William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 2
William M. Thackeray

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Noch einmal das glückliche Städtchen

Zu Anfang dieser Geschichte haben wir Gelegenheit gehabt, von der kleinen Stadt Clavering, in deren Nähe Pens Vaterhaus Fairoaks stand, und von verschiedenen Leuten, die den Ort bewohnten, zu sprechen, und da die Gesellschaft durchaus nicht amüsant oder angenehm war, so dehnten sich unsere Berichte über dieselben nicht gar weit aus. Herr Samuel Huxter, der Gentleman, dessen Bekanntschaft wir kürzlich in Vauxhall machten, war einer der gewähltesten Geister des Städtchens, wenn er es in seinen Ferien besuchte, und belebte die Tafeln seiner Freunde dort durch die Witze der St. Bartholomäusschule und das Gespräch der fashionablen Londoner Zirkel, die er besuchte.

Herr Hobnell, der junge Gentleman, den Pen infolge des Streites wegen der Affäre Fotheringay durchgeprügelt hatte, war, während er ein Zögling der lateinischen Schule von Clavering war, allmählich ein sehr willkommener Gast am Teetische der Frau Huxter, Samuels Mutter, geworden und hatte freien Zugang zu den apothekarischen Vorräten des Chirurgen, wo er den Weg nach dem Tamarindentopfe wußte und sich sein Taschentuch mit Rosenwasser besprengen konnte. Und in dieser Periode seines Lebens faßte er eine Zuneigung für Fräulein Sophie Huxter, die er nach 501 seines Vaters Ableben heiratete und in sein Haus auf der Warren nahm, das ein paar Meilen weit von Clavering gelegen war.

Die Familie hatte dort viele Jahre ein Gut als Freisassen und Pächter besessen und bebaut. Herrn Hobnells Vater riß das alte Pächterhaus nieder, baute ein blendend weißes, neues Herrenhaus mit geräumigen Stallungen, kaufte ein Piano für die Empfangsstube, hielt sich eine Meute Jagdhunde und nahm den Titel Squire Hobnell an. Als er starb und sein Sohn an seiner Statt regierte, konnte man die Familie recht wohl jetzt als zum kleinen Landadel gehörig betrachten. Und Sam Huxter in London beging kein sehr großes Unrecht, daß er sich auf seines Schwagers Gut, seine Jagdhunde, Pferde und seine Gastfreundlichkeit vor seinen staunenden Kommilitonen von St. Bartholomäus etwas zugute tat. Jedes Jahr, gewöhnlich zu der Zeit, wo Frau Hobnell von den wachsenden Pflichten ihrer Kinderstube nicht abkommen konnte, kam Hobnell, um sich einen guten Tag zu machen, nach London, wohnte im Tavistock, und er und Sam gaben sich zusammen den Vergnügungen der Stadt hin. Ascot, die Theater, Vauxhall und die Schankstuben der lustigen Brüder in der heiteren Umgebung von Covent Garden wurden von dem lebenslustigen Squire und seinem gelehrten Schwager besucht. Wenn er in London war, sagte er, so triebe er's gern, wie man es in London triebe, und ›ein bißchen gründlich‹, und wenn er gen Westen zurückkehrte, nahm er einen neuen Hut und Schal für Frau Hobnell mit und tröstete sich mit den ländlichen Vergnügungen und 502 Beschäftigungen während der nächsten elf Monate über die eleganten Amüsements des Londoner Lebens.

Sam Huxter unterhielt einen Briefwechsel mit seinem Verwandten und versah ihn mit ausgewählten Neuigkeiten aus der Metropole, zum Danke für die Körbe voll Hasen, Rebhühner und den geschlagenen Rahm, den der Squire und seine gutmütige Gemahlin ihm zuschickten. Einen glänzenderen und ausgezeichneteren Jüngling kannten sie nicht. Er war das Leben und die Seele ihres Hauses, wenn er in seinem Geburtsorte erschien. Seine Lieder, Witze und sein spaßhaftes Wesen ließen das Herrenhaus auf der Warren nicht aus dem Lachen herauskommen. Er hatte das Leben ihres ältesten Lieblings gerettet, indem er ihm eine Fischgräte aus dem Halse geholt hatte, – kurz, er war die Wonne ihres häuslichen Kreises.

