William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 2
William M. Thackeray

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Zwölftes Kapitel

Pen erscheint in der Stadt und auf dem Lande

Möge es uns erlaubt sein, ein paar Monate der Geschichte von Herrn Arthur Pendennis' Leben zu übergehen, während welcher sich eine Menge Ereignisse zugetragen haben mögen, 220 die für ihn interessanter und angenehmer gewesen sein dürften, als sie sich wahrscheinlich dem Leser seiner gegenwärtigen Denkwürdigkeiten gegenüber erweisen würden. Wir verließen ihn im letzten Kapitel als einen jungen Menschen, der regelrecht in seinen Beruf als Schriftsteller von Profession oder literarischer Mietsgaul, wie Herr Warrington sich und seinen Freund zu bezeichnen beliebt, eingetreten war, und wir wissen, wie das Leben eines jeden Mietsgauls, sei er Advokat oder Literat, sei er an einer Pfarre oder an ein Regiment auf dem Marsche oder an das Schreibpult eines Kaufmanns gefesselt, rein mechanisch und langweilig zu erzählen ist. Die Arbeit eines Tages gleicht der des anderen viel zu sehr. Ein Literat hat oft um sein täglich Brot gegen die Zeit oder gegen seinen Willen oder trotz seines Gesundheitszustandes oder trotz seiner Indolenz oder trotz seines Widerwillens gegen den Gegenstand, für den er sich betätigen soll, zu arbeiten, wie jeder andere Tagelöhner. Wenn man mit dem Pegasus Geld verdienen will (wie es der vielleicht muß, der keinen anderen verkäuflichen Besitz hat), dann ade Poesie und Flügelschwung in den Aether hinauf! Der Pegasus fliegt nun bloß, wie Herrn Greens Ballon, zu den Zeiten auf, die im voraus angezeigt sind und wenn der Zuschauer sein Geld bezahlt hat. Pegasus trabt in der Deichsel über steinigen Boden und zieht einen Karren oder eine Kutsche hinter sich. Oft tut Pegasus seine Arbeit mit ächzenden Seiten und zitternden Knien, und nicht selten kriegt er einen Hieb mit der Peitsche seines Treibers.

Bedauern wir indes den Pegasus nicht so sehr. Es 221 ist kein Grund vorhanden, weshalb dieses Tier von Arbeit, Krankheit oder Not mehr als irgendein anderes Geschöpf in der Welt ausgenommen sein sollte. Wenn der Pegasus die Peitsche bekommt, so verdient er sie sehr oft, und ich beispielsweise bin völlig bereit, mit meinem Freunde Georg Warrington gegen die Doktrin zu protestieren, die gewisse poetische Empfindlinge aufzustellen geneigt sind, daß nämlich die Schriftsteller und was man Genie nennt von den prosaischen Pflichten dieses alltäglichen, Brot verlangenden und steuerbezahlenden Lebens ausgenommen werden müssen, und nicht dazu geschaffen sind, zu arbeiten und wie ihre Nachbarn zu bezahlen.

Nun also, die ›Pall Mall Gazette‹ war jetzt gehörig im Gange, und Arthur Pendennis' Verdienste als eines geistvollen, witzigen und ergötzlichen Kritikers waren anerkannt; er arbeitete jede Woche scharf drauf los und bereitete die Revuen solcher Werke vor, die in sein Arbeitsfeld fielen, und er schrieb seine Kritiken allerdings leichtfertig, aber ehrlich und nach seinen besten Kräften. Es mochte vorkommen, daß ein Geschichtsschreiber von sechzig Jahren, der ein Vierteljahrhundert auf die Ausarbeitung eines Werkes verwendet hatte, über das unser junger Herr, nachdem er ein paar Tage im British Museum studiert, seinen Spruch tat, durch einen solchen oberflächlichen Kritiker nicht so ganz und gar gebührlich behandelt wurde, oder daß ein Dichter, der an erhabenen Sonetten und Oden gearbeitet und gefeilt hatte, bis er sie für geeignet zur Veröffentlichung und um ihn berühmt zu machen, gehalten hatte, durch zwei oder drei Dutzend 222 schnippische Zeilen in Herrn Pens Revue heruntergerissen wurde, in denen die Ansprüche des Poeten von dem Kritiker abgewiesen wurden, als ob der letztere der Lord Oberrichter und der Autor ein erbärmlicher kleiner vor ihm zitternder Bittsteller gewesen wäre. Die Schauspieler an den Theatern klagten ebenfalls jämmerlich über ihn, und sehr wahrscheinlich war er zu hart gegen sie. Aber, alles genau besehen, tat er doch nicht viel Schaden. Es ist jetzt, wie wir wissen, anders; aber zu Pens Zeit gab es wenig große Historiker oder große Poeten oder große Schauspieler, so daß kaum einer überhaupt zur Beurteilung vor sein kritisches Pult kam. Die, welche ein bißchen Prügel bekamen, erhielten im allgemeinen, was ihnen gebührte; nicht, daß etwa der Richter irgendwie besser oder klüger gewesen wäre als die Personen, die er aburteilte, oder sich auch nur dafür gehalten hätte. Pen hatte ein starkes Gefühl für Humor und Gerechtigkeit und deshalb keinen übermäßigen Respekt vor seinen eigenen Werken; außerdem saß ihm sein Freund Warrington auf dem Nacken – ein schrecklicher Kritiker, wenn der junge Mann Miene machte, hochmütig zu werden, und grausamer gegen Pen, als er es jemals gegen diejenigen war, die er vor seinem literarischen Gerichte aburteilte.

