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Die Sonne war schon untergegangen, als Abdallah und Omar durch ein schönes Gehölz wandelten. Omar war der Lehrer Abdallahs, ein ehrwürdiger Greis, dessen flammende Augen tief in eines jeden Seele schauten, seine Stirn und sein Blick trugen Ehrfurcht vor ihm her, aber ein süßes Lächeln, das fast immer seinen Mund umschwebte, verjüngte sein Gesicht durch eine liebenswürdige Freundlichkeit und lockte zur Mittheilung aller Gefühle und einer kindlichen Aufschließung des Herzens.
Sie traten itzt in einen freien Platz, wo ein stiller See im bleichen Licht des Mondes glänzte. Der letzte Streif der Abendröthe glimmte durch die Fichtenwipfel und durch die zitternden Cypressen bebten ungewiß die Sterne. Verspätete Mücken spielten im Mondstrahle, Käfer summten träge und schläfrig um sie her, und laut erklang durch die ruhige Einsamkeit des Waldes das zirpende Lied des Heimchens.
Siehe Omar, begann Abdallah, wie schön! – Ha! der ruhige See über den sich der Mondschein so lieblich herabsenkt, – der Abend, der noch in den 5 hohen Wipfeln der Bäume säuselt, das Lied der Nachtigall, das mit tausend abwechselnden Melodieen aus dem Walde heraufschallt, – o sieh Omar! wie alle Geschöpfe sich freuen, wie alles lebt und im Leben glücklich ist! Sieh, wie die kleinen Fliegen von der Abendröthe Abschied nehmen, und der Käfer der Nacht seinen dumpfen Willkommen entgegensummt. – O die lebendige Kraft, die aus der Natur so unerschöpflich quillt und unzähligen Wesen Athem und Dasein giebt, – dieser Anblick erfüllt das Herz mit lautem überströmenden Dank gegen den, der so gütig alles aus dem Nichts hervorrief und zum Staube sprach: Lebe und sei glücklich! –
Omar lehnte sich auf den Stamm eines abgehauenen Baums und sahe starr vor sich nieder.
Abdallah. Du bist traurig, mein Omar, kann dich dieser Anblick nicht heiter machen?
Omar blickte auf und faßte seine Hand. – Sieh, sprach er, die Abendfliegen sind verschwunden, sie sangen der Sonne so wehmüthig nach, denn es war das letztemal, daß sie sich in ihrem Strahl erquickten. – Diese Woge wirft das Leben an den Strand, die nächste Welle kömmt, verschlingt es wieder und senkt es in die tiefsten Abgründe. – Eine unendliche Schöpfung spielt itzt lebendig um dich herum, – und in der folgenden Stunde – liegt sie todt und verwest. – Eine Lebenskraft fliegt durch die Natur und Millionen Wesen empfangen wie ein Allmosen auf einen Augenblick einen Funken Leben, sie sind – und geben dann ihr Leben wieder ab und werden todter Staub. Die Welt ist ein Gesang, wo ein Ton den andern verschlingt und vom nächsten verschlungen wird. – 6
Abdallah. Diese traurige Wahrheit, Omar, wirft meine schöne Begeisterung mächtig nieder. – Ach ja, alles geht durch die Natur hindurch und verläuft sich wie ein Funken in der Asche. Alles wird nur geboren, um zu sterben, alles wandelt wieder dahin zurück, woher es gekommen ist. – O Omar, wenn ich dich nun fragte: Warum glänzt dieser Mond? Warum funkeln diese Sterne und wozu haucht ein lebendiger Geist in meinem Innern?
Omar. Wozu? – O Jüngling, laß die Erde unaufgewühlt, du findest ein scheußliches Todtengerippe! Laß diese Geheimnisse ewig deiner Seele verschlossen bleiben. –
Abdallah. Verschlossen? – O nein, mein drängender Geist steht vor dieser Pforte und klopft ungestüm an. – Was der Mensch fassen kann, will auch ich begreifen.
