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Mitten in seinen Träumereien und Belustigungen sah Pen, so bescheiden dieselben und so mäßig die Kosten und die Art und Weise derselben auch waren, ein furchtbares Schwert über sich hängen, das über kurz oder lang herunterfallen und seinen fröhlichen Gelagen und Festen ein Ende machen mußte. Sein Geld war beinahe ganz vertan. Sein Eintrittsgeld im Klub hatte den dritten Teil davon hinweggenommen. Er hatte die hauptsächlichsten Möbelstücke bezahlt, mit denen er sein kleines Schlafzimmer ausgestattet hatte, kurz, er war zu der letzten Fünfpfundnote in seinem Taschenbuche gelangt und vermochte keine Methode ausfindig zu machen, ihr eine Nachfolgerin zu verschaffen, denn unser Freund war bisher wie ein junger Prinz aufgezogen worden oder wie ein Kind, das man auf den Armen trägt und das von seiner Mutter gefüttert wird, wenn es schreit.
Warrington wußte nicht, was die Mittel seines Kameraden waren. Ein einziges Kind, mit einer Mutter auf ihrem Landsitz lebend, und einem alten Stutzer von Onkel, der alle Tage mit großen Herren speiste, konnte Pen nach allem, was jener wußte, vielleicht ein großes Vermögen zur Verfügung haben. Er hatte goldene Ketten und ein Toilettennecessaire, das für einen Lord gut genug gewesen wäre. Seine Gewohnheiten waren die eines Aristokraten – nicht, daß er auf irgendeine 133 besondere Sache viel Geld verwendet hätte, denn er speiste fröhlich und vollkommen zufrieden und mit gutem Appetit bei einer Kanne Porter und einem Teller Rinderbraten aus der Garküche des Koches; aber er konnte sich nicht an die Art und Weise gewöhnen, den Pfennig umzudrehen. Er konnte einem Kellner nicht zwei Pence als Trinkgeld geben, er konnte sich's nicht versagen, einen Fiaker zu nehmen, wenn er Lust dazu hatte oder wenn es regnete, und so gewiß er dann einen Fiaker nahm, bezahlte er auch dem Kutscher zuviel. Er hatte einen Abscheu vor gewaschenen Handschuhen und ähnlichen kleinen Ersparnissen. Wäre er erzogen worden, um jährlich zehntausend Pfund zu vertun, so hätte er kaum unbekümmerter mit dem Gelde umspringen können, und wenn er einen Bettler sah, der eine traurige Geschichte herbetete, oder ein paar ziemlich jämmerlich aussehende Kinder, so konnte er nie widerstehen, die Hand in die Tasche zu stecken. Er war vielleicht eine verschwenderische Natur, die nicht dazu gebracht werden konnte, auf das Geld zu achten; eine natürliche Großmut und Güte und möglicherweise eine kleinliche Eitelkeit, die nach Lob verlangte, und sei es auch nur das Lob von Kellnern und Kutschern. Ich zweifle, ob die Klügsten von uns wissen, was unsere wirklichen Beweggründe sind, und ob uns nicht manche der Handlungen, auf die wir am allerstolzesten sind, in Erstaunen setzen würde, wenn wir sie, wie wir später tun werden, bis auf ihren Ursprung verfolgten.
Warrington also wußte nichts von Pens Geldverhältnissen, und Pen hatte es nicht für passend gefunden, dieselben seinem Freunde anzuvertrauen. Daß Pen im 134 Kollegiat in Saus und Braus das Geld zum Fenster hinausgeworfen hatte, wußte jener; jeder im Kolleg lebte in toller Verschwendung. Aber wie groß die Ausgaben des Sohnes und wie gering der Mutter Mittel gewesen, waren Punkte, die bis jetzt Herrn Warringtons Prüfung noch nicht unterworfen gewesen.
Endlich kam jedoch die Geschichte heraus, während Pen ingrimmig das auf seine letzte Fünfpfundnote im Gasthofe herausbekommene Geld anblickte, das auf dem Tablett neben Herrn Warringtons Alekrug lag.
»Das ist die letzte Rose des Sommers,« sagte Pen; »ihre blühenden Gefährtinnen sind schon lange verschwunden, und siehe, auch die letzte des Gewindes hat ihre Blätter bereits verstreut;« und er erzählte Warrington die ganze Geschichte, die wir schon wissen, von seiner Mutter Mitteln, von seinen eigenen Torheiten, von Lauras Großmut, während welcher Zeit Warrington seine Pfeife rauchte und aufmerksam zuhörte.