Durch diese kritischen Arbeiten sowie durch gelegentliche Beiträge zu Leitartikeln des Journals, wo dieser hervorragende Publizist, ohne sein Blatt zu verletzen, gewissenhaft sprechen konnte, wie's ihm ums Herz war, verdiente Herr Arthur Pendennis die Summe von vier Pfund vier Schillingen wöchentlich und zwar mit nicht geringer Mühe und Anstrengung. 223 Ebenso versah er Magazine und Revuen mit Artikeln seiner Feder, und man glaubt (obwohl er über diesen Punkt nicht zu sprechen liebte), daß er der Londoner Korrespondent des »Chatteris Champion« gewesen, der zu dieser Zeit mehrere sehr brillante und beredt geschriebene Briefe aus der Hauptstadt enthielt. Durch diese Arbeiten war der glückliche junge Mann in den Stand gesetzt, eine Summe von sehr nahe an vierhundert Pfund jährlich zu erwerben, und zu dem zweiten Weihnachtsfest seit seiner Ankunft in London brachte er tatsächlich seiner Mutter hundert Pfund heim als Abschlagszahlung auf das Geld, das er Laura schuldete. Daß Frau Pendennis jedes Wort der Werke ihres Sohnes las und ihn für den tiefsten Denker und elegantesten Schriftsteller des Tages hielt, daß sie seine Zurückerstattung der hundert Pfund als einen Akt engelhafter Tugend ansah, daß sie fürchtete, er würde seine Gesundheit durch sein Arbeiten zugrunde richten, und glücklich war, wenn er ihr von der Gesellschaft, mit der er zusammentraf, und von den großen Geistern in der Literatur und den vornehmen Herren, die er sähe, erzählte, das alles wird sich jeder Leser vorstellen können, der je anbetende Liebe unter den Müttern und jene bezaubernde Einfalt der Liebe beobachtet hat, mit der Frauen auf dem Lande die Laufbahn ihrer Lieblinge in der Stadt bewachen. Wenn John diese oder jene öffentliche Rede gehalten hat, wenn Tom zu dem oder jenem Balle eingeladen worden ist, oder Georg diesen oder jenen großen und berühmten Mann bei Tische getroffen hat, was für eine Freude zieht dann in die Herzen der Mutter und Schwester daheim in 224 Sommersetshire ein! Wie werden die Briefe des jungen Hoffnungsvollen gelesen und wie behalten! Was für ein Thema zu Unterhaltungen für Dorfbewohner und zu freundschaftlichen Glückwünschen geben sie ab! Im zweiten Winter kam Pen auf eine sehr kurze Zeit, das Herz der Witwe zu erfreuen und das einsame Haus zu Fairoaks zu erheitern. Helene hatte ihren Sohn ganz für sich; Laura war auf Besuch bei der alten Lady Rockminster; die Leute in Clavering Park waren abwesend; die wenigen alten Freunde des Hauses, Doktor Portman an ihrer Spitze, statteten Herrn Pen ihren Besuch ab und behandelten ihn mit merklichem Respekt; zwischen Mutter und Sohn war eitel Zärtlichkeit, Vertrauen und Liebe. Es waren die glücklichsten vierzehn Tage im ganzen Leben der Witwe, vielleicht in beider Leben. Die freie Zeit ging nur zu schnell vorüber, und Pen war zurückgekehrt in das geschäftige Treiben der Welt, und die sanfte Witwe war wieder allein. Sie sandte Arthurs Geld an Laura; ich weiß nicht, weshalb diese junge Dame die Gelegenheit ergriff, die Heimat zu verlassen, als Pen dorthin kommen wollte, oder ob er sich durch ihre Abwesenheit mehr geärgert oder mehr erleichtert fühlte.

Er war während dieser Zeit durch sein eigenes Verdienst und durch die Empfehlungen seines Onkels ziemlich gut in London eingeführt und sowohl in literarischen wie in vornehmen Zirkeln bekannt. Unter den Schriftstellern brachte ihm sein Ruf als vornehmer junger Herr ein nicht geringes Ansehen ein; man betrachtete ihn als einen Gentleman, der gegenwärtig in guten Verhältnisse lebte, bessere zu erwarten hätte und 225 nur zu seinem Vergnügen schriebe, die größte Empfehlung für einen jungen Bewerber um literarischen Ruhm. Bacon, Bungay und Co. waren stolz, seine Artikel anzunehmen; Herr Wenham lud ihn zu Tische ein; Herr Wagg sah ihn mit wohlwollenden Augen an, und sie berichteten, wie sie ihn in den Häusern von hochgestellten Persönlichkeiten getroffen, unter denen er sehr willkommen wäre, weil diese sich nicht um seine jetzigen oder künftigen Vermögensverhältnisse kümmerten, da sein Auftreten und Benehmen gut wären, und da er in dem Rufe stand, ein gescheiter Mensch zu sein. Endlich wurde er in das eine Haus eingeladen, weil er in einem anderen Hause gesehen worden war, und so zeigte sich dem jungen Manne das Londoner Leben in nicht geringen Abwechselungen; er wurde mit allen Arten Leute von Paternoster Row bis nach Pimlico bekannt und war ebensosehr an den Speisetafeln in Mayfair zu Hause wie an jenen Schenktischen, wo mehrere seiner Kameraden von der Feder sich zu versammeln gewohnt waren.

Voll guter Laune und Neugierde und sich leicht allen anpassend, mit denen er zusammentraf, gefiel es dem jungen Mann in dieser wunderlichen Abwechselung von Menschen und Dingen, und er machte sich selbst willkommen oder zum mindesten erträglich, wo er nur hinkam. Er pflegte zum Beispiel eines Morgens bei Herrn Plover zu frühstücken in Gesellschaft eines Peers, eines Bischofs, eines Parlamentsredners, zweier vornehmer Blaustrümpfe, eines beliebten Predigers, des Autors der jüngst erschienenen Novelle, und des allerjüngsten Gesellschaftslöwen, der von Egypten oder 226 Amerika eingetroffen war, und verließ dann diese hochgestellte Gesellschaft, um sich in das Hinterstübchen der Zeitungsredaktion zu begeben, wo Federn und Tinte und die noch nassen Korrekturbogen ihn erwarteten. Hier pflegte dann Finucane, der Unterredakteur, mit den neuesten Nachrichten von Paternoster Row zu sein, und Shandon kam bald und begann, nachdem er Pen mit einem Nicken begrüßt, am anderen Ende des Tisches seinen Leitartikel zu kritzeln, wobei ihm eine Pinte Sherry zur Seite stand, welche, wenn der Aufwärterjunge den Kapitän erblickte, stets stillschweigend für ihn hereingebracht wurde; oder man hörte Herrn Bludyers brüllende Stimme in dem Vorderzimmer, wo dieser Würgengel von einem Kritiker die Bücher auf dem Ladentische trotz der schüchternen Remonstrationen des Verlegers, Herrn Midge, in Beschlag nahm und die Bände, nachdem er sie durchgesehen, bei seinem gewöhnlichen Büchertrödler zu verkaufen, und nachdem er für den Erlös des Verkaufs in einer Wirtschaft getrunken und gegessen, nach Tinte und Feder zu rufen und den Urheber seines Mittagsessens und der Novelle »abzumucken« pflegte. Gegen Abend pflegte dann Herr Pen in der Richtung seines Klubs umherzustreichen und Warrington dort zu einem gemeinsamen Spaziergange abzuholen. Diese Bewegung lüftete die Lungen und machte Appetit zum Essen, nach welchem Pen das Vorrecht hatte, seinen Bückling in mehreren sehr angenehmen Häusern zu machen, die ihm offen standen, oder ihn die Stadt zu ihren Vergnügungen erwartete. Da war die Oper oder das Gasthaus zum Adler oder ein Ball in Mayfair oder eine ruhige Nacht mit Zigarre 227 und Buch und einer langen Unterhaltung mit Warrington, oder ein wunderbares neues Lied im ›Küchenstübchen‹. Zu dieser Zeit seines Lebens sah Herr Pen alle Arten von Orten und Menschen und wußte höchstwahrscheinlich nicht eher, wie sehr er sich vergnügte, als bis lange nachher, wo Bälle ihm kein Vergnügen mehr machten, Possen ihm kein Lächeln mehr entlockten, der Kneipenwitz ihn nicht mehr im geringsten ergötzte, noch die lieblichste Tänzerin, die je ihre Knöchel gezeigt, ihn nicht mehr von seinem Stuhle nach Tische zu locken imstande war. In seinem gegenwärtigen reifen Alter sind all diese Freuden dahin, und die Zeiten sind ebenfalls vorüber. Es ist nur ein paar Jahre her; aber die Zeit ist vorbei und die meisten der hier auftretenden Personen dahin. Bludyer wird nicht mehr Autoren herunterreißen oder Gastwirte um die Zeche prellen. Shandon, der gelehrte, verschwenderische, der witzige und unkluge, schläft seinen letzten Schlaf. Sie begruben vor einigen Tagen den wackeren Doolan; nie mehr wird er Bücklinge machen oder schmeicheln, nie mehr Schach spielen und das Whiskygläschen leeren.

