Ludwig Tieck
Die Wundersüchtigen
Ludwig Tieck

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Am folgenden Abend war der Rath im Kreise seiner Familie, kein Fremder war zugegen, auch Schmaling fehlte. Es war sichtbar, daß er nachdenkend war und an den 185 Gesprächen der Uebrigen nur wenigen Antheil nahm. Der Obrist sagte endlich, als er in die Fröhlichkeit der Uebrigen nicht einstimmte: Was ist Ihnen, Lieber? Wir fangen uns an zu ängstigen; theilen Sie uns Ihren Kummer oder Ihre Leiden mit.

Es ist nichts dergleichen, erwiederte der Vater, ich sinne nur darüber nach, wie man so nach und nach alt wird, und doch niemals ausgelernt hat. Ich glaubte über Alles, was man Wunderglauben nennt, hinaus zu seyn, und war selbst in meiner Jugend dieser Schwachheit nicht ausgesetzt: und nun berührt mich Etwas so stark, daß ich mich vor mir selber fürchte, wenn der Ausgang sich so ergeben sollte, wie er mir ist versprochen worden.

Die Mutter und Tochter sahen sich mit bedeutenden Blicken an, Anton war gespannt und der Obrist sagte: Nun, Werthester, was ist Ihnen versprochen? Dürfen Sie es uns mittheilen?

Es ist mir nicht verboten worden, erwiederte der Vater. Gestern, als wir uns trennten, erzählte ich dem Fremden von dem verlornen Dokument. Er schien erst unwillig, weil er die Sache für Erfindung hielt, ihn auf die Probe zu stellen. Wie er meinen Ernst sah, versprach er mir heut Nachmittag Antwort zu geben. Er erschien, und seine erste Frage war, ob ich nicht in der Stadt noch ein andres Haus besäße. Ich bejahte, wir gingen hin und er betrachtete die Zimmer und den Saal, welche leer stehen, da ich immer noch unentschlossen bin, ob wir hinüber ziehn. Er ließ sich ein drittes Zimmer aufschließen, eilte hinein, und indessen ich noch draußen verweilte, und die Gemälde betrachtete, hörte ich drinnen Geräusch, wie von verschiedenen Menschen, auch Stimmen durch einander. Ich eilte durch die offenstehende Thüre, und fand meinen Fremden allein in der 186 Mitte des Zimmers, tief sinnend. Er bemerkte mich erst nicht, dann sagte er: Gehn wir morgen in der Mittagsstunde, zwischen Zwölf und Eins, wieder hieher, und ich hoffe Ihnen etwas Bestimmteres sagen zu können. Wir verließen das Haus, und ich fragte ihn, ob er es erlaube, daß uns noch Jemand begleite. Sehr gern, erwiederte er, nur bitte ich, dem jungen Herrn Schmaling vorerst nicht die Sache mitzutheilen, oder ihn zum Begleiter zu wählen, er ist zu heftig, er schwärmt und würde mich stören; vielleicht geht Ihr zweifelnder Sohn mit uns. – Seht, Freunde, das ist mir heut begegnet, und Ihr müßt gestehn, daß, wenn dieser Mensch ein Betrüger ist, er einen neuen und originellen Weg erwählt.

Aber wie ein Betrüger? sagte der Obrist: wenn er Ihnen wohl morgen schon das Dokument schafft, oder Ihnen eine bestimmte Antwort giebt.

Das wird er eben nicht thun, antwortete der Rath, er wird morgen mit einer neuen Zweideutigkeit mich abfertigen, mich wieder auf einen andern Tag vertrösten, und, wenn er meine Leichtgläubigkeit, oder meinen Charakter bei dieser Spannung beobachtet und kennen gelernt hat, mich mit diesen oder jenen Mährchen abspeisen, von denen er glaubt, daß sie mir zusagen. Alles das sage ich mir und wiederhole es mir, und doch kann ich es mir nicht leugnen, daß ich ungeduldig die Stunde des Wiedersehens erwarte, daß ich mir jenes seltsame, unbegreifliche Geräusch in der Erinnerung wiederhole, und darüber sinne. Es war, wie von vielen Menschen, wie Zank und Streit, ja Thätlichkeit, verschiedene Stimmen antworteten sich heftig, so daß ich erstaunt die halb angelehnte Thür öffne, in der sonderbaren Erwartung, viele fremde, heftige Menschen in Gezänk in meinem verschlossenen Zimmer zu finden, und ihn doch nur allein still in der 187 Mitte des Raumes stehen fand. Es war Tag, nicht Mitternacht, keine Vorbereitung war vorangegangen, ich kenne das Haus und er nicht, – wie soll man darüber denken?

