Ludwig Tieck
Eigensinn und Laune
Ludwig Tieck

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Erster Abschnitt.

Es ist nicht selten, daß Männer, welche ihre Frauen verloren haben, als Witwer sich wenig fähig zeigen, Töchter gut zu erziehen, so wie es verwitweten Frauen fast unmöglich ist, Söhne richtig zu behandeln. Es scheint, als wirkte die Liebe, die in diesen Fällen fast immer eine ungehörige ist, zu einseitig. Man hat in Deutschland so viele Bibliotheken über die Wissenschaft der Erziehung geschrieben, und doch ist das Verziehn eigentlich nur durch diese zu einem System geworden, und wären nicht Leidenschaft, Schicksal und Unglück, welche sich so oft des verwahrloseten Menschen annehmen müssen, so würden die Folgen dieser überzarten, zu wissenschaftlichen und allzueiteln Verbildungs-Anstalten der Kinder noch viel trübseliger seyn, als sie uns jetzt wohl schon oft genug und schmerzlich ins Auge fallen.

Dies ungefähr sagte ein alter strenger Mann seinem Freunde, dem reichen Banquier Runde, der mit großer Gutmüthigkeit dem Eifern des Rathes Ambach zuhörte und nur selten etwas erwiederte. Was Du eben bemerkt hast, Freund, sagte Runde nach einer Pause, ist gewiß sehr richtig; jenes Unsichtbare, welches außerhalb aller Berechnung liegt, unsere Hoffnungen wie Befürchtungen tausendmal Lügen 266 straft, und das wir Schicksal oder Vorsehung nennen, muß wohl in allen unsern Anstalten das Beste thun und mit seiner feinen Geisterhand die rohen Blöcke unsrer Pläne und Absichten in schöne Bildungen umgestalten.

Aber oft, rief der eifernde Ambach, zerschlägt und zerbricht es auch unsre bunten Püppchen, weil wir selbst das haben schnitzeln wollen, was jene göttliche Hand allein nur ausführen kann und soll.

Erzürnen wir uns nicht, sagte Runde, und faßte die widerstrebende Hand seines Freundes. Ich kenne Deine Wünsche und Pläne, und würde mich freuen, wenn sie sich realisiren ließen. Ich habe meiner Emmeline zugeredet, so oft und eindringlich, als ein Vater nur darf; aber da Du ihren Charakter kennst, brauche ich Dir nicht zu sagen, wie vergeblich alle meine Worte gewesen sind.

Und mein Junge, mein Ferdinand, rief der Alte und stand unwillig vom Stuhle auf, soll darüber zu Grunde gehn?

Du sagst selbst, antwortete der ruhige Mann, daß Unglück dem Menschen oft die wahre Erziehung oder Ausbildung giebt.

Ja wohl, rief der Alte unwillig und stieß mit dem Stock auf den Boden, da hat aber der Teufel (Gott verzeih mir die Sünde) so ganz verfluchte Sorten von Unglück geschaffen, die so niederträchtig miserabel sind, daß sie den tüchtigen Menschen nur auf eine ganz klägliche Art zu nichte machen. Und das elendeste in dieser Manier ist, wenn eine herzlose Coquette einen wackern Jüngling aus Langweile und Nüchternheit so recht lüstern massakrirt, damit er ihrem verdorrten Herzen zum Labsal diene und daß sie nachher sich und ihren gähnenden Gespielinnen erzählen kann: den und den habe ich dazumal mit auserlesener Kunst hingerichtet; 267 ich bin im Stande, eine ungeheure Leidenschaft zu erregen! und dergleichen Dummheiten mehr.

Ich sollte böse werden, sagte der Banquier, aber ich kenne Dich, es ist nicht Dein Ernst, wenn Du so übersprudelst. Hättest Du recht, so wäre ich ein unglücklicher Vater; aber ich danke dem Himmel dafür, daß er mir diese Tochter geschenkt hat.

Sie wurden vom Diener abgerufen, und Beide gingen in den Saal, in welchem die Tafel angerichtet und die Gesellschaft versammelt war. Der alte Baron Excelmann machte dem Wirthe höfliche Vorwürfe, daß seine Geschäfte ihm erst so spät zu erscheinen erlaubten, und Ferdinand, ein schöner Jüngling, eilte mit einem forschenden und fragenden Blicke zum Vater, dieser aber konnte, da man sich eben an die Tafel setzte, dem bekümmerten und aufgeregten Sohne keine Antwort geben.

