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Herbrinck suchte Gewißheit, ob die Spuren des Brandstifters bis direkt an die Brandstätte oder in die nächste Umgebung führten. Er nahm die Fährte auf dem freien Felde auf, wo Löhr den Flüchtling zuerst entdeckt hatte, und folgte ihr in rückwärtiger Richtung nach dem Gute. An ein paar Stellen, an denen die Abdrücke besonders deutlich waren, nahm er genaue Messungen vor und schnitt die Umrisse der Stiefel in zu diesem Zwecke mitgenommenem Papier sorgfältig nach. Wiederholt war der Bursche offenbar stehen geblieben, um sich nach dem Erfolge seiner Tat umzusehen. Er war aber vorsichtig genug gewesen, nicht unmittelbar von der Brandstelle aus den Weg über die Felder zu nehmen, sondern war erst nach einigen hundert Metern von dem Fahrwege auf die unbegangene Feldfläche abgebogen. Der weite Zwischenraum zwischen den Abdrücken und die tiefen, unregelmäßigen Einrisse in den Schnee bekundeten aber deutlich, daß der Urheber der Spuren wenigstens zunächst eilig gelaufen sein und sein Tempo erst gemäßigt haben mußte, als er sich weit genug entfernt und durch ein paar Knicke vor Nachspähungen gedeckt glauben konnte.
Die nähere Umgebung der Brandstelle war bei den Löscharbeiten von den Gutsangehörigen dermaßen zerstampft, daß überhaupt kaum noch einzelne Abdrücke von Schuhwerk zu erkennen waren, geschweige denn solche, die einen Vergleich mit dem des vermutlich Schuldigen zugelassen hätten.
Herbrinck schickte einen Boten nach Neurade und lud die Eltern Kruses für die Mittagsstunde zu sich. Aber der alte Kruse bewies keine Dankbarkeit gegen den Mann, der ihm alle die Jahre wohlgesinnt gewesen war und seine Fürsorge auch noch in der Stunde der Not betätigt hatte; er lehnte sich auf und ließ zurücksagen, er habe auf Timmhusen nichts mehr zu suchen, und der Herr Verwalter möge, wenn er von ihm etwas wissen wolle, sich gefälligst zu ihm nach Neurade bemühen.
Hans von Herbrinck schüttelte den Kopf, als ihm der Bote die trotzige Antwort überbrachte; aber er äußerte sich nicht weiter, sondern entließ den Vermittler mit gewohnter Freundlichkeit.
Als er gegen Mittag den Grafen sprechen wollte, traf er in dessen Arbeitszimmer Komteß Helene allein an. Sie legte ein Buch, dem ihre Aufmerksamkeit gegolten hatte, beiseite, stand auf und grüßte den Eingetretenen lächelnd, während eine feine Röte den blühenden Reiz ihrer jugendlichen Züge erhöhte.
Herbrinck wollte sich nach respektvoller Begrüßung wieder zurückziehen.
»Fliehen Sie mich?« fragte sie freundlich.
»Nein, meine gnädige Komteß.« entgegnete er ruhig. »Aber meine Anwesenheit auf dem Hofe –«
Sie ließ ihn nicht ausreden.
»Früher standen Sie anders zu mir,« fiel sie ein.
»Ja, als Sie noch ein Kind waren.« Er nickte. »Die Wandlung ist nicht von mir ausgegangen. Die Jahre haben sie gebracht.«
Sie lenkte ab.
»Wir wollen darüber nicht streiten. Aber ich danke Ihnen, Herr von Herbrinck, wenn Papa es nicht bereits getan haben sollte. Das Unglück hätte groß werden können –«
»Die Gefahr ist rechtzeitig entdeckt worden, gnädige Komteß.«
»Und bekämpft,« fügte sie freudig hinzu. »Durch Sie. Sie sind überall Hilfe und Schutz. Daran haben die Jahre nichts geändert,« fügte sie schelmisch hinzu.
