Ludwig Tieck
Eigensinn und Laune
Ludwig Tieck

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Emmeline war auf der Reise. Runde hatte seine Equipage genommen; eine Kammerjungfer und ein Bedienter begleiteten sie. Wohin sie kamen, machte die Schönheit des Mädchens Aufsehen und sie nahm, wie sie es gewohnt war, mit Freundlichkeit die Huldigung an, die ihr Alt und Jung, Vornehm und Gering darbrachte. Nur ein Umstand machte sie verdrüßlich, ja brachte sie oft außer aller Fassung. Da man in der schönen Gegend nur langsam und fast ohne allen Plan reisen wollte, so hatte Grundmann seinen Freund und seine angebetete Emmeline zu Pferde begleitet. So ängstlich und peinlich dieser Mann in Gesellschaft sich oft betrug, so frei und ungezwungen saß er zu Pferde; ja, er konnte für einen Meister in der Reitkunst gelten, und er selbst kannte seinen Vorzug, denn er hatte manches Jahr auf einer vorzüglichen Reitschule seine Zeit zugebracht und unermüdet von den besten Stallmeistern Unterricht genommen. In einem eleganten Reithabit folgte er also dem Landauer seines Freundes, auf seinem besten und schönsten Pferde, immerdar auf 290 die Dame seines Herzens aufmerksam, und oft die Künste zeigend, die auch der ernste Reiter, der nicht zu den Stutzern gehören mag, nicht immer verschmäht. Seine Figur nahm sich daher im Freien und zu Roß viel vortheilhafter aus als im Zimmer, und seine Gewandtheit und Sicherheit war in der That zu bewundern. Ein Diener, in reicher Livree, auf einem fast ebenso trefflichen Rosse, folgte ihm. Aber weder der glänzende Aufzug, noch die feine Geschicklichkeit Grundmann's konnten der eigensinnigen Schönen Blicke des Wohlwollens abgewinnen. Sie schmollte unverhohlen und verbarg ihren Verdruß nicht, wenn man sich am Mittagstische oder am Abend vereinigte. So hatte man einige Tage zugebracht, und der Vater sah mit Verlegenheit den wachsenden Verdruß seiner Tochter, sowie er die unerschütterliche Hingebung und Freundlichkeit des Reiters bewunderte, der sich weder durch Blicke noch Worte beleidigen ließ.

So war eine Woche vorüber, als in einer großen Stadt, wo man Rasttag machte, der Vater von einem Briefe eingeholt wurde, der dem Postamte dringlich empfohlen war. Er besah langsam das Siegel, dann die Aufschrift, und sagte nachher: Eine wichtige Nachricht von einem sehr lieben Freunde. Wenn es sich nur nicht um Tod und Leben handelt.

Er ging hierauf langsam und sinnend in ein anderes Zimmer, kam mit dem Gelde zurück und quittirte im Postbuche den Empfang des empfohlenen Briefes. Als sich der Postbote entfernt hatte, sagte Emmeline: Vater, ich bin Dir sehr böse. – Warum? – Du sagst selbst, der Brief sei sehr wichtig, er brächte vielleicht Todesbotschaft, und gehst und holst Geld, zählst langsam, schreibst noch langsamer Deinen Namen, – statt das Couvert aufzureißen, und erst den Inhalt kennen zu lernen. – Das ist einmal meine Weise, der Ordnung halb, sagte der Vater. – Als er hierauf den Brief, 291 ohne Zeichen besonderer Aufregung, gelesen hatte, sagte er ruhig: Wir werden umkehren müssen.

Wie so? –

Wie ich immer fürchtete, Holland ist plötzlich dem französischen Kaiserreiche einverleibt worden: wichtige Nachrichten sind aus Amsterdam angekommen, der Rath Ambach schreibt, und eine Einlage von meinem ersten Buchhalter sagt mir, daß gleich ein Bevollmächtigter, oder ich selbst von dort aus, wegen Capitalien verfügen müsse. Auch Grundmann, von dem Summen bei mir stehn, ist betheiligt und bedroht; wenn er dort wäre, würde sich alles fügen, denn er kennt alle unsere Verhältnisse und ist klug.

So laß ihn zurückreisen, rief Emmeline; dann bin ich noch einmal so vergnügt; er ist uns hier nur zur Last und nimmt mir alle Freiheit.

Aber, Kind, Tochter –

Wozu hat man denn Freunde, wenn man sie niemals, auch in den dringendsten Fällen nicht, gebrauchen will? Er thut es auch gewiß gern, wenn er einsieht, wie nützlich es Dir ist. –

Ich habe nicht den Muth, mich ihm als einen so groben Egoisten gegenüberzustellen. –

Ich will es ihm auseinandersetzen, sagte Emmeline; was kann ihm denn auch an solcher langweiligen Reise liegen? Er kommt ja mit seinen schmucken Pferden, die er immer schonen muß nicht von der Stelle, und hindert uns ebenfalls.

Am Morgen schon reisete Grundmann mit Extrapost nach seiner Heimath mit beschwingter Eile zurück. Er gab dreidoppelte Trinkgelder und ließ den Reitknecht mit seinem schönen englischen Pferde gemächlich die Meilen in kurzen 292 Tagereisen zurückmessen, indessen Emmeline vergnügt mit dem etwas unzufriedenen Vater weiterreisete.



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