Erst, als alle Gäste ihre Plätze eingenommen hatten, bemerkte man, daß die Wirthin, die Tochter des Hauses, noch fehle. Siehst Du, flüsterte Ambach dem verdrüßlichen Runde zu, welcher neben ihm saß: Sie kann mit ihrem Putze noch nicht fertig werden, oder sie thut es mit Fleiß, um erst vermißt und dann um so mehr bemerkt zu seyn.

Der mürrische Alte hatte nicht so leise sprechen können, daß es ein sehr freundlicher eleganter Mann von einigen vierzig Jahren, welcher ihm gegenüber saß, nicht sollte gehört haben; dieser sagte mit einer sanften Stimme. Ei, alter Herr! wie kannst Du nur so menschenfeindliche Behauptungen aufstellen! Wenn sie sich noch schmückt, so geschieht es ja nur unsertwegen, und es ist ein Beweis, wie sehr das schöne Kind uns liebt und achtet.

Der alte Liebhaber, sagte Ambach halb zornig und halb lachend, bezieht Alles noch immer auf sich, als wenn er ein 268 junger Knabe wäre, er trägt noch Puder und Frisur, was doch schon seit vierzehn bis funfzehn Jahren abgekommen ist, will jung seyn, und ist doch hierin zurückgeblieben und älter als wir Alten.

Die in der Nähe saßen, lachten und betrachteten den reichen Mann, welcher für einen Millionär galt, genauer. Sein sonderbares Aeußere, sein weiß gepudertes Haar, seine Seitenlocken, so wie seine übertriebene Eleganz, die aber durchaus einer ältern Zeit angehörte, gaben ihm das Ansehn einer ausgeschmückten, vergoldeten und sorgsam aufbewahrten Antiquität. Sein freundliches Wesen und seine Gutmüthigkeit waren so groß, daß er über jeden Scherz, den man sich über ihn erlaubte, lächelte, und so ward Grundmann von Allen geliebt, von Fremden und Bekannten oft um Hülfe angesprochen, wenn ihm auch keiner seiner Freunde große Achtung zu beweisen schien.

Einige Damen hatten es übel empfunden, daß die Tochter des Hauses nicht zugegen war, sie zischelten und flüsterten, indem sie sich bittere Bemerkungen erlaubten, als die Flügel der Saalthüre sich mit Geräusch öffneten und die geschmückte Emmeline groß, schlank und majestätisch im vollen Glanz ihrer Schönheit hereintrat. Sie neigte sich freundlich gegen die Gesellschaft, sprach im Vorübergehen einige Worte und nahm dann ihren Platz neben dem Vater ein, dem freundlichen Gesicht und gepuderten Kopf des Banquier Grundmann gegenüber, indem ihr der zweite Nachbar, Baron Excelmann, verbindlich Platz machte. Eine allgemeine Stille war entstanden, weil jedes Auge von dieser Schönheit geblendet und Jedermann in Bewunderung und Entzücken schwieg, indeß die Damen ebenfalls, von Neid angeregt, schweigend das leuchtende Bildniß musterten, ob sie nicht an der Gestalt, oder wenigstens an der Kleidung einen 269 Makel entdecken konnten. Erst spät wurde es Ferdinand inne, daß er stumm wie bezaubert da saß, und eine tiefe Schaamröthe ergoß sich über sein Antlitz. Indeß er aus seinen Träumen erwachte, um bald wieder in andre zu versinken, lebte das vielfältige Gespräch wieder auf und Neuigkeiten des Tages, Einfälle, Politik und Scherze löseten sich ab. Der Baron Excelmann suchte sich seiner schönen Nachbarin gefällig und anmuthig zu erweisen, und da sie ihn oft freundlich anlächelte, so war er überzeugt, daß seine Bemühungen gelängen und dankbar anerkannt würden.

