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Von der Ungeduld.

Wenn man vom Warten spricht, kommt man an diesen beiden nicht vorbei: der Geduld und der Ungeduld.

Die christliche und die heidnische Sittenlehre zählen die Geduld zu den höchsten Tugenden einer geläuterten Persönlichkeit. Sie verstehen darunter in der Hauptsache die Geduld im Leiden und die Geduld im Umgang mit den Menschen. Und soweit sich das Warten auf einen Schmerz, auf eine lebenswichtige Entscheidung bezieht, ist Geduld die größte Hilfe und der Ausdruck einer in sich gefestigten Persönlichkeit. Sie führt zu einer schönen, sichern Ruhe dem Kommenden gegenüber. Sie macht den Blick fest und das Herz stark, und bewahrt vor dem haltlosen Hin- und Herschwanken der Seele, die, dadurch geschwächt, dann leicht am Anprall der Ereignisse zusammenbricht.

Auch in den kleinen Dingen des Wartens ist Geduld eine große Weisheit, zu der man sich wohl erziehen kann. Was nützt es auch, ungeduldig zu sein! Man kommt der Entscheidung, der Erfüllung damit um keinen Schritt näher. Man wird unfähig zu jedem andern vernünftigen Tun und Denken, womit man die Zeit des Wartens viel besser und nutzbringender ausfüllen könnte, als eben durch Ungeduld. Man zerstört sich die Stimmung und andern die Gemütlichkeit. Ungeduld hat immer schlechte Laune im Gefolge. Es kommt auch in den meisten Fällen nicht so sehr darauf an, ob das Erwartete ein paar Stunden, Tage oder Wochen früher oder später eintritt, ob die Unsicherheit ein wenig länger dauert. Es kann uns eine Sache, auf die wir warten, sehr am Herzen liegen, ohne doch eigentlich wichtig zu sein. Es hängt oft nicht so viel davon ab, ob wir die Antwort auf einen Brief heute oder in einer Woche bekommen; ob uns der Handwerker den ihm zur Ausbesserung übergebenen Gegenstand in diesem oder im nächsten Monat fertig zustellt; ob der Gast, den wir erwarten, der Zug, den wir benutzen wollen, sich eine Stunde verspätet. In solchen und tausend andern kleinen Dingen ist es einfach Sache der Vernunft und des Willens, sich zur Ruhe, zur Geduld zu zwingen.

Freilich kann auch in kleinen Gelegenheiten viel vom Zeitpunkt der Erfüllung – von der Minute abhängen. Der Kranke, der Verwundete, der Verunglückte kann sterben, wenn der Arzt nicht schnell kommt. Eine wichtige Reise kann ihren Zweck verfehlen, wenn sie nicht pünktlich angetreten werden kann. Ein Unternehmen kann mißglücken, wenn die erwartete Nachricht ausbleibt. Die Ernte kann verderben, wenn nicht rechtzeitig der erwartete Regen oder Sonnenschein kommt.

Die Worte: »Jetzt – oder nie« – das viel traurigere Wort »zu spät!« sind wie Grabsteine am Ende eines Wartens, dessen rechtzeitige Erfüllung ausblieb.

Aber was nützt Ungeduld auch in solchen Fällen? Sie verschärft die Qual und verwirrt das Gemüt, und ist ganz unvereinbar mit jeder vernünftigen Überlegung.

Geduld in solchen Fällen ist nicht zu verwechseln mit Gleichgültigkeit, der die innere Anteilnahme fehlt, die es gehen läßt wie es eben geht und nichts dazu tut, daß es schneller geht. Aber Ungeduld allein schafft es nie.

Geduld ist nicht Untätigkeit, sondern Ruhe in allem Tun. Ungeduld verliert die Richtung in zwecklosem Hin- und Herhasten. Geduld steuert mit Ruhe und Umsicht dem Ziele zu.

