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Von Tag zu Tag schien nach den Fêten in Grosvenor Place und Greenwich, an denen wir den Major Pendennis teilnehmen sahen, die Freundschaft und Herzlichkeit des würdigen 381 Gentleman gegen die Claveringsche Familie zu wachsen. Seine Besuche waren häufig, seine Aufmerksamkeiten gegen die Dame des Hauses unablässig. Als ein alter Stutzer hatte er das Glück, in vielen Häusern Zutritt zu erhalten, in denen eine Dame von Lady Claverings Range sich ebenfalls hätte zeigen müssen. Würde es Ihrer Ladyschaft nicht belieben, bei der großen Festlichkeit in Gaunt House zugegen zu sein? Da sollte ferner ein sehr hübscher Frühstücksball beim Viscount Marrowfat in Fulham stattfinden. Jedermann würde dort sein (mit Einschluß erhabener Persönlichkeiten von höchstem Range), und es sollte dort eine Watteauquadrille getanzt werden, in der Fräulein Amory sicherlich bezaubernd aussehen würde. Zu diesen und anderen Vergnügungen bot sich der katzbuckelnde alte Gentleman freundlich an, Lady Clavering zu führen, und ebenso war er bereit, sich dem Baronet auf jede diesem angenehme Weise nützlich zu machen.
Trotz seiner jetzigen Stellung und seinem Vermögen fuhr die Welt fort, auf Clavering mit ziemlich kalten Blicken zu schauen, und seltsam verdächtige Gerüchte folgten ihm überall hin. Er wurde in zwei Klubs hintereinander durch schwarze Kugeln zurückgewiesen. Im Unterhause verkehrte er nur mit den übelberüchtigtsten Mitgliedern dieser berühmten Körperschaft, da er einen glücklichen Spürsinn besaß, immer die schlechteste Gesellschaft herauszuwählen, und sich ihr ganz natürlich anschloß, wie es andere Leute mit der Gesellschaft derer tun, die besser sind als sie. Alle die Senatoren zu nennen, mit denen Clavering umging, würde gehässig sein. Wir wollen daher nur einige erwähnen. 382 Da war Kapitän Raff, das ehrenwerte Mitglied für Epsom, der sich nach dem letzten Goodwoodrennen zurückzog, da er, wie Herr Hotspur, der Lenker der Partei, sagte, eine Sendung in die Levante angenommen hätte; da war ferner Hustingson, das patriotische Mitglied für Islington, dessen Stimme jetzt, seit er zum Gouverneur auf Coventry Island bestimmt worden, nicht mehr mit Anklagen auf Bestechlichkeit gehört wird; da war Bob Freeny, von den Booterstown Freenys, der erschossen wurde, und von dem wir deshalb mit allem Respekt sprechen möchten; und von all diesen Herren, mit denen Herr Hotspur im Verlaufe seiner Amtspflichten zu verkehren hatte, war keiner, vor dem er eine gründlichere Verachtung und Abneigung gefühlt hätte, als vor Sir Francis Clavering, dem Vertreter eines alten Geschlechtes, das für seinen Burgflecken Clavering seit undenklichen Zeiten im Unterhause gesessen hatte. »Wenn dieser Mann für eine Abteilung gebraucht wird,« meinte Hotspur, »so ist zehn gegen eins zu wetten, daß er in einer Spielhölle gefunden wird. Er wurde im Fleet Prison erzogen, und ich gebe Ihnen mein Wort, er hat sein letztes Urteil in Newgate noch nicht gehört. Er wird das Vermögen der Begum mit Spielen verpulvern, als Taschendieb erwischt werden und an Bord der Deportationsschiffe endigen.« Und wenn der ehrenwerte Hotspur bei dieser Meinung von Clavering dennoch aus geschäftlichen Ursachen höflich gegen ihn sein konnte, weshalb sollte da Major Pendennis nicht ebenfalls seine besonderen Gründe haben, diesem unglücklichen Gentleman seine Aufmerksamkeiten zu erweisen? 383
»Er hat einen sehr guten Keller und einen sehr guten Koch,« sagte der Major, »so lange er schweigt, beleidigt er nicht, und er spricht sehr selten. Wenn's ihm Spaß macht, sich an Spieltischen herumzutreiben und sein Geld an Spielgauner zu verlieren, was geht's mich an? Gucke nicht so neugierig in aller Leute Sachen, Pen, mein Junge; jeder hat sein Schränkchen im Hause, wo er's, weiß Gott, nicht gern haben würde, daß du oder ich hineinlugten. Warum sollten wir's auch versuchen, wo uns das übrige Haus offen steht? Und ein höllisch gutes Haus noch dazu, wie du und ich wissen! Und wenn der Mann in der Familie nicht alles ist, was man wünschen kann, so sind doch die Weiber vortrefflich. Die Begum ist nicht allzu gebildet, aber ein so gutes Weib, wie nur je eines gelebt, und höllisch klug außerdem; und was die kleine Blanche betrifft, so kennst du, Schlingel, meine Meinung über sie; du weißt, daß ich glaube, sie mag dich und würde dich haben wollen, sobald du sie nur fragtest. Aber du wirst ja jetzt solch ein großer Mann, daß du vermutlich unter einer Herzogstochter nicht zufrieden sein würdest. – He, junger Herr? Ich empfehle dir, eine derselben zu fragen und es zu versuchen.«
Vielleicht war Pen wirklich etwas berauscht von seinem Erfolge in der Welt, und es mag auch der Gedanke (den die fortwährenden Winke seines Onkels nicht wenig bestärkten) in seinen Geist eingedrungen sein, daß Fräulein Amory so ziemlich geneigt sei, das Liebesgetändel wieder aufzunehmen, das in den früheren Tagen der beiden gespielt hatte, an den Ufern des ländlichen Brawl. Aber er war, sagte er, in diesem 384 Augenblicke wenig zum Heiraten aufgelegt, und indem er etwas den weltlichen Ton seines Onkels annahm, sprach er von der Einrichtung der Ehe ziemlich verächtlich und sehr zugunsten des Junggesellenlebens.
