Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Zur selben Zeit, als Maljuta und Chomjak, von einer Anzahl Opritschniks begleitet, den Unbekannten nach dem Teufelssumpf schleppten, saß Sserebrjanyi mit Godunoff bei wohlgefüllten Bechern in freundschaftlicher Unterhaltung.
»Sage mir nur eins, Boris Fjodorowitsch«, fragte Sserebrjanyi, »was war eigentlich dem Zaren heute nacht? Weshalb stand die ganze Sloboda mitten in der Nacht auf? Kommt dergleichen häufig bei euch vor?«
Boris zuckte die Achseln.
»Unser erhabener Herr«, erwiderte er, »jammert und weint über seine Feinde und betet häufig für das Heil ihrer Seelen.«
»Ach, Boris Fjodoryitsch! Auch ich habe früher den Zaren in heißem Gebet gesehen. Das war aber damals doch etwas ganz anderes. Was sind das hier für Mönche? Es sind doch eher Räuber! In den wenigen Tagen, die ich nun wieder in der Heimat bin, habe ich so viel Unerhörtes, Unfaßbares von ihnen miterleben müssen, daß ich es noch immer nicht glauben kann! Sicher ist der Zar von den Schändlichen überlistet worden. Aber du, Boris, stehst seinem Herzen nahe, er liebt dich, du solltest ihm wirklich über das Treiben der Opritschniks die Augen öffnen!«
Godunoff mußte über Sserebrjanyis Einfalt lächeln.
»Der Zar ist wohl großmütig gegen uns alle«, sprach er mit etwas erheuchelter Demut, »und auch mich belohnt er weit über Verdienst; aber trotzdem steht es mir nicht an, über die Handlungen des Zaren mein Urteil abzugeben oder ihm gar weise Ratschläge zu erteilen. Und die Opritschnina zu begreifen, ist doch nicht so schwer: Ganz Rußland gehört eben dem Zaren, wir alle unterstehen seinem erhabenen Willen, was er sich zu seinem persönlichen Gebrauch nimmt, ist auch sein Eigentum, was er uns läßt, unser. Wem er befiehlt, ihm nahe zu bleiben, der steht ihm nahe, nun, und wem er das nicht vergönnt, der muß eben abseits stehen! Da hast du die ganze Opritschnina!«
»Das klingt sehr einfach, wie du es sagst, aber in Wirklichkeit liegen doch die Dinge so, daß die Opritschniks das arme Land schlimmer als die Tataren ausplündern! Und für all ihre Missetaten gibt es keine Strafe, keinen Richterspruch, das ganze Land geht an ihnen zugrunde. Du solltest wirklich einmal dem Zaren das alles richtig vorstellen. Deinen Worten würde er gewiß Glauben schenken!«
»Lieber Fürst Nikita Romanyitsch! Es hat schon von jeher Arg und Falsch in der Welt gegeben. Nicht deshalb mordet einer den anderen, weil der eine ein Opritschnik ist und der andere ein Geächteter des Zaren, sondern weil beides sündige Menschen sind! Und, angenommen, ich spräche mit dem Zaren, was würde wohl dabei herauskommen? Alle würden sich gegen mich empören, und der Zar selbst würde mir seine Gunst entziehen!«
»Nun, was liegt daran? Mögest du auch seiner Gunst verlustig gehen, wenn du als ehrlicher Mensch gehandelt und die lautere Wahrheit gesprochen hast!«
»Nikita, ein Wort auszusprechen ist wohl leicht, aber vorher tut man gut daran, sich alles wohlweislich zu überlegen. Wenn ich anfinge, dem Zaren dreinzureden, wahrlich, ich wäre bald nicht mehr hier. Und wenn ich nicht mehr um den Zaren wäre, wer hätte dich zum Beispiel gestern aus der Hand des Henkers befreit?«
»Das ist etwas anderes! Da muß ich dir recht geben. Gott belohne dir deine gestrige Tat, ohne dich wäre ich verloren gewesen!«
Godunoff glaubte nun endlich den Fürsten überzeugt zu haben.
