Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Apropos! Ich habe Ihnen noch gar nicht erzählt,« sagte Graf Luckner am Ende der Woche zu Herrn von Herbrinck, »wen ich da zufällig in Kiel getroffen habe. Raten Sie mal!«
Herbrinck dachte an einen der befreundeten Nachbarn.
»Nee, nee! Den Spottvogel von Komödianten.«
»Getroffen?«
»Na, angesprochen habe ich ihn natürlich nicht, und er mich zu seinem Gluck auch nicht. Aber mitten auf dem Trottoir blieb er in seinem Schafsfell stehen und feixte mich so recht dämlich an. Der sollte mir bloß mal wieder nach Timmhusen geflogen kommen! – Ist der andere, der Bruder, fort?«
»Der Mann zieht heute. Er hatte noch auf Ihre Nachsicht gehofft und wechselt ungern. Er hängt eben an der Scholle, auf der seine Eltern gelebt haben, auf der er selbst groß geworden ist und seine Familie begründet hat.«
»Das hätte er vorher bedenken sollen, nicht nachher. Aber von um so besserer Wirkung wird das Exempel sein.«
»Eine Wiederholung empfiehlt sich trotzdem nicht, denn wir brauchen die Leute, und Ersatz ist schwer zu finden.«
»Ich will Respekt haben, und wenn ich allein auf dem Hofe bleiben soll. Na, Sie würden mich wohl nicht im Stich lassen. – Hm, tun Sie mir doch den Gefallen, den Löhr nach Hause zu schicken. Ich muß mir etwas Bewegung verschaffen, und das Birkhaus liegt mir gerade recht. Damit der Herr aber sein zartes Gewissen nicht beschwert fühlt – – na, und so weiter. Ich gehe gleich nach Tisch.«
»Er weiß natürlich nicht, daß ich mit Ihnen gesprochen habe,« bemerkte Herbrinck.
»Ach so, von wegen – –. Das schadete nichts. Seine Leviten lese ich ihm doch. Und der Jungfer Schwester auch. Sie sollen aber beide dabei sein –. Donnerwetter, Herbrinck, Eisbahnpächter in Berlin möchte ich sein. Die Kerle verdienen – bei dem Dauerfrost – ein Heidengeld.«
»Ich glaube, jeder würde gern mit Ihnen tauschen,« entgegnete Herbrinck lächelnd.
»Na ja. Ich weiß bloß nicht, wo all die Sportsmen und -Ladies hergeschwommen kommen. Tanzen, Schlittschuhlaufen – bah, ist nie mein Fall gewesen. Ein Ritt, eine gute Zigarre, ein Spielchen – das verdammte Jeuen natürlich ausgenommen – das ist doch was anderes.«
Er nickte und schlenderte ins Schloß.
Vor seinem Arbeitszimmer stieß er auf die Mamsell.
»Schicken Sie mir Siebenlist,« befahl Luckner.
Siebenlist war der Leibdiener des Grafen und der einzige männliche Vertreter der Dienerschaft im Schloß. Ein Troß von Lakaien hatte sich in den mageren Jahren von selbst verboten, und als die fetten gekommen waren, verzichtete der Graf darauf.
Der grauhaarige Alte wurde mit einer Botschaft nach dem Forsthause geschickt.
Bei Tische war der Graf heiter, aber ein Unwetter schien sich auf der faltigen Stirn zusammenzuziehen, als er am Birkhause anlangte und den jungen Löhr, der auf ihn gewartet hatte, die niedrige Tür öffnen sah.
»Wunder! Dachte schon, Sie würden mich draußen abfertigen,« knurrte er den Forstgehilfen an.
Sophie Löhr stand im Wohnzimmer und empfing den Grafen mit glühendem Kopf.
Luckner grüßte höflich.
»Große Ehre, mein Fräulein.«
Löhr brachte unbeholfen einen Stuhl.
»Danke,« sagte der Graf widerwillig. »Aber in einem Hause, in dem meine Anwesenheit nicht genehm ist, will ich mich nicht lange aufhalten.«
Der Tisch, gegen den er sich lehnte, gab dem Druck des schweren Körpers so lange nach, bis er am Sofa einen Halt fand.