»Sie sind sehr glücklich, Onkel,« sagte er, »und kommen sehr gut allein fort, und ich ebenso. Mit einer Frau an der Seite würde ich meinen Platz in der Gesellschaft verlieren, und ich stelle mir's auch meinesteils nicht sehr rosenfarben vor, wenn ich mich mit einer Madame Pendennis aufs Land zurückzöge oder mit meiner Frau eine Wohnung bezöge, wo ihr ein Mädchen für alles aufwartete. Die Periode meiner kleinen Illusionen ist vorüber. Sie kurierten mich von meiner ersten Liebe, die sicherlich eine Närrin war und einen Narren zum Manne gehabt haben würde, und noch dazu einen sehr närrischen unzufriedenen Mann, wenn sie mich genommen hätte. Wir jungen Burschen leben schnell, Onkel; und ich fühle mich mit fünfundzwanzig so alt, wie viele von den alten Schafsk– von den alten Junggesellen, – die ich im Bogenfenster bei Bays sehe. Machen Sie kein beleidigtes Gesicht, ich meine nur, daß ich in Liebesangelegenheiten blasiert bin und daß ich mich jetzt ebensowenig in eine Flamme für Fräulein Amory hineinwedeln kann, als ich Lady Mirabel noch einmal anbeten könnte. Ich wünschte, ich könnt's; denn mir gefällt Sir Charles Mirabel förmlich wegen seiner Vernarrtheit in sie, und ich glaube, daß seine Leidenschaft der achtungswerteste Teil seines Lebens ist.«
»Sir Charles Mirabel war stets ein theatralischer Mann,« erwiderte der Major, ärgerlich, daß sein 385 Neffe spöttisch über eine Person von dem Range und der Stellung Sir Charles sprechen konnte. Er hat sich seit früher Jugend mit theatralischen Sachen beschäftigt. Er spielte in Carlton House, als er Page des Prinzen war; – er hat sich mit diesen Dingen ganz verschmolzen, er konnte heiraten, wer ihm beliebte, und Lady Mirabel ist ein hochachtbares Frauenzimmer, das überall Zutritt hat – überall, wohlverstanden. Die Herzogin von Connaught empfängt sie, Lady Rockminster empfängt sie – es steht jungen Menschen nicht zu, von Leuten in dieser Stellung leichtfertig zu sprechen. Es gibt kein achtungswerteres Frauenzimmer in ganz England als Lady Mirabel, – und die alten Schafsköpfe, wie du die bei Bays nennst, gehören zu den ersten Gentlemen in England, von denen ihr jungen Gelbschnäbel besser tätet, ein bißchen Manieren, ein bißchen Benehmen und ein bißchen Bescheidenheit zu lernen.« Und der Major begann daran zu denken, daß Pen doch über die Maßen schnippisch und hochnäsig würde, und daß die Welt ihm zu viel Aufmerksamkeit erwiese.
Des Majors Aerger ergötzte Pen. Er studierte die Eigenheiten seines Onkels mit fortwährendem Vergnügen und war bei seinem weltlichen alten Mentor allzeit in guter Laune. »Ich bin ein junger Gelbschnabel, wie Sie vor fünfzehn Jahren waren, Onkel,« versetzte er offen, »und wenn Sie denken, daß wir keinen Respekt haben, so sollten Sie erst mal die von der heutigen Rasse sehen. Einer Ihrer Protegés frühstückte neulich mit mir. Sie sagten mir, ich sollte ihn einladen, und ich tat Ihnen den Gefallen. Wir trieben uns den 386 Tag über zusammen herum, speisten im Klub und gingen ins Theater. Er sagte, der Wein im Polyanthus wäre nicht so gut als der bei Ellis in Richmond, rauchte Warringtons Cavendish nach dem Frühstück, und als ich ihm als Liebeszeichen beim Abschiede einen Sovereign gab, sagte er, daß er eine Menge hätte, ihn aber annehmen wollte, um zu zeigen, daß er nicht stolz wäre.«
»Wirklich? – Hast du wirklich den jungen Clavering eingeladen?« rief der Major, plötzlich besänftigt, »hübscher Junge, ziemlich wild, aber ein hübscher Junge – Eltern lieben solche Aufmerksamkeiten, und du kannst nicht besser handeln, als sie unseren würdigen Freunden in Grosvenor Place zu erweisen. Und so nahmst du ihn denn ins Schauspiel mit und schmiertest ihn? Das war recht, Neffe, das war recht!« Mit diesen Worten verließ Mentor seinen Telemachus, bei sich überlegend, daß die jungen Leute doch nicht so schlimm wären, und er aus diesem Bürschchen schon noch was machen wollte.
Als Master Clavering an Alter und Größe zunahm, wuchs er seinen zärtlichen Eltern und seiner Erzieherin über den Kopf, und regierte eher sie, als daß er sich durch ihre Befehle hätte leiten lassen. Gegen seinen Papa war er schweigsam und mürrisch, obwohl er sich selten in der Umgebung dieses Herren sehen ließ; gegen seine Mama brüllte und focht er, wenn sich hinsichtlich der Befriedigung seines Appetits oder eines anderen seiner Herzenswünsche ein Streit zwischen ihnen erhob; und bei seinen Händeln mit seiner Gouvernante über seinem Buche schlug er mit den Füßen so 387 tapfer nach den Schienbeinen dieses sanften Geschöpfes, daß sie von ihm völlig übermeistert und unterdrückt wurde. Und ebenso würde er seine Schwester Blanche behandelt haben, und er versuchte es auch ein- oder zweimal, ihrer Herr zu werden; aber sie zeigte ihrerseits eine unermeßliche Entschlossenheit und Kühnheit und versetzte ihm so tüchtige Ohrfeigen, daß er's sein ließ, Fräulein Amory weiter zu belästigen, wie er's mit der Gouvernante, seiner Mama und deren Kammermädchen machte.
