Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Drittes Kapitel.

Abdallah erwachte und tausend verworrene Gefühle, traurig und froh, drängten sich ihm mit den ersten Strahlen der Sonne entgegen, Ahndungen die ihn mit Schaudern umgaben und doch mit hohen Entzückungen seinen Busen schwellten; in seiner Seele schwebte eine Dämmerung, die hundert Flammen durchzuckten und von der kalten Finsterniß wieder ausgelöscht wurden. Zulma, die ihn gestern so liebevoll aufgenommen hatte, neben dem blutigen Strom im Felsenthal, jene wollüstigen Empfindungen waren ihm nachgeschwommen und kämpften itzt mit den Schreckenserinnerungen, seine Seele rang mit Freude und Verzweiflung, Quaalen und Seligkeiten wechselten in seinem Busen, wie eine Welle, die bald der Schatten überfliegt, bald wieder ein blendender Sonnenstrahl vergoldet. – Die Palmblätter lagen neben ihm, er nahm sie und wollte zu lesen anfangen.

Deine Ahndung, edler Freund, sprach er, hat dich nicht getäuscht, die Schmähsucht will das Band zerreissen, das meine Seele an die deine knüpft, man will dich aus meinem Herzen jagen und mir auch das letzte Andenken meines vorigen Glückes rauben, auch den letzten Becher will man von meinen brennenden Lippen 94 nehmen. – Ob ich diese Blätter lese? Oder sie ungesehn in den Strom auf ewig versenke? Kein Verdacht hat dann meine Freundschaft befleckt, dann kann ich ohne Scheu dem zurückkehrenden Omar entgegengehn und ihm den Kuß der Liebe geben. – Verdacht? – Himmel! was kann dem großen allmächtigen Omar an dem Wurm Abdallah liegen? – Ihm ziemt es, von seiner Freundschaft Rechenschaft zu fordern, nicht mir, – sein Sonnenglanz sieht mit milder Güte auf mich Verlassenen herab – und ich will ihm mißtrauen? Was kann er denn von mir gewinnen, das er nicht schon tausendfach besäße? Was kann ich verlieren, das er mir nicht unendlich ersetzen könnte? – Nein Omar, dein Abdallah wird nie undankbar sein, du pflanzest für ihn einen Garten, dessen Kühlung ihn erquicken soll, und ich will dankbar dein Geschenk annehmen. Hast du mir nicht in dieser Nacht Himmelsseligkeiten zubereitet? Das feindselige Verhängniß kämpft gegen deine Güte an, es fordert laut mein Elend, aber du hältst einen Schild vor meine Brust. – Deinen Freund Nadir hast du verloren, mich sollst, mich kannst du nicht verlieren, wenn du mich nicht selbst verächtlich von dir wirfst, und darum will ich ohne Scheu diese Blätter lesen, ich will diese Verläumdungen erfahren, um desto unzertrennlicher an dir zu hangen.

Er nahm die Blätter und fing an zu lesen:


Abdallah, ich beschwöre dich bei allem, was dir auf dieser Erde und jenseit des Grabes theuer ist, weise diese Worte nicht mit der Kälte zurück, mit der man einen verdächtigen Fremden abzuweisen pflegt, grabe sie 95 tief in die Tafel deiner Seele und laß sie dort durch kein Mißtrauen, durch keinen täuschenden Verdacht wieder auslöschen. Zweifle in der ganzen Zukunft deines Lebens, nur itzt nicht, denn diese Zweifel könnten dich um alles bringen, was je ein Wunsch und eine Hoffnung ahndete, was je ein Geist zu erlangen strebte. O ich bin glücklich, es ist die edelste That meines Lebens, und der Zweck meines Daseins ist zehnfach erfüllt; wenn diese Blätter nicht zu spät in deine Hände fallen, der Baum ist gesegnet, auf dem sie hervorschossen, das Rohr ein Heiligthum, das diese Züge niederschrieb, dann kann ich dem Richter jenseit mit Vertrauen entgegentreten und meine Rechnung seinen Händen überliefern, diese That löscht alle meine Sünden in seinem schwarzen Buche aus. –

Aber du möchtest mich nicht verstehen und in meinen Worten nur Verläumdungen finden, darum will ich zu dir wie zu einem Verbündeten sprechen, der schon in die Geheimnisse der Nacht eingeweiht ist. Du stehst einmal jenseit der glücklichen Unwissenheit und es wäre Frevel, von Geheimnissen zu schweigen, deren Mittheilung dich vielleicht noch von dem Abgrund zurückreissen kann, vor dem du schwindelnd im dumpfen Nachsinnen stehst.