»Was mich herführt, ist zweierlei,« eröffnete Luckner mit einer nichts Gutes verkündenden Schärfe im Ton. »Zum ersten und hauptsächlichsten: Ich will mir ein Mißtrauen verbeten haben, zu dem ich die Saat in einer gewissen – Unbedachtsamkeit ausgestreut habe, das mir aber trotzdem nicht paßt. Es ist mir nicht erkennbar geworden, ob Sie, Fräulein Löhr, sich über mich bei Ihrem Bruder zu beschweren geruht haben, und es ist mir ebenso nicht ganz durchsichtig, ob und zu wem der Musjöh Sorgenvoll sich diskret weiter ausgesprochen hat. Es ist mir aber zu Ohren gekommen, daß man mir wie einem Marder im Schnee nachgespürt und sich ebenso ernstlich als unnötig über mich beunruhigt hat. Dergleichen will ich Ihnen und mir für die Zukunft erspart wissen, und wenn Sie durchaus Ihrer Spürnase nachgehen wollen, dann sehen Sie sich draußen bei den Arbeitern um, daß die mir nicht den Tag stehlen, oder bei den Halunken, die nachts bald im einen, bald im anderen Revier herumknallen. Da scheint's aber zu hapern. Ich glaube, Sie haben sich in der Schutzhütte einen Ofen setzen lassen, daß Sie da nicht herauszubekommen sind; und den Spitzbuben nachzuspüren, mag nicht bloß unbequem sein und Sie aus den weichen Federn aufscheuchen, sondern ist unter Umständen auch nicht ohne Gefahr. Beide Aufgaben sind aber dringender als die, welche Sie sich selbst gestellt haben, und damit Sie fernerhin sich Ihrem Dienst ganz unbehindert widmen können, will ich Ihnen erklärt haben, daß ich in der Folge auf die Ehre, Ihrer schwesterlichen Liebe mal die Hand zu geben, Verzicht leiste. Das wird auch Ihnen nicht unangenehm sein, meine Beste, da Sie ja in dem mächtigen Anwesen so viele Hausfrauenpflichten zu erfüllen haben, daß Sie jede verplauderte Stunde zu den verlorenen zählen müssen ...«
Er hatte sich etwas kurzatmig gesprochen und mußte halb gezwungen eine kleine Pause eintreten lassen. Dann knurrte er von neuem:
»Im übrigen werden Sie beide zu erlauben haben, daß ich mich auf meinem Gute mit einiger Freiheit ergehen kann, wohin es mir beliebt. Mensch, stehen Sie nicht so nichtswürdig aufs Maul geschlagen da, das kann ich schon erst recht nicht leiden! Das Gewitter haben Sie sich selbst heraufbeschworen, und wenn Kraut und Rüben Ihnen verhageln, Sie haben's nicht besser verdient. Wer eine Jammermiene steckt man deshalb nicht auf, sondern geht an die Arbeit und rettet, was zu retten ist. ›Herz‹ ist Trumpf, sagen Sie zu sich, ›Schellen‹ zu den Leuten, wenn sie mucken wollen, und ›Treff‹ zu den Gaunern, wenn sie das Wildmausen nicht lassen können. Aber zufassen, Löhr, nicht nur hinhorchen oder schielen! Bringen Sie Zug in die Arbeit – schaffen Sie mir das Raubzeug vom Halse – und wir sind wieder Freunde. Sie sind ein junger Bursch, da kann es nicht darauf ankommen, ob Sie sich mal ein paar Nächte um die Ohren schlagen müssen. Sie sind noch nicht erfahren, aber der Eifer kann nachhelfen und ausgleichen. – So, damit hat's ausgedonnert, und ich will Sie nicht weiter stören. Nur eins noch, das zweite, das ich mir bis nach dem Blitzen vorbehalten hatte: Herr von Herbrinck hat Sie als Nachfolger des Försters vorgeschlagen, der pensioniert zu werden wünscht; ich – geben Sie mir Ihre Hand – bestätige hiermit die Wahl. Nehmen Sie sich an Ihrem Vorgänger, der ehrlich und fähig war, ein Beispiel. Ich empfehle mich, mein Fräulein; guten Tag, Löhr!«
Er wartete nicht, bis die Ueberraschten ihm danken konnten, sondern stampfte eilig hinaus und fort, knurrte aber unterwegs noch in gemachtem Zorn in den Bart.
Die Geschwister vermochten den Vorgang nicht gleich zu fassen.
»Hest du di wat utlaten?« fragte Sophie stockend.
