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Die Präsidentin und die übrigen Hausgenossen
Man kann sich vorstellen, daß ich nicht zu lange im Bette blieb, und daß ich mich so gut herauszuputzen suchte, als es mir nur immer möglich war. Ich stand lange vor dem Spiegel, musterte meinen Anzug, so wie meine Manieren, und nahm mir fest vor, die heutige Unterredung nicht wieder so, wie die gestrige, verderben zu lassen: ich beschloß, mich mit allen meinen Kräften zusammenzunehmen. Ich muß noch jetzt über mich lächeln, wenn ich daran denke, wie oft ich in meinem Gedächtnisse einige Komplimente wiederholte, damit sie mir nicht wieder unter den Händen verlorengingen.
Als ich fertig war, meldete mich der Bediente. – Ich trat in das Zimmer der Präsidentin und fand die gnädige Frau in einem graziösen Negligé am Teetisch. Ich machte meine Verbeugungen und sie die ihrigen, jedes von uns auf seine eigene Art, ich als untertäniger Diener, sie als gnädige Beschützerin, die sich aber in der Herablassung zu Geringern sehr glücklich fand. – Es ließe sich ein eigenes weitläuftiges Kapitel über die verschiedenen Beugungen, Neigungen und Kopfbewegungen schreiben: vielleicht, daß es der Leser im zweiten Teile dieser wahrhaftigen Geschichte findet, denn wenn ich ihn hier mit meinen Reflexionen schon wieder unterbrechen wollte, so würde ich mir mit vollem Rechte seinen Unwillen zuziehen.
Nachdem die ersten Eingangsredensarten vorüber waren, die sich bei jeder neuen Bekanntschaft mehr oder weniger ähnlich sehen, fragte mich die Präsidentin mit einem leichthingeworfenen Tone: »Nun, wie gefallen Sie sich in W....?«
Nichts in der Welt hätte mir erwünschter kommen können. – »Noch nie habe ich mich so glücklich gefühlt«, antwortete ich triumphierend, »als seit ich die Ehre habe in Ihrem Hause zu sein.« –
Und nun fuhr ich fort weiter auseinanderzusetzen, wie mir daher W.... ganz außerordentlich reizend vorkommen müßte. Wenn ich mich in zu große Schmeicheleien hineinverirrte, so kam mir die Präsidentin auf halbem Weg entgegen, um mich wieder zurechtzuweisen. – Eine jede zeremoniöse Unterredung kömmt mir immer vor, wie ein Strom, auf welchem unaufhörlich Eisschollen gegen eine Brücke anschwemmen. Man sieht immer schon aus der Ferne ein großes, gewaltiges Kompliment einherschwimmen, aber alle Schollen laufen gegen die Eisbrecher auf und fallen so in den Strom zurück. – Auch diese Eisbrecher können von sehr verschiedener Art und Beschaffenheit sein, sie können in einer Verbeugung, einem Lächeln, in einem Gegenkomplimente bestehen, oder auch darin, daß man das Kompliment des andern gar nicht zu verstehen scheint; diese letztern sind von der allerzerstörendsten Gattung.
Die Präsidentin war eine Frau von mittlern Jahren, mittler Statur, mittelmäßiger Schönheit, mittelmäßigem Verstande: – kurz, man sieht, sie gehörte zu den mittelmäßigen Leuten, deren Zahl in der Welt die größte ist, ob sich gleich keiner selbst unter diese Rubrik einschreiben will.
Wir schwatzten zusammen bis zum Mittagsessen, und ich war heute mit mir selber ganz außerordentlich zufrieden. Mein Witz ward zwar in einigen kleinen Vorpostengefechten geschlagen, aber doch ward keine von meinen Batterien zum Schweigen gebracht, noch weniger verlor ich ein Haupttreffen. Ich schien der Präsidentin spaßhaft genug vorzukommen, und wir wurden endlich zum Essen abgerufen.
Man sagte mir, daß die Familie alle Tage in einem bestimmten Saale zusammen äße; die Familie bestand aus dem Präsidenten, seiner Frau, einer Tochter und seinen zweien Söhnen! man tat mir die Ehre an, mich von diesem Tage auch dazuzurechnen, so wie die Erzieherin der kleinen Fräulein von Blumbach.
Die Söhne wurden an meine Seite gesetzt, und ich sahe wechselsweise bald den einen, bald den andern an, um das Genie herauszufinden, aber ich konnte aus mir selber nicht klug werden, als mir beide wie ganz gewöhnliche Kinder vorkamen. Aus dem, was sie zuweilen sagten, schien sogar eine Art von Dummheit hervorzuleuchten, von der aber weder Papa noch Mama Notiz nahmen.