»Sieh, Nikita Romanyitsch«, fuhr er fort, »es ist aller Ehren wert, die Wahrheit zu sagen, aber was vermag ein einzelner gegen so viele? Was würdest du zum Beispiel tun, wenn vierzig Mörder vor deinen Augen einen Unschuldigen umbringen wollten?«
»Was ich tun würde? Ich würde auf alle vierzig mit dem Säbel losgehen und so viele von ihnen niedermetzeln, wie es meine Kräfte ermöglichten!«
Godunoff blickte Sserebrjanyi verwundert an.
»Und würdest doch deinen Kopf dabei verwirken, Nikita Romanyitsch! Vielleicht beim fünften oder gar erst beim zehnten, und die übrigen Verbrecher würden den einen Unschuldigen genau so niedermetzeln. Nein, Fürst, man läßt sie dann schon besser gewähren, und erst wenn sie sich daran machen, den Erschlagenen auszuplündern, muß man dazwischenrufen, daß der Stepka sich mehr angeeignet hätte als der Mischka, und sie werden dann miteinander abrechnen!«
Sserebrjanyi mißfiel diese Antwort sehr. Godunoff, der das wohl fühlen mochte, wollte das Gespräch auf einen anderen Gegenstand lenken.
»Sieh«, sagte er, aus dem Fenster blickend, »wer kommt denn da so atemlos angejagt? Ist das nicht dein Reitknecht?«
»Unmöglich!« erwiderte Sserebrjanyi, »er hat mich ja erst heute morgen um Urlaub gebeten, um nach einem etwa zwanzig Werst von hier entfernten Orte eine Wallfahrt zu machen!«
Als er aber den Reiter schärfer ins Auge faßte, erkannte er tatsächlich Micheitsch. Der Alte war totenbleich. Er schien sich ohne Sattel auf den ersten besten Gaul geworfen zu haben und jagte entgegen der Sitte zu Pferde direkt bis unter das Fenster auf den Hof.
»Väterchen Nikita Romanyitsch«, schrie er schon von weitem, du sitzt da, ißt und trinkst und läßt dir's gut sein, und hast keine Ahnung, was für schreckliche Dinge im Gange sind! Eben habe ich dicht hinter der Kirche Maljuta Skuratoff und Chomjak getroffen und zwischen sich führten sie mit gefesselten Händen – wen glaubst du wohl? – Denke dir doch, den Zarewitsch – wahrhaftig, den Zarewitsch! Sie hatten ihm eine schwarze Kapuze übergestülpt, die Schändlichen, aber der Wind hatte sie gerade etwas zurückgeweht, so daß ich das Gesicht erkennen konnte. Er blickte mich an, als wollte er mich um Hilfe anflehen, aber Maljuta, der Teufel möge ihn holen, sprang sofort herzu und zog ihm die Kapuze wieder fest über das ganze Gesicht!«
Sserebrjanyi war hastig aufgesprungen.
»Hörst du! Hörst du, Boris Fjodoryitsch!« stieß er mit funkelnden Augen hervor. »Da soll man erst ruhig abwarten, bis sie sich gegenseitig abtun?« Und er stürzte atemlos fort.
»Gib das Pferd her!« schrie er, Micheitsch die Zügel aus der Hand reißend.
»Ja, aber Väterchen, das Pferd taugt nichts, es ist ein alter Klepper, und noch dazu ohne Sattel. Du kannst unmöglich so zum Zaren!«
Aber der Fürst hatte sich schon hinaufgeschwungen und trabte von dannen, allerdings nicht, wie Micheitsch dachte, zum Zaren, sondern in wilder Jagd hinter Maljuta drein.
Es gibt eine alte russische Volksballade, die wohl zu Iwans Zeiten entstanden sein mag und das Ereignis in folgender Weise schildert:
Als das steinerne Moskau erstand,
Da erstand auch Zar Iwan, Herrscher Wassiljewitsch.
