Ludwig Tieck
Die Wundersüchtigen
Ludwig Tieck

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Der Professor Ferner hatte dem jungen Schmaling unter dem Siegel der Verschwiegenheit vertraut, daß, wenn er es wünsche, er am Abend den weltberühmten Grafen Feliciano in seinem Hause sehn könne, welcher incognito angekommen sei, um schnell weiter zu reisen. Er machte es ihm aber zur Pflicht, seiner Schwester, wie seinen Eltern Nichts davon zu sagen, weil sie Beide sonst sich den Zorn des Grafen zuziehen würden. Schmaling war über diese Nachricht entzückt, und versprach, nicht auszubleiben, indem er zugleich 220 versichern mußte, daß sein Herr und Meister, Sangerheim, auch Nichts davon erfahren solle.

Anton stellte sich früher bei Ferner ein, um mit Anderson einige Vorkehrungen zu treffen. Wenn es Effekt machen soll, sagte der heitre Anderson, so muß ich Euer Haus und die Einrichtung desselben etwas genauer kennen lernen. Aber sagt mir doch, von welcher Art ist denn jener Kunstjünger selbst, den wir heut unserm Genius und dessen Launen aufopfern wollen?

Anton nahm das Wort und sagte: Der junge Mann wird jetzt acht und zwanzig Jahre alt seyn und kann im Bau des Körpers, im Angesicht, Blick und Wesen fast für einen vollkommen schönen Jüngling gelten. Sein Wesen ist sanft und einschmeichelnd, sein Charakter ist weich und nachgiebig, und so fügte es sich, daß er meiner Schwester, die er schon seit lange verehrt hatte, gefiel. Er hat außerdem Viel gelernt, ist ein tüchtiger Geschäftsmann, und von seinen Vorgesetzten so geachtet, daß sie ihn, so jung er auch ist, schon zum Rath ernannt haben. Meine Schwester würde einer glücklichen Ehe entgegen sehn, wenn diese Geheimnißkrämerei, diese Sucht, sich die Weisheit der Rosenkreuzer und andrer Schwärmer anzueignen, nicht das schöne Verhältniß jetzt für eine Zeitlang völlig zerstört hätte. Ihr kennt ja, theurer Mann, die Begebenheit, die sich in unserm Hause zugetragen hat. Seitdem ist er diesem Sangerheim, aus dem wir Alle nicht klug werden können, wie mit Leib und Seele verschrieben. Könnt Ihr nun, indem Ihr den Leichtgläubigen in einer Maske täuscht, ihn dahin bringen, daß er von seiner Wundersucht nachläßt, so sind wir Euch den größten Dank schuldig.

Wir werden ja sehn, was wir ausrichten können, erwiederte Anderson. Er ging, um sich die Zimmer zu 221 betrachten, indessen Ferner bemerkte: Wie seltsam ist es doch, daß wir uns zu einer solchen Maskerade vorsätzlich einrichten, indessen jener Sangerheim, der so Viele täuscht, doch auch kein wirklicher Charakter, sondern nur ein angenommener seyn kann. Man kann aber die Bemerkung machen, daß man auf jeder Redoute, sobald man die erste Betäubung überstanden hat, an alle die seltsamen Masken, die man sieht, glaubt, sich diese Wesen in ihren seltsamen Bedeutungen vergegenwärtigt, und selbst den vertrautesten Freund, wenn er sich nicht ganz hölzern beträgt, sich nicht in seinem wahren Charakter deutlich vorstellen kann. Diese sonderbare Eigenschaft unsrer Seele, die so gern freiwillig der Täuschung entgegen geht, erklärt es einigermaßen, warum die Betrüger in der wirklichen Welt in der Regel so leichtes Spiel haben.

Anderson trat wieder zu ihnen und sagte: Um meiner Sache gewisser zu werden, fange ich nun schon an, den Feliciano zu spielen, den Grafen, den Menschenfreund, den Heilkünstler und Geisterseher. Mein Bedienter ist auch draußen, und wird mit bei Tische aufwarten, um der Gesellschaft mehr Ansehn zu geben.