Ungeduld ist Knospenfrevel. Nicht nur, wo sie das Erschließen einer Blüte nicht erwarten kann, sondern in jedem Falle, wo sie den Erfolg einer Mühe, die Entwicklung eines außerhalb des Willens liegenden Geschehens durch verwitziges Eingreifen, durch gewaltsames Erzwingen beschleunigen möchte. Manch einer hat schon aus Ungeduld verdorben, was er nicht abwarten konnte, und aufgegeben, was ihm zu lange dauerte. Und andrerseits hat manch einer durch Geduld herangewartet, was unerreichbar schien.

Beide, Geduld und Ungeduld, wachsen an sich selbst. Geduld wird zu einem schönen Frieden, und Ungeduld steigert sich zur Raserei, zu einem ganz und gar trostlosen Zustand, der die Freude an der Erfüllung zu einem galligen: »na endlich« herabzudrücken imstande ist.

Ich will aber nicht zu hart verfahren mit der Ungeduld.

Es gibt ein Warten, zu dem die Ungeduld gehört, wie der Duft zur Blüte, wie die Sonne zum Sommertag. Es gibt eine Ungeduld, die zum Warten gehört, wie der Herzschlag zum Leben, wie die Perle zum Schaumwein.

Das ist das Warten auf eine große, gewisse Freude. Das ist die Ungeduld, die Vorfreude ist.

Einem Schmerz, einer großen Entscheidung, einem gleichgültigen Alltagsgeschehen mögen wir mit stiller Fassung, mit ruhiger Festigkeit, mit vernünftiger Selbstbeherrschung entgegenwarten.

Einer gewissen Freude dürfen wir gern mit schnellen Füßen entgegenlaufen.

Vorfreude ohne ein wenig Ungeduld ist gar keine rechte Vorfreude.

Denke an die Kinder am Weihnachtsabend. Wärst du zufrieden, wenn sie »geduldig« warteten? Ist nicht gerade die jubelnde Ungeduld, mit der sie »es gar nicht erwarten können«, das Schönste an jedem Weihnachtsfest mit Kindern?

Ich bin ganz überzeugt, daß Gott, wenn er dir eine große Freude in erwartungsvolle Aussicht gestellt hat, gern ein wenig Ungeduld bei dir sehen möchte.

Aber jubelnde Ungeduld muß es sein!

Dem Schmerz, der Ungewißheit, dem Unangenehmen gegenüber ist es nicht nur weise, sondern sittlich, die Gefühle zu meistern; denn Gram, Zweifel, Verdrossenheit sind zerstörende Gefühle, und das Leben soll nicht zerstörend, sondern aufbauend wirken.

Der Freude gegenüber aber laß deinen Gefühlen freien Lauf, denn Freude ist eine aufbauende Kraft, und etwas so Schönes, Belebendes, Erhebendes und Stärkendes für den Menschen, daß er sich ihr gar nicht genug hingeben kann.

Der Mensch neigt ohnehin dazu, den Schwerpunkt seines Denkens und Fühlens auf die traurigen Dinge des Lebens zu legen. Mit Recht, aber leider mit wenig Erfolg, mahnt Angelus Silesius:

»Wenn du Gott wolltest Dank für jede Wohltat sagen,
Du fändest gar nicht Zeit, noch über Leid zu klagen.«

Du sollst dir deine Schmerzen, deine Nöte nicht aus dem Sinn schlagen, sollst durchaus nicht gleichgültig oder leichtfertig ihnen gegenüber sein. Du sollst sie verarbeiten, gründlich und tief, aber du sollst sie meistern, beherrschen. Denn wenn sie dich beherrschen, vernichten sie dich.

Einer großen und echten Freude aber darfst du getrost die Herrschaft über dich überlassen, dich ihr ganz öffnen und hingeben. Denn wenn sie dich beherrscht, macht sie dich hell und froh, zieht dich aus dem Schatten, reißt dich aus Abgründen.

Die Bibel sagt: Freuet Euch allewege – ohne Einschränkung. Aber für den Schmerz hat sie eine Einschränkung: Seid geduldig in Trübsal.