Wie es ein übler Zufall haben wollte, traf Pen abermals auf Herrn Huxter, und zwar nur drei Tage nach dem Zusammenstoß in Vauxhall. Seinem Gelöbnis getreu, war er nicht gegangen, die kleine Fanny zu sehen. Er versuchte es, sie aus seinem Kopfe durch Beschäftigung oder andere geistige Aufregung loszuwerden. Er arbeitete, obwohl mit nicht viel Nutzen, unablässig auf seiner Stube und machte, in seiner Eigenschaft als Kritiker der ›Pall Mall Gazette‹ einen furchtbaren und wütenden Angriff auf ein Gedicht und einen Roman, die ihm gebracht wurden, um von ihm gerichtet zu werden. Nachdem diese Autoren totgeschlagen waren, ging er allein in den einsamen Klub des Polyanthus zu Tische, wo die weiten leeren Räume ihn erschreckten und ihn nur noch verdrießlicher 503 stimmten. Er war der Zerstreuung halber mehrmals im Theater gewesen. Das ganze Haus brüllte vor Lachen und Beifall, und er sah nur eine erbärmliche Posse, die ihn herabstimmte. Es würde die Laune des Buffo auf der Bühne vermindert haben, hätte er Pens trauriges Antlitz gesehen. Er wußte kaum, was vorging; die Szene und das Drama flogen wie ein Traum oder eine Fiebervision an ihm vorüber. Dann dachte er, er wolle in das Küchenstübchen gehen, seinem alten Lieblingsort mit Warrington – denn er war noch nicht ein bißchen schläfrig. Den Tag vorher war er an zwanzig Meilen gegangen, um sich Nachtruhe zu verschaffen, über Hampstead Common und die Wiesen von Hendon, und hatte doch nachts keinen Schlaf gehabt. Er wollte ins Küchenstübchen gehen. Es lag eine Art Trost für ihn in dem Gedanken, daß er Bows sehen würde. Bows war dort und saß sehr ruhig vor dem alten Piano. Mehrere unbändig lustige Lieder wurden gesungen, die das Zimmer mit donnerndem Gelächter füllten. Wie sonderbar sie Pen vorkamen! Er vermochte nur Bows zu sehen. Es war wunderbar, daß er in einem erloschenen Vulkane, wie er seine Brust wohlgefällig nannte, solch eine Flamme fühlte! Zwei Tage des Hingebens an dieselbe hatten sie entzündet, zwei Tage der Entfernung hatten sie in lichterlohe Glut versetzt. Als er so darüber nachsann und ein Glas nach dem anderen hinuntergoß, blitzten Arthurs Augen, wie ein böser Zufall es haben wollte, auf Herrn Huxter, der wie er im Theater gewesen war und jetzt mit zwei oder drei Kameraden ins Zimmer trat. Huxter flüsterte zu Pens großem Verdrusse seinen 504 Gefährten etwas zu. Arthur fühlte, daß die anderen von ihm redeten. Huxter schritt dann, gefolgt von seinen Freunden, durchs Zimmer und setzte sich Pen gegenüber, nickte ihm vertraulich zu und streckte ihm seine schmutzige Hand zum Schütteln entgegen.

Pen schüttelte seinem Landsmanne die Hand. Er dachte, er wäre vielleicht ohne Not böse mit ihm gewesen, als sie vergangene Nacht zusammengetroffen. Huxter aber, der mit sich und der Welt vollkommen zufrieden und guter Laune war, fiel es nicht im Traume ein, daß er jemandem unangenehm sein könnte, und der kleine Streit oder ›Ulk‹, wie er es nannte, in Vauxhall war eine Kleinigkeit, die er Pen nicht im geringsten nachtrug.

Der Schüler Galens rief nach vier Krügen Branntwein, mit denen er und seine Gesellschafter sich erquickten, dann begann er sich zu überlegen, was wohl für Pen die vergnüglichste Unterhaltung sein würde, und da geriet er gerade auf die, die unserem jungen Herrn die peinlichste war.

»Fidele Nacht in Vauxhall – nicht wahr?« sagte er und zwinkerte in einer sehr pfiffigen Weise.

»Freue mich, daß Sie sich mit Vergnügen daran erinnern«, erwiderte der arme Pen, im Geiste seufzend.

»Ich war verteufelt benebelt – ungeheuer – hatte mit etlichen Bummlern in Greenwich gegessen. Nicht wahr, das war 'n schmuckes Musselinefähnchen, das an Ihrem Arme hing, – wer war sie denn eigentlich?« fragte der bezaubernde Student.

Diese Frage war zuviel für Arthur. »Habe ich Sie 505 denn nach irgend etwas über Sie selbst gefragt, Herr Huxter?« sagte er.