»Die Pflicht hält leicht im Gleise,« erwiderte er. »Und der Egoismus,« scherzte er. »Hätten nicht auch mir meine paar Habseligkeiten verloren gehen können?«
»Sie egoistisch?« Ein Lächeln huschte um ihre Lippen. »Furchtbar sind Sie das. Nur schade, daß Sie mir das nicht weismachen können. Meinen Sie, Papa hätte mir nicht erzählt, was Sie ihm und uns gewesen sind, als ich noch ein kleiner Unverstand war? Und meinen Sie, daß ich später auch mit meinen eigenen Augen nicht habe sehen können? Das wäre nicht gerade ein Kompliment von Ihnen, und das erstemal, daß ich mich fast beleidigt fühlen könnte.«
Das Strahlen der blauen Frohaugen sagte aber genügend, daß der Vorwurf nicht ernst gemeint war. Und Hans von Herbrinck nahm ihn auch nicht auf. Nicht einmal mit einer scherzhaften Wendung, die ihm sonst Wohl nahe gelegen hätte.
»Der Nachteil für das Gut ist geringfügig,« sagte er mit absichtlicher Nüchternheit. »Der Bursche – ist mehr zu bedauern.«
Das klang fast pedantisch ernst.
»Soll ich Papa für ihn bitten?« fragte sie.
»Das käme zu spät, Komteß. Und wäre auch nicht mehr verdient.« Er erzählte gedrängt.
»Wenn er nicht gelogen hätte, wären Sie dann nachsichtig gewesen?« forschte sie.
»Ja,« entgegnete er.
»Das wollte ich wissen. Nein, das wußte ich.« Sie nickte zufrieden.
»Das letzte Wort stand beim Herrn Grafen,« ergänzte er mit unausgesprochenem Vorbehalt.
»Papa hätte sich Ihnen angeschlossen,« behauptete sie.
»Der Ausgang wäre der beste gewesen, gnädige Komteß.«
Er mied ihren Blick und zeigte eine Unsicherheit, die sie befremdete.
»Ist Ihnen nicht wohl?« fragte sie, und Herbrinck hörte den Ton der Sorge.
Er sah rasch auf und nahm sich zusammen.
»Vollkommen,« versicherte er.
Die Komteß schien nicht zufrieden.
»Sie haben sich zu sehr angestrengt,« meinte sie. »Legen Sie sich hin, daß Sie sich erholen. Haben Sie überhaupt geruht?«
»Ich bin nicht weichlich, Komteß.«
»Nein; aber Papa hat recht: Sie schonen sich nicht.«
»Gut, ich werde Ihrem Befehl nachkommen und eine Stunde Schlaf suchen.«
Sie reichte ihm die Hand.
»Ja, das tun Sie. Aber nicht bloß eine – drei sind Ihnen dienlicher. Ich werde Papa schicken, daß er Sie einschließt!«
Die Innigkeit ihrer Mahnung hallte in ihm nach, und als er sich zurückgezogen hatte, umfing er auch mit geschlossenen Augen ihr liebreizendes Bild.
Mit einem Angstlaute fuhr er aus einem Halbschlummer auf und trocknete sich die Stirn, die mit Schweiß bedeckt war. Die Schläfen hämmerten ihm, und der Puls flog unregelmäßig.
War sie im Rechte? Hatte er sich zu viel zugemutet? War er krank?
Er lachte gequält. Krank! Pah, der Körper nicht. Wenn's auch das beste wäre – krank – tot – begraben – vergessen.
Eine sieche Seele! Ein Leid, das niemand kannte, als er selbst, und das niemand kennen durfte, das ihn mit unlöslicher Gewalt umklammert hielt, in endloser Sklaverei, das das Liebste mit zu fassen, mit zu peinigen, zu würgen drohte.
Er stand plötzlich hochaufgerichtet vor dem Schreibtisch, und eine eiserne Energie zog sich über das farblose Antlitz. Kein Zucken der Lippen mehr, kein Rucken des muskulösen Körpers. Kein Laut, kaum ein hörbares Atmen.
Festen Schrittes verließ er das Zimmer, kleidete sich mechanisch um und nahm den Weg nach dem Birkhause.
Die dunklen Stämme um ihn standen wie Säulen. Die schneebedeckten Wipfel wölbten sich zum Dache. Eine Schar Krähen krächzte in unruhigem Flügelschlage hungrig und heiser durcheinander – ein häßliches, disharmonisches Konzert im majestätischen Waldesdom.
