ist nicht allein, er hat wackere Gehilfen. Nur der rechtgläubige Zar will ihm nicht so recht wohl, er hat seine Krieger an die Wolga geschickt, um sie auseinanderzutreiben und einen seiner Unterführer mit Namen Iwan Koljzo wollte er einen Kopf kürzer machen und ihn nach Moskau bringen lassen!«
»Ach, der hatte sich also festnehmen lassen!«
»Ja, die Leute des Zaren hatten ihn ergriffen, aber er glitt ihnen mir nichts dir nichts zwischen den Fingern hindurch und treibt sich jetzt irgendwo in der weiten Welt herum. Wo er im Augenblick ist, mag der liebe Himmel wissen, aber ich glaube bestimmt, daß er über kurz oder lang doch wieder an der Wolga auftaucht. Wer nämlich einmal an der Mutter Wolga gelebt hat, der fühlt sich nirgends woanders mehr wohl!«
Der Ataman versank in tiefes Sinnen.
Auch die Räuber waren nachdenklich geworden. Sie ließen die verwegenen Köpfe auf die breite Brust sinken und strichen sich schweigend ihre langen Bärte. Woran mochten sie wohl denken, die tollkühnen Abenteurer inmitten ihrer grünen Waldlichtung tief im schweigenden Walde? Gedachten sie ihrer vergangenen Jugendzeit, als sie noch ehrliche Krieger oder friedliche Bauern waren? Oder sahen sie die Allmutter Wolga vor sich und ihren kühnen Helden, von dem Perstenj so viel zu erzählen wußte? Oder tauchten in Gedanken vor ihnen jene beiden Balken auf, die durch einen Querbalken verbunden sind, und an die sich in besinnlichen Augenblicken damals jedes vogelfreie Haupt erinnerte?
»Ataman!« schrie plötzlich ein Räuber, der atemlos auf Perstenj zugestürzt kam: »Etwa fünf Werst von hier auf dem Wege nach Rjasanj traben an die fünfzig Reiter mit kostbaren Waffen und auf Rossen, sage ich dir, von denen jedes einzelne seine hundert Rubel wert ist!«
»Wohin reiten sie?« fragte Perstenj, eilig aufspringend.
»Sie hatten eben die Richtung nach dem Teufelssumpf eingeschlagen. Kaum hatte ich's erblickt, da bin ich auch schon mitten durch Sumpf und Dickicht hierhergerannt!«
»Nun, Burschen«, rief Perstenj aus, »von nichts kommt nichts, was sollen wir die Hände in den Schoß legen? Zwanzig Mann mögen mir folgen!«
»Und du, Korschun«, fuhr er zu dem alten Räuber gewandt fort, »nimm dir auch zwanzig Leute, lauert ihnen an der krummen Eiche auf und schneidet ihnen den Weg ab, wenn wir nicht früh genug heran sein sollten! Los, auf, schnell die Waffen zur Hand!«
Perstenj schwenkte den wuchtigen Tschekan. Er glich einem gefürchteten Feldherrn inmitten seines ihm auf Tod und Leben ergebenen Heeres. Das vertrauliche Verhalten der Räuber ihm gegenüber hatte sich in einem Augenblick in unbedingten Gehorsam verwandelt. Im Nu hatten sich vierzig Mann von den anderen abgesondert und zwei Abteilungen gebildet.
»Holla, Mitjka!« rief Korschun dem jungen Burschen aus der Gegend von Kolomna zu: »Da hast du einen Knüttel, aber streng' dich bitte an, daß du beizeiten in Wut kommst!«
Mitjka machte ein dummes Gesicht, nahm Korschun eine riesige Keule aus der Hand, schob sie auf die Schulter und folgte schaukelnd seiner Abteilung nach der krummen Eiche.
Die andere von Perstenj geführte Gruppe machte sich eilig nach dem Teufelssumpf auf, den unbekannten Reitern entgegen.