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Er stürzte wild in die Stadt hinein und eilte wie ein Rasender durch die Straßen, alles wich ihm furchtsam auf seinem Wege aus, man hielt ihn für einen Wahnsinnigen, der seinem Kerker entsprungen sei und jedermann sahe ihn mit Furcht und Mitleid nach. Er schweifte wüthend umher und stand itzt vor dem Pallast des Sultans. Als er hineinstürzen wollte, hielten ihn die Leibwächter zurück. Er wollte sich mit Gewalt hindurchdrängen, er schrie laut, man sollte, man müßte ihn zum Sultan führen, man stieß ihn wie einen Unsinnigen fort; da er aber stets von neuem und stets dringender bat, nahm man ihm endlich seinen Dolch ab und ließ ihn in den Pallast treten. Mehmed, der Vezier, begegnete ihm, Abdallah's Knie zitterten, seine Stimme war nur ein gebrochenes Lallen. Der Vezier sahe ihn mißtrauisch an und ging endlich in das Gemach des Sultans. – Abdallah stand zitternd auf dem langen Gange vor den Thüren der Zimmer, er wußte nicht mehr, wer er war und was er wollte, vorübergehende Sklaven betrachteten ihn mit Erstaunen, wie einen niegesehenen Fremdling, er sahe scheu umher, alle fuhren vor ihm, wie vor einem Mörder zurück. 196 Sein Zustand war fürchterlich und doch wünschte er ihn verlängert, sehnlich wartete er auf die Eröffnung der Thür und konnte sich diesen Augenblick nie als wirklich denken; ein wehmüthiges Entsetzen, eine fremde Verzweiflung, die ihn mit einer kalten Freude erfüllte, herrschte in seiner Seele. Itzt war ihm nichts werth und nichts verhaßt, er war sich selber abgestorben, in einem dumpfen Nachsinnen verloren, gab er sich endlich Mühe zu entdecken, warum er dort stehe und auf was er harre. – In einzelnen Streifen brach sich der Sonnenschein durch die Fenster und er betrachtete aufmerksam die kleinen zitternden Strahlen, die sich zusammenwebten und wieder auseinander flogen, sein unverwandtes Auge verlor sich in aufmerksamen Betrachtungen von hundert Kleinigkeiten, dann sahe er wieder nach den Sklaven, die vor ihm zitterten und eine leise Ahndung sprach in ihm an, als müßte er sich vor ihren Blicken schämen. – In der Ferne flog ein Schall den langen Gang hinab, mit seinem todten eiskalten Blick sah er hin, es war Zulma, die mit einigen Sklavinnen dicht vor ihm vorüber in ein Gemach ging, ein Schleier bedeckte ihr Gesicht, aber er erkannte ihren Gang und den Glanz ihres Auges durch die Verhüllung. Alle seine gefesselten wüthenden Leidenschaften wurden plötzlich von eisernen Banden wie Wirbelwinde losgelassen, er kam zu sich selber zurück und fand jedes Entsetzen in der grauenvollen Wohnung wieder. Er starrte dem Schimmer ihres Gewandes lange nach, sie hatte ihn nicht erkannt. – Wo bist du? fragte ihn ein aufwachender Gedanke, – und was willst du? – Ha! die Verdammniß hält dir noch einmal die trügende Speise an der giftigen Angel hin; war es nicht 197 Zulma, die vorüberging? – Es ist meine Zulma, sprach er in sich weiter, sie ist mein, jetzt geh' ich hin und bezahle den großen Kauf, die Hölle reicht mir ihre Verschreibung. – Jetzt, jetzt wird der fürchterliche Augenblick nahen, der mich zum ernsten Verhör fordert, doch auch er wird vorübergehen, die Zeit verschlingt geizig alles. – Aber auch mein Glück wird verschwinden, es wird eine Zeit kommen, in der ich sagen werde, Zulma war mein und dann? – Nein, nein, ich