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Vom fröhlichen Warten.

Ich warte auf das Leben.

Um mich herum ist die junge Frau, aus deren Schoß das Leben zum Licht der Welt erwachen soll.

Alles ist vorbereitet. Das Bettchen ist frisch bezogen und wartet mit. All die notwendigen und überflüssigen Kleinigkeiten, mit denen ein kleiner Erdenbürger empfangen wird, stehen und liegen bereit, und warten mit. Der Ehemann wartet, und die Mutter der jungen Frau wartet, und alle Angehörigen und guten Freunde warten mit. Das Hauswesen ist bestellt und geordnet, daß es seine fürsorgende Herrin eine Weile entbehren kann.

Aber das neue Leben kommt nicht. Es ist eigensinnig, oder neckisch. Es will sich durch menschliche Berechnung nicht zwingen lassen. Wenn es erst eingetreten ist in diese Welt, wird es viel gehorchen, sich viel anpassen, sich mehr als genug an menschliche Berechnung und irdische Sitte kehren müssen. Darum will es jetzt noch einmal so recht von Herzen nach seinem eignen Willen handeln. Kann man ihm das verdenken?

Alles wartet auf ihn, den neuen Menschen; alles muß sich nach ihm richten, ist von ihm abhängig, muß auf ihn Rücksicht nehmen. Alle Pläne, Unternehmungen, Arbeiten und Freuden hängen von seiner Genehmigung, von seinen unbekannten Absichten ab. Wann wird er jemals während seines bevorstehenden Erdenwallens dasselbe wieder von sich sagen können? Man möchte geradezu bedauern, daß er die seltsame Wonne dieses Zustandes nur im Unbewußtsein genießen – und also nicht genießen kann.

Er läßt wirklich sehr lange auf sich warten.

»Wie schrecklich«, sagen die lieben Verwandten und Freunde, die sich bereits täglich erkundigen, persönlich, brieflich, sogar telephonisch. »Das muß ja ein aufreibender Zustand sein. Wie langweilig. Wie peinlich. Wie unbequem. Welche Geduldsprobe.« Und dergleichen mehr.

Ja – habt ihr, die ihr so sprecht und denkt, denn niemals auf ein Kind gewartet, selber, oder für andre? Und habt ihr denn niemals empfunden, wie schön solch Warten sein kann!

Nur keine Ungeduld. Die macht nervös; was auch nur wieder ein Deckwort für »schlechte Laune« ist. Es wird schon alles zurechtkommen. Und einstweilen freut man sich nur. Vorfreude ist oft – nicht immer – die reinste Freude; frei noch von aller Bürde, Pflicht und Verantwortung, frei auch von aller Not, die der Besitz, die Erfüllung mit sich bringen kann. Nicht immer, sage ich. Denn oft ist die Erfüllung noch viel schöner, als die gläubigste Phantasie fröhlichen Wartens sie zu gestalten vermochte.

Und da sollte man nicht freudig die kleine Last des Wartens tragen?

Es ist ja gar keine Last.

Das Haus ist wie eine Kirche, und die werdende Mutter selbst ist wie eine Kirche, denn in beiden ist das Leben am Werke, und das Leben ist ein Wunder, und in diesem Wunder ist Gott.

So ist es wenigstens in jedem Hause, wo echte Menschen wohnen, und nur von solchen rede ich. Wo es anders ist, da herrscht das Unglück, oder die Unnatur. Und das gehört in ein anderes Buch.

Ich warte auf das Leben, und habe jede Zeitrechnung ausgeschaltet. Ich habe mein Haus und alle meine wirklichen und unwirklichen, meine wichtigen und unwichtigen Pflichten im Stich gelassen, um das Wunder zu erleben. Es ist mir nicht leicht geworden, und anfänglich hat es an meinem Gewissen gerissen und mein Tätigkeitsdrang hat mich gestoßen und ich war nahe daran, auch so etwas wie »verlorene Zeit« zu denken; und war nahe daran, in eine Stimmung zu geraten, die zu einem fröhlichen Warten nicht paßt.

Da ist mir etwas zu Hilfe gekommen. Oder vielmehr: das Warten hat mir eine Erkenntnis gebracht. Nämlich die, daß es gut und nötig für mich war, einmal zwangsweise stillzusitzen. Und je mehr ich das erkannte, um so mehr hörte der Zwang auf, Zwang zu sein.

Wenn man eingespannt ist in ein rastloses Tagewerk, wenn man einen Weg wandert, der oft steil und steinig ist oder an Abgründen dahinführt, so daß man immerfort scharf aufpassen muß, um nicht zu straucheln oder gar abzustürzen, dann hat man wenig oder keine Zeit, an andres zu denken als an eben diesen Weg und wie man ihn ungefährdet gehe; keine Zeit Umschau zu halten über all das Schöne, das rechts und links von diesem Wege ist – weite fruchtbare Ebenen und starke Ströme und ernste Wälder; und manche schöne stille Blume auf diesem Wege selbst; keine Zeit vor allem, vorwärts zu blicken auf die hellen, feierlichen Höhen, zu denen dieser Weg führt, und von denen das Licht und die Kraft für diesen Weg kommt; und der Weg wird schließlich Selbstzweck, und dehnt sich endlos, und man sieht kein Ende und wird müde, und wischt sich den Schweiß von der Stirn und das Blut von den Füßen, und quillt doch beides immer wieder nach, und verströmt Kraft und Freudigkeit. Und da tritt mir etwas entgegen und sagt: nun halt einmal inne, und setz' dich fein stille hin, und warte.

