Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Siebentes Kapitel.

Omar trat in den Saal. Abdallah fuhr auf als er ihn sahe und stürzte sich wild in seine Arme. Rettung! Rettung! schrie er heftig. – Omar, reiß mich durch deine Gewalt aus diesem Strudel, der mich zerschmettert; o wo bist du gewesen? Warum hast du mich so unbeschützt allen diesen fürchterlichen Quaalen überlassen? – Bin ich deiner Hülfe nicht mehr werth? Liebt kein Wesen mehr den Abdallah, seit er der Menschheit untreu geworden ist? – Omar! rette mich vor mir selbst! sieh, ich bin fast wahnsinnig, o könnt' ich es ganz werden, ich wäre glücklich!

Ich erschrecke vor dir, sagte Omar, ich glaubte dich nicht so zu finden.

Abdallah. Nicht so? – O und wie anders? Wie kann ich anders sein? – Wundre dich, daß du mich noch lebendig antriffst, kein Sterblicher hat noch 224 mit so vielen Martern gerungen. – Ich sollte ruhig sein, itzt, da mein Vater unter gräßlichen Schmerzen knirscht? –

Omar. Er leidet nicht mehr. –

Abdallah. Itzt?

Omar. Er ist todt!

Abdallah. Todt? – Todt? – Er war und ist nicht mehr. Todt? O wie viel liegt in dem armseligen kleinen Worte. Nun hat er mein Verbrechen abgebüßt. –

Er sank wieder in ein tiefes Nachdenken, das Omar vergeblich zu zerstreuen suchte. – Ich habe ihn gehabt, fuhr er dann fort. – Gehabt? – O Himmel, mein Vater, den ich so zärtlich liebte, der mich so innigst liebte, dieser ist todt. Von seinem Sohne geschlachtet, hingegeben der Mordgier durch Abdallah. – Ach, Omar! Omar! – So eben hätt' ich durch Zulma seine Martern abkaufen mögen und nun klag' ich darüber, daß er sie nicht mehr fühlt. –

Omar. Sei weise, Abdallah. Laß das, was vergangen ist, vergangen sein. – Was hast du gewonnen, wenn dich diese Gedanken ewig quälen? Zweifle an allem was war und lebe nur in der Gegenwart, alle deine Hoffnungen kommen dir gekrönt entgegen, siehe, es fehlt keine in ihrem feierlichen Zuge, geh mit heitrer Stirn auf sie zu, wie es dem Glücklichen ziemt. – Hinweg mit diesen Falten! Sieh aus wie ein Bräutigam, der seine Braut erwartet; Tausende sind unglücklich, ohne des Glücks zu genießen, das dein ist. Zulma! rufe diesen Namen nur und alle Sorgen werden zurücktreten, feigherzig entflieht dann jeder Kummer. 225

Abdallah. Zulma? – O das war eine Seligkeit, auf die ich einst so sehnlichst hoffte, aber auch dieser Strahl ist hinter Wolken untergegangen, auch diese Freude hab' ich verspielt, um nichts zu gewinnen. – Du zeigst, um mich zu trösten, auf ein Grabmal hin, in welchem ein Freund schlummert, der einst meine Wonne war.

Omar. O Zulma, Zulma ist dir nicht gestorben, ruf nur einen Strahl jener Entzückungen zurück, mit denen du ehemals ihren Namen dachtest. –

Abdallah. Ach Omar, sie wird mir ein ewiges Verzeichniß meiner Verbrechen sein, alle beseligenden Gefühle sind auf ewig von mir hinweggeflohen, nur die entsetzlichen sind mir geblieben, diese knüpfen sich an jedes Wesen, an jede Erwartung. –

Omar. Reiß dich aus dieser trägen Seelentaubheit, zeige den Schaudern eine Heldenbrust, und sie werden zurückstürzen!

Abdallah. Nein, Omar, auf welche Freude darf der Vatermörder rechnen? Jedem andern Verbrecher verzeiht der gütige Himmel einst, aber des Vatermörders Gebet darf sich nicht in seine Himmel wagen, die Engel würden erzittern und der ewige Glanz seines Thrones erbleichen. Seit Ewigkeiten ward ich ausgelesen, ein Spott des grausen Verhängnisses zu sein und dies fürchterliche Spiel wird sich niemals enden. – Ach! könnt' ich wieder werden was ich war, könnt' ich zu dir sagen: weck mich auf! und ich erwachte dann und alles, alles wäre nur ein Traum gewesen, stände dann der Abdallah wieder vor dir, der einst vor dir stand, wärst du derselbe Omar, der du ehedem warst, – ach! als ich deine Lehren noch mit kindlicher Unbefangenheit in 226 mich sog, als ein zürnender Blick meines Vaters oder von dir das Unglück dieser Erde für mich war, als ich froh an jedem Abend einschlief und der Strahl des Morgens mich zu neuen Freuden weckte, als ich mich so unbesorgt und mit kindlichem Lächeln jedem Tage überließ, der mich dem folgenden überlieferte, – o wann kann ich wieder eine dieser Seligkeiten kosten? Wie ist dieser Abdallah so plötzlich jenseit aller Verbrechen und Laster geschleudert? – Himmel! wie nahe liegt mir die Zeit, als ich noch vor dem Gedanken Mörder zurückbebte? – Und selbst ein Mörder sein und der verworfenste von allen Mördern, Vatermörder! – o dürft' ich an die Unmöglichkeit glauben, dürft' ich der Unwahrscheinlichkeit vertrauen und mich keck mit mir selber wieder versöhnen. – Aber nein, es ist! Nicht wahr, Omar, es ist? –

Omar. Es war.