Sollte Herbrinck dem Grafen was gesagt haben? dachte Löhr und antwortete halb betäubt: »Wat utlaten? Nee –. Dat de Graf hier west is, dat heww ick woll ni alleen wäten ... Wokeen Wer. em dar awer wat öwer seggt hett,« wich er aus, »dat weet ick ni.«
Gewisses war ihm ja auch nicht bekannt, und so blieb er wenigstens halbwegs bei der Wahrheit.
»Meenst du, dat de Kortens dat west sünd?«
»De? Da warrn sick woll höden, Hüten., sick de Tung to verbrenn'n. Aber rümdragen hemm se dat vellicht ok.«
»Jo, un denn hett sick Een en witen Faut maken Weißen Fuß machen, einschmeicheln. wulln un dat int Schloß bröcht. De hett sick aber verräkent!« Verrechnet. schloß die Schwester, und der Stolz ließ ihr das Herz höher schlagen.
»He is doch ni schlecht.« Löhr nickte nachdenklich, und auch in ihm gewann die frohe Genugtuung die Oberhand. »Förster mit mien dreeuntwinti Dreiundzwanzig. Jahr!« frohlockte er. »Dar töwt Wartet. männi Een up, bet he old und gris Grau. ist.«
»Jo,« sagte Sophie zögernd. »Nu warst du woll ok bald hingahn un di en Fru säuken, un denn bün ick dar ni mihr nödi.«
»Dar denk ick ni an,« bestritt der Bruder freundlich. »Wokeen weet, ob du ni noch tauierst an de Reeh kümmst. Oder wullt du en ol Jungfer warrn?« neckte er. »Du, ick wüß Eenen för di!«
»So? Wokeen denn?«
Er hatte im Uebermut an Herbrinck gedacht, hütete sich aber, den Gedanken laut werden zu lassen.
»Wokeen? Dütje!« sagte er lachend.
Er kam schlecht an.
»So'n Laps wüll ick ni.« entgegnete sie derb.
»Denn kann ick di ni helpen, Sophie.«
Löhr stülpte seine Mütze auf.
»Nu warr ick Herrn von Herbrinck säuken. Denn'n mutt ick danken.«
»Jo, wenn de ni en gaud Wurt inleggt harr, denn wier dat vellicht doch ni kamen. Dat is en grots Glück, dat de dar ist. Un ni blot för uns.«
»Nee, för all. De Löd warrn awer Oegen maken. Adjüs, Sophie. Ick kam ni to lat.« spät.
Am Abend gingen die Geschwister nach dem Forsthause, und der alte Förster gratulierte ihnen.
»Ich hatte den Herrn Grafen schon lange gebeten, mich in Pension zu setzen,« erzählte er, »weil es nicht mehr recht vorwärts will mit mir und ich meine alten Tage gern bei meiner Tochter in Neumünster verleben möchte, die da ja gut verheiratet ist. Nun hat er mich heute nachmittag durch Siebenlist rufen lassen und mir mitgeteilt, daß er mein Gesuch annehme und daß er Sie zu meinem Nachfolger ernannt habe –«
»Das hat er auch schon gesagt?«
»Das weiß, glaube ich, jetzt schon das ganze Gut. Und die meisten werden es Ihnen gönnen, Löhr. Ich auch. Und wenn Sie nun einziehen wollen, dann sagen Sie es mir –«
»I, wir haben ja Zeit, Vater Wöller,« fiel Löhr ein. »Unsertwegen beeilen Sie sich man ja nicht!«
»Das habe ich auch nicht erwartet, daß Sie drängen würden; aber mich selbst drängt es, und weil der Herr Graf es mir schon erlaubt hat, denke ich, ziehe ich nächste Woche. Freitag hat meine Tochter Geburtstag; da soll die Unruhe schon vorüber sein.«
Der Alte kraulte sich den weißen Bart.
»Leicht wird es mir nicht, das Gehen,« sagte er, und die blauen Augen schimmerten wässerig. »Aber wenn man zu seinen Kindern zieht, ist es ja was anderes. Wenn ich die nicht hätte, dann wäre ich freilich lieber dageblieben. Na, ist ja auch nicht aus der Welt, Timmhusen, und wenn ich's mal gar nicht aushalten kann, komme ich mal wieder rüber gekrochen.«
»Und sind uns immer willkommen,« versicherte Löhr.