Eine schwarze Nacht liegt um dich her und du kniest vor einem verdorrten Stamm, den du für das Bild eines Gottes hältst, du verehrst in Omar die Macht, die über die Menschenkraft hinausgreift, du siehst ihn auf der Spitze eines Felsen, zu der du den schroffen Abschuß vergebens hinaufklimmst, – o dürft' ich ganz die Hülle von deinen Augen nehmen und einen Stern in dieser Nacht erwecken! du siehst einen prächtigen 96 Nebel in der Abendsonne in hohen gewundenen Säulen brennend emporsteigen – und vergissest, daß es nur Dampf und nichtiger Rauch ist. – Könntest du ohne Blendung in die wesenlose Pracht hineinblicken, du würdest da verachten, wo du itzt verehrst. – Die Mauer der Allmacht ist unübersteiglich, kein Sterblicher wird je in das Innere des Heiligthums dringen, eine unwiderstehliche Hand hält den Staub unerbittlich von dem zurück, was nur daurende Geister sehn und begreifen können, uns ist ein Feld angewiesen, wo wir über Blumen denken dürfen, jene unendlichen Wälder sind unserm Blick zu groß, kaum hören wir zuweilen von der Mauer ihr dumpfes Rauschen herüber, kein Auge wird sich je in den Garten des Ewigen wagen. – Jene Kraft, die der Getäuschte für einen Theil der Allmacht hält, ist nichts, als ein Blendwerk, das in seinen eignen Augen schwimmt, er selber bringt wider seinen Willen das hervor, was er glaubt vom Himmel herabsteigen zu sehen.

Welcher Wurm kann sich ohne Flügel zum Glanz der Sonne aufwärts schwingen? Ein Strahl zittert auf ihn hernieder und er glaubt sie steige auf sein Gebot zu ihm herab und spiele neben ihm im Grase, aber es ist nichts, als ein Tropfen Thau's, in welchem ihm ihr Bild aus einem kleinen Spiegel entgegenlächelt. Die Hand des Menschen wird nie in ewige Gesetze greifen und ihnen Stillstand gebieten; wer würde noch zum Allmächtigen beten, wenn der Hauch des Staubes die Weltendonner seiner Sprache überschrie, wenn ein Sonnenstaub sich seinem Willen entgegenwürfe und das große Gewebe sperrte? – Nein Abdallah, du glaubst zu sehen, was du nicht sehen kannst, in dir selber 97 schlägst du die Töne an, die du aus den Wolken zu hören glaubst, die Unendlichkeit steht deinem Lehrer nicht zu Gebot, aber deine schwachen Sinnen vermag er zu beherrschen, das große Geheimniß, vor dem du verehrend zurückschauderst, ist nichts, als ein gemeiner Betrug, den du an einem armseligen Künstler verachten würdest.

Darum höre mich und sei was du warst, verliere den Freund und gewinne dich selber der Verrätherei wieder ab, sprich das belebende Wort über die Leichen aus und laß aus ihrem Grabe die Seligkeiten wiederkommen, die du selbst ermordet hast; laß das schlachtende Messer inne halten und binde sorgsam die letzte Rose auf, die schon in der Sonnenhitze verschmachten will. –