Lassen wir es, sagte Anton, bis morgen; die Stunde ist nicht so gar entfernt, und erlauben Sie mir, Sie zu begleiten.

Keine Kreise gezogen? fiel der Obrist ein: kein Zauber-Apparat? keine Citation? Sonderbar genug. Jenes habe ich auch einmal in meinem Leben gesehn und mitgemacht, und es wies sich nachher als Betrügerei aus, aber man hatte uns, die wir zugelassen wurden, durch Geheimniß, Rauchwerk, Gebet, Fasten und Kasteiung so exaltirt und betäubt, daß unsere Imagination dem Magus schon auf drei Viertheil seines Weges entgegen ging.

Als die Mutter in der Nacht mit der Tochter bei einer häuslichen Arbeit verweilte, sagte sie: Ich kann Dir nicht beschreiben, wie widerwärtig mir diese Geschichte ist, die sich da anspinnt. Wir waren einige Jahre so ruhig, und nun wird Dein Vater wieder in solche Verwicklungen und Gedanken hinein gezogen, die ich auf immer für abgethan hielt. Er meint, er hat Alles überwunden, und läßt sich immer wieder von Neuem anlocken. Was ist es nur im Menschen, das der Vernunft zum Trotz, auf die sich die Meisten doch so viel einbilden, immer Herz und Phantasie in das Seltsame und Unbegreifliche hinüberzieht. Ich habe noch keinen Menschen gekannt, der nicht abergläubig gewesen wäre.

Möchten sie es doch, antwortete Clara, denn ich bin es auch; und wie kann man sich gewissen Wahrnehmungen oder Eindrücken mancher Träume, den Vorahndungen und dergleichen entziehn; wenn sie nur nicht mit ihrer scheinbaren Philosophie so bedeutende Schlüsse aus Kindereien zögen, und so schwerfällige Systeme darauf erbauten. So Vieles 188 im Leben hat nur dadurch einen Sinn, daß es eben mit nichts Anderm zusammenhängt, daß es Nichts bedeutet. Sie wären aber im Stande, in einem Seufzer oder Kuß das ganze Universum zu lesen, und die Ewigkeit der Höllenstrafen daraus zu beweisen. Nun, meinen Schmaling werden mir die Geisterseher schön zurichten. Wären die Menschen doch nur damit zufrieden, ihren eignen Geist kennen zu lernen. Weil es aber da eben hapert, so sind sie freilich gezwungen, so viele fremde herbei zu zitiren, um den eignen zu verstärken.

Am Morgen waren Alle beim Frühstück sehr einsilbig. Selbst Anton konnte sich nicht verbergen, daß er in einer Spannung sei, die seinem Wesen sonst ganz fremd war. Gegen zwölf Uhr erschien Sangerheim. Unterwegs sagte er: Ich bitte Sie, von dem, was Sie vielleicht sehn werden, nicht zu laut und gegen Jedermann zu sprechen. Was geht die Menge und das unwissende Volk unser Wesen an?

Das große Haus des Rathes lag in der Vorstadt. Es stand leer, weil die Familie Willens war, hieher zu ziehn. Dies hatte freilich sein Beschwerliches, wenn Seebach sein Amt nicht aufgab. So war es geschehn, daß man es in dieser schwankenden Unentschlossenheit seit Jahren nur selten besucht hatte. Der Rath öffnete und verschloß hinter sich die Thüren wieder. Im Saale angelangt, ging Sangerheim wieder in jenes Zimmer, in welchem er gestern schon gewesen war. Er ließ die Thüre hinter sich halb offen, Anton und der Vater blieben im Saal. Plötzlich hörten beide ein verwirrtes Getöse, wie Schlagen an den Tapeten und Degenklirren, dann Gespräch, Gezänk, Hin- und Widerreden verschiedener Stimmen; auf verschiedene Fragen, die der Magus that, hörte man ein bestimmtes: Nein! nein! Es geschieht nicht! näher und ferner ertönen. Endlich erfolgte 189 ein Knall, wie von einer Pistole; Beide stürzten in das Zimmer und der Magus stand in der Mitte, in heftiger Bewegung und erhitzt. Er faßte die Hand der Eintretenden und sagte: Nur bis heut Abend lassen Sie mir Zeit und ich sage Ihnen Gewißheit. Noch widerspricht man mir, man will nicht nachgeben, aber es wird sich ändern, wenn ich in meiner Wohnung noch eine Operation vorgenommen habe. Sie trennten sich und Anton wie der Rath kamen nachdenklich zu ihrer Familie zurück, die sie mit Aengstlichkeit erwartete.