»Ja? Und wenn Sie mal nach Neumünster kommen, dann kehren Sie auch bei mir ein.«
Sophie Löhr bot dem Alten an, ihm beim Packen zu helfen.
»Das wollten Sie?« fragte Wöller erfreut. »Ja, das nehme ich natürlich gern an. Meine Tochter wollte schon selbst kommen; dann ist das aber nicht nötig. Montag können wir da anfangen – paßt Ihnen das? Ja? Na, denn vielen Dank im voraus! Lieber Löhr, Sie werden mit dem Herrn Grafen manchmal Ihre Not haben, aber im ganzen ist doch mit ihm auszukommen. Und dann ist ja auch immer Herr von Herbrinck da, auf den Sie sich verlassen können. Wenn ich denke, was Timmhusen vor dem war und was es durch ihn geworden ist! Wenn der nicht gekommen wäre – ich will ja dem Herrn Grafen kein Unrecht tun – aber dann wäre schon längst ein anderer Herr da, und gewundert hätt's mich nicht, wenn der Sauer geheißen hätte. Jetzt ist der Apfel aber für den Sauer zu sauer geworden, und der Herr Graf hat mit ihm so wenig was zu tun wie mit irgend einem andern. Mit dem kann sich keiner in der ganzen Gegend mehr messen, und das dankt er alles dem Verwalter. Hält aber auch auf ihn, und wenn's nicht mehr als seine Schuldigkeit ist, freut's einen doch. Wenn der Graf auch mal bärbeißig tut – bis zum Zerbeißen ist's immer noch ein weiter Schritt, der für seine kurzen Beine oft viel zu lang ist –«
»Na, der alte Kruse hat seine Zähne aber doch fühlen müssen,« warf Löhr ein.
»Ja, das hat er. Hat mich aber auch überrascht. Ich denke mir, daß der Graf da vielleicht nicht so ganz im Rechte war; aber der Kruse auch nicht. Bloß das bißchen Singerei allein hat's nicht ausgemacht; der Theatermensch wird wohl etwas giftig gewesen sein. Jedenfalls ist mir da was nicht klar, und was der Kruse allein sagt, gibt nicht den Ausschlag. Der guckt durch seine Brille, und wer dann die vom Herrn Grafen aufsetzt, der sieht wieder 'n anderes Bild. Der Kruse sollte aber froh sein, daß er sich auf Neurade so warm wieder einnisten konnte und daß der Graf ihm das nicht verpurrt hat, was er doch leicht hätte können. Der trägt ja aber nicht ernstlich nach, und wenn jetzt der Kruse überall herumläuft – wie mir der Neurader Förster erzählt hat – und kein gutes Haar an dem Grafen und an ganz Timmhusen läßt, dann ist das einfach dämlich – und das Treiben des jungen Bengels, den der Graf mal 'n bißchen mit der Peitsche gekitzelt hat, schon mehr gefährlich. Der Dämlack scheint sich in eine Bosheit hineinzureden, die wirklich mal zum Ausbruche kommen kann.«
Löhr schüttelte ungläubig den Kopf.
»Der nimmt bloß den Mund voll,« meinte er. »Aber an den Grafen herantrauen wird er sich nicht.«
»Das sagen Sie nicht. Offen – nein. Das wäre ja Unsinn. Aber mal aus dem Hinterhalt heraus, und wo er dann nicht zu fassen ist – da möchte ich nicht für einstehen.«
In vorgerückter Stunde mahnte Sophie zum Aufbruch.
»Es wird elf Uhr werden, ehe wir nach Hause kommen,« erinnerte sie.
Der Förster widersprach zwar, aber der Bruder gab ihr recht.
Sophie trat, während der Bruder noch auf dem Flur dem alten Kollegen die Hand schüttelte, als erste vor die Haustür, und ein Angstschrei kam über ihre Lippen, der auch die Zurückgebliebenen rasch hinauslockte.
Der sternenfunkelnde nächtliche Himmel war von Feuerschein weithin gerötet.
Das Mädchen hielt die Hände auf die Brust gepreßt, und der Schreck weitete ihre Augen unnatürlich.
»Um Gottes willen, das ist auf dem Gute!« schrie sie laut auf.
Feuer auf dem Lande ist anders als in der Stadt. Dem Elemente ist nur schwer Einhalt zu tun, und der grelle Widerschein des lodernden Brandes packt auch den Mutigsten mit Schauern.