Mein Name ist Nadir, ich trete mit dem morgenden Tage in mein achtzigstes Jahr, traue meinem Alter, das mich bald vor den Thron des Richters bringen wird, wo man mir jede Lüge aufbewahrt. – Seit meiner Kindheit brannte in mir eine unauslöschliche Ungeduld, alles zu erfahren und zu wissen, was nur in der Seele des Menschen Raum fände; als Jüngling schweifte ich bald mit meinen Gedanken über die Gränze hinaus, die eine gütige und grausame Hand unserm vorwitzigen Geiste gesetzt hat. Mein Verstand wollte das Unendliche umspannen und das Undurchdringliche durchdringen, die Schwäche der Menschheit hielt ich nur für die Schwäche meines Geistes, meine Sinne schweiften durch alle Regionen der kühnsten Zweifel und der verwegensten Irrthümer, ich riß alles um mich her aus, und bepflanzte die leere Schöpfung dann mit den Wesen meiner Einbildung, ich glaubte nichts, um 98 alles zu glauben. Alle meine Kräfte bot' ich zum Kampfe auf und fühlte mitten im Streit meine Schwäche, ich hatte durch meine Kühnheit Gott und das Schicksal verloren und doch genügte ich mir nicht selbst in der traurigen Einsamkeit, ich hatte die Vorsehung geläugnet und fing nun an, die Macht fremder Wesen und Dämonen zu glauben; Aberglaube und Nichtglaube berühren sich unmittelbar auf der Gränze, aus einem Feinde der Andacht ward ich ein Schwärmer. Von itzt lebte ich unter Wundern und Unbegreiflichkeiten, zu denen ich mich hinandrängen wollte, die Aehnlichkeit der Gottheit schien mir darin zu liegen, die geheimen Winke der Natur zu verstehn, und das Unmögliche möglich zu machen, ich taumelte auf einem schmalen gefährlichen Wege durch das Gebiet des Wahnsinns, von blendenden Hoffnungen begleitet.

Auf dem Gipfel des Caucasus, hört' ich, wohne der weise Achmed, der die große Auflösung zu den Millionen Räthseln gefunden habe, den Stab, mit dem er an die Sonne und die Sterne reichen könne und dem sich die Zukunft aufthue. Ich verließ mein Vaterland, um diesen Gott zu sehen und sein Schüler zu werden, wenn er mich für würdig erklärte. Er nahm mich auf und ich überstand fünf harte Probejahre, in denen er mich durch tausend Mühseligkeiten zurück zu schrecken versuchte, aber meine Wißbegierde ertrug alle Lasten leicht und tröstete meine Ungeduld, die zuweilen erwachte, mit dem herrlichen Augenblick, in welchem meinen Augen der ewige Vorhang niederfallen würde. – Omar war wie ich ein Schüler Achmeds, – der erharrte Tag erschien endlich und ich ward in den schwarzen Bund aufgenommen. – Wir mußten beide dem 99 edeln Achmed mit einem heiligen Eide schwören, nur durch unsre Macht Glück und Freude zu verbreiten, dem Elenden beizustehn, den Schändlichen zu strafen und so dem Ewigen ähnlich zu werden. – Wir schwuren es und Achmeds Gewalt war die unsrige.

Nun erst sah ich ein, daß meine Wünsche jenseit der Schranken der Menschheit lagen, daß das, was ich verloren gegeben hatte, mehr werth sei, als mein Gewinnst. Alle meine großen Hoffnungen waren hintergangen, ich war im Begriff mich selbst zu verachten. Tausendmal wünscht' ich die Vergangenheit zurück, in der ich noch nicht an die Gränze der menschlichen Kraft gekommen war, wo mich eine unbarmherzige Schrift höhnend zu den Thieren des Feldes zurückwies. Ich hatte gehofft, daß sich mir die Ewigkeit aufschließen würde, wo ich im Heiligsten die Gottheit schaute und den großen Plan der Welt sähe, den sie gezeichnet hat – und ich ward vor einem Spiegel geführt, in dem ich nun meine eigne Verächtlichkeit sahe und eine Kunst war mir verliehen, die mir durch armseligen Betrug den großen Verlust nicht ersetzen konnte, eine Macht, die Niemand an dem Besitzer beneiden würde, wenn er nur einen Blick durch den blendenden Glanz zu werfen vermöchte.

Omars Freundschaft tröstete mich in meiner Trostlosigkeit und versöhnte nach und nach mein Mißvergnügen, wir tauschten unsre Seelen gegen einander aus und ein jeder gewann, wir schlossen einen heiligen Bund und jeder Gedanke, jedes Gefühl floß in das Wesen des Freundes hinüber.

Endlich trennte sich Omar von mir und ich blieb allein bei meinem Lehrer, und lebte in einer stillen 100 Einsamkeit und Ruhe, von der Welt und ihren Geschäften geschieden, in steten Betrachtungen der Natur und der Weisheit Gottes. Ich dachte oft an meinen Freund Omar und wünschte ihn zu mir zurück. Zwanzig Jahre waren so verflossen, als ich von meinem Lehrer Achmed den Auftrag erhielt, ihn aufzusuchen, denn meine Reise setzte er hinzu, könnte wichtige Folgen haben.