Zog gen Kasan, die Stadt, zog gen Astrachan,
Nahm Kasan, die Stadt, rasch im Vorüberziehn,
Nahm gefangen den Zar'n und des Zaren Gemahl,
Schlug aufs Haupt den Verrat
In Pskoff und in Nowgorod.
Wie aber rottet man aus den Verrat
Aus dem steinernen Moskau?
Sieh, da zischelt ins Ohr ihm Maljuta tückischen Sinnes:
»O, du mein Zar Iwan Wassiljewitsch!
Nicht ausrotten wirst du je den Verrat!
Es sitzt dein schlimmster Feind an deiner Seite,
Er speist mit dir von einer Schüssel,
Er trinkt mit dir aus einem Becher,
Aus deinem Stoff sind seine Kleider!«
Der Zar begriffs – und großer Zorn
Erfaßt' ihn wider seinen Sohn.
»Ihr Fürsten und Bojaren!« schrie er,
»Faßt den Zarewitsch bei den weißen Händen,
Und hüllet ihn in schwarze Kleider,
Und führt ihn hin zum wilden Sumpf,
Führt' ihn zu jenem Teufelssumpf.
Sorgt, daß er finde raschen Tod!«
Da wichen scheu die Fürsten und Bojaren, –
Allein Maljuta blieb und zagte nicht.
Er faßte den Zarewitsch bei den weißen Händen,
Er hüllte ihn in schwarze Kleider,
Er führt' ihn hin zum wilden Sumpf,
Führt ihn zu jenem Teufelssumpf!
Nikitas Knecht erfuhr von dieser Tat,
Und rasch bestieg er einen alten Gaul
Und trabt zu Sserebrjanyi, dem Herrn:
»O, du mein Väterchen Nikita Romanyitsch!
Du trinkst und ißt und du erholst dich hier,
Das Unheil über dir, das ahnst du nicht:
Es fällt ein Stern, der hoch am Himmel stand,
Ein Licht erlischt aus leuchtend weißem Wachs,
Der junge Zarensohn ist bald nicht mehr!«
Entsetzt schwang Fürst Nikita sich aufs Roß,
Trabt' eilends hin zu jenem wilden Sumpf,
Trabt' hin zu jenem Teufelssumpf.
Er schlug Maljuta mit gewalt'ger Faust.
»Maljuta, du Maljuta Skurlatowitsch!
Zu groß ist dir der Bissen, der dich lockte!
An diesem Bissen sollst du Hund ersticken!«
Vielleicht mag diese Ballade den wirklichen Tatsachen nicht ganz entsprechen, aber sie kennzeichnet den Geist jenes Jahrhunderts. Unvollständig und unklar nur wurde dem Volke Kunde von den Geschehnissen, die sich am Hofe des Zaren oder im Kreise seiner Günstlinge abspielten.
In der Eile hatte Sserebrjanyi ganz vergessen, daß er ohne Schwert und Pistole auf einem alten klapprigen Gaul davongestürmt war. Das Tier aber, das einmal ein edler Renner gewesen war und zwanzig Kriegsjahre hinter sich hatte, spürte wieder einen kühnen Reiter auf seinem Rücken und fühlte sich in bessere Zeiten zurückversetzt. So gab es sein Bestes her, blähte die Nüstern, streckte den Hals weit nach vorne und sauste in rasendem Galopp hinter Maljuta drein.
Der aber trabte mit seinen Opritschniks durch tiefen, dichten Tann. Unaufhörlich trieb er zur Eile, um den Teufelssumpf so bald wie möglich zu erreichen. Ein um das andere Mal zupfte er an der schwarzen Kapuze, damit auch ja keiner der Opritschniks merkte, wen er da den letzten Weg führte.
»Horch!« flüsterte Maljuta angsterfüllt Chomjak zu, »hörst du nicht fernes Pferdegetrappel?«
»Nein!« erwiderte Chomjak, »das ist der Klang unserer eigenen Pferdehufe, der im Walde widerhallt!«
Noch stärker als bisher trieb Maljuta die Opritschniks zur Eile, noch öfter sauste seine Peitsche auf die dampfenden Flanken der abgehetzten Tiere nieder.