Die Londoner Saison blühte jetzt in voller Pracht, und die Zeitungen der vornehmen Welt strotzten von Nachrichten über die großen Bankette, Abendgesellschaften und Bälle, die die Kreise der feinen Gesellschaft belebten. Unser gnädiger Souverän hielt große Levers und Empfangstage in St. James ab; die Bogenfenster des Klubs waren dicht gefüllt mit den Köpfen der respektablen, rotgesichtigen, zeitunglesenden Gentlemen; die Serpentine hinab fuhren tausende von Kutschen; Schwadronen stutzerhafter Reiter stampften über 228 Rotten Row, mit einem Worte: jedermann war in der Stadt, und natürlich auch Major Arthur Pendennis, der doch jemand war, fehlte nicht.

Den Kopf in ein hübsches Bandanataschentuch gehüllt, seinen mageren Körper in einen prächtigen türkischen Schlafrock eingewickelt, saß dieser würdige Gentleman eines Morgens neben seinem Kamin, ließ, während er seinen Morgentee trank, seine Füße gemütlich in einem Bade abkühlen und studierte seine ›Morning Post‹. Er hätte dem Tage nicht gegenübertreten können ohne seine zweistündige Toilette, seinen Morgentee, seine ›Morning Post‹. Ich glaube, niemand auf der Welt, selbst nicht einmal Herr Morgan, wußte, wie schwach und alt der Major allmählich wurde und welcher zahllosen kleinen Bequemlichkeiten er bedurfte.

Wenn Männer, wie das unsere Gewohnheit ist, über die Kunstmittel einer alten Schönheit, über ihre Schminke, ihre Parfümerien, Löckchen, über all jene zahllosen und uns unbekannten listigen Mittel der Täuschung spöttisch lächeln, mit denen diese die Verwüstungen der Zeit heilen und die Reize wiederherstellen will, deren sie die Jahre beraubt haben, so sollte man annehmen, daß die Damen ihrerseits auch nicht ganz im Unklaren darüber sind, daß die Männer ebenso eitel sind wie sie, und daß die Toiletten alter Stutzer ganz und gar so ausgestattet sind, wie die ihrigen. Wie kommt es, daß der alte Blushington jene fortwährende zarte Rosenfarbe auf seinen Wangen hat, und wo kauft der alte Blondel das Präparat, das sein silbernes Haar wie golden erscheinen läßt? Habt ihr je den alten Lord Hotspur von seinem Pferde steigen sehen, wenn er sich 229 unbeobachtet glaubt? Sind seine glänzenden Stiefel aus den Steigbügeln heraus, so kann er kaum die Stufen zu Hotspur House hinaufstolpern. Er ist noch immer ein prächtiger junger Edelmann, wenn man nichts als seinen Rücken in Rotten Row sieht, aber was für ein alter alter Bursche ist er, wenn er auf seinen eigenen Füßen geht! Hat sich jemals jemand eine Vorstellung gemacht von Richardchen Lacy (Richardchen ist schon seit sechzig Jahren Richardchen), wie er aussehen mußte in natürlichem Zustande und ungeschnürt? Alle diese Leute sind Gegenstände, die der Beobachter des menschlichen Lebens und der menschlichen Sitten mit ebensoviel Nutzen betrachten kann, wie die allerälteste Venus von Belgravia oder die altertümlichste Isabella von Mayfair. Ein alter ruchloser langbeiniger Laffe, der seit fünfzig Jahren (ausgenommen vielleicht in der Oeffentlichkeit) nicht gebetet hat, ein alter Stutzer, der immer noch an so vielen Jugendgewohnheiten hängt, als sein Restchen Gesundheit ihm mitzumachen gestattet, der die Flasche aufgegeben hat, aber mit jungen Leuten dabei sitzt und bei gerösteten Schnitten und Wasser gottlose Geschichten erzählt, der die Schönheit aufgegeben hat, aber immer noch so liederlich darüber schwatzt, wie der jüngste Roué der Gesellschaft – solch ein alter Bursche, sag ich, könnte, wenn irgendein Pfarrer in Pimlico oder St. James den Auftrag gebe, ihn in die mittlere Säulenhalle zu bringen und ihn dort in einen Armstuhl zu setzen, sodann ihn zum Texte seiner Rede machen und über ihn zur Gemeinde predigen wollte, noch einmal zu einem heilsamen Zweck in seinem Leben verwendet werden und verwundert sein, daß 230 etliche gute Gedanken aus ihm herauskämen. Aber, wir schweifen von unserem Texte ab, von dem wackeren Major, der die ganze Zeit über dasitzt und sich die Füße im Bade abkühlt; Morgan nimmt sie aus diesem Reinigungsorte heraus, trocknet sie sorgfältig und macht sich daran, den alten Gentleman mit Schnürbrust und Perücke, gestärkter Halsbinde und fleckenlosen Stiefeln und Handschuhen gehörig auf die Beine zu bringen.

Während dieser Ankleidestunden pflegten Morgan und sein Gebieter sich vertraulich zu unterhalten, denn zu anderen Tageszeiten sahen sie sich nur wenig, da der Major die Gesellschaft seiner eigenen Stühle und Tische bei sich zu Haus abscheulich fand, und Morgan, nach Vollendung der Toilette seines Herrn und Abgabe seiner Briefe, über seine Zeit nach Belieben verfügen konnte.