»Geldmangel wird dir gut tun,« sagte Pens Freund, indem er am Ende der Erzählung die Asche aus seiner Pfeife klopfte, »ich wüßte nichts Gesünderes für einen Mann – für einen anständigen Mann, versteh mich recht – für einen anderen verliert die Medizin ihre Wirkung – als einen Zustand, wo der Beutel leer ist. Es ist ein Mittel, das die Kräfte anspannt; es hält unsere sittlichen Menschen in einer fortwährenden Erregung, wie jemand, der auf einen Zaun lossprengt oder seines Gegners Rappier auf sich gerichtet sieht, gezwungen ist, diesem Hindernisse fest ins Gesicht zu blicken, oder seine Nerven anspannt, um es zurückzuschlagen oder zu bewältigen, so kehrt ein bißchen 135 Not dein Geschick hervor, wenn du überhaupt welches hast, und kräftigt dich, mit dem Schicksale zu ringen. Du wirst entdecken, wieviele Dinge du entbehren kannst, wenn du kein Geld hast, sie dir zu kaufen. Du brauchst dann keine neuen Handschuhe und Lackstiefel, kein Eau de Cologne und keinen Wagen mehr, um darin zu fahren. Du bist als ein Muttersöhnchen auferzogen worden, Pen, die Weiber haben dich verdorben. Ein unverheirateter Mann, der Gesundheit und Verstand besitzt und sein Fortkommen in der Welt nicht zu finden vermag, verdient nicht, daß er überhaupt lebt. Mag er seinen letzten halben Penny weggeben und von der Waterloobrücke ins Wasser springen. Mag er eine Hammelkeule stehlen und transportiert werden, damit er aus dem Lande wegkommt – er ist nicht gemacht, darin zu leben. Dixi, ich habe gesprochen. Nun noch einen Schluck helles Ale.«
»Du hast gesprochen, gewiß; aber wie soll's einer machen, daß er zu leben hat?« fragte Pen. »Es gibt Rindfleisch und Brot genug in England, aber man muß dafür mit Arbeit oder Geld bezahlen. Und wer wird meine Arbeit annehmen? Und was für Arbeit kann ich überhaupt machen?«
Warrington brach in ein Gelächter aus. »Nimm an,« sagte er, »wir setzen in die ›Times‹ ein, daß wir eine Unterlehrerstelle an einer Gelehrten- oder Handelsschule suchen. – Ein Herr, B. A. vom St. Bonifazkollegium zu Oxbridge, der beim Examen durchgefallen ist –«
»Hol dich der Henker,« rief Pen.
»– wünscht in klassischen Sprachen, in der 136 Mathematik und in den Anfangsgründen der französischen Sprache Stunden zu geben; er versteht sich aufs Haarschneiden, ist mit der Pflege der jüngeren Zöglinge vertraut und kann den Töchtern des Prinzipals auf dem Piano sekundieren. Adressen A. P. Lamb Court, Temple.«
»Weiter,« sagte Pen grollend.
»Die Leute ergreifen allerhand Professionen. Ei, da ist z. B. dein junger Freund Blonndell. – Blonndell ist ein professionierter Gauner und bereist den Kontinent, wo er junge Herrchen von guter Familie aufliest und rupft. Da ist ferner Bob O'Toole, mit dem ich auf der Schule war, der jetzt die Briefpost von Ballynafad fährt und des ehrlichen Jack Finucanes Korrespondenz nach dieser Stadt schafft. Ich kenne sodann einen Mann, ebenfalls eines Doktors Sohn, wie – na, sei nicht böse, ich wollte dich damit nicht beleidigen, – der also Sohn eines Doktors ist, der hier die Spitäler besuchte und sich mit seinem Direktor wegen finanzieller Fragen zankte, und was tat der, als er an seine letzte Fünfpfundnote kam? Er ließ seinen Schnurrbart wachsen, ging in eine Provinzialstadt, wo er sich als Professor Spineto, Hühneraugenoperateur des Kaisers aller Reußen ankündigte, sich durch eine glückliche Operation an dem Herausgeber einer Grafschaftszeitung eine Praxis schuf und drei Jahre lang anständig lebte. Er hat sich mit seiner Familie ausgesöhnt und ist Nachfolger bei den Salbentöpfen seines Vater geworden.«
»Zum Henker mit ihnen!« schrie Pen. »Ich kann keine Kutsche fahren, keine Leichdornen schneiden oder 137 beim Kartenspiel betrügen. Gibt's nichts weiter, was du mir sonst vorschlagen könntest?«
»Ja, etwas, was unserer Stellung angemessen ist,« sagte Warrington. »Siehst du, jedermann hat seine Geheimnisse. Ehe du mir die Geschichte von deinen Geldverhältnissen erzähltest, hatte ich keine andere Idee, als daß du ein Mann von Vermögen wärst, denn bei deiner verdammt vornehmen Miene und deinem Auftreten würde dich jedermann dafür halten. Nach dem, was du mir vom Einkommen deiner Mutter erzählt hast, ist es klar, daß du nicht mehr Hand daran legen darfst. Du kannst nicht mehr fortfahren, die Weiber auszusaugen. Du mußt dieses Teufelsmädel bezahlen. Laura heißt sie? – Hier, auf Lauras Gesundheit! – und lieber einen Lehmkübel getragen, als von Hause noch einen Schilling verlangt.«
»Aber wie einen verdienen?« fragte Pen.
»Wovon lebe ich denn, deiner Meinung nach?« fragte der andere. »Von dem, was mir mein jüngerer Bruder zukommen läßt etwa, Pendennis? Ja, ja, mein Junge, auch ich habe meine Geheimnisse,« und hier nahm Warringtons Gesicht einen düstern Ausdruck an. »Ich schaffte mir dieses Gnadengeld vor etwa fünf Jahren vom Halse; hätte ich es mir ein bißchen eher vom Halse geschafft, so würde es besser gewesen sein. Ich habe seitdem stets von meinem Eigenen gelebt. Ich brauche nicht viel Geld. Wenn mein Beutel leer ist, so arbeite ich und fülle ihn, und dann lieg' ich wieder träge wie eine Schlange oder wie ein Indianer, bis ich das Ganze verdaut habe. Sieh, ich beginne mich leer zu fühlen,« sagte Warrington und zeigte Pen eine lange magere 138 Börse, die nur an dem einen Ende noch ein paar Sovereigns enthielt.