»Horch!« sagte er abermals zu Chomjak, »ruft nicht eine Stimme hinter uns drein?«
»Nein!« erwiderte Chomjak, »es ist das Echo unserer eigenen Stimmen!«
Und Maljuta schlägt wilder und wilder auf die Pferde ein.
»Schnell! Schnell, um Gottes willen schnell, falls man uns doch verfolgte!«
Plötzlich hört er es wieder, jetzt ganz dicht hinter sich, rufen:
»Halt, Grigorij Skuratoff! Halt!«
Sserebrjanyi ist Maljuta dicht auf den Fersen. Der alte Klepper hat ihn nicht im Stich gelassen.
»Halt, Maljuta!« wiederholt er. Und schon hat er ihn eingeholt, und ein schallender Schlag saust auf Maljutas Gesicht nieder, so wuchtig, daß er durch den stillen Wald dröhnt wie ein Schuß und fernab die Bauern, die Bast schälen, sich erstaunt anblicken und verwundert fragen:
»Habt ihr den Krach gehört? Am Ende ist die krumme Eiche am Teufelssumpf gestürzt!«
Maljuta fliegt aus dem Sattel. Das arme, müde Tier Sserebrjanyis strauchelt und stürzt tot zu Boden.
»Maljuta«, schreit der Fürst aufspringend, »an diesem Bissen sollst du ersticken!«
Er reißt Maljuta den Säbel aus der Scheide und will ihn gerade auf des Gegners Haupt niedersausen lassen, als plötzlich auch über seinem Haupt ein Schwert zuckt. Mattwej Chomjak ist seinem Herrn zu Hilfe geeilt. Ein hitziger Kampf entbrennt. Die Opritschniks fallen mit gezückten Schwertern über Sserebrjanyi her, aber die Bäume und das herumliegende Gestrüpp schützen ihn noch, so daß die Opritschniks ihn nicht gleich von allen Seiten umzingeln können.
›Ach‹, denkt der Fürst, ›sollte ich doch mein Leben lassen müssen, ohne den Zarewitsch gerettet zu haben? Nur noch für eine halbe Stunde möge Gott mir Kraft verleihen, vielleicht kommt bis dahin unerwartete Hilfe.‹
In demselben Augenblick ertönt ein schriller Pfiff durch den Wald; ein lautes Gejohle ist die Antwort. Ein Opritschnik, der schon im Begriff war, sein Schwert auf Sserebrjanyi niedersausen zu lassen, sinkt mit gespaltenem Haupt zu Boden, hinter ihm steht Wanjucha Perstenj, den blutigen Tschekan schwingend. Gleichzeitig aber stürzen sich die Räuber wie ein Rudel hungriger Wölfe auf Maljutas Leute. Ein heißes Ringen entbrennt. Viele, viele bleiben tot am Platze, andere raffen sich wieder und immer wieder auf; Perstenj selbst kann mit verwundeter Hand den wuchtigen Tschekan nicht mehr so heftig schwingen, als ein neuer Pfiff ertönt.
»Haltet euch gut, Kinder!« ruft Perstenj. »Großvater Korschun kommt zu Hilfe!«
Kaum hat er diese Worte gesprochen, als Korschun sich mit seiner frischen Abteilung auf die Opritschniks stürzt zu neuem blutigen Kampf. Die Reiter haben im dichten Walde einen schweren Stand gegen die Leute zu Fuß. Die Rosse bäumen auf, überschlagen sich und begraben ihre Herren unter sich. Aber dennoch kämpfen sie mit Todesmut. Plötzlich stockt das Handgemenge. Der mächtige Mitjka bricht sich durch das dichte Menschenknäuel Bahn und stürzt sich, ohne Unterschied Freund und Feind aus dem Wege räumend, auf Chomjak. Er hat den Räuber seiner Braut erkannt und läßt die mit beiden Armen hochgehobene Keule krachend niedersausen. Chomjak aber weicht ihm geschickt aus, so daß der Schlag dröhnend sein Roß trifft, das lautlos zusammenbricht.