»Auf dem Gute!«
Weiß die Felder, dunkel der starrende Wald, glühend rot der Himmelsdom. –
Löhr sammelte sich zuerst und stürmte der Schwester voran in atemlosem, schwankendem, stolperndem Laufschritt.
Herbrinck saß an seinem Schreibtisch und las die hauptstädtischen Zeitungen, die der Gutsherr hielt und ihm regelmäßig gegen Abend zur Mitbenutzung zusandte.
Der spaltenlange Bericht über die wieder aufgenommenen Sitzungen des Reichstags fesselte ihn nicht wie sonst, wenn die Parteigegensätze die Objektivität weniger überwucherten: und die Tagesnachrichten mit den gesellschaftlichen Notizen und der Unfalls- und Gerichtschronik entbehrten für ihn auch der Unmittelbarkeit.
Etwas mißmutig schob er die Blätter zusammen und überlegte, ob er noch ein Buch zur Hand nehmen oder die Ruhe suchen sollte.
Ein unruhiges Flimmern in der von der Lampe nur matt belichteten Goldumrahmung des Bismarckbildes über dem Schreibtische fiel ihm fremd ins Auge. Die glatte, glänzende, abgeschrägte Innenleiste funkelte seltsam rötlich, und ein gleicher, befremdender Schimmer zog sich weiter über das Bild und aufhellend über die terracottafarben abgeblichene Tapete. Und wie er den Blick weiter umherschweifen ließ, erschien ihm das ganze Gemach in ungewohnter, fast unheimlich berührender Beleuchtung. Er wandte sich nach dem Fenster um, dem er bis dahin den Rücken zugekehrt hatte, und sprang mit einem Ruck auf.
Von gespenstischem, zitterndem Rot durchleuchtet die Parkbäume, blutig erhellt das Firmament.
Feuer!
Und auf dem Gute!
In bloßem Kopfe stürmte er hinaus, suchte vom Hofe aus Gewißheit, wo das verheerende Element wütete, und sah das lange Stallgebäude, dessen Tor die Drachenzeichnung getragen hatte, von blendender Glut umloht, ohne daß er die Flammen selbst zu bemerken vermochte. Ein penetranter Brandgeruch umwehte ihn, und deutlich vernahm er ein Knistern des Feuers, sah er stiebende Funken mit den mächtigen Rauchwolken in die Höhe wirbeln.
So rasch ihn seine Füße tragen wollten, flog er über den Hofplatz nach dem kleinen Glockenturme des Meiereigebäudes und läutete Sturm.
Das Wimmern der Glocke drang schrill durch die Nacht und trug Angst und Hilferuf gellend in die Kammern der Leute und in die Räume des Schlosses.
Bald kam da, bald dort ein aufgeschreckter Schläfer zum Vorschein, und der die Nerven rüttelnde Feuerruf wurde von Mund zu Mund weiter gegeben. Ein paar besonnene Knechte zerrten zwei schnaubende Gäule auf den Hof, warfen ihnen die Geschirre über und jagten nach dem bei den Arbeiterkaten gelegenen Spritzenhause. Andere stürmten nach den Noteimern, Haken und Leitern, die an den verschiedenen Gebäuden dicht unter dem schützenden Dache leicht zugänglich aufbewahrt wurden, füllten die Eimer in den Küchenräumen, an der Hofpumpe, im Teiche und schwankten keuchend an den Brandherd.
Herbrinck stieß zu den schreienden, ratlosen Leuten und führte das Kommando.
»Ruhe!« forderte er, den Lärm übertönend. »Gottlob, nur der Strohfeimen! Aber der ist verloren! Leitern ans Dach des Stalles – und mit den Eimern hinauf, und wo der Schnee wegschmilzt, Wasser darauf – Wasser?«
Die Kätner kamen hinzu, und im Nu bildete sich von dem Feimen aus, der nur etwa zehn Meter von der bedrohten Stallung entfernt lag und ein einziges loderndes Flammenmeer war, bis an den Teich eine Kette von Leuten, die die gefüllten Eimer unablässig von Hand zu Hand wandern und die leeren zurückgehen und neu füllen ließen.