Löhr arbeitete vor dem Hause. Auf einem Blocke zerkleinerte er Brennholz. Er bemerkte den Herankommenden nicht eher, als bis dieser vor ihm stand.
Herbrinck grüßte.
»Ich habe mit Ihnen zu sprechen,« sagte er klanglos. »Und mit Ihrer Schwester.«
Sie gingen ins Haus, und Herbrinck legte den Ueberrock ab. Er war schwarz gekleidet.
»Lieber Löhr, wollen Sie Ihre Schwester rufen?«
»Ja –«
Löhr war verwundert und wußte sich den anscheinend feierlichen Auftritt nicht zu deuten.
»Sophie!« rief er von der Stubentür aus.
»Ja, gleich.«
Das Mädchen ließ auf sich warten. Dann kam sie frisch und blühend, grüßte den Gast und stand befangen.
Herbrinck ließ die Geschwister nicht lange im Ungewissen.
»Lieber Löhr und liebes Fräulein, die wenigen Stunden, die ich mit Ihnen habe verleben dürfen, sind mir eine Freude gewesen und haben mir gezeigt, daß ich das Glück geselligen Friedens allzu lang entbehrt habe. Ich möchte es weiter mit Ihnen teilen, wenn Sie mich dauernd in Ihren kleinen Kreis aufnehmen, wenn Sie, Fräulein Sophie, mir Ihre Hand reichen wollen. Ich bin kein Jüngling und nicht mehr stürmisch wie die Jugend; aber ich habe ein ehrliches Wollen, und wenn Ihr Herz noch frei ist: ich werde Ihre Liebe in Ehren zu halten suchen. Können, wollen Sie mir mit einem geraden Ja antworten?«
Herbrinck war sich bewußt, daß er nicht von seiner Liebe zu dem Mädchen reden durfte, und wenn seine Werbung kühl herauskam – es war gut so. Er versprach – mit dem Bilde der andern im Herzen – nicht mehr, als er halten konnte, als er zu halten die Kraft in sich glaubte. Er liebte sie nicht; in seinem Herzen hatte nur die eine große Liebe Raum. Aber sie mißfiel ihm auch nicht, und seine Achtung sollte die tiefere Regung nicht vermissen lassen. Daß er einen Mißbrauch mit einem edlen, empfindungsreichen Frauenherzen trieb, fürchtete er nicht. Auch sie kannte ihn nur wenig, und wenn er sie richtig beurteilte, konnte er sich wohl von ihr geschätzt wähnen, aber kaum geliebt. Er stand über ihr; der Vorteil, der sich aus der Heirat für sie ergab, sprang in die Augen, war wohl auch für sie ausschlaggebend.
Die Werbung kam zu unerwartet, als daß sie nicht hätte überraschen sollen. Aber das Mädchen fand sich schneller in die Situation als der Bruder. Ein Blutwallen in dem gesunden Antlitz verschönte sie, und die Art, mit der sie sich wortlos an die Brust des stattlichen Freiers lehnte, entbehrte nicht ganz der Anmut.
Herbrinck legte den Arm um ihre Schulter und hauchte einen Kuß auf ihre Stirn.
»Und Sie –?« fragte er den jungen Förster.
»O, ich –« entgegnete Löhr, »das ist eine große Freude für uns –«
Die frohe Genugtuung leuchtete ihm aus den Augen und ließ ihn der Schwester lebhaft Glück wünschen.
»Du, Sophie, Besseres hätte dir niemand bringen können.«
Ein paar kleine Tränen perlten über ihre Wangen; aber dann machte sie sich frei und ging eifrig ihren Hausfrauenpflichten nach. Sogar eine Flasche Wein förderte sie aus der Vorratskammer auf den Tisch, und die drei Gläser gaben einen guten Klang.
»Dein Wohl, Sophie!«
»Dein Wohl – Hans!«
So klang das erste Du – wohlwollend von ihm, gedämpft, schüchtern von ihr.
Und so klang der Brauttoast. So die Liebe. Prosit – – ein Zug – wie unter Zechgenossen. Gemütlich, freundlich, ohne Aufregung. Prosit – aufs Spezielle – –.