Endlich, als die Familie nach London kam, gab Sir Francis seine Meinung dahin ab, daß »es am besten wäre, wenn der kleine Bummler in die Schule geschickt würde«. Infolgedessen wurde der junge Sohn und Erbe des Hauses Clavering in das Etablissement Sr. Ehrwürden des Herrn Otto Rose zu Twickenham gesandt, wo junge Adlige und sonstige vornehme Herrchen aufgenommen wurden, um auf ihre Einführung in die großen öffentlichen englischen Schulen vorbereitet zu werden. Es ist nicht unsere Absicht, Master Clavering auf seiner Schülerlaufbahn zu folgen; die Pfade zum Tempel des Wissens wurden ihm mehr erleichtert als manchem von uns, die wir früheren Generationen angehören. Er fuhr sozusagen in vierspänniger Kutsche auf dieses Ziel los und konnte anhalten und eine Erfrischung einnehmen, sobald es ihm nur beliebte. Er trug von der frühesten Periode seiner Jugend an lackierte Stiefel und hatte Cambrikhalstücher und zitronenfarbige Glacéhandschuhe von der niedlichsten Größe, die nur je in Privats Fabrik gemacht wurde. Die jungen Herren kleideten sich in Herrn Roses Haus 388 regelmäßig an, wenn sie zum Diner herunterkamen; sie hatten türkische Schlafröcke, Feuer in ihren Schlafzimmern, Unterricht im Reiten und Fahren und Oel für ihre Haare. Körperliche Strafen waren von dem Vorsteher völlig abgeschafft, welcher der Meinung war, daß moralische Einwirkung vollständig hinreichend wäre, um die Jugend zu leiten, und die Knaben machten in manchen Zweigen des Lernens mächtige Fortschritte, daß sie sich die Kunst, Spirituosen zu trinken und Zigarren zu rauchen, schon ehe sie alt genug waren, in eine öffentliche Schule zu treten, aneigneten. Der junge Frank Clavering stahl seines Vaters Havanna-Zigarren und trug sie in die Schule oder rauchte sie in den Ställen in einer erstaunlich frühen Periode seines Lebens und trank mit zehn Jahren seinen Champagner fast so tapfer, wie irgendein backenbärtiger Oberst bei den Dragonern es tun könnte.
Als dieser interessante Jüngling zu den Ferien nach Hause kam, war Major Pendennis ebenso ausgesucht höflich und gütig gegen ihn wie gegen die übrigen Mitglieder der Familie, obschon der Knabe gegen den alten Wigsby, wie der Major genannt wurde, eine ziemliche Verachtung fühlte – ihn, wenn sich der höfliche Major vor Lady Clavering oder Fräulein Amory verbeugte oder um sie herumscharwenzelte, hinter seinem Rücken nachäffte und, wie es geistvolle Jünglinge zu tun pflegen, plumpe Karikaturen zeichnete, in welchen die Perücke des Majors, seine Nase u. a. m. mit kunstloser Uebertreibung dargestellt waren. Unermüdlich in seinen Bemühungen, sich angenehm zu machen, wünschte der Major, daß sich auch Pen besonders mit 389 diesem Kinde abgeben sollte, regte Arthur an, ihn in seine Wohnung einzuladen, ihm ein Diner im Klub zu geben, ihn zu Madame Tussaud, in den Tower, ins Schauspiel zu führen und so fort, und ihn nach den Vergnügungen des Tages zu ›schmieren‹, wie der Ausdruck lautet. Arthur, der gutmütig und ein Freund von Kindern war, machte eines Tages all diese Zeremonien durch, hatte den Jungen im Tempel bei sich zum Frühstück, wo er die verächtlichsten Bemerkungen über die Möbel, das Geschirr und den zerlumpten Zustand von Warringtons Schlafrock machte, eine kurze Pfeife rauchte und die Geschichte eines Boxerzweikampfes zwischen Teffy und Long Biggings, Schülern bei Rose, erzählte, sehr zur Erbauung der beiden Gentlemen, seiner Wirte.
Wie der Major richtig vorausgesagt, war Lady Clavering für Arthurs Aufmerksamkeiten gegen den Knaben dankbar, dankbarer als der Bengel selbst, der Aufmerksamkeiten als etwas Selbstverständliches hinnahm und höchst wahrscheinlich mehr Sovereigns in seiner Tasche hatte, als der arme Pen, der ihm großmütig einen aus seinem eigenen mageren Vorrate an diesen Münzen gab.
Der Major beobachtete mit den scharfen Augen, die die Natur ihm verliehen, und mit der Brille des Alters und der Erfahrung diesen Knaben und überschaute seine Stellung in der Familie, ohne daß es geschienen hätte, er wäre in bezug auf ihre Angelegenheiten unschicklich neugierig. Aber als ein Nachbar auf dem Lande, als jemand, der mancherlei Familienverpflichtungen gegen die Claverings hatte, als alter 390 Weltmann nahm er Gelegenheit, herauszubekommen, wie hoch das Vermögen der Lady Clavering wäre, was sie für Bestimmungen über ihr Kapital getroffen hätte, und was der Knabe erben würde. Und indem er sich ans Werk machte, – zu welchen Zwecken wird sich zweifellos im weiteren Verlaufe zeigen, – hatte er bald eine ziemliche genaue Kenntnis von den Angelegenheiten und dem Vermögen der Lady Clavering und den Aussichten ihrer Tochter und ihres Sohnes. Die Tochter sollte nur einen mäßigen Anteil bekommen; die Masse des Vermögens sollte, wie schon vorher gesagt ist, auf den Sohn übergehen, – sein Vater kümmerte sich weder um ihn noch um sonst jemand anderes, – seine Mutter war ihm mit affenhafter Zärtlichkeit zugetan als dem Kinde ihrer späteren Jahre, – seine Schwester war ihm gram. Das mag in runden Zahlen als das Ergebnis der Nachforschungen angegeben werden, das Major Pendennis erhielt. »O! meine teure Madame,« sagte er, indem er den Kopf des Knaben streichelte, »dieser Knabe könnte bei einer dereinstigen Krönung die Krone eines Baronets auf seinem Haupte tragen, wenn die Sachen nur richtig angefangen würden und wenn Sir Francis Clavering nur seine Karten gut spielen wollte.«
Auf diese Worte tat die Witwe Amory einen tiefen Seufzer. »Er spielt seine Karten nur zu fleißig, fürchte ich, Major,« sagte sie. Der Major gestand zu, daß er dies ebenfalls wußte, verhehlte nicht, daß er von Sir Francis Claverings unglücklichem Hange zum Spiele gehört hätte, bedauerte Lady Clavering aufrichtig, sprach aber mit so echtem Gefühle und 391 Verstande, daß Ihre Ladyschaft, froh, eine Person von Erfahrung zu finden, der sie ihren Kummer und ihre Lage anvertrauen konnte, ziemlich rückhaltslos über dieselben zu Major Pendennis sprach und begierig war, seinen Rat und Trost zu hören. Major Pendennis wurde der Vertraute und Hausfreund der Begum, und sie bediente sich seines Rates als Mutter, Gattin und Kapitalistin.