Omar. Du vertraust dich einem Meere, das dich nie an's Land zurückträgt, Zweifel wälzen dich auf Zweifel, Woge stürmt auf Woge, dein Ruder ist unnütz und die unendliche See dehnt sich dir furchtbar unermeßlich entgegen.
Abdallah. Ich könnte nicht ruhig sein, wenn ich wüßte, daß etwas da sei, was in meinem Gehirne Raum hätte und dem ich den Eingang versagen müßte.
Omar. Aber unsre Weisheit findet eine Felsenmauer vor sich, an die sie vergebens mit allen Kräften anrennt, – wir sind in einem ehernen Gewölbe eingeschlossen, wir sehen nichts, was wirklich ist, die schimmernden Gestalten, die wir wahrzunehmen glauben, sind nichts, als der Widerschein von uns selbst im glatten Erze, – o schon viele Weisen stürzten mit Ohnmacht 7 von diesen Schranken zurück, – und starben. – Der Zweck unsers Daseins? – O wer hindurchschauen könnte durch das Geheimniß der unendlichen Nacht, wenn doch vom Thron der Gottheit nur ein Sonnenstrahl herniederschösse! – Wir tappen ängstlich umher – und finden nur die Wände, die uns eingeschlossen halten. Wir sehen nichts, als daß wir Gefangene sind, – warum wir es sind, müssen wir mit Geduld vom Ausspruch des kommenden Gerichts erwarten.
Abdallah. O warum verlieh uns der Schöpfer nur so viel Kraft, diese Schranken zu sehn und nicht zu durchbrechen? – Warum ward eine Ahndung in unser Herz gelegt, die nie zur Gewißheit reift? Eine Centnerlast liegt auf unsrer Brust, und wir kämpfen vergeblich sie abzuschütteln.
Omar. Vielleicht werden alle diese Räthsel einst gelöst. – Ein großer Schwung wälzt sich durch alle Theile der Natur, durch alle Wesen klingt ein Ton, eine Kraft drängt sie zu einem Mittelpunkt: Genuß! – Alles schöpft aus dem nie versiegenden Quell und legt sich dann zum Schlafe nieder. – Die Welt ist eine reiche Tafel, an der sich alles niedersetzt und gesättigt aufsteht, der Schöpfer schickte die Millionen Wesen in die Wüste hinaus, sie sind Staub und in sich selber eingekerkert, – aber er gab ihnen tausend Mittel auf den Weg, ihr Dasein zu empfinden, und alles freut sich, alle Wesen kommen, genießen und sterben dann, ohne es zu wissen, so wie sie geboren wurden, – nur der verblendete Mensch verfehlt sein vorgestecktes Ziel.
Abdallah. Der Mensch? – Wie? der Preis der Schöpfung? Um dessentwillen die Natur ihre 8 reichen Schätze aufthut? Um den sich die Bestimmung alles Erschaffenen dreht?
Omar. O des Stolzes! – Die Bestimmung alles Erschaffenen? Kein Mensch weiß seine eigne Bestimmung, er taumelt selbst verlassen in der Finsterniß und maßt sich an, den Wesen ihren Rang und ihren Zweck anzuweisen. – Allen Wesen ward ein gleiches Bürgerrecht ertheilt; der ausgeartete Mensch reißt sich aus der Kette des Erschaffnen, statt zu genießen wie alles genießt, ringt er im ewigen Kampfe mit dem Tode und seinem Verhängniß, alle seine Kräfte kämpfen rastlos von der Zeit eine Stunde und eine Minute nach der andern zu erbetteln, – um auch in dieser zu fürchten, um auch in dieser mit Gedanken zu streiten, deren Auflösung weit außer ihm liegt.
Abdallah. Wenn Genuß der höchste letzte Zweck unsers Daseins ist, wodurch ist dann der Mensch vom Thiere unterschieden?
