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Vom tätigen Warten.

Wir alle warten auf bessere Zeiten.

Glaubt aber irgendeiner im Ernst, daß diese besseren Zeiten kommen werden durch solch untätiges, wenn auch noch so sehnsüchtiges Warten?

Die Theosophen sagen: wenn wir unsre sehnenden Gedanken konsequent und mit aller Kraft auf das Ersehnte richten, so kommt es.

Ich kann die Richtigkeit dieser Behauptung nur anerkennen, wenn ich den Worten einen tieferen Sinn unterschiebe.

Eine Sehnsucht, die so groß, ein Warten, das so intensiv ist, das unsre Gedankenkräfte so ausfüllt, daß sie sich immer nur auf das eine Ziel konzentrieren, ein Gefühl, das unsren innern Menschen so durchdringt, daß er von diesem Gefühl ganz beherrscht wird – solche Sehnsucht, solch Gefühl kann nicht latente Kraft bleiben. Es drängt zur Tat.

Tat gewordene Sehnsucht, Tat gewordenes Gefühl, tätiges Warten allein kann dem Ziele näher bringen, kann das Ersehnte erzwingen.

Wohl mag es starke Geister und große Seelen geben, deren Gedankenkraft, ins Übersinnliche gesteigert, das Schicksal heranrufen oder abwenden hilft. Der gläubige Christ nennt das Gebetskraft. Aber nie wird solche Kraft allein die Welt regieren. Dem Denken muß das Tun zu Hilfe kommen. Bete und arbeite, steht im Buch der Bücher.

Durch »Warten« allein werden niemals bessere Zeiten kommen.

Wenn der Landmann auf eine gute Ernte wartet – ja, wartet, denn Wachsen und Gedeihen liegt nicht in seiner Hand – so tut er das nicht, indem er müßig steht, nach dem Himmel sieht, ob zur rechten Zeit Regen und Sonnenschein kommt, und nach den Feldern, ob es dort schnell genug wächst, blüht und reift. Auch faltet er nicht nur die Hände und denkt: Gott wird's schon machen.

Sondern sein Warten ist Arbeit, und seine Arbeit ist Warten – Pflegen. Dem Unkraut und dem Ungeziefer wehren, den Boden lockern, das Schwache stärken durch nachträgliches Düngen. Und alles instandsetzen, damit die Ernte ihn bereit finde.

Sage nicht: Ich kann nichts tun, damit bessere Zeiten kommen. Ich stehe nicht im öffentlichen Leben, habe keine Begabung, bin noch zu jung, bin nur eine Frau – nur ein Kind. Es gibt keinen Stand und keinen Beruf, kein Alter und kein Geschlecht, keinen Ort und keine Zeit, wo du nicht zu den besseren Zeiten mithelfen kannst.

Sage nicht: ob ich etwas tue, darauf kann es nicht ankommen. Viele müssen etwas tun, die Masse muß es schaffen.

Wo sollen denn die vielen und die Masse herkommen, wenn der einzelne nicht anfängt?

Sage nicht: dieser einzelne muß ein ganz Großer, Kluger und Starker sein, der die Massen mitreißt. Und so einer bin ich nicht.

Die Lawine, die Wälder entwurzelt und Täler verschüttet und mit ihrem Donner die Lüfte erfüllt, war auch nicht von Anfang an eine Lawine, sondern eine winzige, federleichte Schneeflocke.

Dem ganz Großen, der vielleicht einmal kommen wird, muß der Boden bereitet werden, damit die Saat, die er ausstreut, Nahrung und Wachstum findet.

Wem es gegeben ist, große Taten zu tun, der braucht ja nicht warten, denn in dessen Hand ist die Erfüllung gegeben. Wer aber verurteilt ist, abseits von der Heerstraße großer Taten auf die Erfüllung zu warten, der kann sie heranwarten durch kleine Tätigkeit.

Tue deine Pflicht gegen die Allgemeinheit, gegen das deutsche Volk, an dem Platz, an den das Leben dich gestellt hat. Jeder hat doch irgendeinen Platz im Leben, und sei es auch nur eine Schulbank, oder ein stilles Altweiberstübchen, oder ein Schmerzenslager im Krankenhaus, oder ein Kontorschemel, oder ein Bauernhof, oder der Sitz hinter dem Schanktisch, oder die Kinderstube, oder die Arbeitsstelle.