will die Zeit festschmieden und ihre Räder zerbrechen, lahm soll sie langsamer von dannen schleichen. Die Wonne der Liebe soll mich berauschen bis ich wahnsinnig werde; wenn ich Zulma in meinen Armen halte, dann soll sich die Hölle nicht an mich hinanwagen, ihre Schuld einzufordern, o, ich will, ich will glücklich sein, – ich will schwören, daß ich nicht elend sein werde, der Fluch Selims trifft mich im Paradiese an, und flattert scheu zurück, in Zulma finde ich die Tugend und Gott, nur hier will ich anbeten, ich will mir selber Trotz bieten; die Seele ist verächtlich, die nicht Muth hat, von sich zurückzuschleudern, was feindlich in ihre Seligkeiten bricht, nur der Furchtsame leidet, durch seine feige Einwilligung ist der Elende elend, – ha! ich trotze dem Schicksal und der Allmacht, ich will kühn schroffe Klippen erklettern und mit hohnlachendem Triumph meine Kränze aus den Schrecken pflücken, – wer, wer kann mir verbieten glücklich zu sein? Wer will meinen frechen Geist beherrschen? Wer in Zulma's Armen Elend auf mich herabsprechen? – o er versuch' es, der Ewige, – mich treffen seine Flüche nicht, – mein Glück ist meine Tugend, ohne Zulma bin ich unglücklich, – Tugend ist ein nichtiger Schall, der verdammende 198 Richter hat in seinem Busen nie die Menschheit gefühlt, – ein tyrannisches Schicksal hat eherne Gesetze für uns geschrieben, der Ewige hielt seine Erschaffenen für Engel, – er selber versteht die Menschheit nicht, – darum zertrümmert diese Gesetze, er wird einst verzeihen, oder er ist ein Tyrann, der die Schöpfung belebte, um sich ihrer Quaalen zu freuen. –
Die Thür des Gemaches öffnete sich. Der Vezier des Sultans trat heraus und führte Abdallah in ein prächtiges Zimmer; Ali saß in einer kalten empörenden Wuth auf einem Sessel und sahe dem eintretenden Abdallah starr entgegen; der Jüngling warf sich vor ihm nieder.
Eine lange Stille. Ali blickte auf ihn ernst herab, Abdallah wagte es nicht, die Augen aufzuheben. Seine Sinne hatten ihn verlassen, er ächzte laut in einer todten Betäubung. – Was willst du? fragte ihn endlich der Sultan mit zurückschreckender Kälte.
Abdallah hob sein Haupt auf und blieb auf den Knien liegen. – Was ich will? – antwortete er leise. – O diesen großen, schrecklichen, einzigen Augenblick wollt' ich. – Itzt, itzt ist er da! – Was such' ich hier? – Warum kam ich hierher? – Wer bist du?
Er ist wahnsinnig! schrie Ali auf, hinweg mit dem Unsinnigen!
Sklaven näherten sich und wollten ihn hinwegführen. Abdallah widersetzte sich ihnen stumm, – nein, rief er endlich aus, laßt mich! Ich muß hier bleiben, eine große Entdeckung führte mich vor deinen Thron, darum höre mich an. – Ali winkte, und die Sklaven entfernten sich wieder.
199 Nun sprich! sagte Ali, oder bei meinem Zorn, du gehst nicht lebendig aus diesem Saal!
Ich will sprechen, sagte Abdallah. O ich muß sprechen, von itzt an hab' ich keinen Willen weiter. – O Zulma! Zulma! – Ali, du hast ein großes Kleinod ausgeboten, du hast dem Zulma verheißen, der Selim deiner Strafe ausliefern würde.
Ali. Ja.
Abdallah. Wirst du dein Versprechen halten?
Ali. Beim Propheten!
Abdallah. O so ist sie mein! ich bringe dir das Geheimniß, gegen das du sie austauschen mußt.
Ali sprang heftig auf. – Selim? rief er, Selim? O meine Rache lechzt nach diesem Blute, sprich es aus, wo ist er? Wo kann ich ihn finden?
