Ludwig Tieck
Eigensinn und Laune
Ludwig Tieck

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Der Rath Ambach hatte sich von seinem Schreck erholt, und sein Sohn war wieder ganz hergestellt. Jener sonderbare Anfall war vorübergegangen, ohne andere Folgen zu veranlassen. Der Rath war über seinen alten Freund, den Banquier Runde, sehr erzürnt, noch mehr über dessen leichtsinnige Tochter. Sie ist völlig herzlos, rief er aus, schadenfroh, ihre Freude würde seyn, wenn Du Dir eine Kugel durch den Kopf jagtest, damit in der Stadt nur recht viel von ihr die Rede wäre. Diese Wesen sind wie der Basilisk; sie vergiften mit den Augen.

Lieber Vater, erwiederte der Sohn, ich werde meine Leidenschaft gewiß überwinden, aber weil sie sich so nach und nach, ohne daß ich es merkte, meines ganzen Wesens bemächtigt hat, weil dies meine erste Liebe ist, so ist es nothwendig, daß mein Gemüth durch und durch erschüttert, daß mein Leben fast zerstört wurde. Sie nennen Emmelinen schlecht. Ich weiß sie nicht zu vertheidigen. Unser Herz ist ein 282 wundersames und unergründliches Wesen. Ich kann sie nicht böse oder schlecht heißen. Unheilbringend, ja: aber vielleicht ist sie es ohne Vorsatz, wie diese Blume angenehm duftet und die Sinne stärkt, jene mit Farben glänzt, aber in der Nähe betäubt. Ich hoffe, ich genese durch diese Erschütterung, die alle Fugen meines Wesens zu zerbrechen drohte, zum Mann. Ich danke Ihnen, daß sie jetzt Ihre Erlaubniß zu meiner Reise, daß Sie mir so freundlich die Mittel dazu gegeben haben. Heiter und lebenskräftig werde ich dann von London und Paris zurückkehren, um die Arbeiten meines Amtes wieder zu übernehmen.

Und Du willst sie noch einmal sehen? Abschied von ihr nehmen? Wird der Widerhaken sich nicht tiefer und reißender Deiner Brust einbohren?

Gewiß nicht, mein Vater, ich werde sie jetzt mit ganz andern Augen betrachten. Seit gestern ist mir überhaupt das ganze menschliche Leben in einer andern, viel ernstern Gestalt erschienen. Es dünkt mir jetzt tadelnswerth, auch in der Jugend die Liebe zur Aufgabe desselben zu machen. Dieser letzte Krampf meines Irrthums, meiner Verblendung, oder wie ich es nennen mag, war wohl nothwendig, damit ich einsähe, wie weit weg ich von der Wahrheit verschlagen war.

Du bist fast zu vernünftig, sagte der Rath, als daß ich schon an Deine beginnende Heilung glauben könnte. Aber ich vertraue Dir; so siehe denn der bunten Schlange noch einmal ins Auge, und wenn der Zauber sich nicht erneuert, so will ich dem Schicksal und der gesunden Vernunft mein Dankopfer bringen.

Ferdinand fand Emmeline allein an ihrem Clavier. In dem leichten weißen Morgenanzuge war sie unendlich reizend. Sie kam ihm mit der unschuldig naiven Miene entgegen, die ihn zuerst in Fesseln geschlagen, die ihn früher von ihrer 283 Arglosigkeit und schönen Herzenseinfalt so fest überzeugt hatte. Als sie ihm die Hand gab, fing er an zu zittern, er bezwang sich aber und setzte sich ihr ruhig sprechend gegenüber. Sie schien anfangs darüber verwundert, daß sein Benehmen so fest und gelassen war, daß er sich nicht leidenschaftlichen Ausbrüchen hingab. Ich komme, sagte er nach einigen unbedeutenden Reden, um Abschied zu nehmen.

Sie wollen reisen, so hört' ich, erwiederte Emmeline, – aber wohin?