Warten – ja, Warten, das kostet doch Zeit, und ich habe keine Zeit, ich muß weiter, ich darf nichts versäumen; ich darf doch nicht innehalten, sonst geht mir die Kraft aus.

O nein – die Kraft wird dir ausgehen, gerade wenn du nicht innehältst. Und darum komme ich, das Leben, und sage dir, daß du jetzt einmal stillsitzen und warten mußt. Nicht auf eignes Glück, sondern auf das Glück andrer. Aber wenn du artig und geduldig bist, dann wird dieses Warten auch für dich ein fröhliches werden, und du wirst dein Besonderes daran haben.

Und da sitze ich nun abseits vom Wege und warte. Und weil meine Füße nicht mehr wandern, wandern die Augen. Und weil meine Hände nicht mehr arbeiten, arbeiten die Gedanken.

Und die Augen wandern über eine Welt voll Sonne – nie ist die Sonne so leuchtend, so voll warmer Goldtöne, wie an stillen, klaren, herbstlichen Tagen. Die Augen wandern über grüne Wiesen und junge Saat, über weiche Hügel, auf denen das reife Heidekraut rostrot schimmert; über blaue Seen, in denen sich der blaue Himmel spiegelt; über braune Felder, auf denen arbeitende Menschen eine neue Ernte vorbereiten; über schwarzgrüne Kiefernwälder und goldne Lupinenfülle, und ein linder Wind trägt ihren warmen Duft zu mir herauf. Und die Augen wandern weiter in das innere Wesen der Dinge hinein, und alles, was sie schauen, wird ihnen zum Symbol. Und wandern weiter in unsichtbare Fernen, und schauen den Weg voraus, an dem ich sitze, und sehen die lichten Höhen, nach denen unaufhörlich das Herz in heißer Sehnsucht verlangt – und sie sind gar nicht mehr so unerreichbar fern. Und es kommt ein Genießen über mich und ein Ausruhen und ein Wohltun. Und eine Freude, die des steinigen Weges vergißt, der ja doch nur Mittel zum Zweck und darum Nebensache ist.

Und die Gedanken arbeiten und machen sich alles zu eigen, was die Augen schauen: die Saat und die Ernte, die warme Sonne und die jauchzenden Farben, die Arbeit der Erde und die lächelnde Ruhe des Himmels; den Duft der letzten Blüten und den sehnsuchtsvollen Flug herbstlicher Vögel; die Schönheit und den Reichtum der ganzen Welt, – und von ferne die unsichtbaren Berge, von deren Höhen die Füße der Boten kommen, die den Frieden bringen.

Und ich weiß: dieses Warten ist nicht verlorene Zeit, sondern gewonnene Kraft. Und kehre zurück in das Haus, das geweiht und geschmückt ist wie eine Kirche für einen Feiertag, und denke: ich will gerne noch recht lange warten.

Gibt es Schöneres, als warten auf ein Glück?

Gibt es Unsinnigeres, Undankbares, als dieses Warten zu entweihen durch Ungeduld, oder Zweifel, oder Sorgen, ob wohl wirklich auch alles so gut und schön werden wird, wie man zu erwarten berechtigt ist?

Liebe Seele, wenn dir ein Glück bevorsteht, dann warte auf die Erfüllung mit Geduld, und warte des Glücks mit Vertrauen. Die Schatten, die jedem irdischen Glück anhaften, sollen die Fröhlichkeit deines Wartens nicht trüben, und die Sorge um das, was nachher kommen könnte, soll deine Vorfreude nicht schmälern.

Es ist dir gegeben, auf mancherlei Glück zu warten im Leben. Halte auch dem Glück – wie dem Schmerz – deine Seele entgegen wie eine offene Schale, daß das Glück sie fülle mit seinem Segen.

Es ist nicht wahr, daß die Erde ein Jammertal ist. Das liegt nur an uns – daran, wie wir sie sehen, wie wir sie bewerten, wie wir uns zu ihr stellen, was wir ihr zu geben haben und was wir von ihr erwarten.

Gibt es vielleicht immer irgendeinen Schmerz, auf den wir irgendwie warten, so gibt es auch immer irgendein Glück, auf das wir warten dürfen. Wir müssen es nur sehen; sehen wollen.

Wenn die Sonne niedrig steht am Himmel, dann hat die Erde mehr Schatten als Licht. Wenn aber die Sonne hoch am Himmel steht, dann kriechen die Schatten in sich zusammen; sie sind da, aber sie herrschen nicht mehr; sondern das Licht herrscht; und nicht mehr die Schatten, sondern das Licht malen das Antlitz der Welt.

Wenn du selber tief stehst im inwendigen Leben, dann fällt dein eigner Schatten erkältend und verdunkelnd auf alle Dinge. Je höher du aber steigst, um so heller wird es um dich, über dir und unter dir –, und die Sonne deiner Lebenskraft und Lebensfreude erleuchtet dir die Welt.

Zum Steigen gehört Kraft, und solche Kraft strömt aus allerlei Quellen. Das stille, fröhliche Warten auf ein gewisses Glück ist eine solche Kraftquelle. Trübe sie dir nicht mit ärgerlichem Unmut, weil es gar so lange dauert. Laß dir an dem einen Glück, auf das du wartest, die Augen und das Herz aufgehen für so manches andre Glück, an dem du in der sorgenvollen Vielgeschäftigkeit des Alltags bisher vielleicht achtlos vorübergegangen bist.


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