Ludwig Tieck
Die Wundersüchtigen
Ludwig Tieck

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Der Geheimerath von Seebach lebte in seinem großen, wohleingerichteten Hause glücklich in der Residenz. Da er reich war und eine angesehene Stelle bekleidete, viele Verbindungen hatte, und eine große Correspondenz führte, so war bei ihm oft der Sammelplatz angesehener und merkwürdiger Fremden und Reisenden. Häufig aber waren unter diesen Besuchenden auch solche Gestalten, die von seiner Familie weniger gern, oder nur mit Mißtrauen gesehen wurden, weil der Rath früher ein Mitglied mancher Gesellschaften gewesen war, die sich höherer Kenntnisse oder wunderbarer Geheimnisse rühmten, und obgleich der thätige Geschäftsmann schon seit Jahren alle diese Verhältnisse aufgelöset, und sich von diesen Verbindungen zurückgezogen hatte, so sorgte die Tochter, die den Vater genau kannte, doch immer, daß irgendwo ein Faden wieder aufgenommen werden möchte, der nicht zerrissen war, um Verwicklung, Zeitverlust, oder auch wohl Kummer zu veranlassen. Der lebhafte, heitre Sohn war gegen viele Wanderer mehr deswegen eingenommen, weil ihr Einsprechen dem Rathe manches Geldstück kostete, denn so wie er die Geheimnisse und Wunder verlachte, war er doch neugierig genug, immer wieder auf die Erzählung von seltsamen Entdeckungen oder unbegreiflichen Begebenheiten mit Eifer hinzuhören.

160 In alten Papieren kramend, saß der Rath an seinem Schreibepulte, und neben ihm Anton, sein Sohn, ihm gegenüber sein Schwiegervater, der Obrist von Dorneck, der schon seit lange seinen Abschied genommen hatte.

Ich kann das Dokument nicht finden, sagte der Rath endlich unwillig, und begreife nicht, wie, oder wohin es kann verloren seyn. In diesem fatalen Prozeß, der mich nun schon seit zwei Jahren beunruhigt, gilt es mir die volle Summe von zwanzigtausend Thalern, wenn ich diesen wichtigsten Beweis nicht herbei schaffen kann.

Der Obrist erwiederte: Lieber Sohn, ich bin überzeugt, daß Sie es irgendwo recht sorgsam hingelegt haben, weil es Ihnen eben so wichtig war, und daß Ihre Geschäfte Sie nur den Ort haben vergessen machen. Geben Sie sich Ruhe, und es fällt Ihnen wohl am ersten bei, indem Sie gar nicht darüber denken, wie es mit Namen von Menschen so oft geht, die wir durchaus nicht wieder finden, indem wir es von uns erzwingen wollen, und die uns dann plötzlich, ungesucht, indem wir zerstreut, oder unterhalten sind, wieder beifallen.

Sie mögen Recht haben, antwortete der Rath; soll sich aber ein Geschäftsmann solcher Vergeßlichkeit nicht schämen? Ich habe niemals die zerstreuten Menschen leiden mögen, und nun muß mir selbst dergleichen begegnen.

Anton warf ein: wenn wir jetzt nur den berühmten Grafen Feliciano hier hätten, von dem so viele Wunderdinge erzählt werden, so könnte er mit einer einzigen Geisterbeschwörung die Sache aufhellen und in Ordnung bringen.

Gewiß, sagte der Obrist, wenn er sich zu uns herablassen wollte, denn Bücher, Zeitungen und Briefe seiner Freunde erzählen ja Dinge von ihm, die noch viel 161 wundervoller sind, als dies kleine Mirakel, das er auf unser inständiges Bitten vielleicht verrichten möchte.

Der Rath schwieg, indem er wieder eifrig suchte. Was sind das für Figuren da? fragte der Sohn, indem er nach einem Blatte langte.

Du bist zwar kein Eingeweihter, erwiederte der Vater, indessen ist das Papier auch nicht von denen, durch welche ich eine Indiscretion begehe, wenn Du es betrachtest. Vor vielen Jahren hat ein Freund, ich weiß nicht aus welchem astrologisch-magischen Zauber-Manuscript, mir diesen Unsinn als denkwürdig abgeschrieben.

Bin ich auch kein Geweihter, erwiederte der Sohn, so habe ich doch, wie Sie wissen, so Manches über diese Verbrüderung gelesen, so manche kabbalistischen Manuscripte durchblättert, daß mir gerade der Unsinn mancher Leute nicht ganz fremd ist, wenn er mir auch immer unverständlich bleibt.

Die Figur war eigentlich eine vieleckige, in Gestalt eines Sternes. Die meisten Linien waren Zeilen, theils Sprüche der Bibel, theils Gebete, manche auch wundersame Namen, die, wie man sah, Geister bezeichnen sollten, nach allen Richtungen begegnete sich das Wort Abracadabra, bald in einzelnen Sylben und Buchstaben, bald vor-, bald rückwärts geschrieben, bald von Sternzeichen, Hieroglyphen und andern seltsamen Figuren unterbrochen. In der Mitte las man Adonai, gegenüber Jehovah, mit lateinischen und auch mit hebräischen Lettern geschrieben. Auf der Rückseite war bemerkt, daß dieses heilige Amulet von vielfältigem Gebrauche sei, im Kriege wie gegen Krankheit, vor Einwirkung der bösen Geister schütze, und Demjenigen, der die Kunst inne habe, Geister herbeizurufen, unentbehrlich sei.

Der Rath und der Obrist lachten, als der junge, stets 162 heitre Anton das aberwitzige Blatt mit so ernsthafter, tiefsinniger Miene betrachtete. Ich will ein andermal auch über diesen Unsinn spotten, unterbrach sie Anton, aber gestehen Sie mir nur ein, daß das Ding auch eine ernsthafte Seite habe, die man wohl in Betrachtung ziehen dürfe. Nicht wahr, derselbe Menschengeist, der fähig ist, Philosophie und Kunst zu umfassen, der die Bahn der Sterne berechnet und die Unermeßlichkeit des Himmels mißt, der in Liebe und Andacht sich dem Ewigen nähert, – derselbe hat auch dieses Blatt so umrissen, bekritzelt und durchfurcht mit einer thörichten Lüge, die doch irgendwo im Anfang mit der Wahrheit zusammen hängt, in dieser nur wurzelt, und aus dem Guten als stachlichtes Unkraut empor gewachsen ist.

Das mag seyn, nahm der Obrist das Wort, denn alles Schlechte und Nichtige keimt wohl aus dem Guten; nur möchte es schwer zu entdecken seyn, wo und wie es Lüge und Thorheit wird.