Anton sagte: Der Mann ist ein recht künstlicher Taschenspieler, der einige neue Stücke gelernt hat, die die Uebrigen noch nicht wissen. Man schwört darauf, daß man verschiedene Menschen oder Geister vernimmt, man hört ein Rauschen und Schwirren, Rasseln und Prasseln, wie ein Handgemenge, endlich sogar einen bestimmten Pistolenschuß, aber es ist kein Dampf oder Geruch vom Pulver zu spüren. Das Unkluge bei dieser Geschicklichkeit scheint mir nur darin zu bestehn, daß er sich immer so kurze Termine setzt, so daß sich seine Vertröstungen schnell wiederholen und bald ermüden müssen. Mit den beiden Kunststücken von heut und gestern hätte er uns wenigstens einige Wochen hinhalten können.

Es kann nicht so seyn, wie Du es Dir denkst, sagte der Vater. Er muß auf Etwas fußen, das ihn so sicher macht. Wäre die Sache, wie Du sie schilderst, so müßte er übermorgen oder in einigen Tagen beschämt abziehn, denn ich habe mich wohl gehütet, irgend großes Erstaunen oder entgegenkommende Leichtgläubigkeit merken zu lassen. Gab er sich doch auch nicht einmal die Mühe, uns auszufragen, so beschäftigt war er mit sich selber. Ihm selbst ist es Ernst, und seine Aufmerksamkeit ist ganz auf die Sache, nicht auf uns hingerichtet.

190 Du bist schon bekehrt und gläubig, sagte die Mutter.

Unmöglich, Liebe, antwortete der Rath, denn ich glaube noch gar Nichts, auch giebt es noch Nichts zu glauben, sondern ich bin nur erstaunt, und kann in dieser verwirrenden Verwunderung meine Seelenkräfte noch gar nicht wiederfinden.

Das ist vielleicht, bemerkte Clara, die beste Stimmung, um Wunder zu glauben.

Kinder, sagte der Vater mit einiger Empfindlichkeit, tragt ihr nicht auch dazu bei, meine Unruhe zu vermehren. Mein ganzes Leben hindurch habe ich gegen den Aberglauben gekämpft, und es soll der Thorheit wenigstens mich zu besiegen nicht so leicht werden, als ihr es für möglich zu halten scheint. Gelingt es dem vorgeblichen Magus, uns diese große Summe zu retten, so sind wir ihm ohne Zweifel Dank schuldig: kann er es nicht möglich machen, was er, fast mit sicherm Versprechen, unternahm, so will ich denn auch nicht weiter grübeln, wie er die sonderbaren Stimmen und das seltsame Geräusch hervorbrachte.

Alle waren scheinbar beruhigt, als der Rath, indem sich eben jeder in sein Schlafzimmer begeben wollte, folgenden Brief noch in dieser nächtlichen Stunde erhielt, der der ganzen Familie Ermüdung und Ruhe nahm:

Da es nicht bloß eine Aufgabe fürwitziger Neugier war, was meine Kräfte und Kenntnisse in Anspruch genommen hat, da die Wohlfahrt einer hochachtungswürdigen Familie gewissermaßen an die Erfüllung meines etwas voreiligen Versprechens geknüpft ist, so hat der Widerspruch und Starrsinn Derer nachgelassen, von denen Sie heut, wenn Jene auch nicht sichtbar wurden, einige Kunde empfingen. Nicht unmittelbar, aber nach einigen kleineren Zimmern, die verschlossen blieben, muß sich in jenem Hause, zu dem Sie mich 191 heut führten, noch ein Kabinet befinden, dessen Fenster auf den Garten gehn. In diesem Kabinete ist ein Wandschrank, dem Auge nicht sichtbar, der sich durch den Druck einer Feder öffnet. Nimmt man hier einen gewöhnlichen Kasten heraus, so zeigt sich unten ein Schieber, unter welchem sich dieses Papier, nebst einigen andern Schriften, wohl finden wird.