»Ich wollte nicht im entferntesten beleidigen – bitte um Verzeihung – hol's der Henker, Sie fahren aber auch gleich fuchsteufelswild in die Höhe,« sagte Pens bestürzter Befrager.

»Erinnern Sie sich, was jene Nacht zwischen uns vorfiel?« fragte Pen mit steigender Wut. »Sie haben's vergessen? Sehr wahrscheinlich! Sie waren betrunken, wie Sie soeben gerade bemerkten, und sehr ungezogen.«

»Hol's der Henker, Herr, ich habe Sie doch um Verzeihung gebeten,« sagte Huxter, indem er rot wurde.

»Sie taten das allerdings, und ich gewährte sie wahrscheinlich von ganzem Herzen. Aber wenn Sie sich entsinnen, so bat ich Sie, mich gütigst in Zukunft von der Liste Ihrer Bekanntschaften streichen zu wollen und sich, wenn wir öffentlich zusammenträfen, nicht die Mühe zu geben, mich kennen zu wollen. Wollen Sie dessen von jetzt an gefälligst eingedenk sein, und, da jetzt der Gesang beginnen wird, mir gestatten, daß ich Sie verlasse, um mich ungestört dem Genusse der Musik hinzugeben?«

Er nahm seinen Hut und verließ mit einer Verbeugung vor dem bestürzten Herrn Huxter den Tisch, und Huxters Kameraden brachen nach einer Pause der Verwunderung in solch ein brüllendes Gelächter über Huxter aus, daß dasselbe das Dazwischentreten des Vorsitzenden im Zimmer veranlaßte, welcher laut rief: »Still, meine Herren, bitte still, der ›Leichenräuber‹ wird gesungen!« welches beliebte Lied begann, als Pen 506 das Küchenstübchen verließ. Er schmeichelte sich, daß er sein Temperament vollkommen beherrscht hätte. Er würde es freilich lieber gehabt haben, wenn Huxter rauflustig gewesen wäre. Er hätte dann mit ihm oder jemand anders gern gefochten. Er ging heim. Die Arbeit des Tages, das Mittagessen, das Schauspiel, der Whiskigrog, der Zank – nichts beruhigte ihn. Er schlief nicht besser, als in der vorhergehenden Nacht.

Einige Tage nachher schrieb Herr Sam Huxter einen Brief nach Hause an Herrn Hobnell auf dem Lande, dessen hauptsächlichsten Gegenstand Herr Arthur Pendennis bildete. Sam beschrieb Arthurs Treiben in London und sein verwünscht unverschämtes Benehmen gegen seine alten Freunde von Hause. Er sagte, er wäre ein verworfener Halunke, ein regulärer Don Juan, ein Bursche, den man, wenn er ja aufs Land hinauskäme, von anständiger Leute Häusern fernhalten müßte. Er hätte ihn in Vauxhall mit einem unschuldigen Mädchen aus den unteren Ständen tanzen sehen, die er sich zum Opfer auserkoren hätte. Er hätte von einem irischen Gentleman (früheren Militär), der einen Klub besuchte, dessen Mitglied er, Huxter, wäre, herausbekommen, wer das Mädchen wäre, gegen das dieser hochnäsige Bengel seine höllischen Künste hätte spielen lassen, und er dächte, er wollte ihren Vater warnen usw. usw. – Der Brief berührte dann allgemeine Neuigkeiten, sprach den Dank des Verfassers für das letztempfangene Päckchen und die Kaninchen aus und ließ seine außerordentliche Bereitwilligkeit zum Empfange weiterer Gunstbezeigungen merken.

Ungefähr einmal im Jahre, wie wir bereits 507 festgestellt haben, gab es auf der Warren Gelegenheit zu einer Taufe, und es begab sich, daß diese Zeremonie einen Tag stattfand, nachdem Hobnell diesen Brief von seinem Schwager in der Stadt erhalten hatte. Das Kind (ein liebes kleines Mädchen) wurde Mira-Lucretia getauft, nach seinen lieben Patinnen, dem Fräulein Portman und der Frau Pybus von Clavering, und da Hobnell Sams Brief natürlich seiner Frau mitgeteilt hatte, so erzählte Frau Hobnell seinen entsetzlichen Inhalt ihren beiden Gevatterinnen. – Das war eine hübsche Geschichte, und hübsch wurde sie auch im Laufe dieses Tages durch ganz Clavering erzählt.

