Ludwig Tieck
Peter Lebrecht
Ludwig Tieck

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Zweites Kapitel

Meine Jugend – Erziehung – Universitätsjahre – ich bekomme eine Hofmeisterstelle

Man sieht sogleich, daß ich mich nicht sehr bei der Erzählung meiner Jugendgeschichte aufzuhalten denke, ob sie gleich, in der Manier vieler unsrer Romanschreiber dargestellt, einen mäßigen Band füllen könnte. – Aber ich denke, das lesende Publikum hat schon seit lange genug und übergenug an den pädagogischen Untersuchungen, Erzählungen von Universitätsvorfällen, und dergleichen. Ich verstehe es nicht, alle diese Armseligkeiten wichtig zu machen, darum will ich nur schnell darüber hingehn. –

Als zuerst meine Gedanken erwachten, traf ich mich in einem kleinen Hause eines Dorfes. Ich erinnere mich noch deutlich einer Weide, die vor unsrer Türe stand, und in deren Zweigen der Schein der Sonne flimmerte. Ein bräunlicher Mann, den ich Vater, und eine sehr freundliche Frau, die ich Mutter nannte, waren meine täglichen Gesellschafter. Außerdem hatte ich noch einen Bruder und eine Schwester.

Ich lebte den einen Tag fort, wie den andern, und auf diese Art wird man nach und nach älter, man weiß selbst nicht wie es geschieht. Ich half meinem Vater in Kleinigkeiten auf dem Felde, oder meiner Mutter in der Wirtschaft, oder schlug mich mit meinem Bruder herum. Kurz, mir verging die Zeit sehr geschwind, und ich hatte nie Ursache über Langeweile zu klagen.

Meine Erziehung war die einfachste, und vielleicht auch die beste von der Welt. Ich stand früh auf, und ging früh wieder schlafen. An Bewegung fehlte es mir nicht; meine Mutter Marthe schlug mich zuweilen, wenn ich unartig war, trotz ihrer Freundlichkeit, sonst ließ sie mir allen möglichen Willen. Ich sprang, lief und kletterte; fiel ich, so war es meine eigene Schuld, und mein eigener Schade; bekam ich von einem größern Jungen, den ich geneckt hatte, Schläge, so bedauerte mich niemand; hatt ich mich am Abend unter meinen kleinen Freunden verspätet und erkältet, so war ich am folgenden Abend desto vorsichtiger.

Marthe hatte kein pädagogisches Werk studiert, aber sie erzog mich ganz nach ihrem geraden Menschenverstande, und ich danke es ihr noch heute, daß man mich nach keinem Elementarwerk oder Kinderfreunde, in keinem Philantropin oder Schnepfenthal verbildete, daß man mich nicht schon im sechsten Jahre zum Philosophen machte, um zeitlebens ein Kind zu bleiben, wie das bei so manchen Produkten unsrer modernen Erziehung der Fall ist. –

Die Gegend des Dorfes war schön und abwechselnd; und auf meinen einsamen Spaziergängen erwachte zuweilen ein gewisses dunkles Gefühl in mir, ein Drang, etwas mehr zu wissen und zu erfahren, als ich bisher gelernt hatte. Vorzüglich, wenn die Glocke die Leute zur Kirche einlud, und nun die alten Frauen, ihren Rosenkranz still betend, daherwackelten, befiel mich eine Art von heiligem Grauen, noch mehr aber, wenn der Priester nun selber kam, und sich jeder im Zuge ehrfurchtsvoll vor ihm neigte, und ich nachher aus der Ferne den Gesang aus der Kirche vernahm. – Bei jeder Mönchskutte empfand ich eine unwillkürliche Ehrfurcht, und trotz dieser entstand bald der Wunsch in mir, auch einst so einherzutreten, und von jedem Vorübergehenden den Zoll der Ehrerbietung einzusammeln. Ich hing im stillen diesem Wunsche immer mehr nach, und erwachte oft sehr unangenehm aus meinen schönen Träumen, wenn der Vater mich mit aufs Feld nahm, um ihm in seiner Arbeit zu helfen.

So tief liegt die Sucht, sich über seine Nachbarn zu erheben, in der Seele des Menschen. Ich schien auch für den Stand, den ich mir wünschte, wie geboren. In meiner Kindheit war es gar nicht meine Sache, viel über einen Gegenstand nachzudenken, oder wohl gar an irgend etwas zu zweifeln. Marthe mochte mir noch so ungeheure Märchen erzählen, ich hätte mich für die Authentizität des Siegfried und der Haimonskinder totschlagen lassen; jeden Fremden, den ich durch unser Dorf wandern sah, betrachtete ich sehr genau, ob es nicht etwa der ewige Jude Ahasverus sei.