Denke überhaupt erst einmal dem nach, was »Pflicht gegen die Allgemeinheit« ist. Schon solch Nachdenken ist eine Tätigkeit, die der Mühe wert ist. Wartezeiten sind zum Nachdenken besonders geeignet.

Und wenn es wirklich gar keinen Menschen gibt, den du als Helfer zu einer besseren Zeit gewinnen, gar keine Sache, auf die du einen fördernden Einfluß ausüben kannst – nun, so fange bei dir selber an. Das ist vielleicht das allernötigste, die Vorbedingung überhaupt für eine Tätigkeit nach außen. Und das kannst du. Erziehe dich selbst zu einem Menschen, wie die »bessere Zeit« ihn braucht, zu einem wahren, klaren, starken und mutigen Menschen, zu einem Menschen der an das Gute glaubt und darum das Gute will; der aller Gemeinheit, allem Eigennutz, aller hoffnungslosen Bitterkeit, aller selbstischen Leichtfertigkeit absagt. Wenn jeder das täte, dann hätten wir ganz von selbst die »bessere Zeit«. Wenn einige wenige es tun, so wirkt diese Tätigkeit, die sich zunächst nur auf das Ich bezieht, und das Ich bessert, wohl auf andre durch gutes Beispiel, beschämend, ermunternd. Und einer zieht den andern nach sich.

Das Gute kommt immer von den wenigen. Aber aus den wenigen werden viele.

Nicht jeder kann daherbrausen wie ein Gewittersturm, der die Luft reinigt. Aber auch das sanfte Wehen eines stillen und steten Geistes hat eine große Macht. Eine sanfte Macht, die harte Eiskrusten zernagt, und aus dürrem Erdreich zarte Blumen hervorlockt – bis ein neuer Frühling die alte Welt verjüngt, und dem Großen, auf den wir warten, die Wege gangbar macht.

Wie oft hört man jetzt sagen von den Guten – von denen, die sich dafür halten: es ist schrecklich, zum untätigen Warten und Zusehen verdammt zu sein.

Jedermann hat es in der Hand, ob sein Warten nur untätiges Zusehen sein soll. Aber wenn wir alle nur untätig zusehen, dann sind wir alle verdammt, im wahren Sinne des Wortes. Zum Untergang verdammt.

Halte dich nicht für so unwichtig, daß du nichts sein, und nicht für so schwach, daß du nichts tun könntest. In einer großen Kette ist jedes einzelne Glied wichtig, und in einem großen Volk ist jeder einzelne Mensch wichtig. Und wenn du auch nur einen einzigen Menschen, wenn du auch nur dich selbst zu einem Mitbringer und Mitträger besserer Zeit erziehst und gewinnst, so ist dein Warten nicht untätig und zwecklos.

Untätiges Warten auf eine bessere Zeit macht ungeduldig, mürrisch und verbittert, und verschlechtert die Zeit, und erreicht das Gegenteil von dem, was es erwartet; ist Hoffnungslosigkeit, Unglaube, Gleichgültigkeit oder Faulheit.

Wer mit ganzer Seele, mit sehnendem Herzen, mit starker Liebe wartet, der hofft, der glaubt, der begeistert sich, der rührt sich. Und so ist die Art, wie du wartest, der Prüfstein für die Gesinnung, mit der du wartest.

Es wäre ja sehr einfach und sehr bequem, nur zu warten, und das Vollbringen andern zu überlassen. Wenn aber jeder so denkt, vollbringt keiner etwas.

Stille sein im Warten, und stark sein. Stark ist aber nicht die Schnecke, die sich still in ihr Haus verkriecht, sondern die Knospe, die Blüte treibt und Frucht bringt.

Tätiges Warten auf bessere Zeiten – sei es für das ganze Volk oder für den einzelnen Menschen – ist nicht marktschreierisches Getue und großes Gebaren, nicht Rütteln an Mauern und Schwimmen gegen Brandung – sondern stilles, unscheinbares, emsiges Tun – ein In-die-Hand-Arbeiten der Macht des Guten.

Tue du das deine – dann tut Gott das seine.

Warten ist Sehnsucht. Laß die Sehnsucht, die Sucht, das Suchen, so inbrünstig und stark sein, daß sie die Untätigkeit gar nicht mehr aushält. Dann wirst du ganz von selber wissen, was du zu tun hast.


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