Am untersten Ende der Tafel saß ein bleicher junger Mensch, der von seinen Nachbarinnen und den übrigen Gästen nur wenig beachtet wurde, so sehr er sich auch bemühte, Spaß zu machen und die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehn. Es war ein weitläufiger Anverwandter des Hausherrn, von schlechten Sitten, oft verschuldet, und von Gläubigern auf rohe Art gedrängt, welcher nach manchen mißlungenen Lebensversuchen jetzt auf dem Comtoir arbeitete und die Geschäfte, welche sich auf den Haushalt selbst bezogen, verwaltete und ordnete. Da sein Vetter und Beschützer ihn wegen seiner Lügenhaftigkeit und leichtsinnigen Verschwendung selbst nicht achten konnte, so behandelten ihn die Besuchenden ebenfalls als einen Untergeordneten von oben herab, und einige wunderten sich selbst, daß der angesehene Mann diesen Verdächtigen an seinem Tisch, indem Fremde geladen waren, hatte Platz nehmen lassen. Friedheim, der sich für seine Lebensart schon gebildet hatte und die nöthige Unverschämtheit besaß, achtete die nachlässigen Blicke und zögernden Antworten nicht, sondern benahm sich so, als wenn sein Platz die Oberstelle der Tafel wäre.

Der Hausherr, welcher das Auge überall hatte, bemerkte wohl das vorlaute Wesen des jungen Friedheim und 270 nahm sich vor, ihm einen billigen Verweis zu geben, wenn sie allein wären, ihm auch mehr Anstand und feinere Sitte zu empfehlen; am meisten aber bekümmerte ihn der Tiefsinn des jungen Ferdinand, welcher ganz in sich versunken schien, und dessen Angesicht Spuren eines tiefen Grams und einer vielleicht gefährlichen Krankheit zeigte. Sein Nachbar, der Rath Ambach, sprach mit bekümmertem Zorn über den hinwelkenden Sohn, und der verständige Runde beschloß, noch heut ein ernsthaftes Wort mit seiner Tochter zu sprechen. Er wurde in seinen Betrachtungen gestört, als der reiche Grundmann aufstand und mit dem Baron Excelmann anstieß, um die schöne Emmeline hoch leben zu lassen. Sie dankte mit einem verbindlichen, aber doch spöttischen Lächeln und ließ ihr Glas an die Kelche der alten begeisterten Herren klingen. Ferdinand fuhr aus seinen Gedanken auf, sah die geräuschvolle Anstalt, und mochte, da aus Höflichkeit auch der Vater des Mädchens dankte, die Begebenheit für eine erklärte Verlobung halten, denn er wurde leichenblaß und verlor das Bewußtseyn. Er stand zitternd auf, wollte sich entfernen, taumelte aber im Schwindel gegen die Wand. Erschrocken sprang Ambach auf und rannte mit einem Ausruf zum Sohn, der in einen Sessel sank und erst nach einiger Zeit wieder zum Bewußtsein kam. Bediente liefen herbei und wurden geschickt. Da man schon beim Nachtisch war, erhob sich die ganze Gesellschaft und der junge kranke Mann wurde in einer Sänfte, welche sein trauriger Vater begleitete, nach seiner Wohnung gebracht.

Alles sprach natürlich über diese unerwartete Begebenheit, welche erschreckend den Frohsinn der Gesellschaft gestört hatte. Viele verließen das Haus, die Zurückbleibenden versammelten sich im Musikzimmer um Emmelinen, welche die Damen und Herren mit großem Eifer ersuchten, ihre schöne 271 Stimme im Gesange hören zu lassen. Emmeline schickte nach dem jungen Friedheim, der kein ungeschickter Clavierspieler war, damit er sie auf dem Instrument begleiten könne. Sie sang mit voller und klarer Stimme einige der Lieblingsarien, die in der Mode waren. Gegen Abend verließen alle Fremde das Haus.

Runde war zu seinem Freunde Ambach gegangen, Ferdinand hatte sich erholt, er schien wieder Muth gefaßt zu haben und ganz gesund geworden zu seyn, nachdem er vernommen, daß jene Verlobung Emmelinens nur eine Einbildung seiner Melancholie gewesen sei; doch war er entschlossen, das Haus, wo Emmeline wohnte, nicht mehr zu besuchen, oder lieber noch eine Reise zu unternehmen, damit er nicht in Gefahr gerathe, mit ihr in Gesellschaft zu kommen.