Ich durchreiste Arabien und Persien vergebens und fand ihn endlich hier wieder, an jenem Abend, als du unter einer Cipresse eingeschlafen warst und ein brausender Sturm dich aus deinen Träumen weckte. – Er eilte in meine Arme, es war eine wonnevolle Stunde des Wiedersehens; wir erzählten uns unsre Schicksale und Omar sprach also:

»O! daß der Mensch in seinem Busen einen unversöhnlichen Feind mit sich herumtragen muß, der ihn unabläßig quält! daß dies heillose Drängen unsrer Seele, dies Streben gegen die Unmöglichkeit uns den Genuß unsers Daseins raubt und uns gegen uns selbst verderbliche Waffen in die Hand giebt!«

Wir hatten uns weiter hinein in den Busch entfernt, die Nacht sah schweigend auf uns herab, die Bäume wiegten sich leiserauschend und Omar fuhr also fort:

»Wir sprachen schon damals, Nadir, als wir beide noch den Unterricht des weisen Achmeds genossen, von jenem Sturm, der unaufhörlich in dem Baum unsers Geistes wüthet und ihn zu zerstören droht. Kaum hatte ich von dir Abschied genommen, so verfolgten mich alle meine Wünsche mit erneuerter Wuth, mein brennender Durst war nicht gestillt, sondern durch Achmeds Kenntniß nur von neuem angefacht, mein Vordrängen 101 war vergebens gewesen, denn noch in dichtem Nebel eingehüllt lag der große Felsen in der Ferne, hinter welchem die Sonne wohnte, die ich suchte. Ich fühlte mich eingeengt und gepreßt und war unglücklicher als ich je gewesen war.«

»Furchtbare Gedanken standen itzt leise in meiner schwarzen Seele auf wie Verbrecher, die die Ketten von sich streifen und sich frech im düstern Kerker erheben. Weisheit war mir der edelste, der einzige Zweck des Menschen, die einzige Krone, die seine Stirn schmücken könnte, ein Zweifel an alle Tugend machte mir diese gepriesene Gottheit verächtlich – und ich wagte endlich vermessen einen Schritt, von dem ich vorher wußte, daß sich hinter mir ein Abgrund reissen würde, um mir den Rückweg ewig unmöglich zu machen.«

Omar hielt ein und mit gespannter Aufmerksamkeit horchte ich auf seine Rede. – Mein Freund fuhr fort:

»Am Ende der Welt, in einem fürchterlichen Schlund, der sich zwischen die Klippen des Atlas wirft, an einer Stelle, wohin noch kein Menschenfuß sich verirrte, wo zwischen ewig einsamen Felsenwänden das Grausen wohnt und kaum ein verirrter Wind mit seinem Fittig gegen die hohen Steinmauern streift, dort, – so sagte eine alte Sage, – wohne seit Jahrtausenden ein furchtbarer Sterblicher, der hier im kalten Haß der Ewigkeit entgegenharre, von Menschen und Engeln losgerissen, ein Wesen, einzig, ohne je ein Leben zu finden, dessen Seele mit der seinigen gleichgestimmt sei. – Greise erzählten mir unter Schaudern, daß er ein höherer Geist gewesen sei, der sich vom Ewigen losgeschworen und in die leere Wüste der Strafe der Allmacht entronnen sei, Mondal, so nannten sie den Schrecklichen und sagten, 102 daß der große Verworfene keine Strafe bedürfe, denn er selber sei seine Verdammniß. Man sprach von den Wundern die er ehedem gethan und denen die Völker in Demuth erzittert wären, von gräßlichen Strafen, mit denen er sich an seinem Feinde gerächt, sein Name war die Loosung zum Schrecken.«

»Ihn wollt' ich aufsuchen und mich an seine fürchterliche Größe drängen, hier die Flammen meines Busens kühlen, oder ein unausbleibliches Verderben finden. – Ich wanderte durch die Wüsten von Afrika, ich ging über die hohen unermeßlichen Gebirge und näherte mich endlich der langerhofften Gegend. Das Gebirge lag fürchterlich aufgethürmt, wie die Mauer der Welt vor mir, die Wolken des Himmels schienen scheu um den Fuß zu flattern und frech hoben sich die Spitzen des Klippengebirges in die unendliche Leere des Aethers, immer höher und höher aufgewälzt und immer furchtbarer und kühner aufgethürmt.«