Schmaling trat schon, früher als man vermuthet hatte, vor Freude zitternd herein. Man begrüßte sich und der nachgeahmte Feliciano behandelte ihn, so wie den Professor und Anton kalt, und mit ruhigem, herablassendem Stolz. Man sprach nur wenig und setzte sich bald an den Tisch zu einem leckern Abendessen nieder. Die feinen Weine waren nicht gespart.

Es wollte lange kein lebhaftes Gespräch in den Gang kommen, denn Schmaling war zu sehr von Ehrfurcht durchdrungen, und der Professor so wie Anton wußten nicht recht, wie sie sich nehmen sollten, um nicht zu viel zu thun, und 222 Anderson selbst schien es darauf angelegt zu haben, diese beiden Freunde etwas zu quälen, denn es war nicht zu verkennen, daß ihre Verlegenheit ihn unterhielt. Endlich, um diese drückende Schwüle aufzulösen, fing er an, von seinen Reisen zu erzählen, und der Professor erstaunte, mit welcher Sicherheit er alle Gegenden bezeichnete, wie richtig er über Werke der Malerei und Baukunst urtheilte. Als Feliciano nun von Aegypten sprach, von den Wüsten Arabiens, von Palästina, Syrien und Persien, und alle Gegenstände mit der ruhigen Kunde eines Augenzeugen beschrieb, dachte Ferner leise erröthend an seine vorige Bemerkung, denn er hatte wirklich während der Rede vergessen, daß dieser Feliciano eigentlich Anderson sei.

Jetzt war auch der glückliche Schmaling dreister geworden, und er wagte es, auf den Gegenstand seiner Forschungen und Wißbegier einzulenken. Er war sehr freudig überrascht, daß der Wunderthäter auch hierüber frei und offen sprach, daß er jene seltsamen Kuren nicht leugnete, und selbst andeutete, wie der Stein der Weisen kein Mährchen sei, wie ihn Viele schon besessen hätten, und Mancher lebe, der Kenntniß von ihm habe.

So halten Sie, fragte Schmaling wieder schüchtern, die wunderbare Erzählung vom Flamel für keine Fabel?

Wie sollte ich es, antwortete Feliciano, da ich den guten Mann selbst noch hundert Jahre früher, als Paul Lucas Kunde von ihm bekam, in Indien gesprochen habe?

Anton fuhr zurück, denn diese Aeußerung schien ihm zu stark und den Fremden bloß zu geben, doch Schmaling war von seinem Glück schon so berauscht, daß dieser gewagte Ausspruch seinen Taumel nur vermehrte.

Es ist sonderbar, fuhr Feliciano fort, wenigstens erscheint es uns Kundigen so, deren Leben nicht wie Spreu 223 verweht, wenn die Menschen Dinge wunderbar, seltsam und unbegreiflich nennen, die eigentlich die einfachsten und natürlichsten sind. Ist denn der Mensch ursprünglich dazu geschaffen, um den Thau aus der Blume, wie der Schmetterling, zu saugen, und wie dieser Augenblicks wieder zu vergehn? Sagt nicht die Schrift das Gegentheil? Wenn nun Weisheit und Kenntniß der Patriarchen und andrer Heiligen, sorgsam aufbewahrt von Geschlecht zu Geschlecht, dem Auserwählten, der sich dessen würdig macht, mitgetheilt wird, – wo ist das Unbegreifliche, oder nur Seltsame? Die Erzväter lebten Jahrhunderte, und wer ihrer nicht unwürdig ist, mag auch noch jetzt ihnen darin ähnlich werden. Wir haben vielleicht noch den Vorzug vor ihnen, daß wir Wissenschaft und Kunst späterer Zeit mit jenen uralten der früheren Tage, die für die meisten Menschen schon längst verloren gegangen sind, vereinigen können.