Bei den letzten Worten, indem der Rath den Brief laut vorlas, schlug er sich mit der flachen Hand heftig vor den Kopf, ward glühend roth und plötzlich wieder todtenbleich, und rief mit lauter Stimme: O ich Dummkopf! Und daß ich es vergessen konnte! Und daß mir ein ganz fremder Mensch, von dem ich niemals in meinem Leben Etwas gehört habe, mir so auf meine Erinnerungen helfen muß.

Die Frauen, so wie Anton und der Obrist, waren um so mehr erstaunt und erschrocken, da sie niemals, obgleich sie das Kabinet kannten, von diesem heimlichen Wandschrank Etwas erfahren hatten. Vergebt mir dies Verschweigen, sagte der Vater, es ist mir eigen und eine Gewohnheit, die ich von Jugend auf hatte, auch vor meinen Nächsten und Vertrautesten noch Etwas geheim zu halten. So habe ich mir in jenem Hause diesen Versteck, um den kein Mensch wußte, angelegt. Er ist so künstlich gemacht, daß, wenn man die Sache nicht weiß, ich auch das schärfste Auge auffordern will, die Feder nur zu entdecken, die die Wand eröffnet und verschließt. Vor vier Jahren, wißt ihr, wohnten wir Alle drüben, weil dies Haus hier ausgebaut und anders eingerichtet wurde. Indem wir wieder herüber zogen, fiel jene Reise vor, die ich eiligst in Angelegenheit meines Fürsten machen mußte. Ich arbeitete die ganze Nacht, ohne fast Nahrung zu mir zu nehmen. Auch meine eigenen Sachen ordnete ich, und jenes Dokument war mir wichtig genug. Ich nahm es, so war ich fest überzeugt, mit mir hier 192 herüber, verschloß es in das geheime Schubfach meines Schreibepultes, reisete ab, und kam erst nach drei verdrüßlichen, arbeitsreichen Monaten zurück. Ich fand, so glaubte ich, alle meine wichtigen Papiere in Ordnung, und, sei es die Reise, mag es von den Kränkungen herrühren, die ich erlitten hatte, ihr wißt, daß ich in ein tödtliches Nervenfieber verfiel, von dem ich nur schwer und langsam wieder genas. In dieser schlimmen Zeit hatte ich mein Gedächtniß ganz verloren. Als ich wieder zum Leben erwachte, war es mir die bestimmteste Ueberzeugung, daß ich das Dokument hier aufgehoben, und seit meiner Rückkehr schon mehr wie einmal gesehn hatte. Darum wurde ich eben ganz verwirrt, als es nun, nach Jahren, die wichtige Sache entscheiden sollte, und sich nirgend antreffen ließ. – Doch laßt schnell anspannen, so spät es ist, ich will noch in der Nacht jenen Wandschrank untersuchen.

Es wurde dem Kutscher eiligst der Befehl gegeben. – Wie kam es nur, fragte der Obrist, daß Sie, auch nur aus müßiger Neugier, jene Stelle drüben im Hause nicht untersuchten, und so zufällig das Papier fanden?

Sie wissen ja, antwortete der Rath, wie der Mensch ist. Hier diesen Schrank, die Zimmer des Hauses hier kehrte ich mehr als einmal um, ich suchte mit Heftigkeit an allen unmöglichen Orten, war aber so fest und unwidersprechlich überzeugt, daß ich das Heft von dort nach der Stadt genommen hatte, daß ich mich selbst über die Frage als wahnsinnig verlacht haben würde, ob der Schrank es noch bewahren könne. Und außerdem – – der Rath zögerte, und als der Obrist in ihn drang, fuhr er fort: Lieber Vater, jene Wand enthält außerdem alle Beweise und Erinnerungen meiner jugendlichen Schwärmereien und Thorheiten, viele Arbeiten, die ich als Schüler dieses und jenes geheimen Ordens 193 entwarf, Abschriften aus seltenen Büchern, kabbalistische Rechnungen, Recepte zur Tinktur, und was weiß ich Alles. Eins jener tollen Blätter hatte sich zufällig hieher verirrt, das ich jetzt an eine andre Behörde geschickt habe, wo man es vielleicht mehr achten wird, als hier geschah. Diesen Wust habe ich seit Jahren nicht angesehn, weil mir davor graut. Denn, gestehe ich's doch, ich weiß nicht, ob ich stark genug bin, daß ich nicht hie und da lesen und wieder lesen sollte, wenn ich mich einmal der Truhe nähere. Und bezwingt mich auch das Material des verwirrenden Inhalts nicht, so ängstige ich mich doch mit Recht, mich wieder in alle jene Stimmungen und Zustände zu versetzen, in welchen ich jenes Zeug zusammengeschrieben habe.