Als Mitjka endlich wieder zur Besinnung kommt, erkennt er zu seinem Erstaunen, daß er in seiner Wut nicht den Entführer der Braut, sondern einen seiner eigenen Kameraden gepackt und unter dem mächtigen Gewicht seines Körpers fast zermalmt hat.
Der Kampf ist zu Ende. Die meisten Opritschniks liegen tot am Boden; Maljuta ist auf hurtigem Rosse entflohen und mit ihm Chomjak, sein tollkühner Reitknecht. Die Räuber beginnen die Ihrigen zu zählen, und auch auf ihrer Seite ist manch mutiger Streiter am Platze geblieben ...
»Hier also, Fürst«, rief Perstenj, auf Sserebrjanyi zueilend, »hier müssen wir uns wiedersehen.«
Sserebrjanyi aber war, sofort als die Räuber zu Hilfe kamen, auf den Zarewitsch zugeeilt, hatte dessen Pferd beiseite geführt und die Stricke, mit denen Maljuta sein Opfer an den Sattel gebunden hatte, gelöst. Er half dem Zarewitsch vom Pferde und befreite ihn von dem Tuch, mit dem sein Mund geknebelt war. Während des ganzen Kampfes hatte er sich nicht von seiner Seite gerührt und sich schützend vor ihn gestellt.
»Zarewitsch«, sprach er mit einem Blick auf die Räuber, die sich bereits daran machten, die Leichen zu plündern und die herrenlos herumschweifenden Pferde einzufangen, »der Kampf ist beendet; alle deine Widersacher liegen tot am Boden; Maljuta allein ist entkommen; aber ich sollte meinen, es wird ihm nicht gut ergehen, wenn der Zar ihn ausfindig machen läßt.«
Beim Namen des Zarewitsch wich Perstenj ehrfurchtsvoll zurück.
»Wie«, sagte er, »es ist der Zarewitsch, für den wir uns mit Gottes Hilfe einsetzen durften? Der Sohn unseres hohen Herren? Ihn also wollten die Hunde gefesselt fortschleppen?«
Und der Ataman warf sich dem Zarewitsch zu Füßen.
Auch unter den anderen Räubern verbreitete sich blitzschnell die Kunde, wer in ihrer Mitte weilte. Alle hörten sofort auf, die Taschen der Gefallenen zu durchsuchen. Einer nach dem andern näherte sich dem Zarewitsch, um sich ihm demütig zu Füßen zu werfen.
»Habt Dank, ihr guten Leute!« sprach dieser in freundlichem Tone, ganz ohne die ihm sonst eigene hochmütige Art.
»Wer ihr auch sein mögt, habt herzlichen Dank!«
»Was ist da zu danken, Herr!« erwiderte Perstenj. »Hätte ich gewußt, wen sie fortschleppten, ich würde nicht nur zwanzig wackere Burschen, sondern an die zweihundert mitgebracht haben! Dann wäre uns auch dieser vermaledeite Maljuta nicht durch die Lappen gegangen; wir hätten ihn lebend eingefangen und ihm vor deinen Augen ein wenig zugesetzt. Jetzt aber, Herr, gestatte, daß ich dir mit meinen Burschen noch ein Stück Weges das Geleit gebe. Ich schäme mich vor dir, Herr. Ein so schlechter Mensch, wie ich es bin, sollte in deiner Gegenwart nicht den Mund auftun, aber was ist zu machen, ohne uns wärest du wiederum kaum lebend hier herausgekommen. Hallo, Burschen«, fuhr Perstenj fort, »sammelt euch; wir wollen jetzt zum Schutze des Zarewitsch ein Stück mitziehen!«
Sserebrjanyi und Perstenj zu Pferde, die übrigen zu Fuß, so setzte sich die ganze Schar in Bewegung, den Zarewitsch schützend von allen Seiten umgebend. Als sich endlich der Wald lichtete und von weitem die bunten Dächer und Türme der Sloboda aufleuchteten, machte Perstenj halt.