Die Tochter schien ein ganz artiges, niedliches, kleines Mädchen zu sein; da sie mit meinen Amtsgeschäften nichts zu tun hatte, bekümmerte ich mich wenig um sie. Desto öfter aber und ganz unwillkürlich fielen meine Augen auf ihre Gouvernante. Ich hatte mir diese unter dem Charakter einer gewöhnlichen französischen Mamsell gedacht, sie war mir daher in meiner Vorstellung immer äußerst uninteressant vorgekommen: ich fand aber jetzt, daß sie eine Deutsche sei und daß ihre Augen so wie ihr Gesicht außerordentlich viel Anziehendes hätten. Mir fielen hundert Stellen vom wunderbaren Zuge der Sympathie ein, die ich bis jetzt immer für baren Unsinn erklärt hatte. Ihr schönes blaues Auge ruhte zuweilen auf mir und ich konnte ihren Blick nicht ein einzigmal aushalten, mir war jedesmal, als wenn mir die Sonne ins Gesicht schiene. Ihre blonden Haare fielen in ungekünstelten Locken auf den weißen Nacken hinab; in ihrem Wesen herrschte eine unbeschreibliche Sanftheit, die fast ans Melancholische grenzte. Ein Wort, das sie sagte, klang wie Musik in meinen Ohren.
Meine Frau hat mir über die Schulter gesehn, und mir jetzt eben lächelnd die Feder aus der Hand genommen; ich muß daher mit meiner Beschreibung aufhören, ich hoffe überdies, daß jeder Leser sich die Person hinzudenken wird; kann er es aber nicht, so darf er nur irgendeine von den weitläuftigen Beschreibungen in den neuesten Romanen nachschlagen.
Ich bemerkte, daß noch ein Gedeck übrig sei, und war auf die Person sehr neugierig, die noch erscheinen sollte. Endlich erschien ein sehr wohlgewachsener, junger Mensch, den die Frau vom Hause als Herr von Bärenklau begrüßte. Er setzte sich auf den leeren Stuhl neben der liebenswürdigen Erzieherin, und ich war bald mit mir selber einig, daß er, trotz seinem einnehmenden Wesen, diese Stelle nicht verdiene.
Ich glaubte zu sehen, daß seine feurigen Augen oft den sanften Blicken des Mädchens begegneten und ich hatte Gelegenheit, eine Menge von Bemerkungen zu machen, von denen die vorzüglichste war, daß ich gegen den Herrn von Bärenklau ein sehr linksches und ungeschicktes Benehmen habe. Diese Bemerkung tat meiner Eitelkeit außerordentlich wehe, ich glaubte daher am Ende, das gewandte Wesen des Herrn von Bärenklau sei nur ein Zeichen, daß er kein so gründlicher Philosoph sei, als ich.
Als wir gegessen hatten, ging ich mit meinen beiden hoffnungsvollen Zöglingen auf mein Zimmer. Ich fand nun bald, worin das Genie des Ältesten bestand: er hatte nämlich ein ganz außerordentliches Gedächtnis für Vokabeln, Namen und Phrasen, bei denen er sich aber gar nichts dachte. Er sagte mir den größten Teil der lateinischen Grammatik mit einer Fertigkeit her, die mich in Erstaunen würde gesetzt haben, wenn ich nicht kurz vorher ein Kunstpferd gesehn, dessen viele und wunderbaren Künste auch auf das Gedächtnis berechnet waren. Ich fand bald, daß der Jüngste, ungeachtet er nur wenig wußte, weit mehr Verstand als sein Bruder hatte, den man durch unzeitiges Lob zu einem eingebildeten phlegmatischen Narren gemacht hatte.
Wozu denn die vielen Charakterschilderungen? höre ich verdrüßlich meine Leser ausrufen. – Am Ende ist alles das unnütz und hat weiter gar keinen Bezug auf Ihre Geschichte, Herr Verfasser, die an sich schon langweilig genug ist. –
Nun, haben Sie nur Geduld. – Sie können jetzt weder von dem einen, noch dem andern urteilen, denn, meine teuern Leser, Sie stehn immer noch in der Ankündigung oder dem ersten Akte.
So hätten Sie das so einrichten sollen, daß sich die Charaktere Ihrer Personen in Handlungen zeigen. Dadurch hätte Ihr Buch an Langeweile verloren und Ihre Personen an Interesse gewonnen.
Wenn nun diese Personen aber damals gerade gar nichts taten, oder wenigstens nichts vornahmen, was ich bemerkte? – Ich will doch lieber etwas langweilig werden, als Sie mit Lügen amüsieren.
So hätten Sie Ihre Geschichte gar nicht schreiben sollen, denn so wie sie bis jetzt erscheint, verdient sie es durchaus nicht. – Es ist eine Alltagsgeschichte von der alltäglichsten Art.
Habe ich denn aber das nicht gleich in meinem ersten Warnungs-Kapitel gesagt? –
Doch, ich wende mich wieder zu meiner Erzählung.