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Die neuen Weggenossen

Unterwegs versuchte Micheitsch aus den Unbekannten herauszubekommen, wer sie eigentlich waren, aber sie verstanden es, ihm durch allerlei Ausreden und Scherze auszuweichen.

»Pfui, der Teufel möge sie holen!« murmelte Micheitsch ärgerlich vor sich hin. »Was ist das nur für eine Sorte! Glatt wie die Aale! Du denkst, du hast sie beim Schwanze gefaßt und schon gleiten sie dir wieder zwischen den Fingern hindurch!«

Es begann zu dunkeln. Micheitsch ritt zum Fürsten heran.

»Bojar«, sagte er, »ob wir gut daran getan haben, diese Burschen mitzunehmen? Sie scheinen mir höllisch auf Ausreden bedacht; man bringt auch nicht das Geringste aus ihnen heraus. Außerdem ist es ein kräftiger Menschenschlag, nicht schlechter als jener Chomjak. Ob es am Ende auch Gauner sind?«

»Nun, wenn schon«, antwortete der Fürst sorglos, »immerhin werden sie für uns einstehen, wenn uns wieder solche Opritschniks in den Weg kommen sollten!«

»Das ist noch sehr abzuwarten, Väterchen! Eine Krähe hackt der anderen die Augen nicht aus. Ich habe sie vorhin belauscht, wie sie sich in weiß der Teufel welchem Kauderwelsch unterhielten. Und dabei kam's mir doch wieder so vor, als wär's russisch gewesen. Sei jedenfalls auf der Hut, Bojar! Du weißt doch, einem wachen Roß tut selbst das wilde Tier nichts an.«

Die Dunkelheit nahm zu. Micheitsch verstummte. Der Bojar schwieg ebenfalls. Man hörte nur noch das Klappern der Pferdehufe und zuweilen ein kurzes Schnauben. Der Weg führte durch dichten Urwald. Einer der Unbekannten stimmte ein Lied an, der andere fiel ein.

Dieses Lied, so inmitten des nächtlichen Waldes, wirkte nach den bunten Erlebnissen des Tages seltsam auf den Fürsten: er wurde traurig. Er erinnerte sich seiner Abreise aus Moskau vor fünf Jahren und war in Gedanken wieder in jener Kirche, in der er vor seinem Auszug nach Litauen die Messe gehört hatte, in der, inmitten des feierlichen Gesanges und des frommen Gemurmels der Menge, eine zarte, wohlklingende Stimme ihn so seltsam ergriffen hatte, daß er sie weder im Klirren der Waffen noch im Donner der litauischen Geschütze hatte vergessen können. »Leb' wohl, mein Fürst«, hatte diese Stimme heimlich geflüstert, »ich werde für dich beten ...«

Inzwischen fuhren die Unbekannten weiter fort zu singen, aber ihr Gesang entsprach nicht mehr den Gedankengängen des Fürsten. In ihren Liedern lebte die weite, weite Steppe, die heilige Mutter Wolga, wurde das sorglos ungebundene Leben der verwegenen Kahnschiffer verherrlicht. Bald trafen sich diese Stimmen, bald gingen sie auseinander, bald flossen sie ebenmäßig dahin wie ein breiter Strom, bald wieder hoben und senkten sie sich wie stürmische Wogen, und endlich stiegen sie hoch und immer höher empor und schwebten droben in den Lüften gleich Adlern mit weitausgebreiteten Schwingen.

Traurig und froh zugleich stimmt es den Menschen, wenn er in stiller Sommernacht inmitten des schweigenden Waldes den Klängen eines russischen Volksliedes lauscht. Hoffnungsloses Weh liegt darin, zugleich aber eine unbesiegbare Kraft, eine unendlich gelassene Ruhe dem harten, unerbittlichen Schicksal gegenüber, eines jener Urelemente der russischen Volksseele, durch das sich vieles erklären läßt, was im russischen Volksleben sonst unbegreiflich erscheint.

Ein schriller Pfiff schreckte den Fürsten plötzlich aus seinen Träumereien. Zwei Gestalten waren hinter den Bäumen hervorgesprungen und seinem Pferd in die Zügel gefallen. Zwei weitere packten ihn bei den Annen, so daß jeder Widerstand unmöglich wurde.

»Ach, die Halunken!« schrie Micheitsch, der ebenfalls von Unbekannten umringt worden war. »Der Teufel soll sie holen, sie haben uns verraten, die Schufte!«

»Wer fährt?« fragte eine rauhe Stimme.