Und so sprachen sie, gemütlich, geschäftlich – von Ringen, von Ausstattung, von Hochzeit – von der Beförderung des Bruders, von seiner Vereinsamung, von einer Frau, die nun auch er suchen müsse.
Und so schieden sie. Wie Freunde, gute Freunde. Aber auch wie neue. Der Kitt war noch nicht fest geworden, er gab noch keinen erprobten Halt. Die Braut sah noch zu dem Verlobten empor, er auf sie nieder.
Erst als die Geschwister allein waren, fand Löhr einige Ausgelassenheit. Er wirbelte die Schwester im Zimmer herum und sagte übermütig:
»Diern, hest du en Glück!«
Sophie holte tief Atem.
»Jo, Fritz. Dat harr ick ni dacht. Jerst de Nacht – un denn so'n Dag.«
»Dat is grad von'n Himmel rünnerkamen, Diern.«
»Ja. Etsch, nu gah ick doch tauierst.«
Ob sie den Mann liebe, fragte Löhr nicht. Das fragte sie sich auch selbst nicht. Sie dachte auch nicht daran. Sie war stolz auf die Partie, und das genügte ihr.
In Hans von Herbrinck war es klar und ruhig. Klar wie der Wintertag, durch den er heimwärts ging, ruhig wie vor einem Gewitter in der Sommerschwüle.
Seine Gedanken waren nicht im Birkhause geblieben; sie flogen ihm voraus nach dem Gute. Sophie hatte ein blaues Wollenkleid angelegt gehabt, mit dunkelrotem Bandbesatz am Rocke, mit erdbeerfarbener Halsschleife. Die Farbenstimmung war keine gewählte gewesen, und sie war ihm aufgefallen. Was die Komteß getragen hatte, wußte er nicht. Irgend eine vornehme Modefarbe. Ueber dem blonden Scheitel und den feinen, durchgeistigten Zügen hatte er die Tracht vergessen. Wer die Blüte liebt, den geht das Blattwerk wenig an. Das Blattgrün ist dekorativ wie das Kleid der Menschen. Und die Dekoration soll sich anpassen, nicht vordrängen.
Er sah die großen Augen, die auf den Grund einer ideal gütigen, reinen Seele blicken ließen. Er sah sie strahlen und sich verdunkeln, die blühenden Wangen glühen und erblassen, die schlanke Gestalt zusammenzucken und in momentaner Kraftlosigkeit wanken. Es wurde ihm warm mitten in dem Schneestarren, und seine selbstherrliche Genugtuung über den getanen Schritt war doch nicht so ganz sicher. Mit Mühe wies er den Zweifel von sich, ob er richtig gehandelt habe, und suchte Beruhigung und Festigkeit in dem immer wieder schützend berufenen Gedanken, daß ja nicht sein, daß allein ihr Bestes ihm maßgebend gewesen war. Wenn es sie traf – sie litt für sich. Er war der Arzt, der die rauhe Hand an eine Wunde legte, um sie zu heilen. Nach dem Sturme Sonnenschein – nach dem Herzenskampfe aus neuen Freuden neu aufrankendes Glück. Die harte Notwendigkeit diktierte ihr das Dulden, und aus dem Dulden würde ihr wieder die Ueberwindung aufwachsen.
In der Nähe des Spritzenhauses traf er auf den Grafen und sah seine Reflexionen vorläufig abgeschnitten.