Der Rath war ebenfalls plötzlich ernsthaft geworden, und fügte hinzu: das ist eben die große Frage, ob das Böse ein zeitliches, oder ewig sei. Ein Nichts ist es, und wird, vom Menschengeist erweckt, ein Ungeheures, nimmt von diesem Kraft und Thätigkeit, und wandelt als Schicksal und Unglück umher, das Länder verwüstet und Tausende opfert. Wahrlich, hier möchte das Auge das Herbeirufen von Geistern aus dem Abgrunde, das Beleben eines Todtenreiches wahrnehmen können, viel größer und wundersamer als Alles, was man von alten oder neuen Thaumaturgen erzählt.

Sie meinen, wenn ich Sie recht verstehe, antwortete Anton, daß durch die Leidenschaften der Menschen, die sich in das Unwahre oder dem Nichts ergeben, die Weltgeschichte großentheils durch Gespenster regiert und fortgetrieben wird, die, wenn sie nicht im wilden Kampf der Verwirrung 163 aufgeweckt werden, unsichtbar bleiben, oder höchstens nur Erscheinungen sind, über welche der Spekulant oder Witzige gutmüthig lächeln möchte. Wenn mir dies auch wahr scheint, so ist es mit diesem Blatte hier denn doch etwas anders.

Eigentlich nicht, sagte der Vater: denn dasselbe, was hier nur Spiel ist, hat auch schon zum Feldgeschrei und Panier der Schlachten gedient. Es wäre zu wünschen, daß der böse Geist mit allen seinen Wirkungen sich immerdar in solchen Galimathias hinein zaubern ließe. Aber er wird auch von dergleichen Kinderei irgend einmal wieder erweckt, und so fluthet und ebbet die Masse der Erscheinungen hin und her, und das eigentliche Fortschreiten, das wahre Besserwerden der Welt ist nur aus einer weiten Ferne wahrzunehmen.

Ich werde mir dieses künstlich verzauberte Blatt in geweihter Stunde an meinen Hals hängen, sagte Anton, so durch alle Gemächer des Hauses um Mitternacht schreiten, und so hoffe ich jenes Dokument zu entdecken, das uns Allen so wichtig seyn muß.

Nein, sagte der Obrist, gieb es mir, lieber Enkel: von alten Zeiten bin ich noch mit den Leuten in Verbindung, die jetzt in der Residenz des Nachbar-Landes wieder anfangen, sich auszubreiten. Ich meine jene, die sich für die rechtgläubigen Brüder halten, und die vernünftigen verlästern und verfolgen. Immer erhalte ich noch Briefe und Anmahnungen, mich ihnen wieder anzuschließen. Diesen kann ich vielleicht mit dieser sinnverwirrten Schrift ein angenehmes Geschenk machen.

Nehmen Sie es, sagte der Rath, so ist in meinem Hause eine Thorheit weniger. Man erzählt, daß sich diese abergläubischen Menschen aus leicht zu errathenden Absichten an den Erbprinzen dort drängen, um sich ihm angenehm 164 und unentbehrlich zu machen. Wer weiß, was uns die Zukunft noch für Erscheinungen zeigt, welcher Aberglaube sich von Neuem entwickelt, so sicher wir jetzt zu seyn glauben, und, wenn ich meiner Aengstlichkeit folgte, so möchte ich darum das Papier nicht aus meiner Hand geben. Es kann auch Schaden stiften, so kindisch es ist.

Lassen Sie, lieber Sohn, sagte der Alte, beunruhigen Sie Ihren Geist nicht, wenn dergleichen auch geschehn könnte, so ist es doch nur wie ein Steinwurf ins Wasser. Der Kreis wird immer größer, aber verliert sich, wenn er sich am weitesten ausgebreitet hat. So lange noch solche Geister in Deutschland regieren, wie hier uns nahe Friedrich der Zweite, und dort Joseph der Zweite, so lange noch ein Mann wie Lessing schreibt und wirkt, haben wir Nichts zu fürchten. Und warum sollen denn unsre Nachkommen eben wieder ausarten?

Er schlug lächelnd das Papier zusammen, und freute sich schon im Voraus, welche Erquickung Viele in jener Brüderschaft aus ihm ziehen würden, die sich für Rosenkreuzer und Adepten hielten, und so ernsthaft nach dem Stein der Weisen forschten, wenn, wie der Obrist zu verstehen gab, auch wohl Einige unter ihnen seyn mochten, die das Spiel nur mitmachten, um andere, irdischere Zwecke durchzusetzen.

Friedrich der Zweite, fing der Rath wieder an, ist alt, vielleicht auf der Neige, und es ist möglich, daß er bald abgerufen wird. Wissen wir denn auch, wie jene Gesellschaften, über die wir jetzt nur lächeln, verbreitet sind, wie sie in Zukunft ihre Netze weit hinausspinnen mögen? Daß andre Brüderschaften gegen sie kämpfen, mag an der Zeit und nothwendig seyn. Wie glücklich, daß ich alle diese Dinge, die mich früherhin interessirten, und mein Leben in 165 Bewegung setzten, hinter mir habe, und auf alle diese Strömungen mit klarem gleichgültigen Auge hinab sehn kann.

Der Bediente gab einen Brief ab, der eben von der Post gekommen war. Das Siegel war wunderlich, und als der Geheimerath den Brief durchgesehn hatte, sagte er: nun wahrlich, sonderbar genug! Nicht gerade der berühmte Wunderthäter Graf Feliciano wird zu uns kommen, aber doch ein andrer seltsamer Mann, von dem auch schon oft die Rede gewesen ist: Jener Sangerheim, der sich ebenfalls berühmt, große Geheimnisse zu besitzen, der auch Geister erscheinen läßt, Todte und Abwesende befragt, und einen neuen Orden gründet.

Anton freute sich, da er vernahm, daß dieser Wundermann ihr Haus zuerst besuchen würde, aber der alte Obrist Dorneck wünschte, daß man sich mit dem Abentheurer nicht einlassen möge. Sie wissen, lieber Sohn, beschloß er, wie ängstlich Ihre Frau und Ihre Tochter bei solchen Gelegenheiten sind, und es ist wahr, man kann niemals wissen, welches Unheil uns mit solchen wirren Geistern über die Schwelle schreitet. Sie haben ihre Bestimmung darin gesetzt, die Menschen zu täuschen, und es ist nicht zu berechnen, auf welche Art sie hintergehn, welche Schwächen, die wir selbst nicht kennen, sie benutzen und erwecken, und wie weit wir in ihren Wandel verflochten werden.