Abdallah. Nein, es ist! die Ewigkeit, der Allmächtige selbst kann mein Verbrechen nicht von mir wieder abkaufen. – Ach, Omar, als mein Vater hörte, daß sein Abdallah ihn dem Verderben verrathen habe, – ach, da sahe er mich mit einem Blicke an, – o es war ein entsetzlicher Blick, nie wird meine Einbildung diesen Blick verlieren, keine Stunde meines Lebens war mir noch so fürchterlich, als diese, noch nie war meine Seelenangst so hoch gestiegen, als bei diesem Anblick des Auges; alles Entsetzen lag darin. Laß mich nur diesen Blick vergessen, Omar, und ich will das freche Versprechen wagen, alles übrige zu vergessen!

Omar. Dein Vater hat dir verziehen, verzeih dir selbst. –

 

227 Ali und sein Gefolge kamen zurück. – Auch keinen Schrei konnte ihm der Tod auspressen, sagte Ali mürrisch, sein Tod war so halsstarrig wie sein Leben, er ging in die Vernichtung wie ein andrer sich zum Schlafen auf sein Lager wirft; der Schmerz wühlte in allen seinen Zügen und trieb seine Glieder fürchterlich geschwollen auf, aber er sahe dem gräßlichen Anblick wie einem Spiele zu. – Auch kein Seufzer ist ihm entschlüpft.

Ali winkte und einige Sklaven traten hervor, die den betäubten Abdallah in ein Bad führten. In Träumen verloren that er ohne Besinnung alles, was man von ihm verlangte. Man salbte ihn dann mit köstlichem Balsam und schmückte ihn mit reichen Kleidern, er bemerkte kaum diese Veränderungen. – Mit Gold und Purpur geschmückt ward er in den Saal zu Ali zurückgeführt.

Alle Großen des Reichs waren hier versammelt, der Saal schimmerte von Edelsteinen, himmelblaue Polster mit Gold geschmückt lagen an den Seiten des Saales. Jedermann begrüßte Abdallah ehrerbietig, alles neigte sich tief, er zwang sich heiter umherzusehen und jeden Gruß mit Freundlichkeit zu erwiedern.

Prächtig gekleidet trat Zulma itzt herein; Abdallah hatte sie noch nie so schön gesehn, er fuhr unwillkührlich auf und eilte ihr entgegen: mit ihr trat ein Priester herein. –

Ali nahm die Hand Zulma's und legte sie in die Hand Abdallah's. – Ich gebe sie dir, sprach er, so wie ich sie dir verheißen habe; deine Treue gegen deinen Fürsten hat dir diesen Lohn erworben, werde nie untreu, 228 und meine Gnade und die Gunst des Himmels wird ewig auf dich herunterblicken.

Der Priester sprach den Segen über beide aus, die Gäste warfen sich nieder und wünschten ihnen Glück. – Abdallah sahe immer starr vor sich nieder, nur zuweilen drückte er heftig und stumm Zulma's Hand, sie sahe oft besorgt nach ihm hin, aber er bemerkte ihre Blicke nicht und brütete wieder in seinem dumpfen Nachsinnen weiter.

Die Feierlichkeit war geendigt, Ali und die Gäste entfernten sich, um im Garten die frische Kühle der Abendluft einzuathmen, Abdallah und Zulma standen allein im Saale. –

O so ist denn endlich, begann Zulma, der große, der fürchterlich schöne, der langerwünschte Augenblick herangekommen, an dem ich von jeher zweifelte? – So sind denn nun alle meine Wünsche erfüllt? – O wie zagt' ich gestern, und flohe erschrocken zurück, als ich dich vor dem Pallast stehen sahe, ich wußte wie sehr mein Vater dem deinigen zürnt, – aber nun ist ja alles vorüber, – ich sinne vergebens, wie du durch die Unmöglichkeiten hindurchgedrungen bist und dich zu mir gekämpft hast, – aber sei's, auf welche Art es wolle, ich halte dich in meinen Armen und bin glücklich, und was will ich denn noch mehr als dieses Glück? Daß ich glücklich bin, daran weiß ich genug, alles übrige ist mir heute gleichgültig und ohne Werth. – Aber warum bist du so stumm, Abdallah? Meine Freude schwatzt und die deinige schweigt in ein stilles Nachsinnen verloren?