Abdallah schwieg. –
Sprich! schrie Ali noch einmal, meine Wuth steht mit neuer Macht in meinem Busen auf, foltre meine Ungeduld nicht länger, – oder beim Propheten –
Was hab' ich gethan? sagte Abdallah. – Hab' ich es ausgesprochen, das fürchterliche Wort? O nein, nein, ich habe nichts gesagt, ich frage dich Sultan, sprich, nicht wahr, ich habe nichts gesagt? – O laßt mich, laßt mich schweigen, meine Worte werden zu Mißgeburten, die meinen eignen Busen verwunden, ich bin an die Schwelle der Verdammniß gekommen, o laßt mich wieder rückwärts schreiten.
Sein Körper zitterte in einer fürchterlichen Angst, er wollte sich aufheben, aber er sank wieder kraftlos nieder.
Verwegner! sprach Ali zürnend, bist du Frecher hierhergekommen! meiner zu spotten? – Du kannst 200 nicht wieder zurückfordern, was du gesagt hast; sprich, oder Foltern sollen die Nachrichten aus dir herausquälen, die du mir verweigerst. –
Abdallah. Und es muß also sein? die fürchterliche Frage ist nun auf ewig entschieden? – Nun so sei es denn!
Er hob sich mühsam auf, seine Stimme zitterte, sein Gesicht war bleich, sein Blick starr. – Er beschrieb dem wüthenden Ali den Pfad, der zu der Wohnung Selims führte, er nannte ihm die Zeichen, an denen man den Weg erkennen könnte. Ali befahl seiner Leibwache, diesen Weg aufzusuchen und Selim zu ihm zu führen. – Abdallah wollte mit dieser wieder aus dem Saal hinauswanken.
Nein, rief Ali, so steht unser Spiel nicht, du verweilst hier, bis die Abgeordneten zurückkommen; sind deine Nachrichten Lügner gewesen, so soll dein Leben für deine Frechheit büßen.
Abdallah blieb zurück und sahe wieder starr vor sich nieder.
Ali. Hast du Wahrheit gesprochen, o dann werde dieser Tag als ein Fest gefeiert, Jubelgesänge sollen durch den Pallast jauchzen, durch die ganze Stadt eine laute Freude brausen. Was Selims Frechheit wagte, hat noch kein Sterblicher gewagt, er werde gestraft, wie noch kein Sterblicher gestraft worden ist. Ich will darauf sinnen, wie ich ihn martre, allen meinen Launen will ich an diesem Verworfnen ein Fest geben, heut will ich nach langer Zeit wieder fröhlich sein. Fürchterlich will ich unter meine Feinde treten, alles um mich her will ich verwüsten, was mich haßt. Auf Liebe darf ich nicht mehr hoffen, aber fürchten soll man mich 201 immer; so weit ist es mit mir noch nicht gekommen, daß man mich ungestraft verachten dürfte. – Ich will den Trotzigen zittern sehn und sollt' ich mein Gehirn mit Ersinnung von Martern zersprengen; Selim läugnet mir meine Menschheit ab, nun so mag er denn einen Tiger in mir finden. Nur durch Martern will ich zu ihm sprechen, die Folter soll mein Dolmetscher sein.
Bebend hörte Abdallah die Worte Ali's, er sahe ihn mit einem stieren Blicke an, kalt und ohne Leben wie das Gesicht eines ehernen Bildes. Ali fuhr zornig fort:
O daß das Leben nicht meinem Rufe gehorcht, ein Tod ist zu wenig, um diesen Frevel abzubüßen, ich wollte ihn mit Flammengeißeln durch hundert Tode und Leben peitschen, in die Vernichtung geworfen und wieder zum Dasein aufgeschreckt wollt' ich ihn mit Quaalen jagen, bis er in Demuth zitternd um Gnade flehte und den letzten Tod als ein Geschenk erwinselte. – Hat der Bösewicht nicht Freuden genossen, mit denen ich niemals Bekanntschaft machte? War ich nicht von je ein Bettler gegen ihn? Und mit niedrigem Neide steht er auf, mir auch das letzte zu stehlen, das Leben, ein Gut, das er verachtet, das einzige, was mir nur übrig blieb, da diese Menschen, die er liebt, mir alles genommen haben. Meine einzige Perl? – O dafür soll er keine Verzeihung finden, und wenn er mir alle Schätze seines Busens wie einem Erben hinterlassen könnte.