»Herr«, sprach er, vom Pferde gleitend, »dies ist dein Weg. Dort hinten sieht man schon die Sloboda. Es geht nicht, daß wir dich noch weiter begleiten, außerdem steigt dort auch Staub am Wege auf, es kommen wohl Reiter heran. Leb' wohl, Zarewitsch! Gott hat uns seltsam zusammengeführt.«
»Warte nur noch einen Augenblick, wackerer Gesell«, erwiderte der Zarewitsch, der, je mehr die Gefahr sich verringerte, zu seinem früheren Gebaren zurückfand.
»Warte! Sage mir nur noch schnell, welchem Bojarengeschlecht du angehörst, daß du ein so goldgleißendes Gewand trägst?«
»Herr«, sagte Perstenj leise, »es sind unser viel Bojaren ohne alte Namen, viel Fürsten ohne Ahnen! Wir tragen das Kleid, das Gott uns gerade beschert.«
»Und weißt du auch«, fuhr der Zarewitsch strenge fort, »daß solchen Fürsten, wie du mir einer zu sein scheinst, auf weiten Plätzen hohe Gerüste errichtet sind, und daß du nicht einmal so viel wert bist wie dein kostbares Gewand? Hättest du mir heute nicht einen so großen Dienst erwiesen, ich ließe dich mit all deinen Burschen festnehmen durch jene Reiter, die mir da aus der Sloboda entgegenkommen. Aber als Lohn für deine heutige Tat will ich dir dein früheres Treiben nicht anrechnen und mich sogar bei Väterchen Zar für dich verwenden, wenn du ihm dein schuldiges Haupt zu Füßen legst.«
»Hab' Dank für deine große Güte, Zarewitsch! Hab' untertänigst Dank; noch aber ist für mich nicht die Zeit gekommen, den Zaren um Gnade zu bitten. Groß sind meine Sünden vor Gottes Angesicht, groß ist die Schuld vor meinem Herrscher. Väterchen Zar würde mir kaum vergeben; außerdem darf ich meine Gefährten nicht verlassen.«
»Wie?« rief der Zarewitsch erstaunt aus, »du willst dein Räuberleben auch jetzt noch nicht aufgeben, wenn ich selbst mich für dich einsetzen will? Es scheint dir wohl ehrenwerter, die Landstraßen unsicher zu machen, denn als ehrlicher Mensch dein Dasein zu fristen?«
Perstenj strich sich seinen schwarzen Bart, und ein kaum merkliches Lächeln huschte über seine Züge.
»Ach, Herr«, sagte er, »lebt doch der Hecht im Wasser, damit die Karausche auf ihrer Hut ist. Ich bin weder zum Soldaten noch zum Kaufmann geboren. Leb' wohl, die Staubwolke kommt immer näher, es ist Zeit für uns, umzukehren. Der Fisch sucht das Wasser, wo es am tiefsten ist, und unsereiner den dichtesten Wald.«
Und Perstenj verschwand auf seinem erbeuteten Roß im Gebüsch. Auch die andern Räuber verloren sich einer nach dem andern im Dickicht, und der Zarewitsch setzte mit Sserebrjanyi allein seinen Weg nach der Sloboda fort. Bald stießen sie auf eine Reiterabteilung, die von Boris Godunoff geführt war.
Was aber tat während dieser ganzen Zeit der Zar? Hören wir, was die Ballade sagt:
Und also sprach der Zar, der Grausame:
»Ihr, meine Fürsten, ihr, meine Bojaren!
Hüllet euch ein in ein schwarzes Gewand,
Eilt in die Kirche zum Morgengebete,
Für den Zarewitsch zu hören die Totenmesse!
Ihr alle, Bojaren, sollt schmoren im Höllenkessel!«
Die Herren Bojaren erschraken da sehr,
Hüllten sich ein in schwarzes Gewand,
Eilten zur Kirche zum Morgengebete,
Für den Zarewitsch zu hören die Totenmesse.