»Ich bestieg die untersten Gebirge, die sich nur wie Hügel an die unbegränzte Felsenmauer lehnten. Die Erde lag unter mir mit allen ihren Schätzen und Städten ausgebreitet und schien mir Lebewohl zu sagen, das Meer unermeßlich ausgegossen tief unter mir. In tausend Herrlichkeiten winkte mich die Sterblichkeit zurück, sie streckte die Arme liebevoll nach ihrem verlornen Sohne aus und rief mich mütterlich an ihren Busen hin, an dem ich in der Kindheit meines Geistes mit so inniger Liebe gehangen hatte. – Aber ich ging vorwärts und ließ hier meine Menschheit zurück, ich warf alles von mir ab, was der Endlichkeit gehörte, ich riß auf ewig das große Band entzwei, das mich an die Schöpfung hielt, ich setzte den Fuß vorwärts, von 103 diesem Augenblick ganz mein eigen, die Menschheit hinter mir auf ewig zugeschlossen, ich auf ewig in die Unendlichkeit des Meeres hinausgewiesen, von keinem Ufer jemals wieder angewinkt zu werden.«

»Mein Pfad wand sich immer steiler die Felsen hinan, immer unfreundlicher die Natur umher, die Bäume starben aus, die Sträucher, und endlich erlosch auch der letzte Schimmer des grünen Grases unter meinen Füßen. – Itzt lag die Erde und das Meer in eins verschwommen ungewisser wie ein Nebel unter meinem Blicke, wie in einen schwarzen Schleier eingewickelt; so weit mein schwindelnder Blick sich wagte, über mir und unter mir und neben meinem Schritte die unendliche gedankenlose Leere. – Bei jedem Schritte zog sich ein härterer Panzer um meine Brust, keine meiner vormaligen Empfindungen wagte es, mir in den eisernen Aufenthalt zu folgen, nur von nackten Felsen und dem Himmel umgeben hatt' ich schon vergessen, daß ich einst ein Mensch gewesen sei.« –

»Ich kam in Gegenden, die die Natur zuletzt in ihrer Ermüdung geschaffen zu haben schien, kein Leben, kein Moos, das die Felsen hinaufkroch, erinnerte mich an die Welt, die ich verlassen hatte. Hier schien der Tod seine Behausung zu haben, eine Welt schien hier einst untergegangen und dies ihre schauderhaften Ruinen zu sein. Ein kaltes Grauen begleitete mich, immer größere Furchtbarkeiten kamen mir entgegen, alle meine Gefühle gingen nach und nach in meiner Brust unter, und nichts als mein Vorsatz und das Bewußtsein meines Daseins blieb mir übrig.«

»Itzt stand ich auf einer Felsenspitze, die in ein Thal hinabsahe, das rings von kahlen schwarzen Klippen 104 eingeschlossen war, ein Schauder brütete über diesem Schlund, in den sich tausend Höhlen rissen und ein verworrenes Gebäude bildeten, kein Luftzug rauschte durch die Felsenwüste, kein Ton, der ein Leben verrieth, schlich hervor; die gespaltenen Klippen grinßten mir aus dem Abgrund entgegen, die Vernichtung sahe sich hier selbst mit Wohlgefallen an und behorchte sich in der schauderhaften Stille.«

»Dies ist seine Behausung! rief ich unwillkührlich aus und der erste Klang warf sich zerschmettert die gewundenen Klippen hinab, ich selber fuhr erschrocken zurück und der Ton verlor sich winselnd in den fernsten Schlünden.«

»Die letzte Furcht faßte mich zweifelhaft an. – Soll ich hinuntersteigen? fragte ich mich leise. – Noch, noch steht mir der Rückweg offen! Noch darf ich selber über meinen Willen gebieten. – Doch was soll ich in der Welt? – Ein Engel darf, ein Mensch mag ich nicht sein, nur die Hölle bleibt den Unbefriedigten übrig, – ich kann nicht anders, ich würde nichts vom Menschen wieder rückwärts bringen: – und zugleich stieg ich in das fürchterliche Thal hinab.«

»Wie mit tausend kalten Armen hielt es mich eingeklammert, wie in den unerbittlichen Tod schritt ich hinunter.