»Aber auf welche Weise füllst du sie?« fragte Pen.
»Ich schriftstellere,« sagte Warrington. »Ich binde es aber nicht allen Leuten auf die Nase, daß ich's tue,« fügte er mit einem Erröten hinzu. »Ich mag nicht, daß darüber hin und her geredet wird, oder vielleicht bin ich ein Esel und wünsche nicht, daß es heißt, George Warrington schreibe ums liebe Brot. Aber ich schreibe in den juristischen Monatsschriften, sieh hier, diese Aufsätze sind von mir.« Und er wendete einige Bogen um. »Ich schreibe dann und wann für eine Zeitung, von der ein Freund von mir der Herausgeber ist.« Und als Warrington eines Tages mit Pendennis in den Klub ging, rief er nach einem Hefte der ›Morgendämmerung‹ und zeigte mit dem Finger stillschweigend auf ein paar Artikel, die Pen mit Bewunderung las. Er hatte später keine Schwierigkeit, den Stil herauszufinden – die starken Gedanken und kurzen Perioden, das Gefühl, die Satire und die Gelehrsamkeit.
»Ich kann es damit nicht aufnehmen,« sagte Pen mit unverstelltem Staunen vor den Fähigkeiten seines Freundes. »Ich verstehe sehr wenig von Politik oder Geschichte, Warrington, und bin in der Literatur nur sehr wenig sattelfest. Ich kann nicht mit solchen Flügeln fliegen, wie du.«
»Aber du kannst mit deinen eigenen fliegen, mein Junge, was leichter ist und vielleicht höher trägt,« sagte der andere gutmütig. »Jene kleinen Gedankenspäne und Verse, die ich von dir gesehen habe, zeigen mir, was in diesen Tagen selten ist, eine natürliche Begabung. Du 139 brauchst nicht rot zu werden, du eitler junger Affe. Du selber hast schon zehn ganze Jahre lang so gedacht. Du hast die heilige Flamme – etwas wirkliches dichterisches Feuer in dir, wie mir's vorkommt, und alle unsere Oellampen sind, und wären sie auch noch so schön aufgeputzt, damit verglichen nichts. Du bist ein Poet, Pen, mein Junge,« und mit diesen Worten streckte Warrington Pen seine große Hand entgegen und gab Pen einen Klapps auf die Schulter.
Arthur war so entzückt, daß ihm die Tränen in die Augen kamen. »Wie freundlich du gegen mich bist, Warrington!« sagte er.
»Ich habe dich lieb, alter Junge,« entgegnete jener. »Ich fühlte mich höllisch allein auf meiner Bude und brauchte jemand, und der Anblick deines ehrlichen Gesichtes gefiel mir irgendwie. Mir sagte die Art zu, wie du über Lowton lachtest – jenen armen guten kleinen Snob. Und, kurz und gut, ich kann nicht sagen, warum – aber es ist mal so, junges Bürschchen. Ich stehe allein in der Welt, und ich brauchte jemand zu meinem Gesellschafter;« und ein Blick außerordentlicher Güte und Traurigkeit trat in Warringtons dunkle Augen.
Pen war in zu angenehmen eigenen Gedanken, um die Traurigkeit des ihn bekomplimentierenden Freundes zu bemerken. »Ich danke dir, Warrington,« sagte er, »ich danke dir für deine Freundschaft gegen mich, und – und was du von mir gesagt hast. Ja, ich habe es oft gedacht, ich sei ein Poet. Ich will einer sein – ich glaube, daß ich einer bin, da du es sagst, wenn es auch die Welt nicht anerkennt. Ist es – ist es vielleicht die Ariadne auf Naxos, die dir gefiel (ich war erst 140 achtzehn Jahre alt, als ich sie schrieb) oder das Preisgedicht?«
Warrington brach in ein tolles Gelächter aus. »Ei, du junger Schafskopf,« prustete er hervor, »von all dem erbärmlichen elenden Schunde, den ich je zu lesen versuchte, ist die Ariadne auf Naxos das Ledernste und Geschmackloseste. Das Preisgedicht ist so bombastisch und dabei so schwächlich, daß ich wahrhaftig erstaunt bin, daß es nicht die Medaille bekommen hat. Du bildest dir doch nicht etwa ein, daß du im Ernste ein Dichter bist und auf dem Sprunge stehst, Milton und Aeschylus auszustechen? Willst du etwa den Pinder spielen, du dummes Blaumeislein, und meinst du etwa, dir sei die Kraft der Flügel des thebanischen Aars gegeben, der mit erhabener Herrlichkeit durch die Azurgefilde der Luft dahinsegelt? Nein, mein Junge, ich denke, du kannst einen Artikel für ein Magazin schreiben und ein paar ziemlich hübsche Verse machen; das ist's, was ich von dir denke.«
»Bei Gott!« sagte Pen, feuerrot werdend und mit dem Fuße stampfend, »ich werde dir zeigen, daß ich was besseres leisten kann, als du meinst.« Warrington lachte nur noch mehr und blies vierundzwanzigmal schnell den Rauch aus seiner Pfeife als Antwort für Pen.