Omar. Und wozu des Unterschiedes? Der Mensch wäre glücklich, hätte er nie höher gestrebt, die Natur umfinge ihn dann noch mit ihren liebevollen Armen, hegte ihn und spielte mit ihm als ihrem Kinde, – aber der Stolze hat sich von seiner Mutter losgeschworen, sieht die Sterne, die über seinem Haupte hängen, erklimmt eine schroffe Klippe und schreit ihnen zu: ich bin euch nahe! Wehmüthig lächelnd blicken die Sterne aus ihn herab und er steht nun verirrt am schwindelnden Abschuß; zur blühenden Wiese, die er erst verschmähte, hat er den Rückweg verloren. –
Abdallah. Und nichts als diesen verächtlichen Uebermuth hätte der Mensch vor den Thieren des Waldes voraus? 9
Omar. Nichts als ihn. Mit verachtendem Fuß stößt er die Erde zurück und will sich an die Gottheit drängen, aber seine klägliche Natur zieht ihn allmächtig zurück. Seine Weisheit, seine Tugend, mit der er sich brüstet, – Wolkenschatten, die der Wind über die Ebne jagt und denen der Wahnsinnige nachtaumelt.
Abdallah. Tugend, Omar, nur ein Schatten? – Der Lasterhafte und der Edle ständen hier in einer Reihe? Die beiden Enden, Größe und Verächtlichkeit, schlängen sich zusammen? Aus einem Samen sproßte der Schierling und die heilende Pflanze? – Unmöglich! –
Omar. Und warum unmöglich?
Abdallah. Wo ich anbetend in den Staub sinke, wo mein Geist in verehrender Demuth die Flügel zusammenschlägt, wo mein ganzes Wesen sich in Ehrfurcht auflöst, – an diesen Stolz der Menschheit wäre die Schaam der Welt mit unauflöslichen Ketten geschlagen?
Omar. Derselbe Gesang aus einer andern Laute.
Abdallah. Nein, Omar, nein. – Die Gerechtigkeit des Ewigen wird durch diesen Glauben angeklagt. – Wie könnte der Gütige dem Edlen Belohnung und dem Bösewicht Strafen aus jener schwarzen Thür am Ende ihrer Bahn entgegenschicken?
Omar. Abdallah, wir wissen nicht, woher wir kommen, wir wissen nicht, wohin wir gehen. Ob uns ein Gedanke folgt, wenn wir hier Abschied nehmen, ob wir mit allen unsern Träumen in das kalte Grab eingeriegelt werden – o das ist ein Räthsel, vor dem die Weisen ewig forschend stehen werden. – Strafe, – Belohnung, – Tugend, – Laster. – Wenn ich 10 dich fragte, wo du die Scheidewand zwischen Tugend und Laster gründetest, du würdest um eine Antwort verlegen sein. – Die Gewohnheit lehrt uns Worte sprechen, bei denen wir uns oft nur wenig denken.
Abdallah. Omar, du machst, daß ich mir selber mißtraue. –
Omar. Wir sind mit unsrem Lob und unsrer Verdammung so freigebig und kurzsichtig genug, um nicht wahrzunehmen, wie ungerecht wir oft beides vertheilen. – Wir ahnden nicht, daß es nur eine Kraft ist, die in der Tugend und im Laster lebt, beides eine Gestalt, aus demselben Spiegel zurückgeworfen. – Nur ein kalter eigensinniger Thor trat hinzu, schied und sagte: dies sei gut, dies nicht!
Abdallah. Ein Thor?
Omar. Dieses Leben, das uns geliehen ward, ist zu kurz uns selbst zu kennen, – in unsrem eignen Innern herrscht ein wüstes Dunkel und mit vorwitzigem Blick treten wir zu unserm Nachbar und wollen in seiner Seele lesen.
Abdallah schwieg und sahe starr vor sich nieder. Omar fuhr fort:
Alle meine Handlungen sind Gestalten, die aus meinem Innern aufsteigen, von tausend innern Kräften gereift, von hundert Neigungen gepflegt, schießt die Pflanze empor, – nur ich, der Schöpfer, bin mit ihrer Entstehung bekannt, ich verstehe mich selbst nur, ich handle nur für mich, der ich mich selbst kenne, – alle übrigen Menschen sind für mich in einer mindern Abstufung fremde Wesen, wie mir der Wurm und der Krokodil Fremdlinge sind.