Mira war zu entsetzt, um über die Angelegenheit mit ihrer Mama zu sprechen, aber Frau Pybus empfand nichts von solcher Zurückhaltung. Sie schwatzte über die Sache nicht bloß zu Frau Portman, sondern auch zu den ehrenwerten Herrn und Frau Simcoe, zu Frau Glanders, deren Töchter zu diesem Zwecke aus der Stube beordert wurden, zur Madame Frisby, kurz zur ganzen Honoratiorenschaft von Clavering. Madame Frisby warf einen verstohlenen Blick zum Bilde des Dragoners hinauf und hinein in ihre eigene verwundete Erinnerung und sagte, Männer wären eben Männer, und, solange sie Männer wären, würden sie Betrüger sein; und gedankenvoll führte sie etliche Verse aus »Marmion« an, wo der Dichter den Wunsch ausspricht, zu wissen, wo falsche Liebhaber nach dem Tode hinkämen. Frau Pybus fand keine Worte des Hasses, des Abscheus, der Verachtung stark genug für einen Schurken, der einer so niederträchtigen Aufführung fähig sei. Das wäre es, was bei dem 508 frühzeitigen Fröhnen der Gelüste herauskäme, Unverschämtheit, Ausschweifung, Vornehmgetue (es ist ausgemacht, daß Pen sich geweigert hatte, mit Frau Pybus Tee zu trinken) und Mitmachen von lasterhaften und gräulichen Gelagen in dem schrecklichen modernen Babylon! Frau Portman fürchtete, sie müßte eingestehen, daß die fatale Eingenommenheit der Mutter diesen jungen Menschen verdorben hätte, daß seine schriftstellerischen Erfolge ihm den Kopf verdreht und daß seine scheußlichen Leidenschaften ihn die Grundsätze vergessen gemacht hätten, die Doktor Portman ihm in früher Jugend eingeprägt. Glanders, der gräßliche Dragonerkapitän, pfiff sich, als Frau Glanders ihn von dem Vorfall in Kenntnis setzte, ein Liedchen und machte bei Tische spaßhafte Anspielungen darauf, worauf Frau Glanders ihn einen rohen Menschen nannte und die Mädchen abermals aus der Stube schickte, als der schauderhafte Kapitän mit Lachen herausplatzte. Herr Simcoe blieb bei der Nachricht ruhig, war aber doch eher erfreut darüber, als etwas anderes, und diese Geschichte diente nur dazu, seine Meinung zu bestärken, die er stets von dem unglücklichen jungen Manne gehegt, nicht, daß er irgend etwas von ihm wußte, nicht, daß er auch nur eine Zeile seiner verderblichen und vergiftenden Schriften gelesen hätte – behüte der Himmel, daß er so etwas tun sollte! – aber was könnte man von so einem Jünglinge und solch einem furchtbaren, solch einem beklagenswerten, solch einem bedauerlichen Mangel an ernsthafter Gesinnung erwarten? Pen bildete den Gegenstand einer zweiten Predigt in der Methodistenkapelle in 509 Clavering, in der die Gefahren Londons und das Verbrechen, das im Lesen oder Schreiben von Romanen läge, an einem Sonntag Abend einer zahlreichen und warmen Anteil nehmenden Gemeinde auseinandergesetzt wurden. Sie warteten nicht erst, bis sie hörten, ob er schuldig wäre oder nicht. Sie nahmen seine Gottlosigkeit für ausgemacht an, und diese bewundernswerten Sittenrichter waren es, die den armen Pen steinigen sollten.

Am nächsten Tage ging oder rannte vielmehr Frau Pendennis allein und schier der Ohnmacht nahe vor Aufregung und Angegriffenheit nach Doktor Portmans Hause, um sich bei dem guten Doktor Rat zu holen. Sie hatte einen anonymen Brief erhalten – irgendein christliches Wesen hatte es für seine Pflicht und Schuldigkeit gehalten, der guten Seele, die nie einem Sterblichen ein Leid getan, das Messer ins Herz zu stoßen – einen anonymen Brief mit Bezugnahme auf Stellen der Heiligen Schrift, die das Verderben solcher Sünder dartaten, und einen detaillierten Bericht über Pens Verbrechen. Sie war in einem Zustande des Schreckens und der Aufgeregtheit, der jämmerlich anzusehen war. Zwei oder drei Stunden dieser Seelenqual hatten sie bereits merklich altern lassen. Im ersten Augenblicke der Aufregung hatte sie den Brief fallen lassen, und Laura hatte ihn gelesen. Laura errötete, als sie ihn las, ihre ganze Gestalt bebte, aber vor Zorn. »Die feigen Schurken,« sagte sie. »Es ist nicht wahr! – Nein, Mutter, es ist nicht wahr!«

