Ludwig Tieck
Die Wundersüchtigen
Ludwig Tieck

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So hatte diese Zusammenkunft ganz anders geendet, als es die Freunde und Clara erwartet hatten. Diese sah ihren Bruder am Abend nicht und auch nicht am folgenden Morgen. Man war im Hause um ihn besorgt. Der Vater, 228 der einen kurzen, leidenschaftlichen Brief von Anton erhalten hatte, lösete mit kummervollem Antlitz das Räthsel.

Der Sohn war in der Nacht angekommen. Er vernahm, daß um die Zeit, als das unglückliche verführte Mädchen ihm im Zimmer seines Freundes erschienen war, sie in einem Todtenschlafe, so daß sie nicht zu erwecken war, gelegen hatte. Als sie sich wieder besonnen und mit den tief bekümmerten Eltern gesprochen hatte, legten sich diese, nach einem kurzen Abendessen, zur Ruhe. Als im Hause Alles still war, hatte sie noch einen Brief an ihren Ungetreuen geschrieben, der sich ihrer schämte, und ihre Dürftigkeit und ihren Stand verachtete. Als sie mühsam und unter vielen Thränen den Brief geendigt hatte, ging sie noch lange auf und ab, um ihr Elend ganz zu fühlen und ihren schrecklichen Entschluß in sich reif werden zu lassen. Sie hatte nicht den Muth, sich ihren Eltern zu vertrauen, weil sie den Zorn des heftigen Vaters fürchtete. Sie fühlte, wie nahe sie ihrer Niederkunft sei, und hatte keinen Vertrauten, wußte keine Hülfe zu ersinnen. Anton hatte sie in der Stadt als eine Unbekannte unterbringen, und für sie sorgen wollen, sie aber hatte mit Abscheu alle seine Vorschläge abgewiesen, da er nicht mehr für sie zu thun gesonnen war, so dringend sie ihn auch an seine früheren Versprechungen und Eide erinnerte. Er wollte aufschieben und Zeit gewinnen: er fürchtete ebenfalls seinen Vater, seine Vorgesetzten, auch war die frühere Liebe wohl erkaltet. Sie sah keinen Ausweg und ging jetzt in der finstern Nacht den Bach entlang, um in den brausenden Mühlsturz sich und ihr ungebornes Kind und alle ihre Sorgen zu begraben.

Indem sie nach der Mühle zulenkte, hörte sie auf der Landstraße ein brausendes, jagendes Pferd. Es war Anton. Seine Todesangst erkannte schon aus der Ferne ihren Schatten.

229 Der geheime Rath Seebach meldete seiner Familie, daß sich sein Sohn am frühen Morgen mit einem Bauermädchen verheirathet habe. Was der kurze, heftige Brief nicht sagte, ergänzte seine Ahndung. Die Mutter, aus einer alten adeligen Familie, einem angesehenen Edelmanne vermählt, war außer sich, weil dieser Sohn ihr Stolz und ihre größte Hoffnung gewesen war. Clara war mehr verwundert als betrübt, und zürnte dem Bruder, daß er ihr und den Eltern aus diesem Verhältniß ein Geheimniß gemacht hatte.

Traurig ist es, sagte der Vater, denn er hat sich durch den raschen Schritt, durch diese Unbesonnenheit die Thüre zu allen höheren Stellen verschlossen. Es ist aber so, mag es auch kommen, wie es will, besser, als wenn er ein Verbrechen begangen hätte. Wir werden uns an die Tochter gewöhnen, und wenn mein Sohn Ehrenstellen einbüßt, so hält er doch sein Wort und bleibt ein Mann von Ehre. Wo das Schicksal so ernst in die Verhältnisse des Lebens tritt, da soll man nicht mehr klügeln, sondern in Demuth den hohen Willen anerkennen. Ich weiß, daß die Liebe seiner Eltern nicht dadurch wird vermindert werden.

Die Mutter weinte heftig, so sehr sie auch der Vater und Clara zu beruhigen suchten. Der Vater schrieb dem Sohne mit dem rückgehenden Boten einen herzlichen Brief, in welchem er ihm Alles vergab und ihn ermunterte, sein Leben nun tüchtig und stark anzufassen. Die Stadt war bald von dieser sonderbaren Begebenheit angefüllt, über welche Jeder nach seinem Standpunkt und seinen Vorurtheilen sprach.



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