Abdallah erlag unter der Last dieser Gedanken, länger konnte er sie nicht ertragen, er riß mit Gewalt seinen Geist von diesen gräßlichen Vorstellungen zurück. Und Zulma? fragte er mit zitternder Stimme.
Ali. Sie ist dein, sie ist deine Gattin, und du bist 202 mein Sohn, mein ganzes Reich soll es erfahren, daß du mein Sohn bist. – O ich bin glücklich, daß diese Tochter, mein Stolz, eine Lockspeise meiner Rache geworden ist, durch diese eine That belohnt sie meine väterliche Zärtlichkeit.
Zulma mein? – stammelte Abdallah. –
Aber wer bist du? fragte Ali, du hast mir deinen Namen noch nicht genannt.
Abdallah fuhr erschrocken auf. – Wer? schrie er laut. O daß ich es vergessen dürfte! daß dies Andenken sich nicht so fürchterlich an mich hinge! – Ha! wer bin ich? – – Nein, kein Mensch, kein Thier, kein Teufel, – o hinweg mit der Schaam! selbst diese geziemt dem Verworfenen nicht mehr. – Ich bin sein Sohn.
Abdallah? Selims Sohn? schrie Ali auf. –
Ich war einst Abdallah, antwortete er.
Ali fuhr bleich zurück, erblassend sah sich das Gefolge des Sultans an, ein starres Entsetzen bemächtigte sich eines jeden, man betrachtete den Jüngling als ein fremdartiges Wesen, das der Menschheit, seiner Mutter, auf ewig entlaufen sei.
Ihr fahrt zurück? sagte Abdallah. – Selbst Ali erblaßt, vor dem schüchtern jede menschliche Empfindung zurückbebt, ha dieser Blitzstrahl dringt allmächtig durch den steinernen Harnisch seines Busens! er fühlt es, er freut sich, daß er ein Mensch ist! Wie war es denn möglich, daß ich über diese unermeßliche Kluft sprang und nicht im Springen zerschmettert wurde? – Nun steh' ich jenseit und strecke die Arme nach der Vergangenheit aus. – Ha! warum erblaßt ihr? – Ihr fahrt zurück wie vor einem Verbrecher, der an die 203 letzte fürchterliche Gränze aller Laster gekommen ist, ihr scheut euch mich Bruder zu nennen, – ach, ein hartes Verhängniß weht mich wie einen Staub umher, ich muß der sein, der ich bin. –
Ali sah ihn lange mit einem staunenden Blicke an. – Ich nannte dich so eben Sohn, sagte er langsam und leise, – Zulma bleibt dir, – aber mein Sohn kannst du nicht werden. –
Abdallah. Weil ich diesen Namen auf ewig gebrandmarkt habe, ha! Väter werden bei diesem Ton zusammenfahren und Mütter schaudern; seit Abdallah seinen Vater verrieth, zittert ein schneidendes Gefühl durch die Brust der Aeltern, die Hölle jauchzt, der Himmel weint, Greise wetzen Dolche für den ungebornen Enkel, mein böser Engel hat sein schwarzes Buch geschlossen und steht müssig zu meiner Rechten, diese That endigt das Verzeichniß meiner Sünden; alles, was ich nun noch thun kann, ist nichtswürdig gegen diesen glänzenden Triumph.
Alle schwiegen und Abdallah sprach heftiger weiter.
Nun ich über den Gränzstein ausgeschritten bin, o Himmel, nun ich jenseit aller Menschen wohne, o so nimm mir auch das Bewußtsein und meine Gedanken, – was sollen sie mir dort in der verbrannten Wildniß? – Gieß den Wahnsinn in vollen glühenden Schalen auf mich herab! – Itzt, itzt kann ich wahnsinnig werden, ich fühl' es, – ich gebe dir den Funken zurück, den du mir grausam geliehen hast. – Aber das Schicksal ruft fürchterlich: Nein! Ja mir selbst wächst unaufhörlich der Schierling, der mich in Todeskrämpfen zittern läßt, zum Bewußtsein verdammt zieh' ich selber die Feuerflammen und Verdammnißquaalen um mich 204 herum, dieser Geist ist meine Hölle und giebt mich nie wieder frei. – Itzt ist auch die letzte, die traurigste Blume der Hoffnung verwelkt, ich habe die Verzweiflung überstanden und bin noch der ich war; o warum ist unsre Tugend und Ruhe nicht so felsenhart und unzerbrechlich, als dies kalte quälende Bewußtsein?