»Plötzlich fuhr ich bebend zurück. – In einer halb dunkeln Grotte saß ein Greis und lächelte mir mit einer Freundlichkeit entgegen, die mehr dem Zähnegeknirsch eines Ungeheuers glich. Ein weißer Bart sank bis auf seine Füße hinab und deckte sein Gesicht. Ein fremdes mir unbegreifliches Wesen sahe aus seinen wilden Augen, er hatte bloß das Ansehn eines 105 Menschen, um die Menschheit von sich zurückzuscheuchen. – Sein Anblick hatte mich bis in das Innerste meiner Seele erschüttert und ich wagte es nicht, die Augen zum zweitenmal auf ihn hinzuwerfen: ich hatte allen sanften Gefühlen Abschied gegeben und die Schauder vertraulich in meinem Busen aufgenommen, – aber hier fand ich ein Wesen, vor dem meine Frechheit Demuth ward, alle meine Verwegenheit sich in banges Grauen auflöste.«

»Wer bist du? rief er mir in Tönen entgegen, wie ohne Klang und Athem; sie kamen zu mir, wie aus einer fernen Welt und sprachen in Accenten, von denen kein sterbliches Ohr eine Ahndung hat und haben kann.«

»Ein Wesen, schrie ich ihm entgegen, das sich selber nicht begreift! Meine Menschheit hab' ich jenseit diesen Klippen ausgezogen! – Das Leben hat keinen Reiz für mich, ich will in der Wildniß meine Freude suchen.«

»Mondal schwebte mir entgegen und stierte mich mit einem Blicke an, der meine Seele mit Riesenkräften zusammendrückte.«

»Du bist das erste Wesen, sprach er, das mein Angesicht sieht, ich sitze hier und faste der Ewigkeit entgegen und noch kein Staubgeborner hat es gewagt, mich in meinem Hause zu besuchen, wo ich mit dem Grausen spiele und Schauder mir die Zeit verkürzen. – Was suchst du hier?« –

»Was ich hier oder nirgends finde, antwortete ich zitternd, ich schäme mich ein Mensch zu sein, nimm du mich in deine Gesellschaft auf und vergönne, daß ich deinen Geist begreife und dir ähnlich werde.«

Er sahe mich an und lachte fürchterlich auf, daß die Felsen umher in ihren Wurzeln wankten. – Vermessener! rief er dann: – Du verläugnest die 106 Menschheit und doch zeigen deine Worte, daß du ihr noch zugehörst. Ein Funke, der von mir zu dir herüberleuchtete, würde dein Wesen zersprengen. Dank' es meiner Verachtung, daß mein Anblick dich nicht tödtet!«

»Nun dann, sprach ich mit knirschender Verzweiflung, so bleibt mir keine Hoffnung übrig, als meine Vernichtung!«

»Vernichtung? antwortete der Furchtbare und zog den Mund zum Grinsen, so kalt und todt wie die Felsen umher. Was ist, kann nicht vernichtet werden, die Ewigkeit hält dich fest, so lange die Zeit dauert, dauerst du selbst. Du kannst dich tödten und in eben dem Augenblick stehst du ein neues Wesen in deiner eignen Verdammniß wieder da, – so hat es der Gütige dort gewollt, der alles mit seiner Milde umfängt. O! wenn Vernichtung möglich wäre, wenn wir uns selber angehörten und beherrschten – o dann wäre noch Glück in seiner Schöpfung!« –

»Ich fuhr mit Entsetzen zurück. – Voll Frechheit kömmst du hierher, sprach Mondal weiter, und bedachtest nicht, daß dein Wesen sich nie dem meinigen nähern könne. – Nein, Sterblicher, ganz kannst du mich nicht verstehen, denn tausend Naturen stehen zwischen uns; die Gedanken, die du begreifst, sind nicht meine Gedanken, unser Urstoff ist verschieden, wir können uns in keiner Empfindung begegnen.«

»Wo find' ich dann, rief ich mit bitterm Unwillen aus, ein Wesen, das mich versteht? Mir ist alles verschlossen, in der ganzen Schöpfung kein Laut, der in mir denselben anschlüge. Vernichte dies Streben in meiner Brust, das mich durch alle Welten drängen würde, du verwirfst mich als deinen Schüler, erniedrige 107 mich bis zum Wurm, der sich dumpf und ohne Bewußtsein zu deinen Füßen windet.«

»Ich verwerfe dich nicht, sagte Mondal, deine Natur hält dich gefangen! Ich will dir geben, was ich kann, – aber du wirst meine Bedingung nicht erfüllen.«

»Alles, alles, sprach ich hastig, – nur reiß mich aus diesem peinvollen Dasein, mach, daß ich mich nicht verachten muß, sollt' ich mich auch dafür verabscheuen!« –