Er gab ihr zu verstehen (wobei er zu gleicher Zeit viel achtungsvolle Teilnahme zeigte), daß er mit mehreren Umständen ihrer ersten unglücklichen Heirat und selbst mit der Person ihres ehemaligen Gatten bekannt wäre, dessen er sich von Kalkutta her erinnerte – wo sie getrennt von ihrem Vater gelebt hatte. Die arme Dame erzählte, mit Tränen mehr der Scham als des Kummers in ihren Augen, ihre Lebensgeschichte. Nach zwei Jahren, die sie in einer europäischen Schule verlebt, sei sie als ein Kind nach Indien zurückgekehrt, sei dort mit Amory zusammengetroffen und habe ihn törichterweise geheiratet. »O, Sie wissen nicht, wie elend mich dieser Mann gemacht hat,« sagte sie, »oder was für ein Leben ich zwischen ihm und meinem Vater ausgestanden habe. Ehe ich ihn sah, hatte ich außer den Handlungsdienern meines Vaters und den eingeborenen Dienstboten nie einen Mann gesehen. Sie wissen, wir gingen in Indien nicht in Gesellschaft wegen –« (»Ich weiß,« entgegnete Major Pendennis mit einer Verbeugung.) »Ich war ein wildes romantisches Kind, mein Kopf war voll Romanen, die ich in der Schule gelesen hatte – ich hörte auf seine wilden Geschichten und Abenteuer, denn er war ein wagehalsiger Mensch, 392 und ich dachte, er spräche schön in jenen ruhigen stillen Nächten während der Fahrt, wo er – na, ich heiratete ihn und war von jenem Tage an unglücklich – unglücklich mit meinem Vater, dessen Charakter Sie ja kennen, Major Pendennis, und von dem ich nicht reden will; aber er war kein guter Mann, Herr Major, – weder zu meiner armen Mutter noch zu mir, ausgenommen, daß er mir sein Geld hinterließ, – noch gegen irgend jemand sonst, von dem ich jemals gehört hätte, und ich fürchte, er vollbrachte nicht viele gute Handlungen in seinem Leben. Und was Amory betrifft, so war er beinahe noch schlechter, er war ein Verschwender, wo mein Vater geizig war; er trank entsetzlich und war wütend, wenn er betrunken war. Er war in keiner Weise ein guter oder treuer Mann gegen mich, Major Pendennis, und wenn er vor seiner Verurteilung im Gefängnisse gestorben wäre statt hinterher, so würde er mir ein gutes Teil Schande und Unglück seitdem erspart haben.« Lady Clavering fügte hinzu: »Denn vielleicht würde ich überhaupt nicht wieder geheiratet haben, wäre ich nicht so begierig gewesen, seinen schrecklichen Namen zu ändern, aber ich bin, wie Sie vermutlich wissen, mit meinem zweiten Manne auch nicht glücklich daran. Ach, Major Pendennis, ich habe freilich Geld und bin eine vornehme Dame, und die Leute denken, daß ich sehr glücklich bin, aber ich bin's doch nicht. Wir haben alle unsere Sorgen, unseren Kummer und unsere Leiden, und mancher Tag kommt, wo ich mich zu einem meiner großen Diners mit gequältem Herzen niedersetze, und manche Nacht, wo ich in meinem schönen Bette schlaflos liege, viel 393 unglücklicher als die Dienerin, die mir's zurecht macht. Denn ich bin keine glückliche Frau, Herr Major, wie alle Welt es sagt und die Begum wegen ihrer Diamanten und Kutschen und der vornehmen Gesellschaft beneidet, die in mein Haus kommt. Ich bin mit meinem Gatten nicht glücklich, ich bin mit meiner Tochter nicht glücklich. Sie ist kein gutes Mädchen wie jene liebe Laura Bell in Fairoaks. Sie kostet mich manche Träne, wenn Sie sie auch nicht sehen, und sie verhöhnt ihre Mutter, weil ich keine Schule und dergleichen gehabt habe. Wie konnte ich auch? Ich wurde unter Eingeborenen auferzogen, bis ich zwölf Jahr alt war, und ging nach Indien zurück, als ich vierzehn Jahr alt war. Ach, Herr Major, ich würde eine gute Frau gewesen sein, hätte ich einen guten Ehemann gehabt. Und nun muß ich hinaufgehen und mir die Augen auswischen, denn sie sind rot vom Weinen. Lady Rockminster will kommen, und wir wollen in den Park ausfahren.« Und als Lady Rockminster erschien, war nicht eine Spur von Tränen oder Gram auf dem Gesichte der Lady Clavering, sondern sie war voll guter Laune, schoß ihre Böcke im Sprechen und radebrechte des Königs Englisch mit der äußersten Lebhaftigkeit und Munterkeit.
»Bei Gott, sie ist kein so übles Frauenzimmer!« dachte der Major bei sich selbst. »Sie ist nicht fein gebildet, sicherlich nicht, und nennt zum Beispiel den Apollo: ›Apoller‹; »aber sie hat etwas Herz, und ich habe dergleichen, mit einem höllischen Sack Geld dazu, ganz gern. Drei Sterne bei ihrem Namen im Kapital der Indischen Kompagnie, weiß Gott! und alles das wird der junge Lümmel einst haben – ist's wahr oder 394 nicht?« Und er dachte, wie gern er's sehen würde, wenn ein klein wenig von dem Gelde auf Fräulein Blanche übertragen würde, oder noch besser, wenn einer jener Sterne im Namen des Herrn Arthur Pendennis strahlen würde.