»Das Ding soll gründlich in Ordnung gehalten werden,« sagte Luckner und zeigte auf die Spritze, an der einige Mann mit der Säuberung beschäftigt waren. »Ich bin in dem Glauben an eine gewisse Duplizität der Ereignisse befangen, Herbrinck; und wenn auch nicht gerade ein neuer Kruse kommt, ein Blitzschlag könnte auch mal das Geschäft besorgen. Und kommt das Unheil in der Doppelgestalt auf einen weniger brennenden Einfall – na, nach falscher Seite hin vorzusorgen, kann auch nicht schaden. Das Ding hat ja seine Schuldigkeit getan, gewiß; war aber doch zuerst ein etwas trockenes Geruckse. Die Schlauchverbindungen, die Ventile nicht ganz dicht, die Pumpe – na, so so. Jetzt soll geölt und aufgepaßt werden, und wenn Sie mal Zeit haben, dann lassen Sie vielleicht auch die Leute mal ordentlich üben. Meine Große kann sich von dem Schrecken immer noch nicht erholen; aber die Kleine – ja, Herbrinck, die gehört nicht zu den Zimperlichen ihres Geschlechts, die ist gesund und kernig in Herz und Kopf. Ehrlich, maßvoll, klug – richtig mein Stolz, Herbrinck. Die Große – na, sie mag sich mit ihren Grillen allein zurecht finden. Aber wenn in die sich je einer verlieben sollte, der wäre an seinem Hochzeitstage auch zum letztenmal vergnügt.«
Der Graf schien sich über die ältere Tochter geärgert zu haben, und Herbrinck schloß daraus, daß sie ihn gereizt haben mußte, da er sonst über ihre Fehler nachsichtig hinweg zu sehen pflegte. Daß er selbst Gegenstand ihrer spitzen Angriffe und der Beschuldigung mangelnder Achtsamkeit gewesen war, ahnte Herbrinck nicht, und der Gutsherr machte ihm auch keine Andeutung. Aber während der Brautfahrt Herbrincks hatte sie in der Tat die Hetzerin zu spielen gesucht und den Grafen derart gegen sich aufgebracht, daß er ihr mit einer ebenso deutlichen als derben Zurechtweisung gedient und sich ihre Einmischung energisch verbeten hatte. Komteß Helene hatte klug zu vermitteln gesucht, den Gereizten aber doch nicht ganz zu besänftigen vermocht.
Herbrinck setzte unbewußt ihre Bemühungen fort.
»Ueberreizte Nerven verleiten leicht dazu, ein Wort zu viel zu sagen,« meinte er milde.
»Ja, Nerven hat sie,« bestätigte Luckner ironisch. »Die sind auch so eine neue Krankheit. Aber von mir sind sie nicht. Es muß schon sein, daß der Apfel oft recht weit vom Stamm fällt. Die Lütte ja, das ist meine Art. Herbrinck, wenn die mal einer haben will – und die Zeit kommt ja auch, der muß ein ganzer Kerl sein. Sonst nee, rundweg. Aber freilich, wen die sich aussucht, der wird wohl auch der Passende sein, und ein Hohlkopf wird ohne meine gütige Mitwirkung abblitzen. – Ihr Cognac ist besser als meiner, Herbrinck; lassen Sie sich nicht lumpen. Ich habe auch einen neuen Kalender für Sie mitbesorgt, zeige mich also wieder nobel.«
Herbrinck wollte sein Werk gleich zu Ende führen.
»Sie sind mir doppelt willkommen, weil ich Ihnen zugleich eine Mitteilung zu machen habe, Herr Graf.«
»Schön. Können auch sofort anfangen, wenn's beliebt.«
Das ging gegen Herbrincks Empfinden.
»Zu Hause, wenn ich bitten darf.«
»Wieder was von dem Kruse?«
»Nein. Eine – Privatsache.«
»Bon«! Ich denke, dem verstockten Bengel wird schon etwas anders geworden sein, nun er den Zwang sieht.
Als Herbrinck in der Wohnung ablegte, rief der Graf überrascht:
»Nanu, im Bratenrock?«
Bald saßen sie sich im Arbeitszimmer gegenüber.
»Wie ein kleines Geheimkabinett bei Ihnen,« sagte Luckner und lehnte sich behaglich in die Sofaecke. »Soll wirklich ein Geheimnis herauskommen, alter Freund?«
»Lieber Herr Graf, ich habe einen Rat befolgt, den Sie selbst die Güte hatten, mir zu erteilen.«
»Hm, das klingt etwas mysteriös –«
»Ich habe mich verlobt,« erklärte Herbrinck unvermittelt.
Luckner schnellte aus seiner Ecke vor.