Unglücklicher! sagte Ali, wie war es möglich –
Abdallah unterbrach ihn: – Kann ich es selbst begreifen? das Verhängniß und Zulma, – ich habe diesen Preis gewonnen, was ist es mehr, wenn ich mich selbst dabei verspielte? – Zulma, Zulma soll es mir alles ersetzen, ha! oder ich will einst den Richter jenseit bitter anklagen, daß er mich um mein Leben betrog, daß er mir hämisch einen großen Tausch anbot – und mich schadenfroh hinterging –
Halt ein! rief Ali, der Wahnsinn spricht aus dir! du lästert den Herrn, Elender! – Was hilft es, daß du gegen die Last kämpfest, du wirst sie niemals abwerfen. –
Ali sahe starr vor sich nieder, sein Gesicht ward milder, sein Auge menschlicher. Er dachte über einen Gedanken nach, der ihn wehmüthig machte.
Ha, Mehmed! sagte er endlich und wandte sich zu seinem Vezier. – Wer tadelt mich nun noch, daß ich die Menschheit verachte? Wer darf noch murren, wenn ich ihren prahlenden Beglaubigungsschein nicht als gültig anerkennen will? – Sie selber sendet einen aus ihrer Mitte, der ihre schwarze Verrätherei entdeckt, der den verächtlichen Betrug entlarvt. Bis itzt hab' ich noch immer gefürchtet, an diesem Geschlecht zu irren, aber nun sind meine Zweifel gehoben, ich bin überzeugt! – Was hat Selim von mir gewollt, da sein Sohn, den er liebt, der ihn liebt, selber gegen seine Stimme schreit? – Wo soll ich ehren, wo lieben, wenn Verächtlichkeit und Meineid mir warnend auf der Gränze entgegenkommen? diesen Bothschafter hier nennen sie selber tugendhaft und er schlägt das Vermögen unter, das sie ihm anvertrauten und entläuft knechtisch mit seiner Beute. – O hinweg von mir, was sich mit dem Namen Mensch brüstet! Ihr Stolz ist Niedrigkeit, ihre Tugenden sind nur unterdrückte Verbrechen, von itzt sollen sie an mir einen unerbittlichen Richter finden, der sich durch keinen blendenden Glanz bestechen läßt. Ich will ihren Stolz verfolgen, bis er zur Demuth wird, sie verkaufen sich um eine Nichtswürdigkeit der Hölle, ihre eignen Sinne sind die Angelhaken, die sie für die ewige Verdammniß gefangen nehmen. Selim haßte mich, weil ich die Menschheit haßte, weil ich sie nicht lieben konnte, wollte er das Band meines Lebens zerreissen, diesen hat er für seine Menschheit erzogen und er verläugnet sie auf ewig. – Mit Selim will ich mein strenges Amt beginnen, statt zu verachten will ich das Siegel itzt verhöhnen, auf das diese Elenden so stolz sind. Es ist Tugend, diese Brut zu verfolgen, über ihre allgemeine Vernichtung würde die Erde und der Himmel jauchzen. Selim ist die erste Beute, die mir aus dieser schändlichen Rotte zugeworfen wird, an ihm will ich dreist sündigen, an ihm sollen sie eine Probe ihrer Verfolgung sehn und zittern. – Kömmt er noch nicht? Ich schmachte nach seinem Anblick, itzt will ich ihm mit Kühnheit entgegengehn, denn unser großer Streit hat sich entschieden, ich habe meine Anklage gewonnen, er soll zusammenfahren. Alle Quaalen 206 will ich an ihm ermüden und ihn dann erst des Spielwerks überdrüssig, in die Vernichtung werfen.