Seien Sie ganz ruhig, lieber Vater, sagte der Rath heiter; dieser Brief macht es mir unmöglich, den wunderlichen Mann ganz abzuweisen, um so weniger, da ich so vielen Andern mein Haus schon eröffnet habe; diese Bekannten, die ich achten und schonen muß, und die mir diesen Mann so dringend empfehlen, würden mein Betragen unbegreiflich und sich beleidigt finden.

Und, gestehn Sie nur, lieber Vater, rief Anton im 166 frohen Muthe aus, daß Sie eben so neugierig sind, wie ich. Nein, er komme nur, der große Wundermann, er prophezeie uns, er zeige uns Geister, er grabe Schätze, was und so viel er will, wir wollen Alles dankbar von ihm annehmen. Ist doch außerdem schon lange nichts Neues vorgefallen, ist doch im ganzen Europa Friede. Wollen sich die Lebendigen nicht rühren, so müssen die Todten in Bewegung gesetzt werden.

Als die Mutter und Tochter bei Tische diese Neuigkeit erfuhren, nahmen diese die Sache weniger heiter und leicht auf, als die Männer. In ihrem stillen Rath war vorzüglich Clara verdrüßlich und verstimmt. Wohin, sagte sie fast weinend zur Mutter, soll es nur führen, daß wir unser Leben so gar nicht für uns selbst einrichten und ableben sollen? Der Vater hat nun, wie er sagt, alle diese Verbindungen aufgegeben, und ist doch seitdem neugieriger und gespannter auf Alles, was in dieser Art vorgeht, als ehemals, – und mein Verlobter, dieser gute Schmaling, die Leichtgläubigkeit selbst. Ist es wohl recht, den Wunderglauben dieses Jünglings immer von Neuem aufzuregen? Wissen wir denn, wie weit diese Sucht gehn kann, oder vermögen wir es, ihr Schranken zu setzen? Wenn ich nachher unglücklich bin, Schmaling verwirrt, und leidenschaftlich aufgeregt, mit den geheimnißvollen Menschen verflochten: wird mir denn ein Trost meines Vaters, oder ein Spaß meines leichtsinnigen Bruders ersetzen können, was ich verloren habe?

Der Obrist trat zu ihrer kummervollen Berathung und sagte, nachdem er die Klagen gehört hatte: Uebertreibt nicht die Sache, Kinder, hier meine verständige Tochter, Deine Mutter, kennt ja Deinen Vater, liebe Clara. Und Schmaling wird Vernunft und guten Rath annehmen, er ist kein 167 Kind. Glaube mir, meine liebe Tochter, es ist nicht gut, wenn man immerdar dem Menschen alle Steine, an die er sich stoßen könnte, aus dem Wege zu räumen sucht. Jede Leidenschaft in uns, die es wirklich ist, muß wachsen, reifen, und sich selber erkennen lernen. Der Mensch muß sie dann aus eigner Kraft, nicht bloß durch fremde Hülfe zu überwinden vermögen. Dann wird das, was wohl als Thorheit erscheinen mochte, oft Kraft und Charakter, und der Mann gewinnt in dieser Schule gerade seinen edelsten Besitz. Wird er aber in der Jugend gehindert, ganz sich in seinen Gelüsten kennen zu lernen, erfährt er gar nicht, wohin sie ihn führen können, so bleibt er Zeitlebens ein Näscher, der immer wieder von Neuem der Verführung ausgesetzt ist.

So muß, sagte die Mutter, dies die Geschichte meines Mannes seyn. Denn glauben Sie mir nur, Vater, stelle er sich, wie er will, hätte er nicht die vielen Geschäfte, die ihm sein Amt auferlegt, und die ihm oft die Nächte rauben, so würde er mit Heftigkeit Alles, was sich ihm aus dieser sonderbaren Gegend des Geheimnisses anbietet, ergreifen. Er meint, diesen Wunderglauben, die Geheimnißkrämerei, ganz überwunden zu haben, aber ich habe ihn seit so vielen Jahren beobachtet, und kenne ihn besser, als er sich selbst: Alles reizt, Alles beschäftigt ihn. Er spräche vielleicht nicht so oft, und mit solcher Bestimmtheit über diese Gegenstände, wenn er seiner selbst ganz sicher wäre. Sie haben sich oft verwundert, warum ich mit Ihnen und andern Freunden nicht in den Wunsch einstimme, daß er seine Stelle niederlegen und auf dem Gute leben möchte: ich kann es nicht, aus Furcht, er könne sich in andre Geschäfte und Arbeiten dann leidenschaftlich verwickeln, die weder so nützlich seyn dürften, noch seinem Geist die Kraft und den Adel zuführen 168 würden, mit denen wir ihn jetzt so freudig seinen Beruf erfüllen sehn.

Am folgenden Tage schon erschien Sangerheim, der sonderbare Freund, als Gast im Hause des Geheimenrathes. Er war ein schöner, großer und schlanker Mann, der eben nicht viel älter als dreißig Jahr seyn konnte: sein Auge war feurig, der Ton seiner Stimme wohllautend, und der Accent des Ausländers, eine Fremdheit in seinen Manieren stand ihm gut. Sein Wesen und seine heitre Gesprächigkeit gewannen ihm auch bald das Wohlwollen, selbst das Vertrauen des Rathes, indessen ihn der alte Obrist schärfer und mißtrauisch beobachtete. Am meisten aber war ihm Clara aufsässig, denn der junge Rath Schmaling war völlig in Rede und Gespräch des merkwürdigen Fremden verloren. Ein Gelehrter, Ferner, nahm Antheil an der Gesellschaft, so wie der Arzt des Hauses, Huber, und Jeder beobachtete von seinem Standpunkt aus den Reisenden, der sich Jedem mit ungezwungener Offenheit mittheilte. Darum war auch Anton heiter und gesprächig und die Mutter ließ bald ihren Widerwillen fahren, mit dem sie zuerst sich am Tische an der Seite des verdächtigen Mannes niedergelassen hatte.

Als die Mahlzeit geendigt war, begaben sich die Männer in ein andres Zimmer, und die Frauen verließen die Gesellschaft. Nach einigen unbedeutenden Reden kam man auf den Gegenstand, der Alle interessirte, da Jeder wünschte, daß der Fremde von sich und seinem Treiben etwas Bestimmteres aussagen möge. Schmaling machte sich vorzüglich an den vorgeblichen Wunderthäter und nahm jedes Wort, was dieser sprach, begierig auf; doch der Obrist, der mit Clara Mitleid hatte, und ihre Aengstlichkeit gewissermaßen theilte, suchte diese Gespräche zu stören. Ob es denn niemals, fing er an, um die Unterredung zu lenken, irgend 169 mit Sicherheit wird ausgemacht werden, wie alt diese weltbekannte Gesellschaft der Freimaurer eigentlich sei.

