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Eine Gespenstergeschichte
Das Abendessen war schon vorüber, als wir noch beisammen saßen, und uns über mancherlei Dinge unterredeten. Es war wieder Regenwetter eingefallen, und schwarze Wolken zogen über die Berge hinweg, der Wind winselte um die Ecke des Dorfes, kurz, es war eine schaurige Zeit, in der man sich gern in einem Winkel des Zimmers zusammenkrümmt, und entweder den Flug der Wolken betrachtet, oder liest, oder sich wunderbare Geschichten erzählt.
Ohne daß wir es bemerkten, wandte sich das Gespräch auf die Existenz der Geister; Sintmal und Martin schüttelten über den Gegenstand des Gesprächs die Köpfe. Mein Schwiegervater erzieht nämlich noch immer an meiner Frau, er sieht es daher ungern, wenn in ihrer Gegenwart von solchen Sachen gesprochen wird, weil er meint, es könnten ihr dadurch seltsame Vorurteile beigebracht werden, und weil er sich noch überdies bei Erzählungen von Gespenstergeschichten fürchtet, so sind sie ihm im höchsten Grade zuwider. Sintmal mag sie im Grunde sehr gerne anhören, aber wenn nach seiner Meinung vernünftige Leute zugegen sind, schämt er sich dieses Vergnügens. Als ich daher an diesem Gespräche lebhaften Anteil nahm, saßen beide, wie gesagt, mit dem Kopfe schüttelnd, da, und betrachteten mich mit einiger Verachtung von der Seite.
Der Fremde riß das Gespräch an sich, und da er durch meine Reden schon dreister geworden war, behauptete er, ohne Zurückhaltung, er sei vom Dasein der Geister überzeugt, und er habe das vollkommenste Recht zu dieser Überzeugung. Unsre Aufmerksamkeit ward gespannt, und er fing folgendergestalt an:
»Als ich auf meiner Flucht mich an einem Abende einem Dorfe näherte, sah ich in einiger Entfernung einen alten Mann auf mich zukommen. Es dämmerte, und ich muß gestehn, daß mich diese seltsame Gestalt schon in der Entfernung erschreckte. Als ich näher kam, bemerkte ich, daß ihm ein großer grauer Bart über die Brust hinabfloß, der ihm ein äußerst ehrwürdiges Ansehn gab. Er fuhr mit den Händen in der Luft herum, und machte seltsame Gebärden, woraus ich schloß, daß er wahnsinnig sein müßte. Ich kam ihm ganz nahe, und, um meine Furcht zu verbergen, fragte ich ihn nach dem Wege.
›Ich habe keinen Weg‹, antwortete er.
›Keinen Weg?‹ fragte ich erstaunt.
›Niemand kennt seinen Weg; es ist Einbildung, daß wir vorwärts gehn.‹
›Einbildung?‹
›Nichts weiter.‹
›Wer bist du? Wie heißest du?‹
›Ich habe keinen Namen.‹
›Keinen Namen?‹
›Wozu? Ich glaube, ich bin ein Mensch, und daran ist es mir genug.‹
›Du erschreckst mich.‹
Der Alte lachte laut auf, und pfiff dann eine bekannte Melodie.
›Entsetzlicher!‹ rief ich aus.
›Narr!‹ antwortete jener.
›Wo kommst du her?‹
›Ich weiß es nicht.‹
›Wohin gehst du?‹
›Das kümmert mich nicht.‹
Ich wollte fortgehn. – ›Halt!‹ rief er mir zu; ›in dieser Nacht wirst du etwas Großes erfahren.‹
›Etwas Großes?‹ fragte ich.
›Frage nicht‹, antwortete er, ›sondern sieh und denke.‹
›Wozu denken?‹
›Um nicht zu verzweifeln.‹
›Verzweifeln?‹
›Weil du ein Sterblicher bist.‹ –
Nach diesem seltsamen Gespräche trennten wir uns, das ich gern noch länger fortgesetzt hätte, um mehr von ihm zu erfahren.
Ich kam im Dorfe an: es war schon gegen Mitternacht. Man führte mich in ein schlechtes abgelegenes Zimmer, und ich fürchtete mich in der Einsamkeit. Ein feuchter Wind zog durch die Gebüsche und winselte um die Ecke des Hauses; ich konnte unmöglich schlafen, sondern öffnete das Fenster, und sah nach den Sternen und den ungeheuern Wolken, die durch den Himmel zogen. –
Auf einmal erblickte ich im nahe liegenden Walde etwas Weißes, das ich, trotz aller Anstrengung, nicht genauer unterscheiden konnte. Der Schimmer schwebte näher, und immer näher, es war wie ein Wolkenstreif; jetzt nahm er eine Gestalt an, wie die Bildung eines Menschen, und seine Bewegung ward immer schneller. Ein kaltes Entsetzen ergriff mich, und nun war mir die Gestalt so nahe, daß ich Adelaiden erkannte. Wie mit einer eiskalten Hand berührte es mein Gesicht, und seufzte in bangen, gebrochenen Tönen: ›Ich bin gestorben, folge mir bald nach.‹ –
Ich stürzte zusammen, und erwachte nur erst spät am Morgen von meiner Betäubung.
Daher bin ich überzeugt, daß sie tot ist, und es bleibt mir nun nichts weiter übrig, als auch zu sterben. Der Himmel möge mich bald diesem elenden, irdischen Getümmel entrücken!«
Als er mit diesem Stoßgebete seine wunderbare Geschichte beschlossen hatte, stand er auf, und ging mit einer feierlichen und langsamen Bewegung auf sein Zimmer, indes wir ihm alle, ohne ein Wort zu sprechen, nachsahen.