Diese ersparte Zeit verbrachte der tätige und wohlgesittete Gentleman unter den Kammerdienern und Haushofmeister des hohen Adels, seinen Bekannten, und Morgan Pendennis, wie er genannt wurde – denn mit solchen zusammengesetzten Namen werden die Herren Bedienten der großen Herren in ihren Privatkreisen genannt – war ein häufiger und gern gesehener Gast an mehreren der allerhöchsten Tafeln dieser Stadt. Er war Mitglied zweier einflußreichster Klubs in Mayfair und Pimlico; und er war so in den Stand gesetzt, alle Tagesneuigkeiten der Stadt zu erfahren und seinen Herrn während der zwei Stunden bei der Toilette sehr angenehm zu unterhalten. Er wußte hundert Geschichten und Legenden über Personen vom allerfeinsten 231 Ton, deren Kammerdiener ihre erhabenen Geheimnisse gerade so ausschwatzten, wie unsere eigenen Kammermädchen und Dienstboten, meine liebe Madame, in der Küche über unseren Charakter, unseren Geiz oder unsere Großmut, unsere Geldmittel oder unsere Schulden und unsere kleinen häuslichen Zwistigkeiten und ehelichen Streitigkeiten verhandeln. Wenn ich dies Manuskript offen auf meinem Tische liegen lasse, so habe ich nicht den allergeringsten Zweifel, daß Betty es lesen wird, daß man darüber heute abend in den niederen Regionen sprechen wird und daß sie morgen früh mein Frühstück mit einem Antlitz voll solch vollkommen ruhiger Unschuld hereinbringen wird, daß kein Sterblicher die Vermutung hegen würde, sie spiele den Spion. Wenn Sie und der Kapitän über irgend etwas an einander geraten, was doch möglich ist, so werden die Umstände des Streits und Ihre beiderseitigen Charaktere mit unparteiischer Beredtsamkeit über dem Teetisch in der Küche diskutiert werden, und wenn das Kammermädchen der Frau Smith zufällig eine Tasse Tee mit dem Ihrigen trinken würde, so wird ihre Gegenwart nicht gerade unzweifelhaft darauf wirken, daß die soeben erwähnte Diskussion unterbleibt; sie wird ihre Meinung unverhohlen dazu geben und den nächsten Tag wird ihre Gebieterin wahrscheinlich wissen, daß der Kapitän und Frau Jones sich wie gewöhnlich wieder einmal gezankt haben. Nichts bleibt verborgen. Nehme man als Regel, daß John alles weiß; und wie es in unserer niederen Welt ist, so ist's auch in der größten; ein Herzog ist vor seinem Kammerdiener ebensowenig ein Held wie du oder ich, und der Diener Seiner Gnaden spricht in 232 seinem Klub, natürlich einer Gesellschaft vor anderen Dienern gleichen gesellschaftlichen Ranges, über den Charakter und die Angelegenheiten seines Herrn mit jener offenen Wahrheitsliebe, die sich für anständige Leute schickt, die sich vertraulich unterhalten. Wer ein Geizhals ist und den Pfennig in der Tasche umkehrt, ehe er ihn ausgibt, wer in den Händen der Geldwucherer ist und seinen edlen Namen auf die Rückseite von Wechseln setzt, wer mit der Frau von irgend jemand auf intimem Fuße steht, wer den oder jenen braucht, um seine Tochter mit ihm zu verheiraten, die dieser nicht mag, nein, um keinen Preis der Welt, – all diese Tatsachen verhandeln die vertraulichen Herrn Bedienten der großen Herrn in vertraulicher Weise, und diese sind bekannt und untersucht von jedermann, der irgend Anspruch hat auf die Gesellschaft nobler Bedienten. Mit einem Wort, wenn es vom alten Pendennis selbst hieß, daß er alles wüßte und zu gleicher Zeit ein bewundernswerter Skandalerzähler wie ein Mann der erfreulichsten Verschwiegenheit wäre, so ist es nur Gerechtigkeit gegen Morgan, wenn wir sagen, daß ein großer Teil des Wissens, das sein Herr besaß, diesem würdigen Mann von seinem Bedienten zugetragen wurde, der ausging und Neuigkeiten für ihn zusammensuchte. Und wahrlich, gibt es einen wirksameren Plan, sich Kenntnis von der Londoner Gesellschaft zu verschaffen, als mit der zu beginnen, die sich auf den Grundsteinen der Häuser – nämlich auf den Fliesen der Küche bewegt?

So unterhielten sich denn Herr Morgan und sein Herr, während des letzteren Toilette fortschritt. Es war am vorhergehenden Tage Cour bei Hofe gewesen, und 233 der Major las unter den Namen der Vorgestellten den von Lady Clavering, vorgestellt durch Lady Rockminster, und den von Fräulein Amory, vorgestellt von ihrer Mutter, Lady Clavering; und in einem weiteren Teil der Zeitung waren ihre Kleider beschrieben und zwar mit einer Genauigkeit und in einem Jargon, der den Altertumsforscher zukünftiger Geschlechter wundern und ergötzen wird. Der Anblick dieser Namen führte Pendennis in Gedanken aufs Land zurück. »Wie lange sind denn die Claverings in London gewesen?« fragte er; »sagen Sie mal, Morgan, haben Sie jemand von ihren Leuten gesehen?«

»Sir Francis hat seinen vorigen Bedienten weggeschickt, Herr,« antwortete Herr Morgan, »und hat einen Freund von mir zum Diener genommen, Herr. Er verließ sich tatsächlich auf meine Empfehlung. Sie erinnern sich vielleicht an Towler, Herr, – langer rotköpfiger Mann – färbt aber seine Haare. War Kammerdiener in Lord Levants Familie, bis Seine Lordschaft in die Brüche ging. Towler kommt schlecht weg dabei, aber arme Leute können nicht wählerisch sein,« sagte der Kammerdiener mit pathetischer Stimme.