Immer noch mit seinen Plänen beschäftigt, welcher Art sie auch sein mochten, bediente sich der alte Unterhändler des Privilegiums, das ihm seine vertraute Stellung und sein Alter verliehen, und sprach zu Fräulein Blanche in einer freundlichen und väterlichen Weise, sobald er Gelegenheit fand, mit ihr allein zu sein. Er kam so häufig zur Lunchzeit und wurde mit den Damen so vertraut, daß sie nicht einmal Anstand nahmen, sich vor ihm zu zanken, und Lady Clavering, die eine laute Zunge und ein auffahrendes Temperament hatte, kämpfte in Gegenwart des Freundes der Familie manche Schlacht mit der Sylphide. Blanches Verstand verfehlte selten, bei diesen Zusammenstößen die Oberhand zu behalten, und die scharfen Spitzen ihrer Pfeile trieben ihre Gegnerin völlig aus dem Felde. »Ich bin ein alter Bursche,« sagte der Major, »ich habe nichts mehr im Leben zu tun. Ich habe meine Augen hübsch offen. Ich halte reinen Mund. Ich bin der Freund von Ihnen beiden; und wenn Sie sich vor mir zu streiten belieben, ei nun, so werd' ich's niemanden erzählen. Aber Sie sind zwei gute Leutchen, und ich beabsichtige, Sie miteinander zu versöhnen. Ich habe das vordem bei hundert anderen schon getan – Gatten und Gattinnen, Väter und Söhnen, Töchtern und Müttern. Ich tue es gern; ich habe nichts weiter zu tun.« 395
Eines Tages trat der alte Diplomat in Lady Claverings Gesellschaftszimmer, gerade als die letztere es in augenscheinlich höchst entrüsteter Stimmung verließ und an ihm vorbei die Treppe hinauf in ihre eigenen Gemächer rannte. ›Sie könnte jetzt nicht mit ihm sprechen,‹ sagte sie; ›sie wäre zu wütend auf jene – jene – jene kleine niederträchtige‹ – Aerger erstickte den Rest der Worte oder hinderte die Aeußerung, bis Lady Clavering sich außer Hörweite entfernt hatte.
»Mein liebes, gutes Fräulein Amory,« sagte der Major, als er ins Gesellschaftszimmer eintrat, »ich sehe, was passiert. Sie und Mama haben sich entzweit. Mutter und Töchter entzweien sich in den besten Familien. Es war erst letzte Woche, wo ich einen Streit zwischen Lady Clapperton und ihrer Tochter Lady Claudia ausglich. Lady Lear und ihre älteste Tochter haben vierzehn Tage lang kein Wort miteinander gesprochen. Freundlichere und trefflichere Leute als diese habe ich im Laufe meines ganzen Lebens nicht kennen gelernt; sie sind für jedermann, sich selbst ausgenommen, bewundernswert. Aber sie können nicht miteinander leben, sie sollten nicht miteinander leben, und ich wünschte, mein liebes Fräulein Amory, von ganzem Herzen, ich könnte Sie in einem eigenen Hausstande sehen – denn es gibt in ganz London keine junge Dame, die einem solchen besser vorstehen könnte – in einem eigenen Hausstande, wo Sie Ihr Haus glücklich machten.«
»Ich bin nicht sehr glücklich in diesem hier,« sagte die Sylphide, »und die Dummheit Mamas reicht aus, um eine Heilige in Harnisch zu bringen.« 396
»Da haben Sie vollkommen recht; Sie passen nicht zueinander. Ihre Mutter beging einen Fehler in ihrem früheren Leben – oder war es in Ihrem Falle die Natur, meine Liebe? – sie hätte Ihnen keine Erziehung geben sollen. Sie hätten nicht so aufgezogen werden sollen, daß Sie das hochgebildete und geistvolle Wesen wurden, welches Sie sind, umgeben, wie ich zugestehe, von Leuten, die nicht Ihren Geist oder Ihre Bildung besitzen. Ihr Platz würde der einer Tonangeberin in den glänzendsten Kreisen sein, nicht der einer Nachfolgenden und einer, die erst die zweite Rolle spielt, in welcher Gesellschaft es auch sein mag. Ich habe Sie beobachtet, Fräulein Amory, Sie sind ehrgeizig, und Ihre eigentliche Sphäre ist das Gebieten. Sie müssen glänzen, und das können Sie nie in diesem Hause, ich weiß es. Ich hoffe, ich werde Sie eines Tages in einem anderen und glücklicheren und als Herrin desselben sehen.«
Die Sylphide zuckte ihre lilienweißen Schultern mit einer spöttischen Miene. »Wo ist der Prinz, und wo ist der Palast, Major Pendennis?« sagte sie. »Ich bin bereit. Aber es gibt heutzutage keinen Roman, keine wahre Liebe mehr.«
»Nein, allerdings nicht,« entgegnete der Major mit der gefühlvollsten und unschuldigsten Miene, die er aufsetzen konnte.
»Nicht, daß ich etwas davon wüßte,« sagte Blanche, indem sie die Augen niederschlug, »ausgenommen, was ich in Romanen las.«
»Natürlich nicht,« schrie Major Pendennis, »wie sollten Sie auch, meine teure junge Dame? Und Romane gibt es, nicht wahr, wie Sie 397 bewunderungswürdig bemerkten, und es spielen sich keine Romane auf der Welt mehr ab. Weiß Gott, ich wünschte, ich wäre ein junges Bürschchen wie mein Neffe.«
»Und was,« fuhr Fräulein Amory nachdenklich fort, »was sind die Männer, die wir alle Abende auf den Bällen sehen – tanzende Gardeoffiziere, Schreiber vom Schatzamt ohne einen Penny Vermögen–Einfaltspinsel! Wenn ich meines Bruders Vermögen hätte, möchte ich wohl solchen Hausstand haben, wie Sie mir versprechen, aber mit meinem Namen und meinen wenigen Mitteln, was hab' ich da für Aussichten? Einen Dorfpastor oder einen Advokaten in einer Straße bei Russell Square oder einen Kapitän in einem Dragonerregiment, der für mich ein Logis in Aftermiete nehmen und vom Regimentstisch betrunken und nach Tabak riechend heimkommen wird, wie Sir Francis Clavering. Das ist's, was uns Mädchen bestimmt ist, unser Leben zu beschließen. O, Major Pendennis, ich habe London satt und ebenso die Bälle und die jungen Stutzer mit ihren Kinnbärten und die unverschämten großen Damen, die uns den einen Tag kennen und den nächsten schneiden – kurz die ganze Welt! Ich würde mich freuen, sie verlassen und in ein Kloster gehen zu können, ja wahrhaftig. Ich werde nie jemand finden, der mich versteht. Und ich lebe hier in meiner Familie und der Welt so allein, als ob ich für ewig in einer Zelle verschlossen wäre. Ich wünschte, es gäbe barmherzige Schwestern hier und ich könnte eine davon sein und von der Pest befallen werden und daran sterben – ich wünschte, die Welt verlassen zu können. Ich bin noch nicht sehr alt, aber ich bin müde, ich habe so viel 398 gelitten, ich habe solche Enttäuschungen erlebt – ich bin müde, so müde – oh! wenn doch der Todesengel kommen und mich hinwegnehmen wollte!«
Diese Rede war das Ergebnis folgenden Vorfalls: Vor einigen Tagen hatte eine vornehme Dame, die Lady Flamingo, Fräulein Amory und Lady Clavering geschnitten. Sie war ganz rasend, daß sie keine Einladungskarte zum Balle der Lady Drum erhalten konnte; es war Saisonende und niemand hatte um sie angehalten; sie hatte überhaupt gar kein Aufsehen gemacht, sie, die um so vieles gescheiter war, als jedes Mädchen ihres Jahrganges und jede der jungen Damen, die ihren speziellen Kreis bildeten. Dora, die nur fünftausend Pfund, Flora, die gar nichts, und Leonore, die rotes Haar hatte, standen im Begriffe, sich zu verheiraten, und niemand war gekommen, um sich Blanche Amory zu holen!