Zuerst nach Paris, und dann über Amsterdam nach London. Von dort werde ich erst, wenn sechs Monate, die man mir bewilligte, vorüber sind, wieder hierher zurückkehren. Es ist nothwendig, daß ich mein Leben erneue, ganz fremde Gegenstände, Menschen und Länder sehe, um nicht in mir selbst am Elend zu verschmachten. Ich muß mich Ihnen und Ihrem Anblick auf lange entziehn, um mich selbst, mein Gemüth und Herz wiederzufinden.

Sehr löblich, sagte Emmeline, und ich danke Ihnen, daß Sie mir Ihre Reiseroute mitgetheilt haben, damit wir uns nicht irgendwo begegnen, denn ich werde mit meinem Vater ebenfalls reisen, und in diesen Tagen, aber nur durch Deutschland, und höchstens bis in die Schweiz. Ich wünsche, daß wir Beide gesund und frisch in unsre Vaterstadt zurückkehren.

Ich hoffe zu vergessen, sagte Ferdinand mit schmerzlichem Ton, und kann es doch nicht wünschen oder es mit Freuden hoffen: denn war diese Täuschung nicht mein schönstes Glück? Ich habe, bevor ich diese furchtbaren Schmerzen kennen lernte, einen so seligen Traum durchgeträumt, daß alle Freuden des wachenden Zustandes dagegen nur nüchtern seyn müssen.

Ich verlöre, antwortete sie, ungern Ihren Umgang, wenn 284 Sie nicht an meine Freundlichkeit Forderungen geknüpft hätten, die ich nicht erfüllen kann. Mir ist es überhaupt ein Räthsel, warum sich aus einem heitern Umgang von Mädchen und jungen Männern etwas Unglückliches, Wildes und Verderbliches entwickeln soll. Ich weiß es recht gut, Sie nennen mich, Herr Assessor, eine Coquette, wie ihr Männer denn für Alles gleich Namen in Bereitschaft habt. Und ist etwas erst getauft, so glaubt ihr es dann auch nach eurer Benennung zu kennen. Der Name, die Bezeichnung sind es aber eben so oft, die irre führen. Man weiß von mir, denn ich habe dessen kein Hehl, daß ich einen Widerwillen gegen die Ehe hege. Jedermann darf doch gewiß darüber denken, wie es ihm gefällt. Kein Mann kann sagen, daß ich ihm die Heirath versprochen, daß ich ihm Treue zugeschworen, oder daß ich ihm nur gesagt hätte, ich liebe ihn oder sei in ihn verliebt, oder wie die Ausdrücke nun so lauten. Sie, mein Freund, gefielen mir im Umgang, wie so mancher liebenswürdige Mann: ich kann nicht spröde geizen mit einem freundlichen Blick, einem Händedruck, einem Lächeln oder Scherz, weil ich diesen Kleinigkeiten keine innere geheimnißvolle Bedeutung gebe, wie es jene wahren Coquetten thun. Was kann ich nun dafür, wenn ihr jeder Aeußerung meines Wohlwollens oder meiner Freundlichkeit eine falsche Ausdeutung gebt? Mit einem Händedruck soll ich mich verpflichtet haben, eine wilde Leidenschaft zu theilen, und mich dem Egoismus eines Bewerbers aufopfern? Ein Anderer sagt, weil ich ihm freundlich gelächelt, indem er mir von Liebe gesprochen, und ihn nicht zur Thür hinausgewiesen, habe ich ihm ebenfalls meine ewige Liebe zu ihm gestanden. Eben weil ihr alle leidenschaftlich seid, meine Freunde, ist keine Vernunft, kein Menschenverstand in euern Reden.

Nach einigen Worten nahm Ferdinand Abschied. Er 285 hatte wieder gefühlt, wie viel er verlor, indem er die Hoffnung auf dieses schöne Wesen aufgeben mußte. Emmeline war ganz gleichgültig und sehr munter und gesprächig, als einige junge Freundinnen sie besuchten.

Die übermüthige Jugend fiel darauf, einige neue Tänze einzuüben, die seit Kurzem Mode geworden waren. Erst spielte ihnen Emmeline; da diese aber auch ihr Talent im Tanz versuchen wollte, so wurde der junge Friedheim, dessen Geschicklichkeit man kannte, beschieden, ihnen aufzuspielen. Seine Arbeit auf dem Comptoir war eben geendigt, und er erfreute sich um so lieber der schönen Gesellschaft, die sein leichtsinniges Wesen mit Freundlichkeit aufnahm, als er eben von schwierigen Berechnungen aufgestanden war.