»Verteufelt schlimm für Towler, weiß Gott!« sagte der Major ergötzt, »und nicht angenehm für Lord Levant – hi, hi!«

»Wußt' es immer, daß es so kommen würde, Herr. Ich sprach schon Michaelis vor vier Jahren zu Ihnen davon, als Ihre Ladyschaft ihre Brillanten versetzte. Es war Towler, Herr, der sie in zwei Cabs zu Dobree schaffte; auch ein gut Teil Silberzeug ging denselben Weg. Besinnen Sie sich nicht, etliches davon zu 234 Blackwell gesehen zu haben, mit dem Wappen und der Krone der Levants, und wie Lord Levant beim Diner des Marquis von Steyne dem Silberzeug gerade gegenübersaß? Bitte um Verzeihung, Herr Major, hab' ich geschnitten?«

Morgan arbeitete jetzt am Kinne des Majors, er führte die Unterhaltung fort, während er das geschickte Rasiermesser schärfte. »Sie haben ein Haus in Grosvenor Place genommen und machen großen Prunk, Herr. Ihre Ladyschaft will drei Gesellschaften und außerdem wöchentlich ein Essen geben, Herr. Ihr Vermögen wird das nicht hergeben – kann das nicht hergeben.«

»Gott, sie hatte einen verteufelt guten Koch, als ich in Fairoaks war,« sagte der Major mit sehr wenig Mitleid mit dem Vermögen der Witwe Amory.

»Marobblan war sein Name, Herr; – Marobblan ist fort, Herr,« sagte Morgan, – und der Major sagte, dieses Mal mit herzlicher Teilnahme, »er sei verteufelt betrübt, ihn zu verlieren.«

»Es hat einen fürchterlichen Spektakel mit dem Musje Marobblan gesetzt,« fuhr Morgan fort. »Auf einem Balle in Baymouth, hol der Henker seine Unverschämtheit, forderte er Herrn Harthur auf, mit ihm ein Duell zu fechten, Herr, worauf Herr Harthur sehr nahe daran war, ihn zu Boden zu schlagen, aus dem Fenster zu schmeißen und ihn gehörig abzuführen; aber da kam Chevalier Strong dazu, Herr, und hielt ihn ab, den schuftigen – bitte um Verzeihung, Herr, aber der Aerger – diese französischen Köche sind so stolz und hochmütig, als ob sie wirklich Gentleman wären.«

»Ich hörte von dem Zanke munkeln,« antwortete 235 der Major, »aber Mirobolant wurde doch deswegen nicht weggeschickt?«

»Nein, Herr – diese Geschichte, die Herr Harthur ihm vergab und wo er sich sehr hübsch dabei benahm, war vertuscht; es war wegen der Fräulein Hamory, Herr, daß er seine Entlassung kriegte. Diese französischen Kerls, die bilden sich ein, daß alle Welt in sie verliebt ist; und er kletterte an dem großen Weinspalier an ihrem Fenster in die Höhe, Herr, und versuchte, hinein zu kommen, als er erwischt wurde; und Herr Strong kam heraus, und sie holten die Gartenspritze und plantschten auf ihn los; es gab einen unendlichen Lärm, Herr Major.«

»Hol der Teufel seine Unverschämtheit! Aber Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß Fräulein Amory ihn dazu aufgemuntert habe?« schrie der Major, erstaunt über einen eigentümlichen Ausdruck in Herrn Morgans Gesicht.

Morgan nahm seine kühle ruhige Haltung wieder an. »Weiß von nichts, Herr. Die Dienerschaft erfährt von derartigen Dingen nicht das Geringste. Sehr wahrscheinlich war nichts daran – werden so manche Lügen erzählt von Familien – Marobblan ging fort mit Sack und Pack, Bratpfanne, Piano und allem – der Kerl hatte 'n Pianoforte und schrieb französische Verse – und nahm 'ne Wohnung in Clavering und trieb sich um das Schloß herum; es heißt, daß Frau Frisby, die Putzmacherin, dem Fräulein Hamory Briefe gebracht habe, aber ich glaube kein Wort davon, auch nicht, daß er sich mit Steinkohle hat vergiften wollen, was lauter dummes Zeug ist, zwischen ihm und Frau Frisby 236 ausgemacht, und daß er vom Hausmeister im Parke beinahe erschossen worden wäre.«

Im Laufe desselben Tages begab's sich, daß der Major sich an das große Bogenfenster von Bays Club in der St. James Street gestellt hatte, um die Stunde, wo man ein halbes Schock vornehmer alter Stutzer sich in gleicher Weise erholen sieht (Bays Club ist jetzt ein ziemlich altmodischer Erholungsort, und viele seiner Mitglieder sind über die mittleren Jahre hinaus; aber zur Zeit des Prinzregenten hatten diese alten Burschen dasselbe Fenster inne und gehörten zu den größten Dandys des großbritannischen Reiches) – Major Pendennis also sah aus dem großen Fenster und erspähte seinen Neffen Arthur, der in Gesellschaft seines Freundes Popjoy die Straße herabkam.

»Schau!« sagte Popjoy zu Pen, als sie vorübergingen, »sind Sie je um vier Uhr bei Bays vorübergegangen, ohne diese Kollektion von alten Laffen zu sehen? 's ist ein regelrechtes Museum. Sie sollten in Wachs abgeformt und ins Kabinett der Madame Tussaud gestellt werden –«

»Ganz allein miteinander in eine alte Schreckenskammer,« sagte Pen lachend.

»– In die Schreckenskammer! Weiß Gott, verteufelt gut!« rief Pop. »Sie sind wirklich alte Schufte, wenigstens die meisten von ihnen. Da ist der alte Blondel, da ist mein Onkel Colchicum, der abscheulichste alte Sünder in Europa, da ist – hollah! da pocht jemand ans Fenster und nickt uns zu.«

»Das ist mein Onkel, der Major,« sagte Pen. »Ist der auch ein alter Sünder?« 237

»Weltbekannter alter Schurke,« sagte Pop, indem er den Kopf wiegte (er sprach die Worte so aus, daß sie dadurch nachdrücklicher klingen). »Er winkt Sie hinein; er will mit Ihnen reden.«

»Kommen Sie mit hinein,« sagte Pen.

»– Kann nicht,« entgegnete der andere. »Stach Onkel Col vor zwei Jahren bei Fräulein Frangipane aus – ta, ta,« und der junge Sünder nahm Abschied von Pen, und dem Klub der älteren Uebeltäter und schlenderte zu Blacquière hinein, einem daneben gelegenen Etablissement, besucht von ruchlosen Gesellen seines eigenen Alters.