Diese Verschiedenheit hat ihre tiefe sittliche Begründung.

Und so ist die freudige Ungeduld die einzige unter allen Arten von Ungeduld, die nicht schädlich, sondern nützlich ist; die das Warten zum Glück macht, statt zur Qual; die alle hellen und frohen Instinkte der Seele steigert – wie nötig ist das der Seele, die sich hinnieden mit so viel entmutigenden und umdüsternden Nöten abquälen muß – und die darum eine sittliche Berechtigung hat.

Aber wohlverstanden: wirklich freudige, jubelnde Ungeduld muß es sein!

Solche Ungeduld macht die Augen hell und das Herz froh, lockt Lieder auf die Lippen und Lachen ins Antlitz. Von solcher freudigen Ungeduld wird die ganze Umgebung angesteckt, daß sie sich mitfreut, oder anfängt nachzudenken, ob nicht auch in ihrem Leben, in ihrer Zukunft etwas liege, das solcher freudigen Aufregung wert sei.

Aufregen – das heißt auf-regen – ein Regen aller guten, hellen, freien und frohen Herzenskräfte.

Zur rechten Zeit die Geduld, und zur rechten Zeit die Ungeduld. Das fortwährende stoische Gleichmaß der Gefühle wirkt ertötend, und aus allzu überlegener Höhe betrachtet, verschwimmen die kleinen Höhen und Tiefen, Lichter und Dunkelheiten der Täler, – gerade das, was ihren Reiz ausmacht und den Weg, den wir alle wandern müssen, abwechslungsvoll gestaltet – zu dem langweiligen Vernunftprinzip einer Landkarte. Man kann nicht immer auf der Höhe bleiben – das sind Feiertage des Lebens. Das eigentliche Leben wird in den Tälern gelebt. In den Tälern mit ihrer Arbeit und ihrer Mühe, ihrem bergauf und bergab, ihren Gewitterstürmen und Wildwassern, ihrer heißen Sonne und ihrem frühen Schatten. Die freudige Ungeduld aber im Erwarten der Tage, die Höhenlage unsres Lebens sein sollen, macht uns die Füße leicht zum Wandern und die Hände freudig zum Schaffen. Die Flügel solcher freudigen Ungeduld tragen die Seele über alle Hindernisse hinweg, die zwischen Verheißung und Erfüllung liegen – über alle die vielen großen und kleinen Geduldproben, die das Warten uns stellt.

Einmal im Jahre, im Hochsommer, weiß ich, wird die Sehnsucht meines ganzen Menschen nach Ruhe und Freiheit Erfüllung finden in den irdischen Höhen des Hochgebirges. Ich habe keinen Grund, an der Erfüllung zu zweifeln. Nach menschlichem Ermessen ist sie mir sicher. Im Januar schon fängt meine Ungeduld an. Ich kann es wirklich »gar nicht mehr erwarten«. Ich habe noch nie gemerkt, daß solche Ungeduld mich verdrossen oder mißmutig gemacht hätte. Das fortwährende ungeduldige Vorwärtsschauen, das »den Ereignissen entgegenlaufen« des ganzen inwendigen Menschen hat eine vorauswirkende Kraft. Ich nehme die ganze Freude vorweg mit meiner Ungeduld, und doch war die Freude durch solches Vorwegnehmen noch niemals geringer geworden, wenn sie sich über mich ergoß. Ich bin gewiß, ich würde gar nicht so viel Segen haben von dieser Freude, sie gar nicht so bis ins Kleinste und Größte zu genießen fähig sein, wenn nicht diese freudige Ungeduld ihr die tiefsten Falten und Winkel meiner Seele erschlossen hätte.

Dies ist nur ein einfaches, alltägliches Beispiel. Ich glaube, daß jeder Mensch solche Beispiele und Beweise in seinem persönlichen Leben finden könnte, wenn er suchte und finden wollte!


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