Abdallah hatte bis itzt in tiefen Gedanken verloren da gestanden, er hatte kaum Ali's Worte verstanden. Plötzlich brach wieder ein Ton durch die taube stumme Leere seines Innern, eine Tageshelle stand unvermuthet unter den flüchtigen Schatten, er wachte wie aus einem Rausche auf.
Mächte des Himmels! rief er plötzlich in lauter Angst, – was, was hab' ich gethan? Ha! wie bin ich hierhergekommen? – Wer ist es, der aus meinen Busen spricht? das ist nicht das Wesen, das sich einst Abdallah nannte, ein Fremdling hat ihn aus seiner Behausung geworfen und zerstört seine Wohnung, o könnt' ich ihn aus diesem Herzen reissen! – Nein, dies hat vor mir noch kein Mensch empfunden! Diesen Brand im Innern meiner Seele hat noch kein Sterblicher erduldet.
Er stürzte wüthend nieder.
Allmächtiger! rief er. – Was hab' ich gethan? – Vernichte mich, Gräßlicher, damit ich aus diesem Traum erwache! – Nur einen, einen Donner auf mein Haupt, laß ihn zerstörend durch mein Herz rollen und den Blitz durch diese Brust flammen, – wirf mich in die Hölle hinab, nur rette mich von diesem Gefühl, laß die Verdammniß mich nur von dieser Quaal erlösen! – Himmel! wie ein Nachtwandler wache ich plötzlich auf und finde mich in eine Todtengruft verirrt. – Reißt mit glühenden Ketten, mit Feuerhaken diesen angeklammerten Drachen aus meinem Busen, der wüthend mit scharfem Zahn in mein Eingeweide beißt! – Beschützt mich Geister der Hölle und schlagt diese Erinnerungen 207 zurück, die zu mir hinauspringen! – O Ali, Ali, – ruf deine Henker und laß mich vernichten, wenn noch ein einziges Menschengefühl unter den vermoderten Ruinen liegt, – findest du nur noch eins, das letzte, o so laß mich sterben. –
Ali sahe kalt auf ihn herab. – Du sollst leben, sagte er.
Abdallah. Leben? – Ha! du geizest mit dem Tode! Selim soll sterben, ich bin dieser Wohlthat nicht werth. O wenn du nur noch einen Klang von der zerrissenen Harmonie in dir spürst, wenn meine Quaal dir denkbar ist, – o so laß ihn nicht sterben, gönne dir selber diesen ersten großen Sieg, versuch es nur diesmal, nur dies einzigemal, – und wenn dich dein Gefühl nicht belohnt, o dann, dann freue dich der Todeszuckungen.
Ali. Selim muß sterben. –
Abdallah. Sterben? – O wie kalt du dies eine Wort aussprichst, an das sich meine ganze Seligkeit gehängt hat. – Sterben? – Fühlst du, was ich in diesem einzigen Wort verliere? – mehr, als mir tausend Kronen ersetzen können, mehr als diese Erde werth ist.– O Ali, denke den großen Gedanken, durch einen Hauch deines Mundes kannst du dich zu meinem Gott emporschwingen, der mir mit freigebiger Güte den Himmel schenkt, der großmüthig mich aus der Hölle nimmt und sie verschließt, – o Ali, sterben kann mein Vater durch den Dolch eines jeden Sklaven, – aber dann steht die ganze Schöpfung da und kann den Hauch des Lebens nicht wieder fesseln, der flüchtig den Körper verließ, – nur die Allmacht kann zu ihm wieder sagen: lebe! O Ali, du darfst itzt des Allmächtigen Stelle 208 vertreten, das Leben liegt im Winke deiner Hand; sei großmüthig, sei menschlich. –
Ali. Er muß sterben. –
Abdallah. Nein, laß ihn den Wink des Ewigen erwarten. – Du findest ihn dort einst wieder: laß ihn dir als Freund entgegengehn. Wünsch' es, daß du den heutigen Tag einst im Buch deiner Tugenden aufgezeichnet findest.