Vater! rief Emmeline dem Alten entgegen, du machst ja ein erschrecklich ernsthaftes Gesicht! Ist Dir in Deinen Geschäften etwas Verdrüßliches begegnet? Denn das ist es ja doch, was euch Kaufleuten immer die schlimmsten Verstimmungen giebt. Gewiß hat es irgend einen bösen Bankrott gegeben. Nun, wie viel büßen wir denn ein?

Mein Kind, sagte der Vater mit gerührtem Ton, um ein Menschenleben handelt es sich hier, und Du würdest mir viel Liebe zeigen, wenn Du auf eine Stunde Deinen Leichtsinn bei Seite thun, mich ruhig anhören und einmal wie ein vernünftiges Wesen Dein Leben überdenken wolltest.

O weh! sagte Emmeline, eine ganze Stunde lang soll ich das seyn, was ihr alten Leute vernünftig nennt? Könnten wir das nicht auf morgen verschieben? Da haben wir ja ohnedies den sogenannten Bußtag.

Es handelt sich um ein Menschenleben, sagte der Vater mit einigem Unwillen: mit dem Ferdinand wird es ernst; 272 er ist in einem elenden Zustande. Das kann nicht mehr so dauern. Der Alte, so oft er mich sieht, macht mir die bittersten Vorwürfe.

Nun so rede, Väterchen, sagte Emmeline. Sie ordnete sich auf dem Sofa die Kissen, um recht bequem sitzen und sich anlehnen zu können, dann faltete sie die Hände, als wenn sie einer Predigt zuhören wollte, und sagte mit andächtiger Miene: Nun? – Doch halt! rief sie plötzlich, sprang auf und hängte ein Tuch über den Käfig ihres Canarienvogels; der kleine Schwätzer überschreit Dich sonst in Deinen erbaulichsten Betrachtungen – sagte sie, indem sie wieder ihre vorige Stellung einnahm.

Der Vater rückte mit seinem Stuhle näher und sagte: Sieh, mein Kind, ich meinte schon seit einem Jahre zu bemerken, wie Dir der Ferdinand nicht gleichgültig sei; der Jüngling ist schön, wohlerzogen und liebt Dich herzinnigst. Er besitzt Talente, hat schon ein Amt und wird von der ganzen Stadt, so jung er auch noch ist, hoch geehrt. Es kann ihm nicht fehlen, dereinst im Staat ein bedeutender Mann zu werden. Dazu steht ihm Reichthum zu Gebot, da er nur der einzige Sohn ist; die beiden Landgüter, die er einmal erbt, sind im besten Zustande. Er war schön und wohlgebildet, und kränkelt nur jetzt aus Gram über die sichtliche Gleichgültigkeit, mit der Du ihn seit einiger Zeit behandelst. Wenn es Dir möglich ist, mein süßes, mein angebetetes Kind, so laß die ehemalige Zärtlichkeit für ihn in Deinem Herzen wieder erwachen. Du machst ihn, seinen Vater und mich unaussprechlich glücklich. Er wäre mir von allen Männern, die ich kenne, der liebste Eidam. Wenn er Dir aber zuwider ist, so war es sehr Unrecht von Dir, ihm früher so unzweideutige Beweise Deiner Gunst zu geben; denn es fiel in die Augen, wie Du ihm den 273 Vorzug vor allen Deinen alten und jungen Bewerbern einräumtest.

Väterchen, unterbrach sie den Alten, Du weißt gar nicht, wie sehr Du gegen meinen Vortheil sprichst, ja selbst zum Nachtheil Deines jungen Schützlings. Dieser menschenfreundliche junge Mann, der immer recht hübsch gewesen ist, hat ja durch seine Melancholie und kränkliches Wesen in der ganzen Stadt an Theilnahme außerordentlich gewonnen. Er hat so sehr im Interessanten zugenommen, daß er Mode geworden ist. Wer sprach wohl im vorigen Jahre von Ferdinand Ambach? Jetzt ist er das allgemeine Gespräch. Wenn er wo vorübergeht, rennen die jungen Mädchen ans Fenster, um den gedankenreichen Schwermüthigen ins Auge zu fassen. Ich versichere Dich, unter allen Schönheiten hier, selbst unter den reichsten, hätte er nur die Auswahl, so stolz würde jede darauf seyn, ihn, den Tiefsinnigen, Blassen, unendlich Verliebten zu erobern. Durch seine Ohnmacht von heut steigt sein Werth nun noch um das Doppelte. Vielleicht hat man ihn schon gar todt gesagt. Es ist nicht unmöglich, daß ein Freund des Wunderbaren einen Zeitungsartikel aus der Begebenheit macht, oder in einem literarischen Blatte sich darüber vernehmen läßt und ankündigt, wie hier bei uns ein wirklich wahrhafter noch lebender Werther zu sehen sei. Und allen diesen Ruf, diese Glorie des Wunderbaren sollte ich unserm Ferdinand rauben, um einen ordinären alltäglichen Ehemann aus ihm zu machen?