»Wie – –?«
»Sie haben ganz recht gehört.«
»Mensch, und das sagen Sie mit so einem Gesicht?«
»Ich bin wohl immer ein nüchterner Mensch gewesen, und der Ernst des Schrittes geht mir über die Romantik.«
»So! Und mit dem Ernst haben Sie auch geworben?«
»Ja.«
»Und sie hat – – Herbrinck, wer ist die Dame?«
Herbrinck suchte keinen Uebergang.
»Sophie Löhr,« sagte er fest.
Luckner lehnte sich wieder zurück und sah ihn groß an. Die Hand, in der er die Zigarre hielt, stieß gegen den Schreibtisch, und die Asche fiel auf den Teppich.
»Wer?« wiederholte er nach einem dumpfen Schweigen.
»Ich habe eben um sie geworben.«
Der Graf stand auf und ging ins Nebenzimmer.
Erst nach Minuten kam er wieder.
Das joviale Gesicht mit den buschigen Brauen und dem starken Schnurrbart war tiefernst.
»Lieber Herbrinck, ich – kann Ihnen nicht gratulieren. Lieber Freund, ja, ich muß ja. Ich muß. Ich – wünsche Ihnen auch wirklich Gutes. Aber – ich muß mich auch zu Ihnen aussprechen. Sie haben einmal die Rede auf die junge Dame gebracht – und auf Beziehungen zu mir. Auf mein Wort, Herbrinck: ich habe mich nicht an dem Mädchen vergangen. Natürlich, Sie setzen das voraus. Ich will auch nur Ihr Vertrauen bestätigen. Ich halte das – der Dame gegenüber – für meine Pflicht. Ich bin kein Redner, Herbrinck, und mir fehlt das Zeug, Ihnen so recht ergreifend und überzeugend ins Gewissen zu sprechen. Halten Sie mir das zu gut und lassen Sie mich die Worte wählen, die mir geläufig sind. Herbrinck, das ist keine Partie für Sie. Nein, bleiben Sie sitzen und hören Sie mich zu Ende. Die Vermögensfrage scheide ich aus. Sie selbst besitzen genug, und ich gehöre nicht zu denjenigen, die eine Heirat nach den Gold- oder Silberplättchen messen, die mitgebracht werden oder fehlen. Ich lasse auch den Standesunterschied nicht den Ausschlag geben, obgleich er mitspricht. Er wird ausgeglichen, wenn zwar nicht das Herkommen dasselbe, die Intelligenz, die Bildungsstufe aber die gleiche ist. Aber da liegt ein himmelweiter Unterschied zwischen Ihnen beiden, eine trennende Kluft, die nie zu überbrücken sein wird. Sie mit Ihrem Wissen, mit Ihrem Bedürfnisse nach geistiger Erhebung, mit Ihrem Verstehen der höchsten Probleme, mit dem lebendigen Geiste, der immer neue Ideale findet und sich ihnen hingiebt mit schwärmerischem Ernst – und jene! Jene, die der Beere im Walde gleicht, gewachsen und gereift im Schatten, mit dem gesunden Safte wohl die Hand zum Pflücken reizend, aber doch nur erquickend für eine flüchtige Sekunde, die einen dörflichen Gesichtskreis hat und behalten wird – gewiß, die auf ihrem Boden wirken und beglücken kann, die aber nicht verpflanzt werden darf. Gesellin des Mannes, Hausfrau, Mutter, das kann sie ihresgleichen sein – nie aber wird sie Ihnen eine Kameradin werden, die mit von Ihrer geistigen Warte Ausschau hält, die Ihren Gedankenflug teilt oder auch nur erfaßt. Nein, Herbrinck, das ist kein Bund. Ich hatte in Potsdam einen Regimentskameraden, einen gediegenen, vortrefflichen Menschen, der ging auch einen solchen Bund ein, obgleich ich ihn warnte. Und er fühlte sich bald vereinsamt – unglücklich. Und ging dann unter. Erschoß sich. Er stand mir nicht nahe wie Sie; möge bei Ihnen meine Warnung mehr Gehör finden ...«
Herbrinck schüttelte den Kopf.
»Mein Wort ist verpfändet, Herr Graf, und wird eingelöst!«
»Kennen Sie ihren Charakter?« fragte er.