Man erstaunte über meine großen und seltenen Talente zum geistlichen Stande; besonders gewann mich der Pater Bonifaz eines benachbarten Klosters sehr lieb. Er sah meine tiefe Andacht in der Kirche, die Festigkeit meines Glaubens, meinen Abscheu gegen jede Art von Ketzerei – o wie viel Mühe gab sich der gute Mann, mich vollends für die gute Sache zu gewinnen!

»Dieser Knabe«, rief oft Bonifaz in hoher Begeisterung, »ich ahnde es, wird einst ein Schutzgeist und Reformator der rechtgläubigen Kirche werden; ein Schwert in der Hand Gottes gegen die Ketzer, eine Geißel gegen die Freigeister und Gotteslästerer, ein Vernichter der Rezensenten und Literaturzeitungen, eine Qualmbüchse den Fackeln der Aufklärer!«

Ich verstand zwar von diesen Deklamationen nichts, aber doch nahm ich mir vor, die Prophezeiung meines teuren Bonifaz nicht zuschanden werden zu lassen.

Der Pater nahm itzt selbst die Mühe auf sich, mich zu unterrichten, da ich in der Schule des Dorfes kein vorzüglicher Gelehrter werden konnte. Er bemerkte bald, daß ihm meine Fähigkeiten den Unterricht sehr erleichterten, denn ich lernte in sehr kurzer Zeit Lesen und Schreiben, auch begriff ich bald so viel vom Lateinischen, daß ich meinem Lehrer sehr verfängliche Fragen vorlegte, die er sich nicht zu beantworten getraute.

Meine Eltern sahen mich als ein Wundertier an, und wurden ernstlich darauf bedacht, meine ungeheuren Talente nicht ganz verlorengehen zu lassen. Pater Bonifaz schlug ihnen vor, mich in die nächste Stadt auf ein Gymnasium zu schicken, und dieser Vorschlag ward bald von ihnen genehmigt. Als mir dieser Entschluß angekündigt ward, erfuhr ich zugleich einen andern Umstand, der eigentlich für mich von der größten Wichtigkeit hätte sein sollen.

Meine Mutter sagte mir nämlich, daß sie und mein Vater nicht meine wahren, sondern nur meine Pflegeeltern wären, daß sie mir aber den Namen meines wirklichen Vaters, verschiedener Ursachen wegen, nicht nennen könne; dieser wünsche indessen, daß ich mich dem geistlichen Stande widme, und wolle mich daher studieren lassen.

Diese Nachricht machte eben keinen besondern und bleibenden Eindruck auf mich, so überraschend sie vielleicht jedem andern Kinde gewesen sein würde. – Meine Eltern gaben mir ihren Segen und ihre Tränen mit auf den Weg, Pater Bonifaz hielt eine lange sehr rührende Rede, und ich reiste nach der Stadt ab.

In dieser Stadt war zugleich eine katholische Universität, und ich hatte also gleich die bequemste Gelegenheit, vom Schüler zum Juristen zu avancieren, denn so nannte man hier die Studenten, da man unter dem Namen Student jedweden Schüler begriff.

Man hatte mich an den Professor X... gewiesen, und dieser nahm sich meiner fast väterlich an; an ihn war das Geld adressiert, das ich vierteljährlich empfing; und ihm hab ich vorzüglich die Aufklärung meines finstern Kopfes zu verdanken. Er zerstreute nach und nach die schwarzen Phantome, die durch Bonifaz bei mir einheimisch geworden waren, ein Sonnenstrahl der Vernunft fiel in die dunkeln Gänge des Aberglaubens, und ich ward unmerklich ein ganz andres Wesen.

So lebt ich ein Jahr nach dem andern, und war ziemlich fleißig. Ich verließ die Schule, und ward nun im eigentlichsten Verstande Jurist, denn die Theologie war mir itzt zuwider. – Ich vollendete den Kursus, und stand nun da, als ein förmlich gemachter Mann, aber ohne irgend zu wissen, was ich nun in der Welt mit meiner Gelehrsamkeit anfangen solle. Ich hatte mich mit hunderterlei Sachen angefüllt, ohne mich nur ein einzigesmal zu fragen: wozu?

Glücklicherweise hatte ich neben den juristischen Wissenschaften auch Sprachen und etwas Philosophie studiert; und mein Beschützer, der Professor X... tat mir itzt einen Vorschlag, den ich sogleich mit beiden Händen ergriff.

Aus W.... hatte ihm der Präsident von Blumbach geschrieben, er sei für seine Söhne um einen Hofmeister verlegen, und bäte ihn also, ihm ein schickliches Subjekt vorzuschlagen. X... warf seine Augen auf mich, ich ward vom Präsidenten angenommen; X... gab mir noch manchen guten Rat mit, womit ich aber noch nicht recht umzugehen wußte, und so machte ich mich auf den Weg nach der großen Stadt W....


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