Es dauerte nicht sehr lange, bis sich eine Gelegenheit für Pen zeigte, sein Geschick an den Tag zu legen. Jener weitberühmte Verlagsbuchhändler, Herr Bacon (früher Bacon und Bungey) in Paternoster Row, der außerdem Eigentümer der ›juristischen Monatsschrift‹, für die Herr Warrington schrieb, und anderer Zeitschriften von Ruf und Geltung war, pflegte die Welt alle 141 Jahre mit einem schön vergoldeten Buche, genannt ›Frühlingsjahrbuch‹, zu beschenken, das von der Lady Violet Lebes herausgegeben wurde und unter seinen Mitarbeitern nicht nur die bedeutendsten, sondern auch die vornehmsten Poeten unserer Zeit hatte. Des jungen Lord Dodo Gedichte erschienen zuerst in dieser Sammlung – der ehrenwerte Percy Popjoy, dessen ritterliche Balladen ihm solch einen Ruf verschafft haben – Bedwin Sands' »Oestliche Ghaselen« und viele andere Werke des jungen englischen Adels wurden der Welt im »Frühlingsjahrbuche« zuerst vorgeführt, das seitdem das Schicksal aller übrigen Blüten des Lenzes geteilt hat und aus der Welt verschwunden ist. Das Buch war prachtvoll mit Porträts regierender Schönheiten und anderen Kupfern zärtlicher oder wollüstiger Art illustriert, und da diese Platten lange Zeit zum Stich erforderten und deshalb schon längst im Voraus vorbereitet wurden, so waren es die hervorragenden Dichter, die zu den Platten schreiben mußten, und nicht die Maler, die die Gedichte illustrierten.
Eines Tages, als dieses Bändchen grade ausgegeben werden sollte, sprach Herr Warrington zufällig in Paternoster Row vor, um mit Herrn Hack, Herrn Bacons Manuskriptprüfer und Generalgeschäftsführer in allen Verlagsartikeln, zu sprechen – denn Herr Bacon, der nicht die Spur von Geschmack in Poesie oder irgendeinem Literaturzweige besaß, benutzte klugerweise die Dienste eines Herrn vom Berufe dafür. Warrington also, der in eigenen Geschäften in Herrn Hacks Zimmer ging, traf diesen Herrn mit einer Anzahl für gut 142 befundener Platten und Druckbogen des ›Frühlingsjahrbuchs« vor sich und warf auf einige derselben einen Blick.
Percy Popjoy hatte einige Verse geschrieben, um eins der Bilder zu erklären, das ›die Kirchenpforte‹ betitelt war. Ein spanisches Mädchen eilte mit einem großen Gebetbuch zur Kirche, ein junger Mensch, in einen Mantel verhüllt, beobachtete, in eine Nische versteckt, das junge Frauenzimmer. Das Bild war hübsch, aber der große Genius von Percy Popjoy hatte ihn diesmal im Stiche gelassen, denn er hatte die abscheulichsten Verse gemacht, die je ein junger Edelmann zustande brachte.
Warrington brach in ein Gelächter aus, als er das Gedicht las, und Herr Hack lachte ebenfalls, aber mit ziemlich besorgtem Gesichte. »Es wird nicht gehen,« meinte er, »das Publikum wird das nicht annehmen. Bungays Leute stehen im Begriffe, ein sehr gutes Buch herauszugeben, und haben Fräulein Bunion gegen Lady Violet aufgestellt. Wir haben allerdings die meisten Titel, aber die Verse sind zu schlecht. Lady Violet selbst gesteht das zu; sie ist mit ihrem eigenen Gedichte beschäftigt, was ist da zu machen? Wir können die Platte nicht verlieren. Der Prinzipal hat sechzig Pfund dafür gegeben!«
»Ich kenne einen jungen Menschen, der, glaube ich, einige Verse machen würde,« sagte Warrington. »Lassen Sie mich die Platte in der Tasche mit nach Hause nehmen, und schicken Sie am nächsten Morgen nach den Versen in meine Wohnung. Sie bezahlen natürlich gut?«
»Natürlich,« sagte Herr Hack, und Warrington, der sein eigenes Geschäft erledigt hatte, ging mit der Platte 143 in der Hand nach Hause zu Herrn Pen.
»Na, Junge, hier ist was für dich. Mache mir hierzu ein paar Verse.«
»Was ist das? Eine Kirchentür, eine Dame, die darin eintritt, und ein junger Mensch, der sie aus dem Fenster eines Weinhauses anäugt. – Was der Teufel hab' ich damit zu tun?«
»Versuch's,« entgegnete Warrington. »Verdiene dir einmal dein Brot damit, du, der du dich so sehr darnach sehnst.«
»Gut, ich werde es versuchen,« sagte Pen.
»Und ich werde zum Essen ausgehen,« antwortete Warrington und verließ Herrn Pen in tiefem Studieren.
Als Warrington diese Nacht zu sehr später Stunde nach Hause kam, waren die Verse fertig. »Da sind sie,« sagte Pen. »Ich habe sie endlich herausgequetscht. Ich denke, sie werden gehen.«
»Ich denke das auch,« versetzte Warrington, nachdem er sie gelesen hatte; sie lauteten wie folgt:
An der Kirchenpforte.
Tret' ich auch nimmermehr
Ein mit der Beter Heer,
Mich zu erquicken,
Schweif ich doch hier herum,
Sehnend und bangend stumm,
Sie zu erblicken.