Ali. Nein, er muß sterben, heut sterben. – Wer bist du mir? Und für dich sollt' ich diese Freude verloren geben? –
Abdallah. Sterben? und unter Martern sterben? – Nichts kann diesen fürchterlichen Ausspruch vernichten? – Unter Martern, die bis in die fernsten Pulse der menschlichen Natur zucken? – Nun so häufe Quaal auf Quaal, sinne mit Henkersscharfsinn auf Schmerzen, trinke sein Blut und laß dir seine Gebeine vorsetzen, fülle das Maaß meiner Verdammniß bis oben an, daß auch keine Faser von mir der Hölle entrinne. – Nun es Flüche gilt, o so stürme die Unendlichkeit mit Millionen Flüchen auf mich ein, – nun bin ich einmal tief hinein in Raserei verirrt, nun mag kommen was da will. – Siehe, Gräßlicher, nun zittre ich nicht mehr, nun scheu' ich nicht mehr den Blick deiner Augen, so verworfen ich bin, so fühl' ich doch noch, daß ich ihm verzeihen würde. – Ich unternahm das fürchterliche Spiel, um mein Glück, um Zulma zu gewinnen, – du aber stehst von deiner Felsenkälte gepanzert da – und freust dich bloß der Todesquaalen. Du gewinnst durch seine Schmerzen nichts und ich verliere alles. – O nun dränge sich Verderben auf Verderben, 209 nun die Würfel einmal gefallen sind, nun stürze der Himmel und die Erde zusammen und begrabe alles in eine Hölle und ich will dazu lachen. Sieh, du hast meine Geduld verspottet und mich zur fürchterlichen Gränze des Wahnsinns gerissen und nun trotz' ich dir und Gott. Was kann ich noch fürchten, da ich selbst mein größtes Entsetzen bin? – Ich könnte frech den Ewigen zum Zweikampf fordern und fluchend niedersinken. –
Er stürzte zu Boden, brüllte laut und schlug heftig mit den Fäusten seine Brust, der Vezier trat hinzu und wollte ihn hinwegreissen, aber Ali hielt ihn zurück. –
Laß ihn, Mehmed, sagte er mit bitterm Lächeln, mich ergötzt die Ohnmacht dieses Wurms. Er möchte sich selber entfliehen und unzerbrechlich ist sein Bewußtsein an sein Verbrechen geschmiedet. – Sieh, dies ist der Mensch, der Wiederschein des Ewigen. – Sieh, wie er in der Wuth sich wälzt und wie ein Rasender brüllt, – würdest du ihn dir als einen Edelstein unter verächtlichen Gewürmen hervorlesen? Laß ihn liegen, – o beklage mich, daß ich zum Menschen ward, ich schäme mich meiner selbst!
Abdallah's Bewußtsein kam zurück. – Derselbe Leichnamsblick kömmt mir wieder entgegen? sprach er matt und leise. – Sieht so ein Mensch aus? – O dann will ich zu den Teufeln flehen und ich werde sie mitleidiger finden, als dich.
Ali. Ich bedaure dich. –
Abdallah. Es ist nicht möglich, – dann würde dein Auge eine andre Sprache reden. 210
Ali. Es thut mir weh, ein Wesen zu sein, das mit dir einen Rang in der Schöpfung hat, ich bemitleide mich selbst und darum bedaure ich dich. Weil ich euch verachte, will ich deinem Vater die Quaalen erlassen, mir ekelt, das Auge auf die Menschheit zu werfen, auch ihre Schmerzen können mich nicht vergnügen. Stehe auf, ich erlasse sie ihm.
Abdallah stand langsam auf, er ging betäubt zurück und stand ohne Bewußtsein und Gedanken an die marmorne Mauer gelehnt, Ali sahe starr vor sich nieder.
Es erhob sich ein Geräusch im Hofe des Pallastes, der Vezier eilte an's Fenster.
Was ist dort? fragte Ali. –
Selim, antwortete Mehmed, wird von der Wache hereingeführt. – Wie stolz der Verwegene seine Kelten trägt! –
Man hörte laut Ketten klirren; Abdallah fuhr aus seinem Todtenschlafe auf. –
Ketten? sagte er leise. – Ketten? – O wohin soll ich mich verbergen? –
Das Geräusch kam näher, Abdallah drückte sich fester an die Mauer und bedeckte mit den Händen das Gesicht. 211