Deine Art und Weise, Kind, fiel der Vater ein, mißfällt mir durchaus, ja es schmerzt mich diese Gesinnung, die hoffentlich nicht so die Deinige ist, wie leichtsinnige Worte sie aussagen. Ist es Dein Ernst, diesen jungen trefflichen Mann niemals zu heirathen, so wende Dich zu einem ältern und durch seinen großen Reichthum bekannten und 274 ausgezeichneten Mann. Mit Grundmann könntest Du, wenn Du einmal junge Leute verschmähst, so glücklich seyn, daß Dich alle Damen der Stadt und des Landes beneiden müßten. Dieser Mann ist so sanft und gefällig, er ist Dir so ergeben, daß er jeden Deiner Wünsche, auch den ausschweifendsten, befriedigen würde. Ist es nicht ein wahres Glück, in einer so sichern Lage zu seyn, daß man sich nichts, gar nichts zu versagen braucht? Das können selbst Fürstinnen nicht erreichen, denn sie sind von Etikette, Ceremoniel und tausend Rücksichten umschränkt und beengt: ihr Einkommen, so groß es seyn mag, wird in hundert Kanälen, denen sie den Zufluß nicht versagen können, abgeleitet; es giebt Momente, in denen sie, vorzüglich wenn ihre Natur eine gütige ist, selbst um kleine Summen verlegen sind. Dies Alles hattest Du niemals zu besorgen. Und dieser Mann, dessen höchstes Glück Dein Besitz wäre, würde nur Dein stets ergebener Diener seyn; ihm ist kein Opfer zu groß, er wäre fähig, für Dich Hand, Arm und Fuß hinzugeben, oder sich Deinetwegen foltern zu lassen, ohne nur einen Laut der Klage auszustoßen.

Es ist wohl möglich, sagte Emmeline, daß der ausbündige Mann so großer Opfer fähig wäre, aber gewiß würde er meinetwegen nicht seine schön gepuderte Frisur ablegen. Jede Haushaltung, in der sich ein hübsches Zimmer mit Porzellan, Tapeten und Mahagoni-Möbeln befindet, müßte sich eigentlich auch einen solchen bunten, klaren, angenehmen Grundmann anschaffen. Wenn ich ihn hätte, so setzte ich ihn neben dem rothseidnen Sofa auf unsern Armstuhl, der mit der schönen Stickerei himmelblau, roth und gelb erglänzt und die leuchtenden goldenen Knöpfe hat. Grundmanns hübsches röthliches Gesicht, die scharf abgeschnittne weiße Frisur, die angenehmen Seitenlocken, die 275 feinen weißen Hände und langen Fingern machten sich dann sehr anmuthig, nur würde ich ihm, statt seines Zopfes, einen kleinen Haarbeutel in den Nacken hängen. Um den Kragen des Rocks und die Aufschläge, vorn am Kleide herunter, müßten goldne Tressen genäht werden, die Kniegürtel müßten auch golden seyn und die Franzen derselben auf den weißen seidnen Strumpf herniederbaumeln. Der Rock selbst müßte rother oder violetter Sammet seyn, die Knöpfe mit Brillanten besetzt, Busenstreif und Manschetten die feinsten Spitzen, die Weste Drapd'or, mit himmelblauen Blumen eingelegt. So säße er lächelnd im Stuhl, und wenn ein Fremder käme, fragte man: Sie haben doch auch einen Grundmann? – O ja, wie dürfte der fehlen, aber er ist nicht so kostbar als der Ihrige. – Eigentlich, sagt dann eine andre Dame, muß er neben dem Kamin sitzen, recht hübsch ruhig, und über ihm nicken dann die Pagoden von Porzellan und verdrehen die Augen. – In ärmern Haushaltungen fände man dann unächte, oder Patent-Grundmänner, und wenn die Mode einmal wieder vorüberginge, kämen sie allzumal in die Auction, oder die Engländer kauften sie ein wie die alten Drucke und Holzschnitte. Nun siehst Du aber doch, denkender Vater, daß ich mich unmöglich mit solchem hübschen Möbel, oder einer Handpuppe verheirathen könnte.

