Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Zweites Kapitel.

In tiefen Gedanken ging der Jüngling unter dem lauten Rauschen des Waldes auf und ab. – Ja, – sprach er zu sich selbst, – Omar ist mir zurückgegeben, alles umher liegt in wüster Verwirrung von schwarzer Nacht bedeckt, er ist mein Freund, er soll es sein, mir und dem Schicksal zum Trotz; ich habe ihn wieder in meine Seele aufgenommen: denn wo fänden meine Zweifel sonst ein Ziel? Durch diese einzige Gewißheit, die ich eigenmächtig zur Untrüglichkeit stemple, fallen alle Zweifel, die mir boshafte Geister entgegenhielten, wieder zur Erde, und ich stehe da in der freien uneingeschränkten Gegend. Meine Rechnung ist richtig, wenn 165 dieser einzige Fehler ausgelöscht wird, ich will meiner Mühe ein Ende machen, er sei vernichtet! Ich gebe unangesehen diesen Verlust preis, um ein langweiliges Spiel zu beschließen.

Mein Vater wünscht zu sterben, – o ich sehe schon in der Ferne die Woge schwimmen, die auch die letzte kleine Bergspitze, auf der ich stehe, herunterschlagen wird, sie wälzt sich immer näher und näher. – Das Schicksal rückt den schwarzen Zeiger und stellt ihn nach und nach auf jene fürchterliche Stunde, unvermeidlich schlägt sie an und ich stehe plötzlich, ohne es ändern zu können, ohne meine Beihülfe jenseit der Gegenwart. – Traurig wie der Mond geht dann mein Vater unter und zugleich steigt Zulma mir gegenüber mit tausendfacher Pracht unter goldnen Flammen auf, – das Verhängniß läßt mich zwischen dem Vater und der Geliebten wählen, – o verzeihe, großer Prophet, ich wähle Zulma! Es muß sein, es kann, es will nicht anders. – Welcher Sterbliche kann den Eigensinn des Schicksals brechen?

Unter diesen Gedanken war er nach und nach aus dem Walde herausgegangen und stand itzt auf der Landstraße. – Die Stadt mit ihren runden Moscheen lag vor ihm, die Fenster im Pallast Ali's glänzten blendend in der Sonne, er glaubte Zulma's Gestalt an jedem Fenster zu sehen, seine Schwärmerei sahe ihre Blicke, mit denen sie wehmüthig nach ihm hinstarrte; ohne an die Gefahren zu denken, denen er sich unbedachtsam Preis gab, ging er in die Stadt hinein.

Der zürnende Ali hatte indeß auf Befriedigung seiner Rache gesonnen. Daß Selim ungestraft diese Verschwörung sollte unternommen haben, daß er ihm selbst entflohen sei, ohne daß irgend jemand wisse wohin, diese 166 Gedanken reizten seine Wuth stets von neuem auf. Er hatte einen fürchterlichen Eid geschworen, sich an Selim zu rächen und dieser Schwur quälte ihn unablässig; er hatte daher an diesem Tage seine Vertrauten zu einer geheimen Rathsversammlung berufen, um sich von ihnen Mittel vorschlagen zu lassen, die den verborgenen Selim entdecken müßten, er hatte beschlossen, alles auf diese Wollust der befriedigten Rache zu verwenden, nichts sollte ihm zu kostbar sein, den verwegenen Aufrührer zu strafen.

Abdallah stand vor dem Pallast des Sultans und sahe mit brennenden Augen nach den Fenstern des Altans hinauf, – er sahe Zulma, sie blickte verstohlen hinter einem zurückgezogenen Vorhang auf die Straße, kaum aber sahe sie Abdallah's Gestalt, als sie sogleich schnell und erblassend zurückflohe. Er sahe ihr festgezaubert nach, bis auch der letzte Schimmer ihres Schattens verschwand, dann warf er sich auf eine Bank und sahe nach den Blumen des Altans. – Die Rose war hinter den Citronenbaum gestellt und in der Mitte des Altans stand die bleiche Lilie, das Sinnbild der Furcht. –

Er ging weiter und kam über die Brücke der Stadt an den Pallast seines Vaters. – Wehmüthige Thränen traten ihm in die Augen, als er so unbarmherzig alles zerstört sah. Einzelne Mauern und Thüren standen wie verspottet unter dem Schutt, im Hofe lag alles wild umher, Steine und Balken aufeinander gehäuft. Traurig suchte er die Stelle des Zimmers auf, das er ehedem bewohnt hatte; die Stufen waren abgebrochen, auf denen man auf das Dach hinaufstieg, ein Theil des Daches lehnte sich noch auf eine Mauer und drohte in jedem Augenblick den Einsturz. Das bekannte Haus, das ihn so oft so freundlich und väterlich aufgenommen hatte, das 167 die Freuden und Schmerzen seiner Kindheit mit ihm getheilt halte, lag itzt zerrissen vor ihm. Selbst das Leblose, in welchem er sonst glücklich gewesen war, war vernichtet, auch selbst das Andenken seiner Seligkeit schien ihm der zürnende Himmel nehmen zu wollen und bis auf die letzte Wurzel alles auszureissen, was ihn einst mit den schönsten Freuden genährt hatte.

Abdallah stand noch immer in seinem traurigen Nachdenken, als er das laute Schmettern einer Trompete hörte, von einem verwirrten Getöse und Geschrei des Volks begleitet; er kümmerte sich nicht um das Geräusch, nur klang es ihm, als wenn er den Namen Selim laut habe nennen hören. – Itzt kam der Zug bei ihm vorüber und er sahe einen Herold auf einem Pferde, der dicht neben ihm still hielt, einigemal in die Trompete stieß und dann laut ausrief:

»Daß derjenige, und wäre er selbst ein Sklave, welcher den Verräther Selim lebendig in die Hände des Sultan's liefern würde, seine berühmte, schöne Tochter Zulma als Gemalin dafür zum Lohn erhalten solle.«

Wieder das Schmettern der Trompete und der Zug lärmte vorüber. –

Dumpf und ohne Gedanken verließ Abdallah die Stadt, träumend wie ein Mann, der vom Schlafe erwacht und sein Haus in prasselnden Flammen sieht, die schon sein Bette lecken; er springt auf und steht betäubt und ohne Bewußtsein vor dem leuchtenden Element, das wüthend durch seine Besitzungen geht, er hat sich nur gerettet um desto unfehlbarer zu verderben: – so kam Abdallah fast ohne es zu bemerken zur Hütte im Walde zurück. 168



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