Vielleicht, antwortete der Rath, ist der ganze Streit mehr um Worte und Buchstaben, als um die Sache geführt worden. Mögen wir annehmen, daß dieses geheim öffentliche Institut, wie es in unsern Tagen besteht, schon uralt sei, daß es in frühern Jahrhunderten, unter ganz andern Bedingungen, als andre Bedürfnisse waren und man die jetzigen nicht kannte, habe daseyn können: behaupten wir dies alles, und geben nur zu, wie wir es müssen, daß diese Vereinigung, im Fall sie alt ist, sich völlig verwandelt und nach den verschiedenen Zeiten auch verschiedene Zwecke beabsichtigt habe, so ist mit dieser Einräumung auch der Streit, wenn nicht völlig geschlichtet, doch beseitigt.

Um so mehr, sagte Ferner, der Gelehrte, da wir es selbst erlebt haben, wie in kurzen Zeiträumen sich viele Zwecke der Brüder verändern, sie mit einander streiten, jede Sekte die richtige und älteste Constitution zu haben vorgiebt, eine Verfassung die andre verdammt, und immerdar neue Einrichtungen die vorigen ablösen.

Freilich, sagte der Rath, und so ist es nur Geheimnißkrämerei und Sucht zum Wunderbaren, die Entstehung der Gesellschaft hoch hinauf zu setzen, sie in andern Verbindungen wieder erkennen zu wollen, und anzunehmen, daß Tradition aus den ältesten Zeiten uns in dieser Einrichtung, die oft sich so geheimnißvoll stellt, mit dunkeln Geschichten und Sagen in unmittelbare Verknüpfung setzen könne.

Und doch, sagte Schmaling, handelt es sich hierum einzig und allein, oder die ganze Sache verliert ihr Interesse.

Das Wunderbare, fuhr der Geheimerath fort, aber das Interesse wohl nicht. Oder wir können es auch so 170 ausdrücken: daß unsre Bildung eben dahin sich ausarbeiten soll, um zu erfahren, was wir mit Recht wunderbar nennen. Es fragt sich, ob dann nicht ein ganz umgekehrtes Verhältniß erscheinen wird, daß alles jenes Wunder, welches unsre unerfahrne Jugend reizte, uns gleichgültig oder lächerlich wird, und wir das ächte Wunder da wahrnehmen, wo das blöde Auge gar Nichts, oder das Gleichgültige erschaut.

Sehr wahr, fuhr der Gelehrte fort, die Natur, das Erkennen derselben, Kunst und Wissenschaft, das einfache, edle Leben unschuldiger Menschen, die Gegenwart unverdorbner Kinder, der Liebreiz des Frühlings, das Verständniß der Poesie und die Fähigkeit, ihn, den Ewigen allenthalben wahrzunehmen, hier findet der ächte Schüler das Wunder und dessen Verständniß. Verwandelt der Schwärmer dagegen Wissenschaft, Natur, ja seinen Glauben an den Höchsten in ein Gespenst, sieht er mit seltsamen Grauen in die Natur und den Geist des Menschen hinein, kitzelt er sich mit dem Gefühl, durch Zahlen, Zeichen, willkührliche Worte und Geberden Annäherung zu fremdartigen Geistern, ja Herrschaft über sie zu erlangen, so ist er schon für das Verständniß der Dinge und jene Freiheit des Geistes verloren, die den gesunden klaren Menschen so liebenswerth und so ehrwürdig macht.

Gut gesagt, erwiederte Schmaling; aber er wird auch hier an Worten und Zeichen sich zerstoßen, sein Geist wird dürsten und verschmachten, und wenn er recht in das Innre dieser scheinbaren Erkenntnisse eindringen will, so wird er sich verirren, und wenn er erwacht, sich in einer tauben, leeren Wüste wieder finden. Ist denn nicht eben jene Glaubensfähigkeit, die sie Wunderglauben oder Wundersucht taufen und schelten, die innerste Federkraft unsrer Seele? In 171 ihr schlummert der Funke, der zu Licht und Flamme sich ausbreitet und erhellt. –

Mag es seyn, erwiederte der Rath, daß wir ohne diese Fähigkeit des Glaubens, ohne dies Gefühl der Liebe und eines unbedingten Vertrauens weder glücklich seyn könnten, noch die Stufe der Menschheit erreichen, zu der wir bestimmt sind. Diese einfache Liebe und Hingebung aber, die zur Glaubenskraft erstarken soll, ist völlig von jenem Vorwitz unterschieden, der ergründen, fassen und beherrschen will, was dem Menschen versagt ist, und der sich, weil er Nichts erobern kann, nun in das Gebiet der Nichtigkeit stürzt, sich mit dem Schein und der Lüge verbindet, und so den Geist des Menschen, seine Seele bis an die Selbstvernichtung führt. Denn so kann man doch wohl das nennen, wenn der Mensch für die nächste und unentbehrlichste Wahrheit Träume und Hirngespinnste eintauscht.

Jetzt nahm Sangerheim das Wort und sagte: Hier aber ist es, wo der Streit ein wirklicher wird, denn es läßt sich doch auch fragen: wer denn die Wahrheit zu solcher stempeln soll? Demjenigen, der nüchtern und einfach fort lebt, der sich niemals erhebt, dem dürfen die Wahrheiten der Religion, wie die Ahndungen der Geisterwelt als leere Träume erscheinen. Wer es aber erlebt und erfahren hat, wie jedes Wort und jede Gestalt nur dadurch wahres Sein erhält, daß sie vieldeutig sind, daß das Alltägliche und Aeußere auf ein Inneres und Geheimnißvolles deutet, der kann unmöglich alle höhere Forschung und Erkenntniß als unzulässig abweisen, weil sich ihm das, was in früherer Entfernung Traum und Aberwitz schien, nun näher gerückt, deutlich in nahe Wahrheit, in die unerläßliche Bedingung aller ächten Erkenntniß verwandelt.