Ich möchte fortgehn, rief der Vater, und gar nicht mehr von ernsthaften Dingen mit Dir sprechen.

Und doch lächelt er, sagte Emmeline und faßte seine Hand; zwinge Dich nicht, Väterchen, denn ich sehe ja, wie Du das Lachen verbeißen mußt. Der Alte lachte wirklich laut auf und setzte sich wieder nieder. So darf ich wohl kaum, sagte er dann, Dir noch von dem Baron Excelmann sprechen? Ist er auch nicht so reich wie Grundmann, so steht er doch schon jetzt auf einem hohen Posten, der König schätzt 276 ihn sehr, und er wird nächstens als Gesandter von hier gehn. Reizt es Dich denn nicht, Excellenz titulirt zu werden, bei Hofe Dich vorstellen zu lassen, zu den vornehmsten Gesellschaften zu gehören?

Das kenne ich schon, sprach Emmeline, seine Rede unterbrechend. Als wir in Hamburg waren, fuhr ein Holländer mit einer großen Wasserkufe durch die Stadt und zog mit Geschrei von Zeit zu Zeit einen ansehnlichen Seehund bei den Ohren aus dem Gefäß, den er den Umstehenden für Geld zeigte, das er nachher einsammelte. Alle freuten sich über das dort selten gesehene Thier, und nur ein ehrbarer Bürgersmann schien zweifelhaft und fragte: was haben wir denn aber nun gesehn? Ist es denn ein Fisch oder ein Thier? Der Holländer, welchen diese wissenschaftliche Forschung überraschte, sagte nach einigem Besinnen in gebrochenem Deutsch: natürlich, Mann, nach dem Wort See ist er Fisch, und nach Hund ein Thier, und darum heißt er Seehund, weil er beides zugleich und deshalb keins von beiden recht ist. So würde es mir auch als Excellenz ergehen. Unter den Altadeligen wäre ich verlegen, und auf dem Trockenen, und die See der Bürgerlichkeit genügte dem armen verwöhnten Thiere auch nicht mehr, mein Vermögen würde gebraucht, um den Glanz meines Mannes zu vermehren, der es mir doch nicht dankte, sondern sich noch obenein meiner bei hundert Gelegenheiten schämte. Daß er durch mich dann hie und da verlegen erschiene, wäre mir aber gar nicht gelegen. Besser der Seehund ganz im Wasser, als so gelegentlich bei den Ohren herausgezogen und für Geld gezeigt zu werden.

In der Thorheit ist doch Vernunft, sagte der Alte. und wenn in der Uebertreibung einige Wahrheit ist, kann ich Dir nicht ganz Unrecht geben. Nun begreife ich auch etwas 277 mehr, warum Du im vorigen Jahr den Grafen ausschlugest, der jetzt hier Minister geworden ist. Ich würde mich zwar sehr geehrt fühlen, einen solchen Eidam zu haben, und der Graf ist wirklich ein menschenfreundlicher Mann, der an den Vorurtheilen seines Standes nicht so fest zu hängen scheint.

Brauche nicht so häßliche und anstößige Ausdrücke, Vater, wie »hängen«, wenn Du von so großen, vornehmen Leuten sprichst. Die Devotion und auch die gute Lebensart verbieten dergleichen. »Er erhöht dadurch seinen Adel, daß er das Bürgerthum ehrt.« So ungefähr mußt Du Dich aussprechen.