Der Wagen fuhr vor, und der Rath, Anton und der Obrist stiegen ein. Als sie allein waren, warf sich Clara der Mutter, heftig weinend, an die Brust. Wie ist Dir, mein Kind? fragte die Mutter. Ach, Liebste! erwiederte Clara, Sie werden mich vielleicht schelten, daß ich bei diesen Sonderbarkeiten, bei diesen Dingen, die uns Alle so gewaltsam aufregen, etwas recht Albernes sage. Ich kann Alles das nicht leiden. Sie sehn, wie gemein es klingt, aber ich kann keinen andern Ausdruck finden, mag ich auch suchen, wie ich will. Wenn das Alles ist (und es ist ja vor unsern Augen da, wir können es nicht mehr ableugnen), so ist mir das Leben selbst widerwärtig. Mir entgeht alle Sicherheit, alle Lust zu denken und zu handeln, denn meine Freude war es eben, daß Alles so unbewußt sich bewegt und genießt, daß jedes Gefühl, jeder Gedanke um sein selbst willen da ist. Nun soll Alles Zusammenhang haben, sich geistig auf einander beziehn. Es ist mir unerträglich, so mit Gespenstern in innige Verbindung zu treten. Gespenst! Ist denn so was nicht der ächte Gegensatz, der völligste Widerspruch 194 mit Geist? Sehn Sie, Liebste, das Alles handthiert nun so gewaltsam in meinem Innern, daß ich lieber gleich im Fieber selbst phantasiren möchte, als von diesen Sachen hören: und nun gar sie erleben müssen!

Tröste Dich, beruhige Dich, mein Kind, sagte die sorgende Mutter, Du sprichst schon, wie im Fieber. Ich glaube Dich zu verstehn, und doch scheinen mir Deine Ausdrücke zu herbe. Alles, was Du so schmähst, macht ja für viele verständige Männer den Reiz des Lebens aus. Wie Vieles würde mancher der Besten darum geben, wenn er sich durch dergleichen Wunder überzeugen könnte, die uns geboten worden, und die wir so wenig suchten, daß man sie uns aufdrängen muß.

Das ist es eben, sagte Clara: ich kann mir keine Vorstellung davon machen, wie steppendürre, wie öde es im Geist und Herzen solcher Menschen aussehen muß, die sich dergleichen wünschen, die ihm nachjagen können. Ein heitrer Blick aus dem lieben, unschuldigen Auge des Kindes, seine Kartenhäuserchen, die es mühsam erbaut und lachend wieder umwirft, jedes Geschäft des Hauses, Backen und Nähen und Stricken, der Handlanger, der mit dem Schweiß seiner Arbeit seine Familie ernährt, o nennen Sie, was Sie wollen, auch das Allergeringste, es ist ja ehrwürdiger und edler, als es diese Raritäten sind, die sich so vornehm anstellen. Möchten doch lieber diese zwanzigtausend Thaler verloren gegangen seyn, als daß sie wiederkommen, und uns dieses Irrsal mit in das Haus schleppen.

Ich kann Dir nicht ganz Recht geben, Tochter, sagte die Mutter: mir graut auch vor der Sache, aber dankbar müssen wir dem Manne doch seyn, wenn wir durch ihn um so viel reicher werden.