»Mondal schwieg eine Weile, dann sagte er: Ich stehe nicht über der Menschheit, ich bin nur ein fremdartiges Geschöpf, dessen Gedanken und Gefühle Strahlen sind, die nie mit denen der Menschen in ein Licht zusammenfließen, sondern sich ewig zurückstoßen. Die Menschen haben von ihrem Gotte jenen Trieb, alles zu ordnen und in ein Ganzes zu bringen, meine Freude ist Zerstörung. Ihrem Triebe genug zu thun, arbeiten sie in einer ewigen Thätigkeit an Ordnung und Harmonie, Sklaven eines Herrn, dem sie dadurch schmeicheln wollen, Schönheit und Tugend nennen sie das Gebäude, das sie aufführen, für mich giebt es keine Tugend als ihre Laster. – Kannst du deine angeborne Menschheit bis auf die letzte schwächste Ahndung ablegen und mir voll Vertrauen die Hand reichen, kann ein heiserer Mißklang dir eben so viel Freude geben, als jener Wohlklang dort unten, verlierst du nichts an jenem Gott dort oben, so bist du mein!«

»Ich reichte ihm mit erzwungener Festigkeit die Hand.«

»Zerstörung! rief er mit wilder Freude, dein Hauch sei Vernichtung, jeder Pulsschlag ein Verbrechen, verfolge ihre Tugend und sei der Freund des Bösen, kehre 108 in die Welt zurück und zerreiß das Gewebe, mit dem sie sich an ihre Gottheit knüpfen wollen, dies beschwöre mir mit einem großen Eid und unter diesen Bedingungen will ich zeigen, was kein Auge sieht. Fern ist noch der letzte Tag, wir wollen wirken, bis die Zeit zum Greise wird.« –

Omar hielt hier in seiner Erzählung ein. – »Und du schwurst den Eid?« rief ich erschrocken aus. –

»Ich schwur ihn,« antwortete er langsam und sprach dann weiter: »Es war ein Schwur, o, mehr ein Fluch, unter dem sich die geängstigte Erde hätte bäumen mögen, ich wag' es kaum, ihn in Gedanken zu wiederholen.« –

»Wie ein Vorhang fiel es vor meiner Seele hinweg, alle meine Gedanken waren zu Riesen aufgewachsen, die gegen den Himmel anstürmten, meine vorige Frechheit schien mir itzt Feigheit, alle meine Gefühle waren ehern, mein Busen Diamant.«

»Ich ward in seine fürchterlichen Geheimnisse eingeweiht, Flüche segneten mich ein, Grausen stieg mir aus den unendlichen Labyrinthen entgegen und Schauder waren meine Erfrischung. Meine Gedanken dachten das Ungedachte, ich war über den fernsten Gränzstein der Menschheit hinausgeschritten und wandelte nun, ein fremder Pilger, jenseit dem Leben auf der dürren Haide. – Die Vergangenheit kam meinem Ruf zurück, die Zukunft schloß sich meinem Blicke auf. – Mondal zeigte mir ein ungeheures Buch, in welchem auf jedem seiner Millionen Blätter tausend Punkte gezeichnet waren. – Dies ist mein Almanach, sagte er lächelnd, so viel Punkte du ausgelöscht siehst, so viele Tage hab' ich durchlebt, die übrigen sind die Tage, die 109 noch bis zum letzten Tage übrig sind, ihre Zahl ist unzählbar; aber endlich nutzt sich nach und nach die Zeit ab, auch der letzte Punkt wird ausgelöscht und die neugeborne Ewigkeit wandelt über den Ruin der Welten. Bis dahin sieht mein Auge; was dann sein wird, ist ein Geheimniß, das ich schon seit Jahrtausenden zu enthüllen strebe.«

»Mein Geschäft war nun geendigt und ich ging in die Welt zurück, nicht um zu leben und zu genießen, sondern um Genuß und Leben zu zerstören. Alle meine vormaligen Freuden kamen mir wie eben so viele Feinde entgegen, ich zerstörte und vernichtete, so weit nur meine Gewalt reichte, Jammergeschrei folgte meinen Schritten und Flüche der Wittwen und Waisen, mein Weg war mit Thränen benetzt und Grabhügel waren die Denkmale, die von meiner Durchreise sprachen. – Der Ewige hatte mich in ein Leben verwiesen, das ich verachtete und ich sättigte mich im Genuß der Rache, ihn selber konnte mein Arm nicht erreichen, aber seine Geschöpfe mußten meinem Zorne büßen! Das Dasein quälte mich, wie eine Gewissensangst, Vernichtung war nicht möglich, Flüche nicht genug, ich mußte ihn strafen.« –