Schmaling gab dem Fremden die Hand, von diesem 172 Worte hoch erfreut. Der Fremde fuhr fort: Ist es wahr, daß diese ächten Geheimnisse, wie alles Große und Geistige, schlecht bewahrt und mit falschem Sinne erkannt, verwahrloset und durch Mißbrauch bis zur Sünde herabgewürdigt werden können, so ist es gut und nothwendig, wenn sie sich in dunkeln, tiefsinnigen Schriften dem Verständniß der blöden Menge entziehn, wenn eine beschlossene Gesellschaft edler Menschen sie als etwas Frommes und Heiliges bewahrt. Es ist löblich und nothwendig, daß, da der Zutritt nicht eigensinnig versagt werden kann, Prüfung und Läuterung voran geht, und nur Auserwählte, die in verschiedenen untern Graden bewiesen haben, daß sie der Erleuchtung fähig und würdig sind, zum Lichte vordringen dürfen. So war es seit uralten Zeiten, und diese Ueberlieferung bewahrt unser Bund, und dies ist es, was wir versprechen können. Darum werden jene andern nüchternen Sekten der Brüderschaft, die alle nicht wissen, was sie wollen, von selbst verschwinden und sich vernichten.

Dieser Gesang, antwortete der geheime Rath, ist nicht neu, er läßt sich von Zeit zu Zeit immer wieder vernehmen. Die wahre ächte Maurerei, die ich für solche erkenne, ist aber diesem Glauben und dieser Absicht völlig entgegen.

Und diese ächte Maurerei? fragte der Fremde. Anton trat hinzu und sagte: Darf ich, als der einzige Ungeweihte hier, auch zugegen bleiben? – Der Vater erwiederte lächelnd: Ich werde nichts verrathen, was nicht Jeder hören dürfte. – Wie sich die Menschheit in Gesellschaft und Staat gebildet hat, und diese nicht entbehren kann, so fühlte der Einsichtsvollere doch auch zu allen Zeiten, daß mit diesem unendlichen Gewinnst gegenüber ein Verlust verbunden sei, und seyn müsse, der wohl eben so schmerzlich falle, als der Gewinn 173 gegenüber erfreuen dürfe. Die Gesetze ordnen und zerstören, die Religion erhebt und verfolgt, die Moral veredelt und verdammt, und Alles in so großen Verhältnissen, so durchgreifend und nach allen Seiten, daß es unmöglich scheint, die Ausgleichung und Versöhnung dieser Wohlthaten und Uebel zu finden. Religiöse, wie dichterische Sagen setzen diesen unerläßlichen Zwiespalt schon vor alle Schöpfung hinaus; Mystiker suchen aus ihm die Entstehung der Welt zu erklären. Der Inhalt unsrer Religion ist die Lehre der Versöhnung, um durch ein neues Räthsel das ältere zu lösen. Schon die alte Mythologie und Dichtung der Griechen wollte ebenfalls manche Schuld, grause Verbrechen, die jedes Gesetz verdammt, zur Tugend, zur Aufgabe eines Gottes machen, und Orest ist eine wundersame Frage an den innern Geist, wie Timoleon in spätern Zeiten. Durch alle Adern des Daseins dringt der Tod des nothwendigen Buchstaben, und jeder Edle, sei er Fürst, Staatsmann, Krieger oder Handwerker und Bauer, findet in seinem Leben tausendfältige Gelegenheit, hülfreich zu seyn, wo Staat, Religion, Gesetz und Lehre nicht ausreichen, um zu vermitteln, wenn er seinen Sinn frei genug erhalten hat, und so das Geistigste, das, was unantastbar seyn sollte, und was doch immerdar verletzt werden muß, still und behutsam zu schützen. Nur in den allerneuesten Zeiten war es möglich, daß verschiedene Freigesinnte, edle Menschen darauf fielen, in einen geheim öffentlichen Bund zusammenzutreten, um dieses Unsichtbare, Unaussprechliche zu wirken, dieses ächte, große Geheimniß zu bewahren, welches sich freilich niemals verrathen läßt, weil es ganz geistiger Natur ist, das schon verschwindet, indem man es nur in bestimmte Worte fassen will.

Anton sagte lebhaft: Ja freilich, so angesehn, ist eine 174 solche Vereinigung verständiger Männer das Edelste, was man sich denken kann: die ächte Aufklärung, um ein so oft gemißbrauchtes Wort einmal in seinem wahren Sinne zu brauchen.

Der Vater winkte ihm freundlich, und fuhr fort: Wenn Menschen, so gestimmt, sich zusammenfanden, so durften sie hoffen, daß die Vereinigung ihre Gesinnungen stärken, ihnen das Gute, was sie ausrichten wollten, erleichtern würde. Der Unterschied der Sekten, der Glaubensmeinungen und Stände hörte in dieser geistigen Gemeinschaft auf. Sie konnten nicht darauf fallen, Etwas gegen den Staat zu unternehmen, so sehr sie dessen Gebrechen fühlten, denn sie hätten sich ja dadurch dem todten Buchstaben wieder hingegeben, dem sie entfliehen wollten. Es genügte, klar zu sehn, fein zu fühlen, den Leidenschaften und Vorurtheilen nicht zu huldigen. Um so mehr Patrioten, um so weniger legten sie Hand an, Räder auszuheben, oder die Maschine anders einzurichten. Es genügte, daß sie ohne That und Kampf das Gute wieder vorbereiteten; der Fromme mußte frei genug seyn, um in und durch die Gesellschaft seine Sekte nicht verbreiten zu wollen; noch weniger aber konnte es dem Aufgeklärten beikommen, die Religion des Landes untergraben zu wollen, nüchterne Freigeisterei zu befördern, oder feindselige Gesinnungen zu verbreiten, er fühlte, daß Liebe, Milde, Sanftmuth und Duldung genügten. Je frommer der Fromme war, so weniger konnte er aber auch, als Mitglied solcher Gesellschaft, den Satzungen eigensinniger Priester huldigen, oder eine geschichtliche Form der Religion für etwas Anders als Form und Buchstaben halten. In dieser ächten Loge meines Sinnes, wie konnte es in ihr mehr als einen Grad geben? Was hätten die Eingeweihten denn noch finden und entdecken sollen? Genügte irgend einem dieses hohe, 175 unsichtbare und unaussprechliche Geheimniß nicht, so stand er ja in dieser Ungenügsamkeit wieder außen, und hatte Weihe und Erkenntniß verloren.

Und wo, wo, rief Anton lebhaft aus, wo sind diese ächten, wahren Maurer zu finden, daß auch ich mich ihnen mit allen meinen Kräften anschließe?