Willst Du denn aber gar nicht heirathen? –

Emmeline stand auf und sagte feierlich. Lieber, verehrungswürdiger Herr Vater, bis jetzt habe ich Dich angehört, nun ist es an mir, Dir eine Rede zu halten, darum nimm Du jetzt meinen Platz im Sofa, und ich setze mich auf diesen Stuhl, schlafe aber nicht ein, denn mein Bestreben muß seyn, Dich zu erbauen und zu überzeugen.

Man muß die Thörin gewähren lassen, sagte der Alte, indem er sich fügte. – Mein Herr und Vater, fing sie hierauf an, wie soll ich es anfangen, Dir eine Sache, eine Gesinnung, eine Gemüthsart deutlich zu machen, die doch so klar ist, und Dich von etwas durch Ueberredung zu überzeugen, was sich eigentlich von selbst versteht? – Was die Welt regiert, ist die Macht, die Weisheit, die Klugheit und List oder Kriegesglück und Heldenthum. Derjenige, der mit Charakterstärke und Einsicht begabt ist, und dem Glück nur irgend beisteht, rangirt in den Augen der Welt neben Königen und Kaisern. Diese haben den Vortheil, daß ihnen schon durch die Geburt die Glorie mitgegeben wird, vor der die Menschen sich alle neigen, beglückt oder beängstigt sind 278 von der Nähe und tief durchschauert von Hochachtung und Ehrfurcht, wenn ein Blick sie trifft, oder gar ein freundliches Wort in ihren Busen dringt. Welcher Glanz umgiebt den Helden! Jedes Umsehn verlangt die Huldigung der Welt, die ihm auch im eiligen Entgegenkommen geboten wird. Diese dämonische Kraft oder geistige Weihe begleitet den großen Poeten oder Schriftsteller. Erinnerst Du Dich noch, wie exaltirt, erfreut, bewegt alle Welt war, als jener Dichter uns seine Gegenwart gönnte? Der Stolzeste, Anmaßendste hat in seiner Seele das ewige Bedürfniß, sich auch einmal zu demüthigen, gläubig zu verehren. Und was bleibt uns, wenn wir nicht Herrschende, Prinzessinnen sind? Wir gehören nur zur Masse, zum Volke, sind ein Nichts, und weder im Staate noch in der Wissenschaft sollen unsere Stimmen etwas gelten. Aber hier tritt in scheinbarer Demuth Etwas auf, das sich oft allem Andern gleichgestellt und nicht selten es sogar besiegt und überflügelt hat. Die Schönheit nehmlich. Die Frau, die diese wahrhaft besitzt, das Mädchen, welches in diesem Schmuck einhergeht, beherrscht eine Legion von unsichtbaren Geistern, die sie als ihre Diener unter die Schaaren der Sterblichen sendet, um die Größten oder Hoffärtigsten zu unterjochen. Denn Jedermann, er habe Namen wie er wolle, beugt sich vor dieser Krone der Schönheit. Winke, Lächeln, flüchtige Worte, Scherze, Tadel, fliegen als eben so viele Herolde umher und belohnen oder bestrafen. Eine schöne Jungfrau ist mehr als eine Sterbliche. Jedermann, der sich ihr naht, sei er noch so hölzern, tritt in das Reich der Poesie, in einen Zaubergarten. Aber weil diese Herrschaft so zarter und geistiger Natur ist, kann sie auch nicht von langer Dauer seyn. Die Schönheit welkt, das Alter zerbricht nach und nach alle diese Zauberstäbe, die Göttin zieht schwermüthig ein Glanzgewand nach dem 279 andern von den nicht mehr leuchtenden Schultern, und eine verdrüßliche Alte, oder eine langweilige Hausfrau bleibt übrig. Alle Welt und auch mein Spiegel sagt mir, ich sei schön, ich glaube es nur gar zu gern. Und diese Herrschaft, diesen Zustand der Herrlichkeit soll ich gegen eine ganz armselige Existenz austauschen? Jeder, der von mir weiß, weiß auch, daß ich jetzt noch nicht heirathen will, daß ich davor zittere, so früh und mit eigenem Vorsatz zu verwelken. Bin ich nun Diesem und Jenem freundlich, weil er mir wohlgefällt, scherze ich mit einem Andern, weil er witzige Antworten zu geben weiß, spreche ich mit einem Dritten ernsthaft, weil ich von ihm lernen kann, so schwören alle diese darauf, ich hätte ihnen meine innigste Liebe und Treue zugesichert, und verwundern sich nachher über die Gebühr, wenn ich von ihren unvernünftigen Erwartungen keine Notiz nehme. Jeden soll ich heirathen, dem ich gefalle? Und gegen Jeden bin ich grausam, treulos und meineidig, den ich nicht mit Grobheit von mir weise? Wir leben in einer verkehrten Welt. Und, möcht' ich hinzusetzen, in unserer Bestimmung, in der Natur selbst ist unendlich viel Verkehrtes. Ich kann mich in manchen Stunden vor alle dem entsetzen, was die Menschen natürlich, anständig, gut und selbst heilig nennen. Wenn ein Mädchen in der Leidenschaft die Folgen ihrer thörichten Hingebung ertragen muß und ihren Zustand nicht mehr verheimlichen kann, da schreit alle Welt Zeter, alle Bekanntschaften sondern sich von ihr ab und verleugnen sie; geschieht dasselbe mit Wissen der Verwandten und Angehörigen, ist die wunderliche Sache in das Kirchenbuch eingeschrieben, dann kommen Greise und Matronen und wünschen mit runzelvollen Angesichtern und religiöser Salbung Glück. Und, magst Du mich schelten, ich für meine kleine Person bin gar nicht im Stande, den großen Unterschied 280 hiebei einzusehen. Und was diese Schwärmer, diese Ferdinande, heilige Liebe, Entzückung, Platonismus, Anbetung nennen – wie graut mir vor dieser Ziererei und den lügenhaften Phrasen, wenn ich doch fühlen und einsehen muß, daß sie nur jene, mir ganz widerwärtige Verbindung meinen und wollen, die meine Schönheit, um derentwillen sie mich doch nur verehren, ertödtet, mein Leben in Gefahr setzt, mir mindestens, im besten Fall, ungeheure Schmerzen zubereitet, um durch diese sogenannte Liebe alles das einzubüßen, weswegen ich ihnen jetzt wünschenswerth erscheine.