Da kam daher Nikita Romanowitsch,
Strahlend in leuchtendem Kleide.
Er führt' mit sich den jungen Zarewitsch,
Ließ ihn noch stehen hinter der Tür.
Und also sprach der Zar, der Grausame:
»Weh dir, Nikita Romanowitsch!
Wie wagst du es, mir in die Augen zu lachen?
Es fiel ein Stern, der hoch am Himmel stand,
Ein Licht erlosch aus leuchtend weißem Wachs,
Der junge Zarensohn, er ist nicht mehr!«
Und es sprach also Nikita Romanowitsch:
»O du unsre Hoffnung, du rechtgläubiger Zar!
Laß uns nicht klagen die Klänge des Todes,
Laß uns erheben die Hymne des Dankes!«
Und er ergriff die weiße, schmale Hand
Des Zarensohns und führte ihn hervor.
Und also sprach der Zar, der Grausame:
»Du Nikita, Nikita Romanowitsch,
Wie kann ich dich für solche Tat belohnen?
Willst du die Hälfte meines Zarenreiches?
Willst du von meines gold'nen Schatzes Fülle?«
»O du mein Zar Iwan Wassiljewitsch!
Versprich mir nicht die Hälfte deines Reiches,
Versprich mir nicht von deines Schatzes Fülle,
Nur gib Maljuta mir, den Bösewicht:
Ich führ' ihn hin zu jenem wilden Sumpf,
Ich führe ihn zu jenem Teufelssumpf!«
Und also sprach der Zar Iwan Wassiljewitsch:
»So nimm ihn hin, Maljuta, diesen Bösen,
Bestraf' du ihn, wie's als gerecht dir dünkt!«
So berichtet die Ballade; anscheinend aber verhielt es sich ganz anders. Nach den alten Chroniken finden wir Maljuta noch lange nach jenem verhängnisvollen Tage in der Gunst des Zaren. Die meisten seiner Höflinge fielen mit der Zeit seinem Mißtrauen zum Opfer; Maljuta aber hatte nicht ein einziges Mal die Ungnade des Zaren zu spüren bekommen. So wie die alte Onufrewna es ihm geweissagt hatte, sollte er den Lohn für seine Taten nicht mehr in diesem Leben empfangen: er starb hienieden einen ehrlichen Tod. Im Kreuzgang des Klosters St. Joseph Wolotzkij, wo seine sterblichen Überreste beigesetzt wurden, befindet sich noch heute ein Grabstein, der berichtet, daß er im Dienste des Zaren vor Paida gefallen sei.
Wie es Maljuta gelang, sich wegen seiner schamlosen Verleumdungen zu rechtfertigen – die Geschichte weiß nichts darüber zu berichten. Vielleicht schrieb Iwan, als sein tieferschüttertes Gemüt sich wieder beruhigt hatte, die Tat seines Günstlings nur einem allzu großen Eifer zu, vielleicht aber war auch das Mißtrauen dem Zarewitsch gegenüber noch nicht ganz aus seiner Seele gewichen – wie dem auch sei, Skuratoff wußte nicht nur sich das Wohlwollen des Zaren zu erhalten, sondern von jenem furchtbaren Tage an schien er Iwan nur noch unentbehrlicher zu sein. Bisher hatte das ganze russische Volk Maljuta verabscheut, jetzt aber haßte ihn auch noch der Zarewitsch aus tiefster Seele. Dieser allgemeine Haß aber bürgte dem Zaren für seine unerschütterliche Treue und Ergebung ihm gegenüber. Die Anspielung auf Baßmanoff hatte Iwan nicht vergessen; in seinem Herzen blieb ein leiser Schatten dieses Mißtrauens zurück, und wenn es auch noch nicht sogleich tiefer in ihm Wurzel faßte, so trat in seinem Verhältnis zu seinem Mundschenk doch schon jetzt eine merkliche Ernüchterung ein, denn der Zar konnte nie und nimmer dem vergeben, vor dem er sich auch nur einen Augenblick lang gefürchtet hatte.