Wo? antwortete der Vater; nirgend in aller weiten Welt sind sie zu finden, nirgend und allenthalben; denn jeder wahre Mensch ist dieses Salz der Erde, und ist ohne Gesellschaft, Eid und Verbindniß dieser ächte Freimaurer. – Als nun Christoph Wren in London die neue Loge stiftete, oder nur neu belebte, ging von hier aus wohl eine Gesinnung, oder eine ihr ähnliche aus, wie ich eben geschildert habe. Unter jenen Freimaurern ist Ashmole der erste, der davon spricht, und wenn er die Gesellschaft und Verbrüderung eine sehr alte nennt, so mögen meinethalben die Baukorporationen schon längst ihre Constitutionen und Symbole gehabt haben, doch war dieser erlaubte und edle Kosmopolitismus in dieser Gestaltung den früheren Jahrhunderten unbekannt und unmöglich.

Und wie selten, wie wenig mag er auch in England, wie in Deutschland, zum Bewußtsein gekommen seyn, fiel der Obrist Dorneck ein. In meiner Jugend schloß ich mich, aus einem unbestimmten Wissenstriebe, Menschen an, die sich für erleuchtet ausgaben. Die Gesellschaft war aber damals nicht so ausgebreitet, wie jetzt, noch war sie in so viele Sekten und Constitutionen getheilt. Schon die Menge der Lehrlinge, die Kassen, die der Aufzunehmenden bedürfen, die weltlichen Absichten, die sich mehr oder minder eingeschlichen haben, machen jene Vereinigung, von der Sie, theurer Sohn, sprechen, völlig unmöglich. Und es ist zu fürchten, wie es denn auch schon begonnen hat, daß sich kluge Köpfe dieser 176 Verbindungen bemeistern werden, um völlig das Gegentheil aus ihnen zu machen, wozu sie bestimmt waren. Bemächtigt sich erst ein solcher Schwindel der Zeit, so steht wohl zu besorgen, daß ein viel schlimmerer Buchstabe mit tödtender Kraft herrschen wird, als vormals in der äußern Welt, und ihren Gesetzen, Gewöhnungen und Rechten.

Wie gesagt, erwiederte der Rath, die Zeit erklärt und erzeugt Alles. Manche Völker, vorzüglich Deutschland, waren nach dem Frieden von 1648 in sich selbst matt zurück gesunken, bei uns war alles öffentliche Leben dahin, das Interesse für den Staat völlig abgeschwächt. Hier in Deutschland konnte sich allgemach der Gedanke erzeugen, statt des öffentlichen Geistes einen unsichtbaren still wohlthätig walten zu lassen. Vielleicht, daß hie und da, auf kurze Zeit, die ächte Maurerei, nach meinem Sinne, ausgeübt wurde. Entstellungen zeigten sich früh, Mißbräuche schlichen ein, und Alle ängstigten sich, geheim oder eingestehend, daß sie kein sprechendes, faßliches Mysterium den wißbegierigen Lehrlingen zu verrathen hatten, worin doch eben, daß sie dessen ermangelten, ihr Wesen und ihr Stolz hätte bestehen müssen.

Dieses Geheimniß, fiel der Obrist ein, hat mich schon in meiner Jugend herumgejagt. Ich ließ mich früh aufnehmen, und unser Meister vom Stuhl war denn auch ein Wunderthäter. Bald war die Stadt, es war im Anfange des Krieges, nicht sicher genug. Ein Schloß im Gebirge, das einsam lag, ward zu den Versammlungen der Geweihten auserlesen. Der geheimnißvolle Meister setzte uns junge Leute immerdar in ängstliche Thätigkeit. Jetzt kam diese geheime Botschaft, und nun jene, dieser große Monarch, dann jener benachbarte Fürst waren dem Magus auf die Spur. Nachtwachen, gerüstete Freunde, Waffen und Schwur sollten den seiner Weisheit wegen Verfolgten beschützen. Eine 177 berittene Garde umgab bei Tag und Nacht das Castell, und streifte in der Gegend umher, um Kundschaft einzusammeln. Je mehr wir uns ängstigten, je größer und erhabener erschien uns unser Meister. Freilich waren auch einige prosaische Zweifler unter uns, und diese folgten eben so unermüdet der Spur des Betruges, wie wir der der Verfolgung, und ermittelten endlich mehr als wir. Unser hohe Magus war am Ende nichts, als der gemeinste Betrüger, vom niedrigsten Stande, der sich schon früh vieler verächtlichen Schelmereien schuldig gemacht hatte, und nicht einmal Maurer war. Ein strenger, rechtlicher Mann nahm sich nun unsrer an, und eine Zeitlang wollten und fühlten wir Alle etwas Aehnliches, als Sie, Herr Sohn, uns vorher geschildert haben.

Die Sage, fing der Rath wieder an, ward nun beliebt, daß die Freimaurerei eine Fortsetzung und neue Belebung des alten Ordens der Tempelherren sei, der so willkührlich und mit so vieler Grausamkeit aufgehoben wurde. Wie ich schon aussprach, ich will über Dergleichen nicht streiten. Mögen die Einsichtigen des Templerordens die Freimaurer ihrer Zeit gewesen seyn, möglich, daß ihr Bund sich der fast allmächtigen Hierarchie und dem weltlichen Despotismus widersetzte; daß aber die neue Brüderschaft eine Fortsetzung des vertilgten Ordens, unmittelbar von entflohenen Brüdern gestiftet, sei, wird man niemals befriedigend nachweisen können. Andre können mit demselben Recht die Wiklefiten zu Maurern machen. Wohin wir sehen, giebt es Verbindungen in der Geschichte, die sich der herrschenden Kraft mit Glück oder Unglück, mit Gewalt oder heimlich widersetzen. Oft ist die Weisheit und das Bessere beim Widerspruch; oft aber wird dies auch früh vom Schlechten, Frevelhaften vertilgt. Warum sollen, so verstanden, die ersten Albigenser nicht ebenfalls 178 Freimaurer gewesen seyn? Daß sie Rebellen wurden, dazu zwang sie vielleicht die zu rasche Maßregel der Kirche und die Grausamkeit der Priester. Ich kann Nichts dagegen haben, will man den Orden in den uralten Culdeern auf den schottischen Inseln wiedererkennen, die sich schon in den frühesten Jahrhunderten dem anwachsenden Papstthum widersetzten, und eine reinere Lehre, ein ursprünglich ächtes Christenthum zu besitzen glaubten. Warum will man die Gnostiker ausschließen? Ja die jüdische Sekte der Essäer? Auch hindert uns Nichts, die Pythagoräer dafür zu nehmen. Oder die besseren der ägyptischen Priester: eben so Diejenigen, die die ächte Lehre der Perser bewahrten. Man kann sich das früheste Judenthum, oder selbst das religiöse Geheimniß der Patriarchen so denken. Wie aber Abrahams Judenthum (wenn man es so nennen will) ein ganz andres war, als das der Pharisäer zu Josephus Zeiten, oder als jene jüdischen Sekten, die die Kabbala und alle wunderlichen sinnreichen Träume der Rabbinen annehmen und aus diesen erst rückwärts die Propheten und Moses verstehn, so ist auch jene willkührlich so genannte Freimaurerei von der neuesten noch weit mehr unterschieden, und ihr völlig unähnlich. Denn so können wir die Bundeslade, das verlorne Feuer, die wiedergefundenen Bücher, und was wir nur wollen, willkührlich deuten, und es geschieht der Sache nicht zu viel, wenn wir Noahs Arche zu einer Loge machen, und den Gründer der Brüderschaft in Seth, oder selbst Abel suchen. Ist man mit Typen und Vorbildern zufrieden, so ist es keine so gar schwere Kunst, aus Allem Alles zu machen, und es sollte mich nicht großes Studium kosten, die Brüderschaft, ihre Geschichte und Symbole aus der Comödie des Dante, oder aus der wilden Prosa des Rabelais heraus zu deuteln.