Anton winkte dem Gelehrten, als freue er sich, daß Anderson so geschickt seine vorige Uebertreibung verbessert habe. Feliciano fuhr fort: Und so mag ich Ihnen sagen, und Sie werden sich hoffentlich nicht mehr darüber verwundern, daß ich noch frühere Personen gesehn und gekannt habe. Es war mir vergönnt, ein Freund des großen und heiligen Dante zu seyn. Viele Verwirrungen der Welt, viele große Entwicklungen der Geschichte habe ich gesehn, und immer wieder, wenn mein Gemüth durch dieses weltliche Treiben zu sehr gestört wurde, zog ich mich in die Wüsten Aegyptens oder Arabiens zurück, oder begab mich in meine Lieblingslandschaften an dem Ganges, wo ich denn wieder mit Flamel und manchem andern Adepten lebte. Ich habe bemerkt, daß seit drei Jahrhunderten die Kunst sehr gesunken ist, denn so lange wird es jetzt seyn, daß ich keinen neuen Ankömmling in unserm Kreise gesehn habe.

224 Schmaling sagte verlegen: und möglich wäre es, sich diesen hohen Sterblichen, die man fast Unsterbliche nennen möchte, anzuschließen? Ist es zu hoffen, daß diese großen Geister den Schüler, der ihnen gegenüber immerdar unwürdig erscheinen muß, nicht zurückweisen werden?

Alles hängt davon ab, antwortete Feliciano, welche Bahn dieser Lehrling wandelt, ob er sich zu der rechten gesellt, und ob seine Lehrer ihn nicht vielleicht der Weihe unfähig machen.

Und woran soll man das Wahre oder Falsche erkennen? fragte Schmaling.

Auf vielfache Weise, erwiederte der Magus: ich dürfte nur geradezu sagen, ich selbst kann Euch aus meinem Munde den besten und sichersten Bescheid ertheilen. Indessen – ist ein Kind hier im Hause? fragte er, gegen den Professor gewendet.

Ich habe zwei Knaben, antwortete dieser in der höchsten Verlegenheit, denn dies war gegen die Abrede, und Ferner begriff nicht, wohin dies führen sollte.

Wie alt? fragte Feliciano.

Der Eine zwölf, der Jüngere neun Jahr.

So laßt mir den Jüngeren kommen, Freund, war die Antwort, und daß uns dann die Dienerschaft nicht störe.

Ferner ging, verwirrt und in sich selber ungewiß. Er kam mit dem heitern, blondlockigen Knaben zurück, der hell und klar aus seinen großen freundlichen Augen schaute.

Der Zauberer ließ das Kind zu sich kommen, beschaute es ernst, hieß die Hände zeigen, betastete den Kopf des Kindes, und indem er mit feierlichem Anstande die rechte Hand auf dem Haupte des Knaben ruhen ließ, fragte er ihn: Wie ist Dir jetzt? Empfindest Du Etwas?

Ach! rief das Kind: mir wird so wohl, so hell, mir ist, 225 als könnt' ich singen, so leicht als möcht' ich fliegen, das Auge so licht, als könnt' ich durch die Wände sehn.

Bleibe so stehn, mein Sohn, sagte Feliciano sehr ernst, und, da nichts Anders zugegen ist, das uns dienen könnte, so hefte Deine Augen auf den klaren Kristall dieser Wasserflasche, und sage mir, was Du siehst.

Anton wie Ferner waren im höchsten Erstaunen, was sich aus dieser Anstalt, von der sie nicht die kleinste Ahndung gehabt hatten, ergeben solle. Schmaling war in Bewunderung aufgelöst. Die größte Stille herrschte.

Ich sehe, fing das Kind an, einen jungen Herrn, einen schönen jungen Herrn, hübsch in Kleidern, schlank gewachsen: mir ist, ich kenne den Herrn. Ich glaube, es ist der Mann hier in der Stube. Er steht aber in einem fremden Zimmer: ganz fremd. Da kommt ein andrer Herr: auch der ist noch nicht alt; etwas größer. Sie sprechen. Dreiecke, Vierecke sind aufgestellt: Sonnen, Monde. Sie sprechen. Ach! – mit lautem Ruf sagte der Kleine – da schwebt so klar, ganz hell, glänzend, ein schönes Frauenbild zwischen ihnen herab. Es küßt den hübschen Herrn auf die Stirn.

Genug, sagte der Magus, und zog die Hand zurück. – Siehst Du noch Etwas?

Unsre Wasserflasche, sagte der Kleine, und ich bin ganz müde.