Abdallah. Omar, du wirfst mich in eine 11 fürchterliche Einsamkeit, ich verliere mich selbst in der schrecklichen Wüstniß. –
Omar. Ich handle, wie mein innrer Sinn es mir befiehlt, und ein Fremdling, der nicht in das Gebäude meiner Seele hineinschauen kann, der die Leiter nicht entdeckt, von der die Ahndung zum Gefühl, das Gefühl zum Gedanken, zum Vorsatz und dieser endlich zur Wirklichkeit aus dem unergründeten Brunnen heraufstieg, – dieser tritt mit kaltem und verschloßnem Sinn herbei und sagt: deine That ist ein Laster!
Abdallah. O ich verstehe dich! weiter! weiter!
Omar. Aus derselben Quelle wird eine andre Schaale heraufgezogen und man nennt sie Tugend. Beide steigen aus der Tiefe einer Seele hervor, aus einem Stoff gewebt – und man hält sie für Feinde.
Abdallah. Fürchterlich sonderbar!
Omar. Wo ist der Bösewicht, der nicht zum Engel würde, wenn er den Richter in die geheime Werkstätte seiner Seele führen könnte? – Abdallah, wir sind Brüder aller Mörder, die je die Geschichte mit Abscheu genannt hat und schwesterlich schließt sich unsre Seele an alle, die einst bewundert und angebetet wurden. – O ihr Thoren, laßt den nichtigen Rangstreit, ein Hauch weht in allem Leben, – freut euch dieses Hauches, er kehrt nicht zurück, wenn er entflohen ist.
Abdallah. Du führst mich durch Labirinthe, Omar. –
Omar. Als die erste Gesellschaft zusammentrat, als man das erste Gesetz niederschrieb, da veräußerte der Mensch selbst sein hohes, heiliges Recht. Dem Ganzen opferte jeder Einzelne seine Freiheit, allmächtig ward eine Schnur zwischen Gut und Böse gezogen 12 und unglückliche Vorurtheile keimten auf. Vorurtheile, die Menschen gegen Menschen hetzten, das Blut von Tausenden vergossen. – An den Gedanken Verbrecher knüpfte man Haß und Unversöhnlichkeit und eine ewige Verfolgung wühlt durch das ganze Menschengeschlecht. – Seit der Zeit ist der große Spruch gesprochen; in einem nichtigen Taumel greift der eine zur Belohnung seiner Tugend nach der Sonne und tritt gewaltsam seinen Bruder unter sich, der nach dem Uebereinkommen ein Verbrecher ist. –
Abdallah. Ha! die ewigen Schranken stürzen ein!
Omar. Strafe und Belohnung? – Hier unten sind sie entschieden, – aber wen soll der Richter dort belohnen oder strafen? – Sandte er nicht alles was ist, aus seiner Hand in die Sterblichkeit? Ist es nicht sein Athem, der den Staub belebt? – Alle Handlungen kommen zu ihm zurück und melden sich als ihm angehörig: sein Schatten wandelt in tausend Gestalten umher; wo er hinsieht, erblickt er sich nur selbst in dem Spiegel der unendlichen Naturen, soll er, kann er sich selber strafen? –
Abdallah. Omar, halt ein! immer neue Wundergestalten stehn aus einem Abgrund auf, mich zu schrecken. –
Omar. Von einer unbekannten Macht der Welt übergeben, tritt der Mensch seine Bahn an, nicht aus sich selbst hervorgebracht, ohne seinen Willen in das Leben geworfen. – Er lebt und vereinigt tausend Pflanzen und Thiere mit seinem Selbst, sein erstes Wesen geht durchaus verloren, – alle Lagen, von Kindheit an bis in sein Greisenalter, prägen sich in treuen Abdrücken in seinen Geist; alles um ihn her modelt und formt ihn 13 anders, er selbst geht unter, und aus seiner Nahrung, seinem Vergnügen, aus den todten Gegenständen, die ihn umgeben, tritt ein andres fremdes Wesen an seine Stelle, – das nach und nach von einem neuen wieder verdrängt wird.