Scherzen Sie nicht, sagte der Gelehrte, es ist noch nicht 179 aller Tage Abend, und wir können nicht wissen, welche Aufgaben sich der Scharfsinn und die Combinations-Gabe unserer Tage noch setzen werden. Es ist sonderbar genug, daß die Säule Boaz noch niemals auf den vielbesprochenen Baffomet ist gedeutet worden.

Oder beide Säulen J und B, Jachin und Boaz, auf Jacob Böhme, der doch gewiß bei den Parazelsisten und Adepten der Brüderschaft eine große Rolle gespielt hat.

Vielleicht, sagte Schmaling, da ich noch nicht durch viele Grade gedrungen bin, erfahre ich künftig dies und noch mehr. Könnte aber ein wissender Meister nicht neue Deutungen in die Symbole legen?

Dergleichen, erwiederte der Rath, ist vielfach geschehen; und so sind durch Erklärungen Geheimnisse, und aus diesen wieder neue Erklärungen entstanden, um eine Sache zu verwirren, die nur in schlichter Einfalt wohlthätig und segensreich seyn konnte.

Wie kommt es nur, sagte Ferner, der Gelehrte, daß man noch niemals die Schulen der Magie und Zauberei, oder Nekromantik, Nekromancie, wie die Dichter des Mittelalters sie nennen, für Logen gehalten hat? Nach Toledo in Spanien, als dem Centrum und der wahren Universität oder großen Mutterloge, weisen alte Gedichte hin. Kunststücke, Zauberei, Verwandlung, Beherrschung der bösen und guten Geister wurde dort gelehrt. Auf dem Vatikan liegt ein Gedicht von den Heymonskindern und dem Zauberer Malegys. Dieser lernt aus den Büchern eines andern Magus, Balderus, die hohe Kunst, er besiegt nachher diesen und einen andern berühmten Künstler Iwert; und so hätten wir denn vielleicht hier wieder das I und B, was in der Maurerei eine so bedeutende Rolle spielt.

Halten Sie ein, Professor! rief Anton aus, sonst machen 180 Sie noch alle unsre reisenden Taschenspieler zu Meistern vom Stuhl, oder unbekannten Obern.

Doch ohne allen Scherz gesprochen, erwiederte Ferner, ich wundre mich, daß unter den vielen Maurern und Freunden der Maurerei, von denen doch so viele Bücher gelesen und für die Sache geschrieben sind, noch keiner sich die Mühe gegeben hat, ein höchst merkwürdiges Gedicht aus dem Mittel-Alter zu studiren, das, wenn irgend eins, eine Geheimlehre enthält, ein Christenthum, Mythe und Symbolik, die gewiß nicht mit den herkömmlichen und angenommenen der katholischen Kirche übereinstimmen. Dieses Gedicht heißt »die Pfleger des Graal,« und besteht aus zwei Theilen, wovon der erste Parzifal, und der zweite Titurell genannt wird. Dieser heilige Graal ist ein Geheimniß, das nur Eingeweihten zugänglich und verständlich ist, eine Erfüllung aller Wünsche, eine Heiligung alles Menschlichen und Irdischen, er giebt Gesundheit, Leben, Freude und Glück. Durch Forschen, Fragen, wenn der Ritter zufällig in den Saal tritt und aufgenommen wird, macht er sich des Mysteriums würdig, und der junge Parzifal, weil er zu bescheiden ist, verscherzt in früher Jugend auf lange durch sein Stillschweigen diesen Besitz. Die Heidenschaft und der Calif der Muselmänner erscheinen nicht so feindlich und gehässig, wie in den übrigen Gedichten des Zeitalters. Eine kirchliche christliche Gemeinschaft der Frommen und Edlen, eine mystische Lehre wird vorgetragen, die selten mit dem allgemein Gültigen jener herrschenden Kirche überein zu stimmen scheint. Auch der Tempel und die Baukunst sind mystisch behandelt und sind dem Werke höchst wichtig, wenn gleich die heilige Masseney, die Tempelherren oder Tempeleise ganz in Art und Weise der Ritterwelt dargestellt sind. Auch der Priester Johannes spielt eine große Rolle, und Alles bezieht sich in 181 verschiedenen Richtungen auf Johannes den Evangelisten. Wie sehr der Täufer bei den Maurern gilt und geehrt wird, ist bekannt, und, wenn sie wirklich älteren Ursprunges seyn sollten, so ist wohl noch zu untersuchen, ob nicht ursprünglich der Evangelist gemeint sei. Die Forschungen über dieses tiefsinnige Gedicht des Mittelalters sind auch in anderer Hinsicht noch lange nicht abgeschlossen, und der Maurer, der die Geschichte der Poesie kennt, dürfte hier auf manche Entdeckung gerathen, die seinem gläubigen Vorurtheil mehr und stärkere Waffen gäbe, als jener Sanct Albanus, der die Bauleute in England zuerst beschützte, oder der Prinz Edwin, oder die Culdeer, Wiklefiten, oder was man nur sonst in die Untersuchung gezogen hat.

Mir fällt eine Frage ein, sagte Anton: hat man noch nie den sinnigen Shakspeare zum Maurer gemacht? Viele seiner Sprüche, z. B. »es giebt viele Dinge im Himmel und auf Erden, von denen sich eure Schulweisheit nichts träumen läßt« hat man oft genug gebraucht und gemißbraucht. Es ist aber bekannt, daß der edle Philipp Sidney ein Freund und Beschützer des berühmten und berüchtigten Jordanus Bruno war, den man nachher als Ketzer in Italien verbrannte. Wie, wenn diese beiden Männer ächte Maurer gewesen wären, und in jener merkwürdigen Zeit eine Loge gestiftet hätten, in welcher unser Shakspeare später wäre aufgenommen worden? In dem kleinen London und in einem kurzen Zeitraum von dreißig Jahren waren so viele große und herrliche Männer, wie sich nur selten auf Erden so enge zusammen drängen.