Kind! Kind! rief der Alte, und sein Gesicht hatte sich ganz verfinstert, was muß ich von Dir hören? Woher kommt Dir der Geist der Empörung? Laß wenigstens Niemand anders dergleichen unschickliche Worte vernehmen. –

Ich bin ja, lieber Vater, in dem großen, bösen und guten Jahre 1789 geboren, daher kommt auch meine Widersetzlichkeit gegen das Herkommen und alle die Ordnungen, die die Menschen für so wichtig und nothwendig achten. Ich bin mit allen Männern gern freundlich, es gefällt mir, wenn sie mich vorziehen, wenn sie sich meiner Nähe erfreuen; ich selbst ziehe sie den Weibern vor, aber an die Ehe mit irgend einem von ihnen kann ich nicht ohne Grauen denken. – Mache nicht so verdrüßliche Mienen, Vater; kommt es einst dazu, daß diese sonderbare Leidenschaft mich ergreift, daß ich so liebe und rase, daß mir diese Verbindung anders erscheint und zur Ruhe meines Lebens nothwendig wird, so sollst Du es gewiß sogleich erfahren, und wir wollen dann zur Trauung schreiten.

Du machst mir wenigstens eben so viel Kummer als Freude, sagte der Alte: – wenn ich nun sterbe, und Du bist noch nicht vermählt.

Wir haben ja Freunde, erwiederte Emmeline, und ich 281 werde ja mein Väterchen, das so gesund und stark ist, nicht so bald verlieren. Aber die Reise, die mir schon seit so lange versprochen ist? Das Jahr ist so schön, die Menschen hier werden langweilig. was kann uns noch abhalten?

Wir wollen fort, sagte der Alte, obgleich es nicht ganz klug seyn mag. Die Stellung des Königs von Holland macht mich besorgt. Wir haben schon so Vieles erlebt, und immer rascher drängen sich die Begebenheiten; gewiß dürfen wir aber noch in vielen Jahren auf keinen dauernden Frieden rechnen.

Also recht bald! rief Emmeline und umarmte den Vater mit Herzlichkeit, der sich kopfschüttelnd und vielerlei bei sich überlegend von ihr entfernte.



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