»Es ist wahr, und du bist Schuld daran, Laura,« schrie Helene voll Zorn. »Warum wiesest du ihn ab, 510 als er dich fragte? Warum brachst du mein Herz und wiesest ihn ab? Du bist es, die ihn dem Laster in die Arme geführt hat. Du bist es, die ihn in die Arme dieser – dieses Weibsbildes geworfen hat. – Sprich nicht mit mir! – Antworte mir nicht! Ich werde dir nie vergeben, nie! Martha, bring mir meinen Hut und Schal. Ich will ausgehen. Du sollst nicht mit mir kommen! Geh deiner Wege! Verlaß mich, grausames Mädchen; warum hast du diese Schande über mich gebracht?« Und als sie ihrer Pflegetochter und ihren Dienstboten befohlen, sich von ihr entfernt zu halten, lief sie den Weg nach Clavering hinüber.

Als Doktor Portman den Brief überflog, glaubte er die Handschrift zu kennen; er kannte natürlich schon die gegen den armen Pen erhobene Anklage. Gegen sein eigenes Gewissen vielleicht (denn der würdige Doktor war, wie die meisten von uns, mit einer beträchtlichen natürlichen Neigung begabt, ungünstige Berichte über seinen Nächsten als wahr anzunehmen), bestrebte er sich, Helene zu trösten; er setzte ihr auseinander, daß das Gerücht von anonymer Seite herkäme und darum das Werk eines Schurken sein müßte, daß die Anschuldigung nicht wahr sein könnte – nicht wahr wäre höchst wahrscheinlich – daß man wenigstens Pen hören müßte, ehe er verdammt würde, daß der Sohn solcher Mutter schwerlich solch ein Verbrechen begehen könnte usw. usw.

Helene durchschaute sofort die Finte, die der Doktor mit seinem Einwurfe und seiner Ablehnung machte. »Sie denken, daß er es getan hat,« sagte sie, »Sie denken, daß er es getan hat. Oh, warum ließ ich ihn 511 je von mir, Doktor Portman, oder warum litt ich es, daß er je von mir ging? Aber er kann nicht ehrlos sein – geb' es Gott – nicht ehrlos! Sie denken doch auch so, nicht wahr? Entsinnen Sie sich seiner Aufführung mit jener anderen Person, wie wahnsinnig er an ihr hing. Er war damals ein ehrenhafter Junge – er ist es noch. Und ich danke Gott – ja, ich falle auf meine Knie nieder und danke Gott, daß er Laura bezahlte. Sie sagten, er wäre gut – ja, das taten Sie. Und nun – wenn dieses Frauenzimmer ihn liebt – und, wissen Sie, sie müssen sich lieben, wenn er sie von Hause weggenommen oder sie ihn verlockt hat, was sehr wahrscheinlich ist – ei, so muß sie doch seine Frau und meine Tochter werden. Und er muß die fürchterliche Welt verlassen und zu mir heimkommen, zu seiner Mutter, Doktor Portman. Lassen Sie uns gehen und ihn zurückholen, ja ihn zurückbringen, und es wird Freude sein über den – den Sünder, der Buße tut. Lassen Sie uns jetzt gleich gehen, teurer Freund – in diesem selben –«

Helene konnte nichts weiter sagen. Sie sank zurück und fiel in Ohnmacht. Sie wurde im Hause des mitleidigen Doktors in ein Bett gebracht, und der Arzt wurde zu ihrer Pflege gerufen. Sie lag die ganze Nacht in einem beunruhigenden Zustande. Laura kam zu ihr oder vielmehr in die Rektorei, denn sie wollte Laura nicht sehen. Und Doktor Portman, der sie fortwährend bat, ruhig zu sein, und kühner wurde und allmählich mehr Vertrauen zu Arthurs Unschuld bekam, als er Zeuge von dem furchtbaren Kummer seiner Mutter wurde, schrieb einen Brief an Pen, worin 512 er ihn vor den Gerüchten, die gegen ihn im Umlaufe wären, warnte und ihn ernstlich bat, er möchte ein Verhältnis abbrechen und bereuen, das seinen besten Interessen und dem Heile seiner Seele so verhängnisvoll wäre.

Und Laura? – War ihr Herz nicht tief verwundet von dem Gedanken an Arthurs Verbrechen und Helenes Entfremdung? War es nicht ein bitterer Schlag für das unschuldige Mädchen, denken zu müssen, daß sie auf einen Schlag alle Liebe verlieren sollte, um die sie sich in der Welt kümmerte?



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