Abdallah sahe auf. – Fühlst du dich glücklich in meinen Armen? fragte er leise. 229

Zulma. So glücklich wie im Paradiese.

Abdallah. Ganz glücklich?

Zulma. Könntest du daran zweifeln? –

Abdallah. O so ist der Fluch des Ewigen nicht auf meine Stirn geprägt, – und du fühlst nicht, daß du in den Armen eines Mörders liegst?

Zulma. Eines Mörders?

Abdallah. Hörtest du den Herold nicht das schreckliche Gebot ausrufen?

Himmel! – du hast nicht, – sagte Zulma mit banger Ahndung, – sie konnte, sie wagte es nicht, weiter zu sprechen.

Ja! rief Abdallah lautlachend, ich gab meinen Vater verloren, um dich, dich zu gewinnen!

Zulma fuhr erblassend zurück, sie wollte ohnmächtig niedersinken, aber Abdallah fing sie in seinen Armen auf. Mit halbgeschlossenen Augen sahe sie ihn starr an, sie konnte nicht sprechen, ihre Lippen zitterten, sie wollte sich aus seiner Umarmung losmachen, aber in einem schrecklichen Krampf hielt er sie fest an seine Brust gedrückt. Du bist mein! mein! schrie er laut, – ich habe dich der Hölle abgerungen und keine Hölle soll dich mir wieder rauben, – so wie du mir gehörst, gehörte noch kein Weib dem Manne, jedes Haar deines Hauptes ist durch einen Fluch erkauft. – O Zulma! Zulma! auch du willst mich verlassen? – Für dich hab' ich mich ja der Verdammniß verpfändet, für dich, nur für dich bin ich der Natur und meiner Menschheit abtrünnig geworden und habe wüthend an meinen eignen Gebeinen genagt, – o hier ist noch die letzte Freistatt meiner Seele, in kein andres Gebiet darf sich der gebrandmarkte Verbrecher wagen, nur die Liebe 230 nimmt ihn gütig auf. – O Zulma! an deinen Busen gelehnt sollen mich deine süßen Lippen Vergessenheit lehren, hier will ich dem Himmel zum Trotz Seligkeiten genießen, – o dich hatt' ich vergessen, als ich dem Ewigen meine Freuden aufkündigte.

Ein Mörder? Ein Vatermörder? schrie Zulma schrecklich auf. – O hinweg Ungeheuer aus meinen Armen, du bist nicht mehr Abdallah!

Zulma! Zulma! rief Abdallah, hier ist meine letzte Hoffnung, nimm mir diese und meine Wollust ist Raserei und Gotteslästerung! – Wenn mir auch diese Seligkeit untreu wird, o so will ich mich in das ganze Meer der Verdammniß hineinwerfen, da Rettung doch unmöglich ist! Nein, Zulma muß mir bleiben, oder der Allmächtige ist mehr als grausam, er hat ja eine ganze Ewigkeit vor sich, mich zu martern, er lasse mir diese wenigen Jahre hier unten.

Gräßlicher! sagte Zulma. – O du hast mir ein entsetzliches Geheimniß enträthselt. – Liebe sollte sich in deine Brust hinein erkühnen? Wo das Grausen auf einem schwarzen Throne sitzt und Schauder seine furchtbaren Wächter sind? – Nein Abdallah, – meine Liebe ist seit diesem Augenblick erloschen; o Entsetzlicher, ich fürchte dich, wie sollt' ich dich lieben können?

Zulma! schrie Abdallah, o es gilt nun alles, alles, ich fluche dir mit entsetzlichen Flüchen, denn um dich hab' ich die That gethan, ich weihe dich zur Verdammniß und zum Grausen ein, ich klammre mich fest an dich und reisse dich mit mir in die Hölle, die meiner waltet. 231

Zulma. Du rasest, Abdallah. – O hast du mich so gewinnen wollen? – So? – hinweg! – die Menschheit hat dich ausgestoßen, was will der Verworfne in meinen Armen? Ich gehöre ihr noch an, – ich habe meinen Vater nicht ermordet, – wenn ich mit seinem Blute besprützt zu dir komme, dann wollen wir uns lieben, bis dahin sei mein Abscheu!

Abdallah ließ sie fahren. – Diese Furchtbarkeit sagte er, fehlte noch an der gräßlichen Zahl, Zulma weicht zurück; nun ewige Quaalen nehmt mich in Empfang! – die Liebe vergiebt mir nicht, – was soll ich von dem strengen Richter dort hoffen? Alles sagt sich von mir los, nur ich selber bleibe mir übrig. Vernichtung, stürme hervor! Brause heran, Verderben! – Hölle, öffne deine Arme! Sei verflucht Zulma, und der Augenblick, in welchem ich dich zuerst erblickte!

Abdallah warf sich erschöpft auf einen Polster, Zulma wagte es nicht, ihn anzusehen, sie trocknete sich heimlich kalte Thränen des Entsetzens von den Augen. – Ihr Vater kam mit den Gästen aus dem Garten zurück.



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