»Großmutters Spindel«, erwiderte der jüngere der beiden Reisegefährten des Fürsten.

»In Großvaters Sandalen«, antwortete darauf die rauhe Stimme.

»Woher des Wegs?«

»Schüttelt nicht den Apfelbaum! Laßt die Ähren ausreifen! Wir wollen selbst in die Scheunen sammeln!« fuhr der jüngere Reisegefährte fort.

Die Hände, die Sserebrjanyi umklammert hielten, sanken augenblicklich, so daß das Roß, das sich nun wieder frei fühlte, mutwillig aufwieherte und schneller zwischen den Bäumen einherzutraben begann.

»Siehst du, Bojar«, meinte der Unbekannte, der jetzt an den Fürsten heranritt, »habe ich dir nicht gleich gesagt, daß es sich zu vieren besser reitet als zu zweit? Jetzt laß dich nur noch bis zur Mühle geleiten, und dort wollen wir uns trennen. In der Mühle findest du ein Nachtlager für euch beide und Futter für die Pferde. Bis dahin sind es von hier kaum mehr als zwei Werst, und von der Mühle aus habt ihr auch Moskau bald erreicht.«

»Habt Dank für eure guten Dienste, ihr wackeren Leute! Wenn wir uns wiedersehen sollten, so will ich nicht vergessen, Gutes mit Gutem zu vergelten!«

»Nicht an dir, sondern an uns ist es, von Dank zu sprechen, Bojar! Aber wir werden uns wohl kaum je wieder begegnen. Und wenn es sich doch so fügen sollte, so kannst du dich darauf verlassen, daß der Russe eine ihm erwiesene Wohltat nie vergißt.«

»Habt Dank, liebe Leute! Wollt ihr mir nun aber nicht eure Namen nennen?«

»Ich habe mehrere Namen«, erwiderte der jüngere der beiden Unbekannten. »Vorläufig nenn' ich mich Wanjucha Perstenj, später mag sich vielleicht ein anderer Name finden.«

Bald näherten sich die Reiter der Mühle. Trotz der nächtlichen Stunde rauschte das Mühlrad im Wasser. Auf einen Pfiff Perstenjs erschien der Müller. Sein Gesicht war in der Dunkelheit nicht zu erkennen, der Stimme nach aber mußte es ein alter Mann sein.

»Ach, du bist es, mein Ernährer!« rief er Perstenj zu. »Ich hab' dich heute gar nicht erwartet und noch dazu mit Reisenden! Du hättest doch wirklich direkt bis Moskau mit ihnen durchreiten können. Ich habe weder Hafer noch Heu da, noch kann ich mit einem Abendessen aufwarten, mein Lieber!«

Perstenj flüsterte hierauf dem Müller etwas in einer den anderen unverständlichen Sprache zu. Der Greis antwortete darauf mit ebenso unverständlichen Worten und fügte dann halblaut hinzu:

»Ich würde es ja mit Freuden tun, aber ich erwarte jetzt noch einen Gast, – einen Gast sag' ich euch, Gott möge mich vor ihm schützen, so jähzornig ist er!«

»Hast du denn keinen Platz hinten in der Kammer?« fragte Perstenj.

»Die ist ganz mit Säcken vollgestopft!«

»Und der Speicher? Höre, Brüderchen, daß du mir auf der Stelle Platz schaffst, den Pferden Hafer besorgst und dem Bojaren ein Abendessen. Wir kennen uns lange genug. Mir kannst du nichts vormachen.«

Der Müller führte nun die Reisenden scheltend in den Speicher, der etwa zehn Schritt von der Mühle entfernt lag und in dem trotz der Korn- und Mehlsäcke Platz genug war.

Während er Licht holen ging, verabschiedeten sich Perstenj und sein Gefährte vom Bojaren.

»Sagt einmal, ihr guten Leute«, fragte Micheitsch, »wo seid ihr aufzufinden, wenn der Fürst wegen der gestrigen Sache Zeugen brauchen sollte?«

»Frage den Wind, woher er kommt, frage die vorüberrauschende Woge, wo sie hingehört. Wir gleichen den scharfen Pfeilen, die aus der Armbrust schnellen. Wo die Spitze eindringt, da ist ihr Ruhepunkt. Zu Zeugen willst du uns holen?« fuhr er lächelnd fort. »Ich glaube kaum, daß wir für seine fürstlichen Gnaden sonderlich geeignet sein dürften. Aber wenn du uns einmal in irgend einer anderen Sache benötigen solltest, so wendest du dich am besten an den Müller hier, Alterchen, der wird dir schon sagen können, wo Wanjucha Perstenj zu finden ist.«