Oben die Glocke klang,
Durch das Getös' sie drang
Rufend die Frommen;
Und wenn ihr Ton verhallt, 144
Der Orgel Klang erschallt –
Jetzt wird sie kommen.
Endlich – wie sanft und mild,
Züchtig, der Demut Bild,
Seh' ich sie schweben,
Nahen, enteilen nun,
Mög' bei all ihrem Tun
Gott sie umgeben!
Knie, du Heil'ge mein,
Bete im Frieden dein,
Lohn wird dem Glauben;
Nie dring ich ein zu dir,
Nie soll ein Blick von mir
Dir Andacht rauben.
Eines nur bitt' ich dich:
Laß an der Pforte mich
Träumend hier sinnen,
Wie's Ausgestoßne bannt
Zum Paradiesesland,
Die Sel'gen drinnen.
»Hast du noch was von der Sorte, junger Mensch?« fragte Warrington. »Wir müssen's fertig bringen, daß sie uns ein paar Guineen für die Seite geben, und wenn die Verse Gnade finden, ei nun, so wirst du Zutritt zu Bacons Magazin erhalten und einen hübschen Haufen Geld verdienen.«
Pen durchsuchte seine Mappe und fand noch eine Ballade, die, wie er meinte, im ›Frühlingsjahrbuche‹ mit Erfolg figurieren könnte, und indem er diese beiden kostbaren Dokumente Warrington zustellte, wandelte das 145 Paar vom Tempel nach dem berühmten Sitz der Musen und ihrer Meister Paternoster Row zu. Bacons Laden war ein altmodisches finsteres Gebäude mit ein paar von der Firma veröffentlichten Büchern in den Schaufenstern unter einer Büste Mylord Verulams, und dem Namen Herrn Bacons auf einem Messingschilde an der Tür der Privatwohnung. Gerade gegenüber von Bacons Hause war das von Herrn Bungay, das erst neu angestrichen und sorgfältig im Stile des siebzehnten Jahrhunderts verziert war, so daß man sich recht wohl hätte vorstellen können, der stattliche Herr Evelyn gehe über diese Schwelle aus und ein oder der neugierige Herr Pepys examiniere die Bücher im Ladenfenster. Warrington ging in den Laden von Herrn Bacon, aber Pen blieb draußen. Es war abgemacht, daß sein Gesandter alles für ihn abschließen sollte, und der junge Mensch schritt die Straße in sehr aufgeregtem Zustande auf und ab, bis er das Resultat der Unterhandlung erfahren würde. Mancher arme Teufel vor ihm hat diese Steine betreten mit ähnlichen Sorgen und Befürchtungen, die ihn verfolgten, dessen Brot und Ruf auch von dem Urteilsspruche seiner großmütigen Gönner auf der Paternoster Row abhing. Pen besah sich alle Schaufenster und die wunderbare Mannigfaltigkeit von Erzeugnissen der Literatur, die sie ausstellten. In diesem waren Bände, gedruckt mit gotischen Buchstaben, und Bücher mit den klaren bleichen Typen von Aldus und Elzevir ausgestellt; im nächsten konnte man erblicken: ›Das Pfennigregister von Schauertaten‹, die ›Hellerannalen des Verbrechens‹, und die ›Geschichte der berühmtesten Mordtaten aller Länder‹, ›das 146 Schurkenmagazin‹, ›der Hauptmucker‹ und andere Veröffentlichungen der Pfennigpresse, während im nächsten Fenster Porträts mißgestalteter Individuen mit Faksimiles der verehrungswürdigen Unterschriften Seiner Ehrwürden Herrn Grimes Wapshot und Seiner Ehrwürden Herrn Elias Howle nebst ihren Werken und Predigten dem Britischen Sektierer den Weg zu seinem geistigen Heile zeigten. Dicht daneben war ein kleines Kästchen, behangen mit Emblemen, Medaillen und Rosenkränzen, mit kleinen abscheulich gezeichneten, vergoldeten und gemalten Heiligenbildern und Büchern mit theologischen Streitschriften, aus denen die treuen Gläubigen römischer Konfession lernen sollten, wie man die Protestanten kurz und erbaulich abweise, zu einem Penny das Stück oder neun Pence das Dutzend für Wiederverkäufer, während man im allernächsten Fenster wieder lesen konnte: »Kommt fort von Rom«, eine bei der Eröffnung von Shepherds Bushkollegium von John Thomas, Lordbischof von Ealing, gehaltene Predigt. Kaum eine Meinung gibt es, die nicht ihren Aussteller und einen Ort der Ausstellung in diesem friedlichen alten Paternoster Row im Bereich der Glocken von St. Paul hätte.