Colchicum, Blondel und die älteren Stutzer hatten sich eben über die Familie Clavering unterhalten, deren Erscheinen in London den Gegenstand der Morgenunterhaltung des Major Pendennis mit seinem Kammerdiener gebildet hatte. Herrn Blondels Haus war gleich neben dem von Sir Francis Clavering in Grosvenor Place, und da er selbst sehr schöne Diners gab, so hatte er eine Tätigkeit in der Küche seines Nachbars entdeckt. Sir Francis hatte sogar einen neuen Chef, der mehr als einmal zu Herrn Blondel gekommen war und ihm sein Diner hergerichtet hatte, da dieser Herr nur eine sehr geschickte weibliche Künstlerin dieses Berufes ständig in seinem Hause angestellt hatte und solche Chefs von Ruf beschäftigte, welche bei Gelegenheit seiner großen Banketts zufällig freie Zeit hatten. »Sie werfen, wie ich höre, höllisch viel Geld um sich und sehen bis jetzt höllisch schlechte Gesellschaft bei sich,« sagte Herr Blondel, – »sie lesen sich die Leute, die bei ihnen essen, weiß Gott, von der Straße auf. Champignon sagt, es bricht 238 ihm das Herz, ihrer Gesellschaft das Essen herrichten zu müssen. Was für eine Schande, daß solch gemeines Volk überhaupt Geld hat!« schrie Herr Blondel, dessen Großvater ein respektabler Lederhosenfabrikant gewesen war, und dessen Vater den Prinzen Geld geliehen hatte.

»Ich wollte, ich wäre mit der Witwe selbst zusammengekommen,« seufzte Lord Colchicum, »und nicht von dieser verfluchten Gicht zu Leghorn aufs Bett geworfen worden. – Ich hätte das Frauenzimmer selbst geheiratet. – Ich hörte, sie hätte sechsmal hunderttausend Pfund.«

»Nicht ganz so viel, – ich lernte ihre Familie in Indien kennen,« antwortete Major Pendennis. – »Ich lernte ihre Familie in Indien kennen, ihr Vater war ein ungeheuer reicher alter Indigopflanzer, – weiß ihre ganzen Verhältnisse, Clavering hat auf dem Lande ein Gut gleich neben dem unseren. – Ha! Da geht mein Neffe mit –« »Mit meinem, – der verfluchte junge Nichtsnutz,« sagte Lord Colchicum, indem er unter seinen buschigen, tief herabhängenden Augenbrauen hervor einen finsteren Blick auf Popjoy schoß, und er wandte sich weg vom Fenster, als Major Pendennis daran klopfte.

Der Major war in vortrefflicher Laune. Die Sonne schien hell, die Luft war rein und belebend. Er hatte beschlossen, Lady Clavering dieser Tage zu besuchen, und überlegte sich, daß Arthur ein guter Begleiter für den Spaziergang durch den Green Park bis zu Ihrer Ladyschaft Türe sein würde. Master Pen war nicht unzufrieden, seinen berühmten Verwandten zu begleiten, der ihm auf ihrem kurzen Gange durch die St. James Street 239 ein Dutzend große Herren zeigte und an einer Straßenecke Verbeugungen von einem Herzoge, von einem Bischofe (auf einem Hengste), und einem Kabinettsminister mit einem Regenschirme erhielt. Der Herzog gab dem älteren Pendennis einen Finger von einem pfeifentonweißen Handschuh zu schütteln, den der Major mit großer Verehrung erfaßte, und Pens ganzes Blut siedete, als er sich wirklich und wahrhaftig mit diesem berühmten Manne (Pen hatte nämlich vom linken Arme des Majors Besitz genommen, während dieses Gentlemans anderer Fittich in Sr. Gnaden rechter Hand lag) in enge Verbindung gesetzt sah, und er wünschte, daß die ganze Schule zu den Grauen Brüdern, die ganze Oxbridger Universität, die ganze Paternoster Row und der Tempel sowie Laura und seine Mutter zu Fairoaks zu beiden Seiten der Straße stehen könnten, um das Zusammentreffen zwischen ihm und seinem Onkel mit dem berühmtesten Herzog der Christenheit zu sehen.

»Wie geht's, Pendennis? – schöner Tag,« waren die bemerkenswerten Worte Sr. Gnaden, und mit einem Nicken seines erhabenen Hauptes schritt er weiter – in einem blauen Ueberrocke, fleckenlosen weißen Leinenhosen und einer weißen Halsbinde, die hinten eine glänzende Schnalle hatte.

Der alte Pendennis, dessen Aehnlichkeit mit Sr. Gnaden bemerkt worden ist, begann, als er sie verlassen, ihn unbewußterweise nachzuahmen, indem er, nach der Art des großen Mannes, in kurzen Sätzen sprach. Wir alle sind ohne Zweifel mit mehr als einem Offizier zusammengetroffen, der so die Art eines gewissen »großen Feldherrn des Jahrhunderts« nachgeahmt 240 und vielleicht seinen eigenen natürlichen Charakter und seine Gemütsart verändert hat, weil das Schicksal ihm eine Adlernase zuteil werden ließ. Haben wir nicht in gleicher Weise manchen anderen gesehen, der stolz darauf war, eine hohe Stirn und eine gewisse Aehnlichkeit mit Herrn Canning zu haben? Gingen nicht viele andere durchs Leben, geschwollen von Selbstgenügsamkeit auf Grund einer eingebildeten Aehnlichkeit (wir sagen »eingebildet«, weil es doch unmöglich ist, daß jemand wirklich jenem schönsten und vollkommensten der Männer gleichen sollte) mit dem großen und hochverehrten Georg IV.? Gab es nicht drittens viele Leute, die niedrige Kragen an ihren Kleidern trugen, weil sie sich einbildeten, daß sie und Lord Byron sich in ihrem Aeußern ähnelten? Und hat sich nicht erst kürzlich das Grab über dem armen Tom Bickerstoff geschlossen, der, weil er nicht mehr Einbildungskraft besaß, als Herr Joseph Hume, in den Spiegel sah und meinte, er sähe Shakespeare ähnlich, seine Stirn rasierte, um dem unsterblichen Barden noch mehr zu gleichen, unablässig Trauerspiele schrieb und vollkommen verrückt starb – geradezu an seiner Stirn unterging? Diese oder ähnliche Bocksprünge der Eitelkeit müssen den meisten Leuten, die die Welt gesehen haben, in ihrer Erfahrung vor Augen gekommen sein. Pen lachte sich schändlicherweise ins Fäustchen über die Art und Weise, mit der sein Onkel den großen Mann nachzuäffen begann, von dem sie sich eben getrennt hatten, aber Herr Pen war in seiner Art vielleicht ebenso eitel, wie der ältere Herr, und stolzierte mit sehr hochnäsiger Miene an der Seite des Majors hin. 241