»Ich kam in mein Vaterland und der Sultan Ali ward mein Freund, er war im Begriff, seinen Unterthanen ein guter Fürst zu werden, aber ich lehrte ihn die Menschheit und ihre Tugend verachten und so kam er endlich zu jener kalten Grausamkeit, die seinen Namen zum Schrecken des Landes gemacht hat. Durch mich ließ er tausend Schlachtopfer fallen und tausend eine Beute des Mangels werden, unter diesen war auch Selim; Ali nahm ihm seine Schätze, Selim entflohe 110 mit seiner Gattin und einem kleinen Sohne, auch die Gattin mußte sterben und ihn sein Sohn nur noch gewaltsam in ein quaalvolles Leben zurückhalten. – Ich ging unter den Menschen in einer ewigen Einsamkeit, wie dienstbare Henkerknechte liefen Schrecken vor mir her und schlugen gewaltsam jedes Gefühl, jeden Menschengedanken von mir zurück, – so fand ich den armen, vormals glücklichen Selim, weinend auf dem Grabe seiner Gattin sitzend, – da flog mir wie ein ferner Schein der Wunsch vorüber, wieder in den entweihten Menschenorden zu treten. – In diesem unseligen Augenblick vergaß ich meines Amts und meines Herrn und ließ den trauernden Selim in den Schooß des Glücks zurückkehren, meine Macht ließ ihn einen Schatz finden, der ihm dreifach ersetzte, was er verloren hatte. – O wie hab' ich Jahrelang diesen einzigen Augenblick verflucht, wie gern hätt' ich ihn zurückgenommen und Selim's Glück mit neunfachem Jammer ausgetauscht, wenn es dem Zauberer vergönnt wäre, sein eigen Werk wieder zu vernichten.«

»Unaufhaltsam jagte es mich seit dieser Zeit zu Mondals Wohnung zurück, ich sträubte mich vergebens gegen die drängende Macht. – Mondal trat mir entgegen. Schon so früh kömmst du wieder? sagte er mit gräßlichem Hohnlächeln, – du hast deine Menschheit abgeschworen, dein Vertrauen war so frech – und doch kömmst du selber zurück, dich anzuklagen? Stumm ging er mit mir zu einem fernen, verzackten, einsamen Klippenmeer, er spaltete einen Felsen und warf mich bis an die Hüften in die Oeffnung, die donnernd wieder zusammensprang.« –

»Mich zermalmten unaussprechliche Martern. Eine 111 heiße Gluth webte sich am Tage um mich her und nagte und saugte an meinen Gebeinen, Flammen bohrten sich glühend in mein Innres und in der Nacht jagten sich kalte Nordwinde um mich her und bliesen mich mit ihrem Athem an, ein Panzer von Eis umgab meinen Körper und zerschmolz wieder an der Gluth des Morgens. Siedende Waldströme stürzten brausend auf mich herab und schmetterten spielend mein Gebein gegen hervorragende Felsenspitzen. Mein Geheul erklang fürchterlich den Abgrund hinab, und sprang von Klippe zu Klippe, eine taube stumme Einsamkeit lag kalt und ohne Mitleid um mich her. – So brüllte ich vier Jahr meine Flüche und meine Bitten dem unerweichlichen Mondal entgegen, aber er hörte mich nicht; zuweilen flog er auf einer braunen Wolke über mein Haupt, sahe höhnisch auf mich herab, freute sich meiner Quaalen und überließ mich dann von neuem den unerbittlichen Martern. – Endlich schien er gerührt, oder der alten Ergötzung überdrüssig, denn welches Mitleid sollte diese steinerne Brust bewohnen? – Ich will dich von deiner Kette losnehmen, rief er und neigte sich wie ein Gewitter weiter auf mich herab, aber nur unter einer schweren Bedingung geb' ich dich frei.« – – – –

Abdallah wollte unter Schaudern weiter lesen, als sich ein lautes Getümmel im Hofe des Pallastes erhob. – Bestürzt eilte er an's Fenster – und die furchtbaren Palmblätter entsanken seiner Hand. – 112



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