»Sie urteilen klug über die Welt und über Ihre eigene Stellung in derselben, mein liebes Fräulein Blanche,« sagte der Major. »Der Prinz heiratet heutzutage, wie Sie sagen, überhaupt nicht, es wäre denn, die Prinzessin hätte ein höllisches Geld oder wäre eine Dame von seinem eigenen Range. – Die jungen Leute in den großen Familien heiraten in die großen Familien hinein; wenn sie kein Geld haben, so haben sie ihre gegenseitigen Schultern, um sich in der Welt in die Höhe zu bringen, was ziemlich ebensogut ist. – Ein Mädchen mit Ihrem Vermögen kann kaum auf eine große Partie hoffen, aber ein Mädchen mit Ihrem Genie und Ihrem bewunderungswürdigen Takte und feinen Benehmen, mit einem geistvollen Gemahl an ihrer 399 Seite, kann sich selbst jedweden Platz in der Welt schaffen. – Wir sind höllisch republikanisch geworden. Talent steht jetzt, bei Gott, in einem Range mit Geburt und Reichtum, und ein geistvoller Mann mit einer geistreichen Frau können jede Stellung einnehmen, die ihnen beliebt.«
Fräulein Amory verstand natürlich nicht im geringsten, was Major Pendennis meinte. Vielleicht dachte sie über die Umstände in ihrem Gemüt nach und fragte sich, ob er ein Werber für einen ihrer früheren Freier wäre und wohl Pen meinen konnte? Nein, das war unmöglich – er war höflich, aber nichts weiter gewesen. – So sagte sie denn lachend: »Wer ist denn dieser geistreiche Mann und wann werden Sie ihn mir bringen, Major Pendennis? Ich sterbe vor Begierde, ihn zu sehen.«
In diesem Augenblick öffnete ein Diener die Tür und meldete Herrn Harry Foker an, bei dessen Namen und der Erscheinung unseres Freundes beide, die Dame sowohl wie der Herr, mit lautem Lachen herausplatzten.
»Das ist der Mann nicht,« versetzte Major Pendennis. »Er ist mit seiner Kusine verlobt, Lord Gravesands Tochter. – Leben Sie wohl, mein liebes Fräulein Amory.«
War Pen im Begriffe, zum Weltmenschen zu werden, und darf denn nicht jemand Erfahrungen in der Welt machen und sie zum Betrag dessen, was ihm gehört, legen? Er seinesteils fühlte, wie er sagte, daß er sehr schnell altere. »Wie diese Stadt uns umbildet und ändert!« sagte er einmal zu Warrington. Jeder 400 war von seinem nächtlichen Vergnügen nach Hause gekommen, und Pen schmauchte seine Pfeife und erzählte nach seiner Gewohnheit seinem Freunde, was er an dem soeben vergangenen Abende für Beobachtungen gemacht und Abenteuer erlebt hatte. »Wie ich mich aus dem einfältigen Jungen zu Fairoaks, der fähig war, sein Herz zu brechen wegen seiner ersten Liebe, verwandelt habe!« sagte er. »Lady Mirabel hatte großen Empfangstag heute abend und war so ernst und gesammelt, als ob sie eine geborene Herzogin gewesen wäre und nie in ihrem Leben eine Theaterversenkung gesehen hätte. Sie gab mir die Ehre, sich mit mir zu unterhalten und stellte mich recht freundlich und gönnerhaft als den Verfasser von ›Walter Lorraine‹ vor.«
»Welche Herablassung!« warf Warrington ein.