»Ja, mein lieber Junge,« sagte der alte Junggeselle, als sie durch den Green Park schlenderten, wo so viele arme Kinder sich fröhlich belustigten und Laufjungen Halbpfennigwerfen spielten, schwarze Schafe im Sonnenscheine grasten und ein Schauspieler auf einer Bank seine Rolle studierte, Kindermädchen mit ihrer Last hier und dort wandelten und verschiedene Liebespaare gemächlich spazieren gingen, »ja, verlaß dich drauf, mein Junge; für einen armen Mann ist nichts so empfehlenswert, als gute Bekanntschaften zu haben. Wer waren jene Leute, mit denen du mich am Bogenfenster bei Bay sahst? Zwei waren Peers des Reiches. Hobandnob wird Peer sein, sobald sein Großonkel stirbt, und er hat schon seinen dritten Schlaganfall gehabt, und von den anderen vier hat keiner unter siebentausend Pfund jährlich. Sahst du jenen dunkelblauen Brougham mit jenem gewaltigen Rennpferde an der Tür des Klubs halten? Du wirst ihn wiedererkennen. Er gehört Sir Hugh Trumpington; man hat ihn nie in seinem Leben gehen sehen, nie erscheint er auf der Straße zu Fuß – nie, und wenn er nur zwei Türen weit geht, um seine Mutter, die alte Witwe, zu besuchen (bei der ich dich sicher einführen werde, denn sie empfängt Leute der besten Londoner Gesellschaft), weiß Gott, so steigt er bei Nr. 23 auf sein Pferd und steigt bei 25 wieder herunter. Er ist jetzt oben bei Bay und spielt mit Graf Punter Piket, er ist der zweitbeste Spieler in England – was eben kein Wunder ist; denn er spielt es jeden Tag seines Lebens, ausgenommen Sonntags (denn Sir Hugh ist ein ungewöhnlich 242 religiöser Mann) von halb vier bis halb acht, wo er sich zum Essen ankleidet.«

»Eine sehr gottesfürchtige Manier, seine Zeit hinzubringen,« sagte Pen lachend und bei sich überlegend, daß sein Onkel doch recht kindisch zu schwatzen anfinge.

»Gott, darum handelt es sich doch nicht. Ein Mann von seinem Besitz mag seine Zeit anwenden, wie's ihm beliebt. Wenn man ein Baronet ist, ein Grafschaftsmitglied, mit zehntausend Morgen des besten Landes in Cheshire und solch einem Schlosse wie Trumpington (obschon er nie dorthin geht), so kann man tun, was man will.«

»Und das war also sein Brougham, nicht wahr?« sagte der Neffe mit einem fast spöttischen Lächeln.

»Sein Brougham – o, ei, ja! – und das bringt mich auf meine Rede zurück – revenons à nos moutons. Ja, bei Gott! revenons à nos moutons! Nun also, dieser Brougham gehört mir, wenn ich Lust dazu habe, zwischen vier und sieben Uhr. Grade so gut mir, weiß Gott, als ob ich ihn von Tilbury für dreißig Pfund monatlich gemietet hätte. Sir Hugh ist der gutmütigste Bursche der Welt, und hätten wir nicht einen so schönen Nachmittag wie diesen gehabt, so würdest du dich mit mir in dieser Minute in jenem Brougham auf unserem Wege nach Grosvenor Place befinden. Das ist der Nutzen davon, wenn man reiche Leute kennt – ich speise umsonst – ich gehe umsonst aufs Land – ich habe umsonst Pferd und Wagen. Andere halten Hunde und Wildhüter für mich. Sic vos non vobis, wie wir bei den Grauen Brüdern zu sagen 243 pflegten, he? Ich bin der Meinung meines alten Freundes Leech vom vierundvierzigsten Regiment, eines höllisch geriebenen Kerls, wie die meisten Schotten sind. Weiß Gott, Leech pflegte zu sagen, er wäre so arm, daß er sich nicht mit armen Leuten abgeben könnte.«

»Aber Sie handeln ja nicht nach Ihren Grundsätzen, Onkel«, sagte Pen gutmütig.

»Nicht nach meinen Grundsätzen, wieso?« fragte der Major ziemlich ärgerlich.

»Sie würden mich in St. James Street nicht gekannt haben,« entgegnete Pen, »wäre Ihre Praxis nicht wohlwollender, als Ihre Theorie; Sie, der Sie mit den Herzögen und Magnaten des Landes umgehen, würden dann einen armen Teufel wie mich gar nicht der Beachtung würdigen.«

Aus dieser Rede können wir ersehen, daß Herr Pen Weltmann zu werden anfing, zu gleicher Zeit schmeicheln und sich ins Fäustchen lachen konnte.

Major Pendennis war im Augenblick beruhigt und sehr erfreut. Er klopfte seinem Neffen zärtlich auf den Arm, auf den er sich lehnte, und sagte: »Du, Pen, du bist doch mein Fleisch und Blut! Zum Henker, Pen, ich bin sehr stolz auf dich gewesen und habe dich sehr lieb gehabt, trotz deiner verwünschten Torheiten und Extravaganzen – aber du hast dir nun hoffentlich die Hörner abgelaufen. Ja, weiß Gott! Ich hoffe, du hast sie dir abgelaufen – ich hoffe, du hast sie dir abgelaufen, weiß Gott. Meine Absicht ist, Arthur, einen Mann aus dir zu machen, – dich gut gestellt zu sehen in der Welt, wie es jemand deines und meines 244 Namens zukommt. Du hast dir durch deine literarische Talente schon einen kleinen Ruf geschaffen, den ich sehr weit entfernt bin, zu unterschätzen, obgleich zu meiner Zeit, weiß Gott, Poesie und Genie und diese Art Dinge höllisch despektierlich waren. Da war der arme Byron zum Beispiel, der sich selbst ruinierte und durch seinen Umgang mit Dichtern und Zeitungsschreibern und Leuten dieser Sorte die schlechtesten Gewohnheiten annahm. Aber die Zeiten haben sich jetzt geändert – man hascht nach Literatur – gescheite Burschen kommen in die besten Häuser der Stadt, weiß Gott! Tempora mutantur, und, beim Zeus, ich glaube, was einmal da ist, ist auch Recht, wie Shakespeare sagt.«

Pen hielt es nicht für schicklich, seinem Onkel zu sagen, wer der Autor wäre, der diese merkwürdige Phrase gebraucht, und hier stiegen die beiden vom Green Park hernieder und schritten auf den Grosvenor Place und der Tür des dort von Sir Francis und Lady Clavering bewohnten Hauses zu.

Die Fensterläden zum Speisesaale dieses hübschen Gebäudes waren frisch vergoldet, die Klopfer glänzten außerordentlich hell an der neuangestrichenen Tür, auf dem Balkon vor dem Empfangszimmer blühte ein Garten voll der schönsten Pflanzen und weißen, rosigen und scharlachroten Blumen; die Fenster der oberen Gemächer (das geheiligte Schlaf- und Ankleidezimmer Myladys ohne Zweifel) und sogar ein hübsches kleines Fensterchen im dritten Stock, von dem der scharfblickende Herr Pen vermutete, es gehöre zu dem jungfräulichen Schlafzimmer des Fräulein Blanche Amory, waren in ähnlicher Weise mit Blumen geschmückt, und 245 das ganze äußere Ansehen des Hauses bot den glänzendsten Anblick dar, den neuer Anstrich, strahlendes Spiegelglas, neu gereinigte Ziegel und fleckenloser Mörtelbewurf dem Beschauer gewähren konnten.