Abdallah. So sind wir nur eine Hütte, in die ein Fremdling nach dem andern einkehrt und sie dem folgenden überläßt.
Omar. Wer handelt nun? – Wer ist gut, wer böse? – Soll des Mörders Dolch bestraft werden, oder sein Arm, sein Herz, sein Blut? Oder der Gedanke, den er vielleicht vor zwanzig Jahren dachte? – Sein Blut, das er sich nicht selber gab? Der Gedanke, der durch tausend Formen wandelnd, von einem Sonnenstaub seinen Weg antrat und beim gräßlichsten Morde aufhörte?
Abdallah. Undurchdringlich ist das Gewebe, das sich seit Ewigkeiten her verschlang.
Omar. Eigne Kraft ist uns versagt; was wir unsern Willen, unsern Vorsatz nennen, ist nur der Einfluß fremder Dinge, wir sind nur ein Stoff, an welchem fremde Kräfte sichtbar werden; ein großes Spiel von einer fremden Macht regiert, der eine steht als König, der andre als Sklave da, – und alle sind sich gleich, nichts als hölzerne Zeichen, obgleich der König und der Ritter stolz auf das Fußvolk vor sich hinabsehn, – das Spiel ist zu Ende – und Laster und Tugend hört auf verschieden zu sein. – Ein Wirbel dreht sich durch die Welt, alles bis zum kleinsten wirkt in den großen Plan; der eine Augenblick gebiert den folgenden, eine Handlung stößt die andre vor sich her, eine unendliche Kette, die sich rund um alle Welten 14 zieht. Kein Glied kannst du herausreissen, ohne das vorhergehende und folgende zu zerstören und eine allgemeine Vernichtung zu bewirken.
Abdallah. O entsetzlich! – Omar, – ich schaudre, – wenn ich gerade diesen Schritt itzt nicht thäte, – nicht gerade diesen Gedanken dächte – so könnte die Welt nicht erschaffen sein! –
Omar. Nothwendig. – Eine große Schwungkraft belebt die Unendlichkeit, alle Kräfte weben und wirken durch einander von Ewigkeit berechnet, die treibende Gewalt ermattet nie, das Leben fliegt durch alle Pulse der Natur und so geht das große Werk den allmächtigen Gang. – Wie will dies kleine Wesen, der Mensch, sich gegen ewige Gesetze stemmen? Wie in seinem engen Geist den Schöpfer mit all seinen Planen fassen? Eigenmächtig gegen das Weltall wirken und durch sein jämmerliches Dasein noch Verdienst erringen? Ohnmächtig kämpfend wird er fortgerissen, der eine Ton verklingt in der allgemeinen Harmonie.
Beide schwiegen düster vor sich hinbrütend. Ein hohes Roth flog über Omar's Wangen, ein neues Feuer fuhr in seinen Augen auf, er faßte heftig Abdallah's Hand.
Jüngling! rief er aus, was wir gut, was wir böse nennen, verschwimmt in ein Wesen, alles ist nur ein Hauch, ein Geist wandelt durch die ganze Natur und ein Element wogt in der Unermeßlichkeit – und dieses ist Gott!
Abdallah fuhr zurück.
Omar. Wo sollte der Unendliche jenseit der Schöpfung Raum für sich finden? – Er umarmt und durchdringt die Welt, die Welt ist Gott, in einem Urstoff 15 steht er in Millionen Formen vor uns, wir selbst sind Theile seines Wesens! – Dies ist der tiefe Sinn von der Lehre seiner Allgegenwart. – Wirft er einst die Kleidung wieder von sich, dann gehn im Ruin die Welten und seine Himmel unter, dann steht er wieder da, er vor sich selbst, in der ewigen Wüste. –
Eine tiefe Stille. Um Abdallah war alles rund umher versunken – er stand mit gesenktem Haupte und betrachtete in seinem Innern die gestaltlosen Bilder, die auf- und niederschwebten. – Omar, sagte er nach langer Zeit, – nun ist die Kraft meiner Seele versiegt, alle meine schönen Entwürfe, meine wonnevollen Schwärmereien liegen wie Leichen um mich her, alle Freuden sind verwelkt, alle Hoffnungen in meiner Brust verwest. – Ein Kampf rastloser Zweifel wüthet da, wo ehedem meine Himmel standen.