Man wurde des Tanzes auch bald müde, und da man das Talent des jungen Friedheim kannte, so ersuchten ihn die Mädchen, einige bekannte Männer in der Stadt zu copiren. Man brachte einen Schirm herein, hinter welchem der mimische Künstler seine Schminke, Puder, Kleider und falsche Haare, nebst Spiegel und dergleichen hinstellte, um dort seine eiligen Verkleidungen bewerkstelligen zu können. So trat er nun als der bekannte Burgemeister herein, dann als der Minister der Finanzen, und die schönen Kinder freuten sich von Herzen, indem die Persönlichkeit achtbarer Männer ihnen auf satirische Weise preisgegeben wurde. Nun aber, rief Emmeline, spielen sie uns einmal den Baron Excelmann, denn jene Herren sind uns und Ihnen doch nicht so bekannt, wie es dieser Freiherr ist. Friedheim ging hinter seinen Schirm und kam dann mit feierlichem Schritt und langsam, zierlich auf einen Stab gestützt, herein; er grüßte, sich tief verbeugend, und zog, wie es die Gewohnheit des Barons war, die Stirn in viele Falten. Langsam richtete er sich auf, und sagte halb stotternd und dann wieder schnell die 286 Worte herauspolternd. Freut mich sehr – sehr – ungemein – so zu sagen sehr, eine so freundliche, schöne und auserlesene Gesellschaft hier anzutreffen; denn – um nicht zu viel zu sagen, – weil – ja gewiß bin ich der Meinung – man müßte weit reisen, – weit, – wenn dies auch ein relativer Begriff ist, – um so viel Geist, Schönheit, Anmuth, Witz in einem einzigen Zimmer oder Saal, so zu sagen, Salon, anzutreffen und zu finden, wie ich schon vorher bemerkte und zu beobachten Gelegenheit hatte.

Alle lachten laut. Getroffen, rief Josephine, zum Verwechseln! O, diese Kunst, zu reden und nichts zu sagen, die einem Diplomaten so nothwendig ist. Fahren Sie fort.

Friedheim verbeugte sich wieder, die Stirn in viele Falten legend, erhob den Kopf dann, drückte die Augen zu und riß sie plötzlich gewaltsam auf, indem er auf den Stock gelehnt sich bedeutsam umsah, und dann mit feierlichem, ernstem Tone sagte: – Ja! – Und, wie ich eben ausdrücken wollte – ja!! – Ich – so will es mein Fürst, – soll reisen – reisen – nun freilich – ja – ich werde reisen – aber wohin ich auch komme, im Dienst meines Herren und des Vaterlandes, – immer – das heißt jedesmal, stets, nicht selten, oft, fast in jeder Minute – also immerdar – und das ist nicht zu viel gesagt – werde ich diesen Kreis, – selbst in der erhabensten Umgebung – gleichsam vermissen, und wünschen – wenn Wünsche gegen das Schicksal und meine Bestimmung etwas vermögen, – daß ich hieher – wieder einmal – oder einst – so zu sagen in Zukunft, – heißt das, wenn meinem Vaterlande dadurch kein Nachtheil widerführe, – hieher – wenn auch nicht grade in dieses Haus – zurückzukommen – oder, wenn mein Verhängniß anders beschließt, – hier, – wo mein Herz so gern weilt, – oder mein 287 Gemüth – Sinn – enfin, mein sogenanntes Selbst – nicht ganz vergessen zu werden.

Nun lächelte er, mit der Brust vornüber gebeugt, fein und sinnig, im zunehmenden Ausdruck, der am Ende in ein Grinsen ausartete und dann plötzlich in den starrsten Ernst, wie durch eine springende Feder zurückschnappte, sodaß selbst die laut lachenden Fräulein einen kleinen Schreck empfanden. Während des feineren Lächelns hatte der Darsteller den goldenen Knopf seines Stockes gestreichelt, und, als der Ernst eintrat, ihn bedeutungsvoll erhoben, und dann etwas vorwärts gewendet, indem er nun zu Boden sah, und dann von unten auf mit halbem Blick den Zirkel seiner Zuschauer musterte, als wenn er zu viel gesagt hätte, was ihn vielleicht compromittiren könnte.