Nein! rief Clara, wenn ich es nur hindern könnte. Ich 195 habe immer über unsern Consistorialrath gelacht, zu dessen Christenthum der Teufel eigentlich die nothwendigste und unentbehrlichste Person ist, aber jetzt bin ich der Meinung des heftigen frommen Priesters. Nur der Satan bringt diese Künste hervor, und Jeder, der sich damit einläßt, ergiebt sich ihm. Die Langeweile plagt natürlich den alten verdammten bösen Geist, und da weiß er sich nun keinen bessern Zeitvertreib, als die Menschen durch allerhand Blendwerk dumm und konfus zu machen. Es wird schon so seyn. Diese fatalen Beschwörer glauben ihn zu beherrschen, er spielt mit ihnen, wie die Katze mit der Maus, und nachher sehen sie denn mit Entsetzen, daß sie immerdar in seinen Stricken und seine leibeignen Knechte waren. – Ach! und mein Schmaling! der ist nun auch so ein kleiner goldner Fisch, den sich die Unbarmherzigen mit ihren eisernen Haken herauf angeln und über sein Bluten nur lachen. Welch hartes, sonderbares Schicksal, daß mich eine Leidenschaft zu einem Manne ergriffen hat, den ich eigentlich nicht ganz achten kann. Ich liebe ihn und gebe ihm mein ganzes Herz, ich fühle es, ich kann ohne ihn nicht seyn und leben, – und doch widerstrebt mir so Vieles in seinem Wesen: Sie werden sehn, dieser Blutsauger, der Sangerheim, macht mir mein Liebchen, meinen Auserwählten noch ganz verrückt. – Ich muß wider Willen lachen. Vergeben Sie mir, Mutter.

Sie lachte laut, um nachher um so heftiger zu weinen. Die Mutter, die zwar die sonderbare Gemüthsart ihrer Tochter kannte, wurde doch besorgt, daß sie krank werden möchte, und wollte sie bereden, sich nieder zu legen: Clara wollte aber durchaus die Rückkunft des Vaters erwarten, und erfahren, wie das seltsame Abentheuer geendigt habe. –

Man war in der Vorstadt abgestiegen, um mit einer Laterne in das finstre Haus zu gehn. Die Stimmung der 196 drei Männer war feierlich und der Geheimerath Seebach zitterte, indem er die breiten und widerhallenden Stufen hinauf stieg. Im Saale standen sie still, ruhten und zündeten einige Kerzen an. Sie eröffneten die übrigen Zimmer, gingen hindurch und gelangten endlich vor jenes Kabinet. Ehe der Rath aufschloß, sagte er zu seinen Begleitern: Ich muß Euch bitten, Theure, wenn ich den Wandschrank eröffnet habe, und nach jenen Blättern suche, daß Ihr mich ganz allein gewähren lasset, weil ich nicht wünsche, daß Sie, lieber Vater, und noch weniger mein Sohn, Etwas in jenen Skripturen lesen mögen, die so Vieles enthalten, das ich jetzt selbst ganz vergessen habe. Der Rath schloß auf. In dem kleinen Zimmer, das, wie alle übrigen, lange nicht geöffnet war, war ein seltsamer Dunst. Der beklemmte Rath öffnete das Fenster, ein frischer Luftstrom zog herein, und man vernahm das Flüstern der Linde und das Rauschen des Holunderbaumes, die dicht vor dem Fenster standen. Ist es Euch so seltsam, wie mir, zu Muthe? fing der Rath wieder an. Mir dünkt, es kommt mir jetzt schon viel weniger darauf an, diesen bedeutenden Theil meines Vermögens zu retten, als nur die Wahrhaftigkeit jenes wunderbaren Mannes bestätigt zu finden: ob ich gleich von ihr schon überzeugt bin.

Er drückte an die ganz glatte Wand und sie eröffnete sich. Oben in der Mauer standen einige Geräthe und Gefäße, die auch eine magische Bedeutung haben mochten. Seebach bückte sich und holte einen schweren Kasten aus dem Behältniß, der Briefe, Bücher, Maurer-Symbole und dergleichen enthielt. Er ließ, indem er in den Verschlag trat, den Sohn hinein leuchten. Man sah Nichts, und nur der Vater konnte den künstlichen Schieber finden, der zurückgedrängt wieder eine andere geräumige Oeffnung entdeckte. 197 Gleich oben lag das vermißte Dokument und ein großer Zettel daneben, auf welchem mit großen Buchstaben stand: Das Dokument über die zwanzigtausend Thaler findet sich in meinem geheimen Wandschrank, unten, im Hause der Vorstadt. – Es war auch hinzugefügt: Sollte ich auf der Reise sterben, so suche man – und hier war genau für den Fremden beschrieben, wo man die Feder und den Schieber entdecken könne.