Omar. Du hast es so gewollt, du hast das fürchterliche Todtengerippe ausgegraben, wo du einen Schatz zu finden hofftest. – O, wohl dem, der mit verbundnen Augen durch das Leben taumelt! der nie sich selbst anrührt und furchtsam fragt: Wer bin ich?
Abdallah warf sich unter eine Cipresse nieder. Sein Geist war von hundert neuen Vorstellungen verwirrt, ohne sich festhalten zu lassen flohen tausend Gestalten seiner Seele mit Blitzesschnelle vorüber.
Der Mond stand itzt hinter den dunkeln Zweigen der Tannen und von zitternden Schatten getheilt, gossen sich goldene Streifen über die Wiese aus. Ein leiser Abendwind wiegte sich in den Wipfeln der Bäume und spielte mit einem Blatte, das auf dem glatten See schwankend tanzte; ruhig betrachtete sich die Gegend selbstgefällig in dem Wasserspiegel und der Duft der 16 Nacht stieg ernst und langsam aus dem Schooß der Erde.
Die schöne Landschaft, mit all den lieblichen Träumen, die über ihr hingen, vermischte sich nach und nach mit den Gedanken Abdallah's; er hatte sich schon den Spielen seiner Einbildungskraft überlassen, als er noch zu denken glaubte.
Die Wipfel säuselten immer leiser und leiser, vom Winde angehaucht lief ein stilles Flüstern durch das Rohr des Sees, – immer wunderbarer spielte das Mondlicht um die buschichten Tannenzweige, – noch einigemal blickte er mit mattem Auge empor und sahe wie vom nahen Berge ein Greis in die Arme seines Omar eilte, – beide hielten sich umarmt – als die Gegend allgemach wie hinter einem schwarzen Vorhang hinabsank. –
Aus den Cypressen stiegen Träume auf ihn herab, durch seine Augenlieder dämmerte schwach in seine Traumgestalten die monderhellte Gegend. –
Plötzlich rollt es dumpf wie ferne Donner, ein wildes Rauschen, wie wenn die erboßte Fluth gegen Felsen hinanheult, fuhr immer lauter und lauter über ihn dahin, – Abdallah erwachte.
Da stand er einsam in schwarzer Nacht, Stürme hatten den Mond hinter ferne Gebirge hinabgeschleudert, große Wolken wälzten sich krauß durch einander, die hohen Wipfel der Cedern schlugen krachend zusammen. – Ein Schaudern springt aus dem Walde hervor und packt ihn an mit eiskaltem Arm. Omar! ruft er mit bebender Stimme, aber höhnend stürmt der Orkan durch seine Töne und wirft sie zerrissen in die Lüfte.
17 Ein leuchtender Glanz flammte plötzlich in den Wolkengebirgen auf, eine Feuerkugel flog durch den Himmel, von einer andern verfolgt, die tausend blendende Funken von sich sprühte. – Jeder Funken sprang mit einem Donner los, der sich furchtbar auf des Sturmwinds Schwingen über alle Wälder hinabwälzte. – Mit lautem Gebrüll sank die Kugel nieder und die stille Nacht stand wieder um Abdallah. –
Eine bleiche zitternde Gestalt fährt aus dem nahen Busche und ergreift kalt Abdallahs Hand, – es war Omar. – Krampfhaft preßte er die Hand des Jünglings in die seinige und riß ihn mit sich fort. –
Abdallah folgte schaudernd.
Sie kamen in die Stadt und eilten auf ihr Gemach, Omar's Gesicht war lang und verzerrt, sein Auge rollte wild. Abdallah wagte kaum, ihn anzusehen. – An Geist und Körper müde, legte er sich schlafen, Omar ging noch lange gedankenvoll umher.