»Ich glaube.«
»Ja, Sie glauben. Ich – ich habe ihn einmal nicht sehr hoch eingeschätzt. Verzeihen Sie, lieber Herbrinck – aber sollte es nicht wahr sein, daß da, wo der geistige Gehalt auf schwachen Füßen steht, es um den sittlichen meist nicht viel besser bestellt ist?«
Der eindringlichen Frage gegenüber nahm Herbrinck seine Verlobte in Schutz.
»Herr Graf, Freundeswort wird gehört, auch wenn man ihm nicht beipflichtet. In einem gesunden Körper wohnt meist eine gesunde Seele, und das Leben ist reich an Beispielen, daß ein einfaches Weib an Charakterstärke das geistig und sozial hochgestellte übertroffen hat.«
»Die Ausnahmen bestätigen meine Ansicht. Nein, Herbrinck, ich bin außer mir. Sie, der Sie in den besten Familien anklopfen könnten, und diese – – – ich finde keinen Ausdruck, der nicht verletzen müßte. Ah, alter Freund, das war eine böse Kunde. Ich komme mir vor wie im Traume. Oder – träume ich wirklich? – Haben Sie einen dummen Witz mit mir gemacht?«
Er griff sich an die Stirn.
»Herr Graf,« versetzte Herbrinck eintönig, »Sie können mir nur einen Gefallen erweisen, wenn Sie sich mit der Tatsache zufrieden geben. Wollen Sie weiter gehen und auch – Tönndorp und Menge in Kenntnis setzen – ich würde Ihnen dankbar sein.«
Die Nachbarn schob er vor, und an die Komteß Helene dachte er.
Der Graf widersprach entschieden.
»Nein, das werde ich nicht tun, das besorgen Sie gefälligst selbst. Wollen Sie den Sturm bei denen auf mich ablenken? Oder denken Sie, die könnten sich anders stellen als ich? Meinen Sie, die werden freudig überrascht sein? Die werden Sie auch nicht begreifen, das kann ich Ihnen schriftlich geben. Herbrinck – ich bitte Sie! – Ueberlegen Sie noch! Bedenken Sie: Wie soll ich, wie sollen die Freunde, wie meine Kinder sich zu dieser Frau stellen? Soll die – – soll die etwa zwischen uns treten und uns trennen? Lassen Sie kein Wort über Ihre Lippen kommen, gehen Sie in sich. – Mein Himmel, wenn ich Sie verlieren sollte, ginge mein halbes Ich mit Ihnen. Tun Sie mir das nicht an!«
»Ich – soll gehen?« fragte Herbrinck leise.
»Nein, nein, nicht gehen – – nein, niemals! Lieber noch den andern bittern Kelch – – – aber, wenn es sein, wenn die alte Harmonie bleiben könnte – ich wäre der glücklichste Mensch. Fragen Sie sich in der Stille der Nacht, erwägen Sie bis morgen früh – und dann – wir sprechen noch einmal darüber.«
Herbrinck sah starr auf den Gutsherrn.
»Nein,« entschied er. »Es – muß sein. Und – es bleibt dabei.« Er schob seinen Sessel zurück und stand in dienstlicher Haltung. »Ich bitte gehorsamst um drei Tage Urlaub, damit ich die Formalitäten erledigen, die Anzeige der Verlobung drucken und versenden kann.«
»Gott mit Ihnen!«
Luckner drückte dem Vertrauten die Hand, ohne ihn anzusehen.
»Alles Gute, Herbrinck – murmelte er und schob langsam nach der Tür. »Alles – Gute!«
Erschüttert blieb Herbrinck zurück, und die Gedanken jagten sich hinter seiner schmerzenden Stirn. War das Opfer vergebens? Würde es ihm gar zum Verhängnisse werden, daß er sich auch noch trennen mußte von dem Wirkungskreise und den Menschen, die ihm teuer waren über alles? Schickte ihm die göttliche Gerechtigkeit eine Strafe für den Egoismus, der ihn ein schuldloses Menschenleben an sich ketten ließ, um wenigstens, wenn auch wunschlos, in der Nähe der Einen, Einzigen bleiben zu können, der allein sein Herz gehörte?
Er sank schwer auf seinen Sitz zurück und barg das Gesicht in den Händen.