»Nicht wahr?« sagte Pen einfach, worauf der andere seiner Gewohnheit gemäß in ein Gelächter ausbrach. »Ist es möglich, daß alle Welt daran denken kann, den hervorragenden Autor des ›Walter Lorraine‹ zu begönnern?«
»Du lachst uns beide aus,« sagte Pen, indem er ein wenig rot wurde, »ich war im Begriff, selbst darauf zu kommen. Sie sagte mir, daß sie das Buch nicht gelesen hätte (wie sie meines Glaubens auch wirklich nie ein Buch in ihrem Leben gelesen hat), aber daß Lady Rockminster es gelesen und daß die Herzogin von Connaught es sehr geistreich genannt hätte. In diesem Falle, versetzte ich, würde ich glücklich sterben, denn diesen beiden Damen zu gefallen, wäre in der Tat das einzige Streben meines Daseins und wenn ich ihre Billigung besäße, so brauchte ich mich natürlich nach 401 keiner anderen umsehen. Lady Mirabel sah mich feierlich an mit ihren schönen Augen und sagte: ›O, in der Tat‹; gerade als ob sie mich verstände. Und dann fragte sie mich, ob ich zu den Donnerstagsgesellschaften der Herzogin ginge und als ich Nein sagte, hoffte sie, mich dort zu sehen und ich müßte es versuchen, dorthin zu kommen; jedermann ginge dorthin, jedermann, der zur Gesellschaft gehörte; und dann redeten wir von dem neuen Gesandten von Timbuktu und daß er besser als der alte wäre, und wie Lady Mary Billington im Begriffe wäre, einen Geistlichen tief unter ihrem Range zu heiraten, und daß Lord und Lady Ringdove drei Monate nach ihrer Heirat miteinander zerfallen wären wegen Tom Ponters von den Blauen, Lady Ringdoves Vetter u. s. f. Von dem würdigen Auftreten dieser Frau würdest du geglaubt haben, sie wäre in einem Palaste geboren und hätte ihr ganzes Leben in Belgrave Square verlebt.«
»Und du spieltest vermutlich deine Rolle im Gespräche ziemlich gut als der Abkömmling des Earls, deines Vaters, und der Erbe von Fairoaks Castle?« sagte Warrington. »Ja, ich erinnere mich, von den Festlichkeiten gelesen zu haben, die stattfanden, als du mündig wurdest. Die Gräfin gab dem benachbarten Adel eine glänzende Theesoiree, und die Vasallenschaft wurde in der Küche mit einer Hammelkeule und einem Quart Ale regaliert. Die Reste des Banketts wurden unter die Armen des Dorfes verteilt, und der Eingang zum Parke war illuminiert, bis der alte John das Licht auslöschte, um sich zu seiner gewohnten Stunde zur Ruhe zu begeben.« 402
»Meine Mutter ist keine Gräfin,« sagte Pen, »obwohl sie sehr gutes Blut in ihren Adern hat – obwohl sie dem Mittelstande angehört, habe ich doch nie eine Peersgattin getroffen, die mehr als ihr gleich gewesen wäre, Georg, und wenn du mal nach Fairoaks Castle kommen willst, so kannst du ja selbst über sie und auch über meine Kusine urteilen. Sie sind nicht so witzig als die Londoner Weiber, aber sicherlich ebenso gebildet. Die Gedanken der Frauen auf dem Lande sind auf andere Gegenstände gerichtet als auf die, welche eure Londoner Damen beschäftigen. Auf dem Lande hat jede Frau ihren Haushalt und ihre Armen, ihre langen stillen Tage und ihre langen stillen Abende.«
»Verteufelt lang,« sagte Warrington, »und ein gutes Teil zu still; ich habe sie gekostet.«
»Die Eintönigkeit eines solchen Lebens muß bis zu einem gewissen Grade melancholisch sein – gleich der Weise einer langen Ballade; und seine Harmonie ernst und mild, traurig und zärtlich; es würde sonst unerträglich sein. Die Einsamkeit der Frauen auf dem Lande macht sie notwendigerweise sanft und empfindsam. Indem sie ein Leben stiller Pflichterfüllung, steten Einerleis, mystischer Träumerei führen, – eine Art Nonnen in der großen Welt – würde zuviel Heiterkeit oder Gelächter ein Mißton in ihrer fast heiligen Stille und ebensowenig am Orte sein, wie in einer Kirche.«
»Wo du über der Predigt einschläfst,« sagte Warrington.
»Du bist eingestandenermaßen ein Weiberfeind und hassest das Geschlecht bloß, weil du so wenig von ihnen 403 weißt,« fuhr Herr Pen mit einer Miene beträchtlich starker Selbstgefälligkeit fort. »Wenn du die Weiber auf dem Lande nicht leiden kannst, weil sie zu langsam sind, so sollte dir doch wirklich das Londoner Weibsvolk schnell genug sein. Der Schritt des Londoner Lebens ist ungeheuer schnell, ich begreife nicht, wie die Leute – Männer und Weiber – es dabei aushalten. Nimm so ein Frauenzimmer der großen Welt, folge ihrem Laufe die Saison hindurch; man fragt sich, wie sie es aushalten kann? Oder ob sie am Ende des August in Schlaf fällt und bis zum Frühjahr steif und starr daliegt? Sie geht jeden Abend in die Welt und sitzt da und bewacht ihre heiratsfähigen Töchter beim Tanze bis lange nach Einbruch der Morgendämmerung. Sie hat höchstwahrscheinlich eine Kinderstube voll kleiner Kinder zu Hause, die sie durch ihr Beispiel und ihre Liebe unterweist; indem sie ebenso ein Auge auf Brot und Milch, Katechismus, Musik und Französisch und eine gebratene Schöpsenkeule um ein Uhr gerichtet hält, hat sie zugleich bei Damen von ihrem eigenen Stande entweder bloß häuslich oder in ihrem öffentlichen Charakter vorzusprechen, indem sie in Armenverpflegungskomitees oder Ballkomitees oder Auswanderungskomitees oder Queens-College-Komitees sitzt und wer weiß was sonst noch für Pflichten britischer Staatsfrauen erfüllt. Sie hält höchstwahrscheinlich eine Liste über Armenbesuche, hat Besprechungen mit den Geistlichen über Suppe und Flanell oder passende religiöse Belehrung für die Armen und geht (wenn sie in gewissen Bezirken wohnt) wahrscheinlich regelmäßig in die Kirche. Sie hat Zeitungen zu lesen und muß zum 404 mindesten wissen, was die Partei ihres Gatten unternimmt, sodaß sie imstande ist, zu ihrem Nachbar bei Tische darüber zu sprechen, und es ist eine Tatsache, daß sie jedes neue Buch, das herauskommt, liest; denn sie kann über sie alle sehr nett und gut schwatzen, und du siehst sie alle auf ihrem Tische im Besuchszimmer liegen. Sie hat außerdem die Sorgen ihres Haushaltes, um mit ihrem Gelde auszukommen; sie muß sehen, daß die Rechnungen der Putzmacherin der Töchter dem Vater und Zahlmeister der Familie nicht zu schrecklich erscheinen, hier und da insgeheim einen