»Wie Strong sich gefreut haben muß, als er all diese Pracht organisierte«, dachte Pen. Er sah das Genie des Kavaliers in dem Punkte vor sich.

»Lady Clavering ist im Begriffe, auszufahren«, sagte der Major. »Wir werden nur unsere Pappdeckel dalassen können, Arthur.« Er gebrauchte das Wort ›Pappdeckel‹, weil er es von einem der geistreichen jungen Modeherren vom Adel gehört hatte, und weil es als moderner Ausdruck zu Pens jugendlichen Jahren paßte. Wirklich fuhr, als die beiden Herren die Tür erreicht hatten, ein Landauer vor, eine prachtvolle gelbe Kutsche, die Polster mit Brokat oder Seidenstoff von zarter Cremefarbe überzogen, von wundervollen Grauschimmeln gezogen, die mit leuchtenden Bändern geschmückt waren und deren Riemenzeug über und über von Helmbüschen strahlte; nicht weniger als drei dieser heraldischen Embleme erhoben sich über dem Wappen auf dem Kutschenschlage, und diese Schilde enthielten eine ungeheure Menge von Feldern, die das Alter und den Glanz des Hauses von Clavering und Snell bezeichneten. Ein Kutscher in einer dicken silbergrauen Perücke ragte über den prachtvollen Ueberzug des Kutschbocks (worauf sich dasselbe Wappen in Gold gestickt befand) und leitete die sich stolz aufbäumenden Grauschimmel – ein noch junger Mann, aber von feierlichem Gesichtsausdruck, mit einer tressenbesetzten Weste und Schnallen an seinen Schuhen – kleine 246 Schnallen, ungleich denen, die John und Jeames, die Bedienten, trugen, und welche bekanntlich groß sind und sich elegant über den Fuß ausbreiten.

Eine der Flügeltüren zur Halle stand offen, und John – einer der größesten seiner Rasse – lehnte gegen den Türpfeiler, sein ambrosisches Haar gepudert, seine schönen, seidenbestrumpften Beine gekreuzt, in der Hand seinen Stab mit dem goldenen Knopfe, δολιχόσκιον. Jeames war unsichtbar, aber nahe bei der Hand, und wartete in der Halle bei dem Herrn Bedienten, der keine Livree trägt, und bereit, die Decke von Haartuch auf den Boden zu breiten, über welchen Ihre Ladyschaft zu ihrem Wagen zu schreiten pflegte. Diese Dinge und Leute, zu deren Schilderung es Zeit bedarf, sieht ein gewöhntes Auge mit einem Blick, und der Major und Pen hatten kaum die Straße überschritten, als der zweite Torflügel aufflog, der Pferdehaarteppich die Stufen bis an den Wagenschlag hinabrollte, John an der einen und Jeames an der anderen Seite den wappengeschmückten Wagenschlag öffneten, und zwei Damen mit höchsten Modechik gekleidet und von einer dritten, die einen mit einem hellblauen Halsbändchen geschmückten kläffenden Blenheimer Schoßhund trug, begleitet, herauskamen, um in die Kutsche zu steigen.

Fräulein Amory war die erste, die einstieg, was sie mit ätherischer Leichtigkeit tat, und den Platz einnahm, der ihr am besten gefiel. Lady Clavering folgte zunächst, aber Ihre Ladyschaft war von reiferem Alter und schwerem Fuße, und einer dieser Füße, der mit einem grünen Atlasstiefelchen bekleidet war, nebst 247 einem Teile des Strumpfes, der – wie auch der Knöchel, den er umspannte, beschaffen sein mochte, – sehr schön war, konnte auf dem Wagentritte, während Ihre Ladyschaft, um sich zu stützen, sich auf den Arm des nicht so leicht niederzubeugenden Jeames lehnte, von dem entzückten Beobachter weiblicher Schönheit erblickt werden, der im Augenblick dieser imposanten Zeremonie gerade vorbeiging.

Die beiden Pendennis, senior und junior, hatten diesen bezaubernden Anblick, als sie zu der Tür kamen – der Major sah ernst und höflich, Pen etwas verlegen auf den Wagen und die Besitzerinnen desselben, denn er dachte an verschiedene kleine Vorfälle in Clavering, die sein Herz schneller schlagen ließen.

In diesem Augenblick schaute sich Lady Clavering um und erblickte die beiden – sie befand sich auf der obersten Stufe des Wagentrittes und würde in der nächsten Sekunde im Wagen gewesen sein, aber sie fuhr zurück (wobei ein Teil des Puders aus den Haaren des ambrosischen Jeames flog), und schrie: »Herrgott, ist das nicht Arthur Pendennis und der alte Major!« Darauf sprang sie sofort auf die terra firma zurück, und indem sie zwei fette, in enge orangenfarbige Handschuhe gepreßte Hände ausstreckte, begrüßte die gutmütige Frau den Major und seinen Neffen.

»Kommen Sie herein, alle beide. – Warum sind Sie nicht schon vorher mal gekommen? – Komm heraus, Blanche, komm her und sieh unsere alten Freunde. Ach, ich freue mich so sehr, Sie zu sehen. Wir haben schon so lange Zeit auf Sie gewartet und gewartet. Kommen Sie herein, das Frühstück ist noch nicht alle,« 248 rief die gastfreundliche Dame, indem sie Pens Hand mit ihren beiden preßte (sie hatte die des Majors nach kurzem Drucke des Wiedererkennens fallen lassen), und Blanche, die Augen zu den Schornsteinen erhoben, stieg ebenfalls sogleich mit schüchternem, errötendem, flehendem Antlitz aus der Kutsche und gab dem Major Pendennis ihre kleine Hand.

Die Gesellschafterin mit dem Schoßhunde sah sich unentschlossen um, als ob sie im Zweifel wäre, ob sie Fido nicht seine tägliche Portion frische Luft zuteil werden lassen sollte, aber auch sie machte rechtsum und trat nach Lady Clavering, ihrer Tochter und den beiden Herren ins Haus. Und die Kutsche, mit den stolz sich aufbäumenden Grauschimmeln blieb unbesetzt, mit Ausnahme des Kutschers mit der silbergrauen Perrücke.



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