Jetzt stand Huber, der Arzt, auf und sagte: ich habe bis jetzt geschwiegen, weil ich nicht andern Meinungen voreilen wollte. Dieses Geheimniß eines Nicht-Geheimnisses, wie es unser Freund Seebach ausgeführt hat, will mir 182 keinesweges gefallen. Es sei, daß die Maurerei Nichts gegen Staat und Religion unternehmen soll, und daß wir deshalb jene frühen englischen Logen tadeln mögen, von denen die Sage berichtet, daß sie unter Cromwell bedeutend zur Wiedereinsetzung der Stuarts mitgewirkt haben. Aber eben dadurch, daß der Maçon von Politik und Kirche sich zurückhält, um nicht zu stören, ist ihm ein so größerer und schönerer Wirkungskreis in der Natur eröffnet. Weisen wir die früheren Sagen von Adepten ab, so ist eben jener Elias Ashmole, der einer der frühesten authentischen Maurer der neuen Zeit ist, zugleich als ein Freund der Astrologie und der Verwandlungskunst bekannt genug. Beschäftigen sich also die Universitäten, um die Jugend nicht irre zu führen, mit der Naturwissenschaft in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes, so ist es um so erfreulicher, wenn ein Kreis erfahrner Männer, zum Geheimniß durch Wort und That verbunden, jenen Geist aufsucht und herbeiziehn will, jene Kraft, Wunder zu wirken, die wohl schon sonst auserwählten Sterblichen beigewohnt hat, kurz, sich in dem zu üben und zu vervollkommnen, was gemeinhin Magie genannt wird. Diese Wissenschaft, die Natur aufzuschließen und sie zu verwandeln, ist des Strebens der Edelsten nicht unwürdig. Es ist leichter, sie zu verlachen, als die Meister dieser Kunst und die Anschauungen, die uns entgegen kommen, abzuweisen und zu widerlegen; und namentlich die Kunst des Adepten, Gold zu machen, den Stein der Weisen hervor zu bringen. Die nüchterne Welt kennt nur einen Weg, indem sie die Erzählung von Flamel als Lüge verschreit, was Paracelsus erzählt und ein Mann wie Helmont betheuert, Mährchen nennt, den tiefsinnigsten der Philosophen, Jacob Böhme, nicht anhört und versteht, und Alles, was in unsern Tagen ein erleuchteter Saint Martin begeistert predigt, nur mit mitleidigem 183 Achselzucken beantwortet. Aber ist es denn nun schon unwidersprechlich dargethan, daß uns Saint Germain belog und betrog? Die Kunst, Gold aus andern Metallen zu machen, scheint so nahe zu liegen, da wir so viele Verwandlungen hervor bringen können. Sie soll ja nur den Meister beurkunden, ihm seinen Meisterbrief schreiben, als einen Beweis, daß er die Natur bezwungen hat, und sie beherrscht. Die moralische Besserung und Vergeistigung des Menschen ist die höhere Kunst des Adepten. Aber Wunder zu glauben, in der Vorzeit, um Religionen und Heilige zu bekräftigen und ihrem Wirken Glauben zu verschaffen, und anzunehmen, daß diese Kraft erlöschen müsse, und in unsern Tagen und niemals wieder erweckt werden könne und dürfe, heißt, um mich gelinde auszudrücken, auf das Mindeste sehr inkonsequent glauben und lehren. Mein Freund Seebach kennt meine Ueberzeugung, die ich hiemit wiederhole. –

Jetzt nahm Sangerheim, der Reisende, wieder das Wort: Wie die Kunst der Verwandlung das eine Unterpfand des Maurers und Meisters ist, so ist die Macht über die Geister die zweite Beglaubigung, daß er Bahn gewonnen, und den Sieg im Laufe errungen hat. Diese Hoheit ist dem ächten Schüler der Weisheit seit uralten Zeiten überkommen, von alten Meistern und Obern, und jeder Lehrling, der sich in der Prüfung würdig erweiset, kann dies Siegel der Vollendung erringen. Wenn die Rosenkreuzer diesem hohen Berufe nachstreben, so ist es löblich, erringen sie ihn, dann ist ihre Kunst und ihr Weg der wahre. Er ist aber nicht der meinige. Doch werde ich den würdigsten Brüdern, die schon erfahren sind, gern, wenn sie Glauben und Vertrauen haben, die Weihe nach Graden der Prüfung zukommen lassen. Doch bin ich hierin ganz der entgegengesetzten Ueberzeugung des Herrn von Seebach. Ein einziger Grad 184 ist keiner; was diese Freimaurerei will und soll, kann Jeder am besten isolirt und ohne alle Verbindung erlangen.

Schmaling sah begeistert aus und drängte sich an den Fremden, auch der Arzt Huber gab ihm die Hand. Auf der Seite des Rathes blieben der Obrist, der Gelehrte und Anton. So war in dieser kleinen Gesellschaft ein Gegensatz von Meinungen, die sich auf keine Weise vermitteln ließen.

Man trennte sich, und beim Abschiednehmen bat der geheime Rath den Fremden, der so große Dinge ankündigte, noch etwas zu verweilen. Er trug ihm seine Verlegenheit vor in Ansehung des verlornen Dokumentes und schloß dann: Getrauen Sie sich wohl, durch Ihre übernatürliche Wissenschaft, deren Sie sich rühmen, mir diesen Bogen, an dem mir so viel gelegen ist, wieder zu verschaffen?

Sangerheim, der bisher in der Gesellschaft bescheiden in Wort und Haltung gewesen war, richtete sich jetzt stolz auf und sah den Rath mit einem kühnen Blick von oben herab mit seinen feurigen Augen an und sagte: Ist dies nur eine leere Erfindung, um mich zu prüfen, so dürfte es schlimm für Sie ausgehn, wenn ich jene Kräfte für diese Unwahrheit in Thätigkeit setzte; ist es Wahrheit, was Sie mir sagten, so verspreche ich Ihnen meine Hülfe.

Seebach erzählte ihm umständlicher die Sache, den Inhalt des Dokumentes, wie lange er es besessen, und daß es jetzt zur günstigen Entscheidung des Prozesses unentbehrlich sei. Ich glaube Ihnen, sagte Sangerheim, und spreche Sie morgen Nachmittag in der vierten Stunde.



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