Jüngling, sagte der Magus hierauf zu Schmaling, Du bist dermalen auf dem richtigen Wege, verfolge ihn mit Muth und Standhaftigkeit, und das Ziel wird Dir nicht entgehn. Dein Führer, dem Du Dich anvertraut hast, ist der wahre, sonst wäre die göttliche Sophia nicht niedergeschwebt, und hätte, dem Kinde sichtbar, Deine Stirn mit einem Himmelskusse berührt. – Er reichte dem Jüngling die Hand, und dieser küßte sie mit inbrünstiger Ehrfurcht.

226 Anton war höchst betreten, überrascht, und konnte in leidenschaftlicher Verwirrung nicht seine Begriffe ordnen und sammeln. Dies Alles war so sehr gegen die Abrede, Anderson erschien ihm so fremd, in einer so neuen Gestalt, daß ihm das Wort auf der Zunge versagte, als er ihn anreden wollte, denn der Magus sah ihn mit einem so feurigen, durchdringenden Blicke an, daß er verlegen die Augen niederschlug. Der Gelehrte war eben so verwirrt, denn die Scene hatte sich so völlig umgestaltet, daß er sich im eignen Wohnzimmer als ein Fremder fühlte.

Du glaubtest, mein Anton, fing der Zauberer an, durch einen fremden Mann diesem Jüngling einen Scherz und Trug zu bereiten, und Du, Kurzsichtiger, bist der Getäuschte. Ja, wisse denn, ich bin wirklich und in der That jener weit bekannte Feliciano, den die Welt früher schon mit andern Namen nannte. Du staunst? Du zweifelst noch? Er faßte das Kind, stellte es wieder vor den Tisch, murmelte einige Worte, blickte starr eine geraume Zeit empor, indem er die Lippen bewegte, und legte dann seine rechte Hand wieder auf den Kopf des Kindes. Was siehst Du für ein Schicksal? fragte er dann mit schneidendem Ton.

Ei! ei! rief der Kleine; ach! grüne Bäume, ein Dorf: ein kleines, liebes Haus da, auch eine Wiese, ein klares Wässerchen, und eine Mühle nicht weit davon. Ein junger Herr spaziert da, ich kenne ihn auch, er kommt oft zu uns, ja er ist jetzt bei uns. Schau, da tritt ein hübsches Bauernmädchen zu ihm, und sie gehn in das kleine Haus.

Anton war blaß. Er hatte sich erhoben, konnte sich aber zitternd nicht mehr aufrechthalten und setzte sich nieder.

Der Knabe fuhr fort, in das Glas schauend: sie streiten heftig im Zimmer, sie nimmt ein Bild aus ihrem Busen und tritt es mit Füßen. Er geht und droht. Sie reißt ihre 227 Mütze vom Kopf, die Haare fliegen. Sie rennt nach dem Tische und zieht ein großes Messer hervor. Dann sieht sie nach dem Bach und dem Wasser. Sie schwört, sie macht schreckliche Geberden.

Der Magus ließ die Hand vom Kopf des Kleinen und ein gelber Blitz zuckte blendend durch das Zimmer, ein lauter Donnerschlag erschütterte das Haus. Wie ein Rauch stand plötzlich ein blasses Frauenbild da, drohend die Hand gegen Anton erhoben. Dieser stürzte entsetzt vom Sessel auf den Boden. Alles verschwand und die Lichter brannten wieder hell.

Nun, wendete sich der Zauberer zum Gelehrten, soll ich Dir auch noch beweisen, daß ich der wahre Feliciano und kein Trugbild sei? Soll ich Dir Deine geheimsten Gedanken und Absichten oder Deine Zukunft sagen?

Ferner erwiederte bleich und geängstigt nur Weniges. Du glaubtest, fuhr Feliciano fort, indem er den zerstörten Anton vom Boden erhob, kein Mensch in der Stadt kenne Dein Verhältniß zu jenem unglücklichen Mädchen, die Du Deinem Ehrgeiz aufopferst. Noch ist die letzte Zeit, noch kannst Du sie retten.

Es war schon spät, aber Anton stürzte fort und eilte zu Pferde noch in der Nacht zu seiner Geliebten hinaus. Der Magus hatte sich entfernt, aber Niemand hatte ihn zur Thür hinaus gehn sehn.



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