Seht, Freunde, rief der Rath, dieses Blatt wollte ich aus Vorsorge in mein Schreibpult legen, um das Dokument ja nicht zu vergessen. Aber die eilige Arbeit, die Wichtigkeit der Geschäfte, die nahe Abreise machten, daß das Vergessen den Sieg, wie es so oft geschieht, über die Vorsicht davon trug. Für meine Familie, im Fall ich von der Reise nicht zurückkommen sollte, war noch diese genaue Bezeichnung hinzugefügt.

Er übergab das Dokument seinem Sohne, der es sorgfältig in die Brieftasche legte. Hierauf bückte sich der Vater wieder und nahm alle übrigen Papiere aus jenem tiefen Raume, die in mehreren verschlossenen Mappen und sorgfältig zugeschnürten großen Heften enthalten waren. – Was machen Sie da? fragte der Obrist. – Da das Geheimniß des Schrankes, sagte der Rath, jetzt ein öffentliches ist, so will ich alle diese Papiere mit mir nehmen, um sie in meinem Stadthause sicher zu verwahren. – Er trug sie selbst mit Anstrengung die Treppen hinunter und in den Wagen, und wollte sich weder vom Obristen, noch seinem Sohne helfen lassen.

Als sie wieder im Wagen saßen, fing der Rath an: Was soll man nun, meine Lieben, von dieser ganzen Sache denken? – Denken? erwiederte der Sohn, fürs Erste wohl gar Nichts, denn wir haben noch lange an unserm Erstaunen 198 zu genießen. Dann wollen wir uns des Geldes und des gewonnenen Prozesses freuen, und Clara vorzüglich mag dem Magus danken, weil ohne ihn ihre Aussteuer wäre verkürzt worden. Mit dem Zauberer müssen wir auch Freundschaft halten, der unserm Hause geholfen hat. Mit allen diesen Dingen können wir uns eine Weile die Zeit so leidlich vertreiben, denn es scheint mir gefährlich und bedenklich, zu früh über diese Sache denken zu wollen. Haben wir doch genug daran zu thun, sie zu glauben. Und ableugnen läßt sie sich nun einmal nicht.

Ich begreife Deinen Leichtsinn nicht, erwiederte der Vater. Kannte dieser Sangerheim mich und meine Familie? und wenn dies war, konnte er von diesem Papiere wissen? und wenn er davon erfahren hätte, konnte er diesen geheimen Schrank entdecken? Setzen wir auch den noch wunderbarsten und seltensten Zufall, er habe nach mehr als zwanzig Jahren den Tischler gefunden, der ihm diesen Schlupfwinkel verrathen hätte: wie viel Unerklärliches bleibt noch zu erklären? Und wie viel Unnatürliches, Unmögliches muß man schon gewaltthätig zusammen raffen, um nur das Leugnen des Wunderbaren und Unbegreiflichen bis zu dieser Spitze zu treiben?

Darum eben, mein lieber Vater, antwortete Anton, ist diese Entfernung von allem Grübeln, sich aller Gedanken zu entschlagen, was Sie, um mir einen Vorwurf zu machen, Leichtsinn nennen, hier recht an der Stelle. Helfen wir uns doch mit nichts Besserm, als diesem Leichtsinn, der aber auch edler Natur seyn kann, bei den allerwichtigsten, heiligsten und höchsten Dingen, wenn wir uns nicht geradehin der Verzweiflung oder dem Wahnsinn ergeben wollen. Wenn unsre Gedanken vor dem Bilde der Ewigkeit scheu umkehren, oder an der Gottheit und Allmacht des Schöpfers ermatten 199 müssen: – was können wir anders thun, als uns in diesen Leichtsinn retten, der uns so kindlich, so tröstend entgegen kommt? Mag es nicht eben so Pflicht und Weisheit seyn, zu Zeiten gewissen Gedanken auszuweichen, wie es ein andermal unerläßlich ist, sie aufzusuchen, und bis in das Innerste hinein zu ergründen? Nicht jeder Stunde geziemt Alles.

Weisheit! sagte der Alte unwillig; wenn die Unerfahrenheit sie lehren will! – Sie waren angelangt und stiegen zum Wohnzimmer hinauf, in welchem Clara und die Mutter sie erwarteten. Man sprach, erzählte noch, und der Vater sorgte vorzüglich, seine Skripturen in Sicherheit zu bringen. – Der frühe Morgen überraschte sie noch im Gespräch, sie legten sich nieder, um noch einige Stunden zu schlafen, aber Keinem von Allen ward mehr als ein unruhiger Schlummer zu Theil, der sie nicht erquickte.



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