»Ach, der Teufel soll sie doch wirklich holen«, murmelte Micheitsch ärgerlich in den Bart. »Was das nun bloß wieder für krause Reden sind!«

»Bojar«, sagte Perstenj beim Fortgehen, »hör' auf meinen Rat, rühm' dich lieber in Moskau nicht allzusehr, daß du den Leibknecht des Maljuta Skuratoff aufhängen wolltest und ihm nachher noch hast das Feil gerben lassen!«

»Großartig wirklich«, schimpfte Micheitsch vor sich hin, »laß den Räuber laufen, hänge ihn um Gottes willen nicht auf und dann rühm' dich nicht einmal, daß du die Absicht hattest, ihn aufzuknüpfen. Es scheinen mir dies alles Früchtchen von einem Stamm zu sein! – Du brauchst dich übrigens nicht zu beunruhigen, mein Lieber«, fügte er laut und wichtig hinzu, »mein Fürst braucht sich vor keinem Menschen zu fürchten, er kann deinem Skuratoff auf den Kopf spucken, wenn es ihm Spaß macht; er hat allein dem Zaren Rechenschaft abzulegen!«

Der Müller brachte einen angezündeten Span und steckte ihn in die Wand; dann holte er Schtschi, Eine meist aus Sauerkohl bereitete Suppe, eines der beliebtesten russischen Nationalgerichte. Brot und einen Krug selbstgebrauten Bieres.

Des Müllers Züge stellten ein merkwürdiges Gemisch von Gutmütigkeit und Verschlagenheit dar. Haupthaar und Bart waren grau, die Augen von durchdringend hellgrauer Farbe. Runzeln und Fältchen durchzogen nach allen Richtungen das Gesicht.

Nachdem der Fürst und Micheitsch sich gestärkt und ihr Abendgebet gesprochen hatten, legten sie sich auf die Säcke nieder. Der Müller wünschte ihnen eine gute Nacht, verneigte sich tief, löschte den Kienspan und ging hinaus.

»Bojar«, meinte Micheitsch, als sie allein waren, »ich glaube, wir hätten besser daran getan, direkt bis nach Moskau zu reiten.«

»Um das Volk mitten in der Nacht zu beunruhigen und immerfort vom Pferde zu steigen und auf jeder Straße den Schlagbaum zu heben?«

»Besser das, als in solch einer Teufelsmühle zu übernachten. Was hatten jene Halunken nur davon, uns ausgerechnet in eine Mühle zu bringen! Und noch dazu in der Johannisnacht. Pfui Teufel!«

»Nun, geht es dir bis jetzt etwa schlecht hier?«

»Nein, Väterchen, das kann ich nicht sagen. Ich liege gut, und die Schtschi war vorzüglich und den Pferden ist auch Hafer aufgeschüttet. Aber weißt du, schlecht ist es, daß der Wirt ein Müller ist.«

»Nun, und was ist dabei, daß es ein Müller ist?«

»Eben gerade das ist so übel«, erwiderte Micheitsch mit Eifer. »Du scheinst gar nicht zu wissen, Fürst, daß es keinen Müller gibt, der nicht mit dem Teufel im Bunde steht. Meinst du denn, er brächte es ohne den Bösen fertig, das Mühlwasser abzudämmen? Ja, ja, weiß der Teufel, so ist es!«

»Gehört hab' ich wohl schon davon«, antwortete der Fürst, »aber die Leute reden viel. Außerdem hat es keinen Zweck, sich jetzt deswegen den Kopf zu zerbrechen, nimm, was dir Gott beschieden.«

Micheitsch schwieg nun eine Weile, gähnte vernehmlich und fragte mit schon schläfriger Stimme:

»Sag' mal, Fürst, was meinst du, was für ein Mensch ist dieser Mattwej Chomjak, den du aus dem Sattel gehoben hast?«

»Ich meine, es ist ein Räuber!«

»Das glaub' ich auch, und was denkst du, was für ein Mensch ist wohl dieser Wanjucha Perstenj?«

»Ich meine, es ist auch ein Räuber!«

»Das glaub' ich auch, nur scheint mir dieser Räuber besser zu sein als der andere. Und wie denkst du darüber, Bojar? Welcher Räuber scheint dir besser, Chomjak oder Perstenj?«

Und ohne eine Antwort abzuwarten, begann Micheitsch auch schon laut zu schnarchen. Bald sank auch der Fürst in tiefen Schlaf.


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