kleinen Extraausgabeposten abschnippsen und ihn in Gestalt einer Banknote den Jungen auf der Universität oder auf der See schicken, die Anmaßungen der Handwerksleute und die finanziellen Praktiken der Haushälterin abweisen, den höheren und niederen Dienstboten wehren, daß sie einander in die Haare geraten, und das Haus in Ordnung halten. Rechne dazu noch, daß sie eine geheime Vorliebe für diese oder jene Kunst oder Wissenschaft hat, daß sie in Gips modelliert, chemische Experimente macht oder im Privatkreise auf dem Violoncell spielt, – und ich sage, ohne Uebertreibung, daß dies viele Londoner Damen tun, – und siehe, da hast du einen Typus vor dir, von dem unsere Väter nie hörten, der ganz und gar unserer Zeit und Zivilisationsperiode angehört. Ihr Götter! wie reißend schnell wir leben und fortwachsen! In neun Monaten zieht Herr Paxton eine Ananas so groß wie einen Mantelsack, während in alter Zeit eine kleine, nicht größer als ein holländischer Käse, drei Jahre brauchte, um ihre Mündigkeit zu erlangen; und wie die Rasse der Ananas, so ist auch die 405 der Menschen. Hoiaper – was ist doch gleich das griechische Wort für Ananas, Warrington?«
»Halt ein, um der himmlischen Barmherzigkeit willen, bleib bei dem Englischen, ehe du in das Griechische gerätst,« schrie Warrington lachend. »Ich hörte dich nie solch lange Rede halten, wußte auch nicht, daß du so tief in die weiblichen Geheimnisse eingedrungen wärest. Wer lehrte dich nur dieses alles, und in wessen Boudoirs und Kinderstuben hast du nur geguckt, während ich meine Pfeife rauchte und auf meinem Strohsacke mein Buch las?«
»Du stehst am Ufer, alter Junge, zufrieden die vor dem Winde sich herumwerfenden Wogen und die Kämpfe anderer auf der See zu beobachten,« sagte Pen. »Ich bin jetzt mitten im Strome, und, beim Zeus, es gefällt mir. Wie schnell wir ihn hinabfahren, he? – stark und schwach, alt und jung – die metallenen Krüge und die irdenen Krüge – das hübsche kleine Porzellanboot schwimmt lustig fort, bis das große von geschmiedetem Erze daranstößt und es versinken läßt – eh, vogue la galère! – du siehst einen Mann bei der Wettfahrt untersinken und sagst ihm lebewohl – sieh, er ist dem anderen bloß zwischen den Beinen durchgetaucht, kommt in die Höhe, schüttelt seine Stange und rudert ihm so flott wie je voraus. Eh, vogue la galère, sage ich. Es ist ein hübscher Spaß, Warrington – nicht bloß des Gewinnes, sondern auch des Spieles wegen.
»Nun, darauf los und gewinnen, junger Mensch. Ich will dabeisitzen und das Spiel beobachten,« sagte Warrington, der dem kühnen jungen Burschen mit fast väterlichem Wohlgefallen zusah. »Ein großmütiger 406 Bursche spielt des Spieles wegen, ein schmutziger wegen des Gewinnes, und ein alter Bummler sitzt dabei und schmaucht die Pfeife der Seelenruhe, während Jack und Tom sich im Ringe mit den Fäusten bearbeiten.«
»Warum kommst du nicht mit hinein, Georg, und machst einen Gang mit den Boxerhandschuhen? Du bist stämmig und stark genug,« meinte Pen. »Lieber alter Junge, du bist zehn solcher wie ich wert.«
»Du bist allerdings nicht ganz so lang wie Goliath,« entgegnete der andere mit einem Gelächter, welches rauh, aber doch zärtlich war. »Und was mich betrifft, so bin ich unfähig dazu geworden. Ich kriegte einen fatalen Schmiß im früheren Leben. Ich werde dir es einmal erzählen. Du könntest doch auch deine Meister treffen. Sei nicht zu hitzig oder zu zuversichtlich oder zu weltlich, mein Junge.«
Wurde denn Pendennis weltlich oder sah er bloß die Welt oder war beides der Fall? Und hat ein Mann so unrecht, wenn er am Ende nur ein Mann ist? Wer ist der vernünftigste und erfüllt seine Pflicht am besten, der, welcher erhaben über dem Kampfe des Lebens steht und ihm in ruhiger Beschaulichkeit zusieht, oder der, welcher auf den Boden herabsteigt und teilnimmt am Streite? »Jener Philosoph,« sagte Pen, »hatte eine solche Stelle unter den Leitern der Welt eingenommen und in voller Ausdehnung genossen, was sie an Ehren und Reichtümern, Ruhm und Vergnügen zu bieten hatte, und mit müder Seele kommt er aus ihr und sagt, daß alles Eitelkeit und Seelenqual sei. Mancher Lehrer von denen, die wir verehren und der aus seiner Kutsche zu seinem geschnitzten Pult in der Kathedrale 407 hinausschreitet, schüttelt seine Priesterärmel über dem Samtkissen und schreit in die Gemeinde hinaus, daß der ganze Kampf ein verfluchter und das Dichten und Trachten der Welt vom Uebel sei. Mancher vom Gewissen gequälte Mystiker flieht ganz aus ihr und verriegelt sich in Klostermauern (wirkliche oder geistige), von wo er nur nach dem Himmel heraufblicken und das Jenseits betrachten kann, außer dem keine Ruhe und kein Gutes ist.
»Aber die Erde, auf der unsere Füße sind, ist das Werk derselben Macht, wie die unermeßliche Bläue droben, in der die Zukunft liegt, in die wir hineinspähen möchten. Wer wies Arbeit als Bedingung des Lebens an, Müdigkeit, Krankheit, Armut, Mißlingen, Erfolg – diesem Mann einen Platz allen voran, dem anderen ein namenloses Ringen mit der großen Masse – jenem einen schmählichen Untergang oder ein gelähmtes Glied oder ein plötzliches Unglück – jedem irgendeine Arbeit auf der Erde, auf der er steht, bis er unter sie gelegt ist?«
Während sie noch sprachen, begann die Morgendämmerung durch die Fenster des Zimmers zu scheinen, und Pen stieß sie auf, um die frische Morgenluft hereinzulassen. »Sieh, Georg,« sagte er, »sieh hin und sieh die Sonne aufgehen; sie erblickt den Ackersmann auf seinem Wege ins Feld, das Nähermädchen, wie es seine ärmliche Nadel einfädelt, den Advokaten vielleicht an seinem Pulte, die Schönheit, wie sie im Schlafe auf ihrem Daunenpfühl lächelt, oder den ermatteten Nachtschwärmer, der ins Bett taumelt, oder den fiebernden Kranken, der sich auf ihm 408 herumwälzt, oder den Arzt, der die Wehen der Mutter bei dem Kinde überwacht, das zur Welt geboren werden soll, geboren werden und seinen Teil an den Leiden und Kämpfen, den Tränen und dem Lachen, dem Verbrechen, den Gewissensbissen, der Liebe, der Torheit, dem Kummer und der Ruhe nehmen soll.«