Pen blickte in alle Fenster und Läden hinein, wie ein Mann, der den Zahnarzt aufsuchen muß, die Bücher auf dem Tische im Wartezimmer besieht. Er erinnerte sich ihrer später. Es schien ihm, als ob Warrington gar nicht wieder herauskäme, und in der Tat hatte der letztere eine Zeitlang zu tun, um die Angelegenheit seines Freundes zu einem guten Ende zu bringen. 147
Pens natürlicher Hochmut würde ins Unendliche gestiegen sein, wenn er nur die Schilderung gehört hätte, die Warrington von ihm gab. Es traf sich, daß Herr Bacon selbst Gelegenheit nahm, in Herrn Hacks Zimmer hinunterzukommen, während Warrington dort redete; und da Warrington Bacons schwache Seiten kannte, so berücksichtigte er diese und verhielt sich mit großer Verschlagenheit zugunsten seines Freundes. Erstens setzte er, um mit Bacon zu sprechen, seinen Hut auf und redete ihn von dem Tische aus an, wo er selbst saß. Bacon hatte es gern, wenn ihn ein vornehmer Mann rauh behandelte, und pflegte es auf seine Untergebenen weiter zu übertragen, wie Knaben ein Zeichen weitergeben. »Was! Herrn Pendennis nicht kennen, Herr Bacon?« sagte Warrington. »Sie können nicht viel in der Welt leben, sonst müßten Sie ihn kennen. Ein Mann von Landbesitz im Westen, aus einer der ältesten Familien Englands, mit dem halben Adel des Königreiches verwandt – er ist ein Vetter von Lord Pontypool – war einer der ausgezeichnetsten Oxbridgeianer, speist jede Woche in Gaunt House.«
»Ei du mein Himmel, was Sie nicht sagen, Herr. Nun wirklich – ei du mein Himmel,« rief Herr Bacon.
»Ich habe Herrn Hack eben etliche von seinen Versen vorgelesen, die er auf mein Bitten vorige Nacht geschrieben hat, und Hack spricht davon, ihm ein Exemplar von dem Buche – dem – wie heißt es doch gleich? – zu geben.«
»Ei du mein Himmel, sagt er das? Das – wie heißt es doch gleich? Ei, ei!« 148
»Das ›Frühlingsjahrbuch‹ heißt's – als Zahlung für diese Verse. Sie meinen aber doch nicht, daß solcher Mann wie Herr Arthur Pendennis ein Diner in Gaunt House für nichts aufgibt? Sie wissen so gut wie irgendeiner, daß vornehme Leute auch bezahlt sein wollen.«
»Ja, das wollen sie, Herr Warrington,« sagte der Buchhändler.
»Ich sage Ihnen, er ist ein Stern und wird sich einen Namen schaffen, Herr Bacon. Er ist der kommende Mann.«
»Man hat das von so vielen dieser jungen Herrchen gesagt, Herr Warrington,« warf der Buchhändler mit einem Seufzer ein. »Da war der Lord Viscount Dodo jetzt, ich gab Sr. Lordschaft ein hübsches Stück Geld für seine Gedichte und verkaufte nur achtzig Exemplare. Herrn Popjoys Hadgincourt, mein Herr, fiel elend durch.«
»Nun, dann werde ich meinen Mann zu Bungay hinüberführen,« sagte Warrington, indem er vom Tische aufstand. Diese Drohung war zu entsetzlich für Bacon, der nun augenblicklich bereit war, auf jeden annehmbaren Vorschlag Herrn Warringtons einzugehen, und schließlich seinen Geschäftsleiter fragte, welcher Art diese Vorschläge wären. Als er hörte, daß sich die Unterhandlung bis jetzt nur um ein paar Balladen drehte, die Herr Warrington für das »Frühlingsjahrbuch« anbot, sagte Herr Bacon: »Ei, mein Himmel, so geben Sie ihm doch sofort eine Anweisung«; und mit diesem Papier ging Warrington zu seinem Freunde hinaus und steckte es ihm 149 lächelnd in die Hand. Pen war so glücklich, als ob ihm jemand ein Vermögen hinterlassen hätte. Er bot Warrington sofort ein Essen in Richmond an. Was sollte er für Laura und seine Mutter kaufen? Er mußte irgend etwas für sie kaufen.
»Sie werden das Buch lieber als alles andere haben,« sagte Warrington, »mit dem Namen ihres Jungen unter den Versen, unter all den vornehmen Herrchen gedruckt.«
»Gott sei Dank, Gott sei Dank!« schrie Arthur, »ich brauche meiner alten Mutter nicht zur Last zu liegen. Ich kann Laura jetzt bezahlen. Ich kann mir selbst meinen Lebensunterhalt verdienen. Ich kann selbst meinen Weg machen.«
»Ich kann des Großveziers Tochter heiraten, kann ein Haus in Belgrave Square kaufen, kann ein schönes Schloß in die Luft bauen,« sagte Warrington, dem des anderen Jubel Spaß machte. »Na, du kannst dir vielleicht Butter und Käse verdienen, Pen, und ich gestehe, es schmeckt gut, das Brot, das man sich selbst verdient.«
Sie hatten auf Pens Kosten an diesem Tage bei Tische einen tüchtigen Tropfen Claret. Es war lange Zeit her, daß er sich einer solchen Verschwendung hingegeben, aber Warrington wollte ihm die Laune nicht verderben, und so tranken sie zusammen auf das Wohl des »Frühlingsjahrbuchs«.
»Es regnet niemals, sondern es gießt,« wie es im Sprichworte heißt; und so stellte sich sehr bald eine andere Gelegenheit ein, die Pen in seinem Plane, sich seinen Lebensunterhalt zu erwerben, unterstützte. 150 Warrington warf ihm eines Tages einen Brief über den Tisch herüber, den ein Druckerjunge gebracht hatte, »von Kapitän Shandon, Herr« – wie der kleine Bote sagte, worauf er hinausgegangen und auf seiner gewohnten Bank im Gange eingeschlafen war. Er stattete in der Folgezeit manchen Besuch dort ab und brachte Pen manche Botschaft.