O, wie sprechend! wie sprechend! rief Josephine wieder, ich habe es nicht für möglich gehalten, Jemanden mit seiner ganzen Art und Weise im Konterfey so hinzustellen. Nun werde ich nächstens den Baron noch viel genauer beobachten, denn durch das Spiel wird man erst auf die Lächerlichkeiten der Menschen aufmerksam gemacht. Schade, Emmeline, daß Du ihn nicht heirathest, so könnten wir in fröhlichen einsamen Stunden Original und Copie immer mit einander vergleichen. – Nun aber spielen Sie den allerliebsten reichen Grundmann, aber so, wie er unserer Emmeline eine Liebeserklärung macht.

Friedheim kleidete sich um, und kam im Frack und schon gepudert, das Gesicht mit Schminke gefärbt, wieder zurück. Seinen dreieckigen Hut trug er unter dem linken Arm, die rechte Hand steckte in der zierlichen Weste: er kniff die Lippen zusammen und sagte dann mit feinem, gespitztem Ton: Verehrteste, die ich glücklich genug bin, Freundin nennen zu dürfen. Wann wird jener Tag erscheinen, Gütigste, an 288 welchem wir, durch den Segen der Kirche geheiligt, uns und der Welt sagen können, daß wir ganz einig und nur einen Menschen ausmachend, unser Glück vor aller Welt verkündigen dürfen? Man nennt mich in der Stadt den Millionär, aber wäre ich auch millionenmal ein solcher, so würde ich doch nie aufhören, Sie als meine unumschränkte Herrin und mich als Ihren demüthigsten Knecht zu betrachten. Wenn Sie mich schelten, werde ich Lehre annehmen, wenn Sie mich loben, werde ich entzückt seyn, treten Sie mich mit Füßen, so werde ich auch dieses als ein Zeichen der Gunst ansehn, denn Ihnen, Glorreichste, gegenüber, kann ich gar nicht erniedrigt werden, Sie, Himmelhohe, können mir gar keine Schmach anthun, und selbst jene, die vom ganzen Männergeschlecht immer als eine solche ist angesehen worden, würde ich nur demüthig, als Gnade und Auszeichnung empfangen. Geniren Sie sich also doch nicht länger, mir ihre Hand zu geben, und nie werde ich im Frevelmuth so weit mich versteigen, Sie zu duzen, oder mit dem vertraulichen Du anzureden.

Es ist genug, windiger Patron! rief aus dem Hintergrund eine barsche Stimme, denn der Herr des Hauses war unbemerkt hereingetreten. Es kleidete ihn besser, fuhr der Banquier fort, wenn der leichtsinnige Herr Vetter den verworrenen Calcül vollends zu Ende brächte, da morgen doch neue Geschäfte auf ihn warten.

Friedheim verbeugte sich gegen die Gesellschaft und schnitt mit dem niedergedrückten Gesicht der nahestehenden Josephine und Emmeline noch eine boshaft spöttische Grimasse. Das Lachen hatte aufgehört, und als die Fremden sich entfernt hatten, sagte der Vater: Es ziemt sich nicht, Kind, daß der Bengel sich in Deiner Gegenwart und so offenkundig über respectable Männer aufhält. Man erfährt den Scandal nun 289 allenthalben, und was werde ich meinem Freunde Grundmann darüber sagen können? Ich werde den Schwindler aus dem Hause schaffen müssen, denn, ob er gleich Talente und Kenntnisse besitzt, so wird doch nie etwas Rechtliches aus ihm werden.

Immer nehmen Sie das Leben zu ernsthaft, sagte Emmeline. – Nichts da von nehmen, rief der Vater unwillig, es ist ernsthaft, und wer einen Spaß daraus machen will, an dem wird es sich am schwerfälligsten rächen. – Er ward aber bald von den Liebkosungen der Tochter wieder besänftigt und aufgeheitert.



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