Das Schneedach des Stalles färbte sich in der Glut rasch schwarz, und die Funken stoben unablässig hinüber. Aber sie verzischten in raschem Erlöschen, solange die durch den Schnee dem Strohdache gegebene Nässe vorhielt. Und dann setzten das unablässige Begießen des Daches und die Bearbeitung des lodernden Feimens mit der Spritze ein, bis es der vereinten Anstrengung zu gelingen begann, des wütenden Elementes Herr zu werden. Löhr hatte eine der gefährdetsten Stellen eingenommen, Graf Luckner stand mit an der Spritze und leitete den prasselnden Wasserstrahl selbst in die züngelnde Glut.
Aus dem Stalle drang das ängstliche Brüllen der aufgestörten Kühe, und die Mägde bestürmten den Verwalter, die Tiere loskoppeln und ins Freie treiben zu lassen. Herbrinck war rauchgeschwärzt, aber mitten in dem Tosen hatte er seine Kaltblütigkeit zurückgewonnen und überschaute mit sicherem Blicke, daß die Hauptgefahr fast unverhofft rasch überwunden und ein Uebergreifen des Feuers auf die Stallung nicht mehr zu befürchten war.
Zsch – zch – zsch – ging der Wasserstrahl in die Flammenglut, bis der rote Feuerberg allmählich zu erlöschen anfing und die ringenden, schwitzenden Menschen endlich des Elementes Herr wurden, ehe noch die von den umliegenden Gütern und aus den Dörfern herbeigeeilten Hilfsmannschaften tatkräftig mit eingreifen konnten.
»Das ist angelegt!« sagte Löhr heiser zu Herrn von Herbrinck.
»Ja!« war die kurze, überzeugte Antwort.
»Ich weiß, von wem!« zischelte Löhr impulsiv weiter.
»Dann sprechen Sie.«
»Von dem jungen Kruse! Ich habe ihn nicht gesehen, und ich weiß es nicht bestimmt. Aber er hat gedroht, er –«
Herbrinck unterbrach ihn.
»Bewahren Sie Ihren Verdacht einstweilen als Geheimnis, Löhr, und warten Sie auf mich. Wir wollen die Fährte sofort ausnehmen. Aber kein Gerede, bis wir einen gewissen Grund haben.«
Graf Luckner versammelte die Leute um sich.
»Das ist Brandstiftung!« sagte er mit hallender Stimme. »Die geholfen haben, die Gefahr zu überwinden, die haben sie nicht hervorgerufen. Aber ich setze eine Belohnung von hundert Talern dem aus, der mir den oder die Verbrecher nachweist.«
Kein Wort des Dankes! Aber er hatte doch die ihn umgebenden Menschen in einer Stunde der Not kennen gelernt und gesehen, wie sie tüchtig und entschlossen zu ihm standen. Das ließ eine Art widerwilliger Schätzung in ihm aufkommen, während die Leute es wieder wohltuend empfanden, daß der stolze und eigensüchtige Schloßherr unter ihnen den Verbrecher nicht vermutete.
Sie hatten unter seiner Willkür alle schon zu leiden gehabt und ihm still oder laut gegrollt; aber an einen ähnlichen feigen Schurkenstreich hätte wohl nicht einer von ihnen jemals gedacht.
Wo und wer aber war der Täter?
Der Name Kruse wurde in mehr als einer Gruppe auch der diskutierenden Leute geheimnisvoll geraunt, aber der verschlossene, kernige norddeutsche Menschenschlag bewährte seine ihn ehrende Besonnenheit, und schließlich wollte sich zu dem offenen Verdachte doch keiner bekannt haben.
»Hest du dat von den'n seggt?« fragte Suhr einen Knecht.
»Nee, ick ni.«
»Oder du?« wandte er sich an einen anderen.
»Nee, ick ok ni.«
»Hürt heww ick dat awer.«
»Mögli wier dat woll.« murrte einer aus dem Hintergrunde. »Behaupt hemm wüll ick awer nichts.«
»Wokeen denn von de –?« fragte ein anderer. »De Ol –?«
»Ach, de ni.«
»Dat weet ick ni.«
»De harr leewer sien Snut hol'n söll'n. Rüm gift' het he nog.«
»Wat hett he denn seggt?«
»Frag up Neerad, dar kannst du dat hürn. Ick weet dat ni mihr so akrat.«
»Wenn he dat dahn hett, de Gräunsnut, denn sülln se em ock man wedder inbäuten,« einheizen sagte einer gereizt.
»Jo, wenn–« kam wieder der vorsichtige Vorbehalt. »Wenn dar en Uhl säten hett, denn – is dat en Uhl West. Sa klauk sind wi ok ...«