»F. P. Dienstag morgens.
Mein lieber Herr!
Bungay wird heute wegen der »Pall Mall Gazette« kommen. Sie würden der rechte Mann sein, uns mit einem echten Westendartikel auszuhelfen, – Sie verstehen – brillant, schneidig, und vert – vornehm. Lady Hipshaw wird Mitarbeiterin, aber es ist nicht viel los mit ihr, wie Sie wissen, und wir haben außerdem zwei Lords; aber je weniger die tun, desto besser. Wir müssen Sie haben. Wir werden Ihnen geben, was Sie verlangen, und wir werden die »Gazette« auf die Beine bringen. Soll Bungay Ihnen seinen Besuch abstatten, oder können Sie hier bei mir vorsprechen?
Stets der Ihrige
C. S.«
»Wieder was Neues zum Tort getan,« sagte Warrington, als Pen das Billet gelesen hatte. »Bungay und Bacon liegen einander in den Haaren; jeder von beiden heiratete die Schwester des anderen, und sie waren eine Zeitlang die innigsten Freunde und Kompagnons. Hack sagt, es wäre Madame Bungay 151 gewesen, die den ganzen Zank zwischen ihnen hervorgerufen, wogegen Shandon, der viel für Bungay arbeitet, sagt, daß Madame Bacon alle Schuld trage; aber ich weiß nicht, wer recht hat, ob Hinz oder Kunz. Seit sie sich getrennt haben, wütet ein schrecklicher Krieg zwischen den beiden Buchhändlern, und kaum hat einer eine Reisebeschreibung oder ein Gedicht oder ein Magazin oder eine Zeitschrift, vierteljährlich, monatlich, wöchentlich oder jährlich, oder ein Jahrbuch herausgebracht, gleich ist der Konkurrent mit etwas Aehnlichem im Felde. Ich habe den armen Shandon mit großer Seelenfreude erzählen hören, wie er Bungay veranlaßte, all den Schriftstellern, die für ihn arbeiten, ein großes Diner in Blackwall zu geben, bloß dadurch, daß er ihm sagte, Bacon hätte sein Korps zu einem Festessen in Greenwich eingeladen. Als Bungay deinen berühmten Freund, Herrn Wagg, engagierte, um die ›Londoner‹ zu redigieren, stürzte Bacon spornstreichs zu Herrn Grindle und versicherte sich seiner, daß er dem ›Westminster Magazin‹ seinen Namen liehe. Als Bacon seine komische irische Novelle ›Barney Brallagan‹ herausgebracht hatte, fuhr Bungay fix nach Dublin und brachte seine lustige hibernische Erzählung ›Looney Mac Twolter‹ zum Vorschein. Als Doktor Hicks unter Bacons Auspizien seine ›Wanderungen in Mesopotamien‹ herausgab, war Bungay im Augenblick mit Professor Sadimans ›Forschungen in der Sahara‹ da, und Bungay gibt seine ›Pall Mall Gazette‹ nur als Gegenstück zu Bacons ›Whitehall Revue‹ heraus. Laß uns nun aber gehen und wegen der ›Gazette‹ hören. Möglich, 152 daß in ihr ein Platz für dich ist, Pen, mein Junge. Wir wollen Shandon besuchen gehen. Wir treffen ihn sicher zu Hause.«
»Wo wohnt er?« fragte Pen.
»Im Fleet Prison,« antwortete Warrington. »Und wahrhaftig, er ist dort sehr zu Hause. Er ist der König des Platzes.«
Pen hatte diesen Schauplatz des Londoner Lebens noch nie gesehen und schritt mit nicht geringem Interesse durch die finstere Pforte dieses unheilvollen Gebäudes. Sie gingen durch das Vorzimmer, wo die Beamten und Türhüter des Ortes saßen, und indem sie durch das Pförtchen gingen, traten sie in das Innere des Gefängnisses. Der Lärm und das Getümmel, das Leben und Schreien, das ärmliche Leben und Treiben des Platzes verwunderten und erregten Pen. Die Leute bewegten sich unaufhörlich und ruhelos, gleich Tieren in Menageriekäfigen. Einige spielten Karten; andere schritten und trampelten umher, dort hielt einer ein Zwiegespräch mit seinem Advokaten in schäbigem schwarzen Anzuge – hier wandelte einer traurig hin und her, mit seiner Frau an seiner Seite und einem Kinde auf dem Arm. Einige trugen zerrissene Schlafröcke und hatten ein Aussehen bettelhafter Vornehmheit. Jeder schien geschäftig zu sein, hin- und herzusummen und zu schwirren. Pen war zumute, als ob er einen Stoß an dem Orte bekäme, und als ob man ihn, sobald die Tür hinter ihm geschlossen wäre, nie wieder herauslassen würde. Sie gingen durch einen Hof, eine Steintreppe hinauf und durch Gänge voll Leute und Lärm und grelle Lichter 153 und klappende und kreischende schwarze Türen; Pen hatte das Gefühl, als ob er in einem fieberhaften Morgentraum läge. Endlich sagte derselbe kleine Laufjunge, der Shandons Billet gebracht hatte, den beiden Herren, Aepfel kauend, die Fleet Street entlang gefolgt war und ihnen den Weg durch das Gefängnis gewiesen hatte: »Das da ist die Türe des Kapitäns,« und Herrn Shandons Stimme von innen hieß sie hereinkommen.
Das Zimmer sah wohl öde, aber nicht traurig aus. Die Sonne schien ins Fenster, an dem bei der Arbeit eine Dame saß, die einst heiter und schön gewesen sein mußte, in deren verblühtem Gesicht aber noch immer Güte und Zärtlichkeit strahlten. Trotz all seiner Verirrungen und seiner leichtsinnigen Unfälle und Mißgeschicke betete dies treue Geschöpf doch noch immer ihren Gatten an und hielt ihn für den besten und klügsten Mann in der Welt, wie er tatsächlich auch einer der gutherzigsten Menschen war. Nichts schien ja die Ruhe seines Gemüts zu stören, keine Schulden, keine Manichäer, kein Elend, keine Flasche, kein Unglück seines Weibes oder die kümmerlichen Aussichten seiner Kinder. Er liebte Frau und Kinder nach seiner Art vollkommen, er hatte immer die freundlichsten Worte und das freundlichste Lächeln für sie und ruinierte sie durch die äußerste Charakterschwäche. Er konnte weder sich noch irgendeinem andern je ein Vergnügen versagen, wozu sein Geld ausreichte; er pflegte seine letzte Guinee mit Krethi und Plethi zu teilen, und wir können sicher sein, daß er einen wahren Schweif von solchen Anhängern um 154 sich hatte. Er pflegte seinen Namen hinten auf aller anderen Leute Wechsel zu schreiben, aber nie seine eigenen Schulden zu bezahlen. Er pflegte für beide Seiten zu schreiben und sich selbst oder jemand anders mit gleicher Unbekümmertheit anzugreifen. Er war einer der witzigsten, liebenswürdigsten und unverbesserlichsten Irländer. Jeder mußte Charley Shandon lieben, auch wenn er ihn nur einmal gesehen hatte, und selbst die, welche er ruinierte, konnten ihm kaum böse sein.
Als Pen und Warrington ankamen, saß der Kapitän (er hatte einst in einem irischen Milizregimente gestanden, und der Titel war ihm geblieben) in einem zerrissenen Schlafrocke auf seinem Bette, hatte auf seinen Knien ein Schreibpult, auf dem er so schnell kritzelte, als seine eilige Feder nur schreiben wollte. Blättchen auf Blättchen fiel noch naß von dem Pulte auf den Boden. Ein Bild seiner Kinder hing über seinem Bette, und sein Jüngstes trippelte in der Stube herum.
Dem Kapitän gegenüber saß Herr Bungay, ein behäbiger Mann von einfältigem Gesichtsausdrucke, mit dem das kleine Kind eine Unterhaltung anzufangen versucht hatte.
»Papa ein sehr kluger Mann,« sagte sie, »Mama sagt so.«
»O, sehr klug,« antwortete Herr Bungay.
»Und Sie ein sehr reicher Mann, Herr Bundy,« rief das Kind, welches kaum deutlich sprechen konnte.
»Mary!« sagte die Mama von ihrer Arbeit aus.
»Oh, lassen Sie sie nur,« lachte Bungay 155 geräuschvoll; »schadet nichts, wenn sie sagt, daß ich reich bin – hi, hi – ich stehe mich wirklich ziemlich gut, mein kleines Herzchen.«
»Wenn Sie reich sind, warum nehmen Sie Papa nicht aus dem Gefängnis?« fragte das Kind.
Bei diesen Worten begann Mama bei der Arbeit, mit der sie beschäftigt war, ihre Augen zu wischen. (Die arme Dame hatte im Zimmer Vorhänge aufgesteckt, das Bild der Kinder dorthin gebracht und es dort hingehängt sowie noch ein paar andere Versuche gemacht, das Zimmer auszuschmücken.) Mama fing zu weinen an, Herr Bungay wurde rot und schaute wild aus seinen blutunterlaufenen kleinen Augen, Shandons Feder flog weiter, und Pen und Warrington kamen und pochten an.
Kapitän Shandon sah von seiner Arbeit auf. »Wie geht's Ihnen, Herr Warrington?« fragte er. »Ich stehe im Augenblick zu Ihren Diensten. Bitte setzen Sie sich, meine Herren, wenn Sie Platz finden können,« und wieder flog die Feder weiter.
Warrington zog einen alten Koffer herbei, den einzig brauchbaren Sitz, und setzte sich mit einer Verbeugung vor Frau Shandon und einem Kopfnicken zu Bungay auf diese Sitzgelegenheit; das Kind kam und sah Pen mit großen Augen an; in ein paar Minuten hörte das schnelle Kritzeln auf, und Shandon bückte sich, nachdem er das Pult auf das Bett geklappt, und las die Papierblätter auf.
»Ich glaube, das wird gehen,« sagte er. »Es ist der Prospekt zur ›Pall Mall Gazette‹.«
»Und hier ist das Geld dafür,« sagte Herr 156 Bungay, indem er eine Fünfpfundnote auf den Tisch legte. »Ich halte, was ich sage, ja, das tue ich. Wenn ich sage, ich bezahle, so bezahle ich.«
»Auf Ehre, das ist mehr als einer von uns sagen kann,« antwortete Shandon und steckte hastig die Note in seine Tasche.