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Ich war so überrascht, beinahe so erschrocken über den Anblick der Herzogin von Richeville, daß ich mich auf die Lehne eines neben mir stehenden Sessels stützen mußte.
Gleichwohl hatten die Züge der Herzogin nichts Drohendes. Sie schien mir sehr verändert, viel magerer; sie war sichtlich aufgeregt und betrachtete mich mit Theilnahme.
Sie eilte, mir zu sagen, wie um mich aufzufordern, sie anzuhören und mir ihr Vertrauen zu gewinnen: Wie sonderbar Ihnen auch mein Besuch erscheinen mag, mein Fräulein, bitte ich Sie doch, sich zu beruhigen. Ich komme im Namen eines gemeinsamen Freundes von uns Beiden, des Herrn von Mortagne.
– Ist er denn hier, gnädigste Frau?
– Leider, nein. Und obgleich er von einem Augenblicke zum andern erwartet wird, so kann ich Ihnen doch noch nichts von seiner geheimnißvollen Reise sagen – aber ich weiß, welche Theilnahme er für Sie hegt. – Vor acht Jahren – als er seine letzte Unterredung mit Fräulein von Maran hatte, erzählte er mir Alles – den Familienrath, den Auftritt mit ihrer Tante, als er Sie auf den Arm nahm und Sie, trotz des Gebelles von Felix, in das Zimmer des Fräulein von Maran trug. Ich gehe in diese Details ein, um Ihnen zu beweisen, daß dieser edelste der Männer in mich ein unbedingtes Vertrauen setzte. – Im Namen dieses Vertrauens – komme ich jetzt, Sie um das Ihrige zu bitten, mein Fräulein!
– Um das meinige – gnädigste Frau – Sie?
Ich betonte das Wort Sie so sehr, daß die Herzogin von Richeville bitter lächelte, indem sie antwortete:
– Armes Kind! so jung noch, und schon sollten Sie an die Verläumdung der Welt glauben? Sollten Sie jene reizende Güte verloren haben, die Herr von Mortagne bei Ihnen voraussah, und die sich in jedem Ihrer Züge offenbart? – Weshalb nehmen Sie so kalt diesen Schritt auf, der allein durch das Interesse für Sie dictirt wird – diesen Schritt, den ich, so zu sagen, unter der Autorität eines Mannes unternehme, welcher einer der besten Freunde Ihrer Mutter war? – Sagen Sie – weshalb empfangen Sie mich so?
Es ist unmöglich, den einschmeichelnden Zauber wiederzugeben, welcher in der Stimme der Herzogin lag, und zugleich den theilnehmenden Blick zu schildern, mit dem sie diese Worte begleitete; ungeachtet der dunkeln Eifersucht, die ich empfand, fühlte ich mich gerührt und antwortete minder trocken:
– Es ist mir erlaubt, über einen Besuch zu staunen, den ich kein Recht zu hoffen hatte, da ich nicht die Ehre habe, Sie zu kennen.
– Habe ich Ihnen nicht vor etwa einem Monat, beim Ausgange aus der Oper, die Worte zugeflüstert: Armes Kind, sehen Sie sich vor?
– Ich habe in der That diese Worte gehört, aber ich wußte nicht, in welcher Absicht sie gesprochen wurden.
– Sie wußten es nicht? sagte die Herzogin von Richeville, indem sie auf mich einen durchbohrenden Blick richtete, vor dem ich erröthen mußte.
Sie wollte ohne Zweifel meine Verwirrung nicht vergrößern, und fuhr fort, indem sie, wenn dies möglich ist, ihre Stimme und ihren Blick noch theilnahmvoller machte:
– Hören Sie mich: – Um Ihnen Glauben an meine Worte einzuflößen, und damit ich den Zweck, der mich herführt, berühren kann, ohne den Argwohn einer Nebenabsicht auf mich zu ziehen, muß ich Ihnen einige Erklärungen über die Vergangenheit geben. – Von jeher ist der Graf Mortagne mein Freund gewesen; er hat mir ehedem einen jener Dienste erwiesen, die eine edle Seele nur durch eine lebenslängliche Freundschaft vergelten kann; – und wenn ich Freundschaft sage, so spreche ich von den heiligen Pflichten, die sie auferlegt. – Ich weiß nicht, mit welchen schwarzen Farben Ihre Tante mich Ihnen geschildert hat – aber Sie werden, wie ich hoffe, einst noch sich davon überzeugen, daß selbst meine Todfeinde es nie gewagt haben, meinen Muth und meine Ergebenheit für meine Freunde zu bestreiten. Später – werden Sie vielleicht den Grund meiner Ergebenheit gegen Herrn von Mortagne erkennen lernen. – Ich wußte, ich weiß – welche Teilnahme Sie ihm einflößen. – Was er aber liebt, das liebe auch ich. – Das ist schon ein Grund, weshalb Sie mich lebhaft interessiren. Ich habe sehr erbitterten Haß gegen mich rege gemacht – aber es giebt keinen heftigeren, keinen unversöhnlicheren, als den des Fräulein von Maran. – Ich weiß, daß Ihre Tante Alles gethan hat, um Ihre Kindheit unglücklich zu machen – jetzt thut sie wieder Alles, um Sie zu der unglücklichsten Frau zu machen. – Sie müssen sie wenigstens eben so sehr hassen, als ich sie hasse. – Das ist wieder ein Grund, weshalb Sie mich interessiren müssen. – Sie den boshaften Absichten Ihrer Tante entreißen – Ihnen neue Schlechtigkeiten entschleiern – dem Grafen Mortagne meine Freundschaft, meine Dankbarkeit beweisen, indem ich für Sie so handle, wie er selbst gehandelt haben würde – diese Beweggründe sind, wie mir scheint, wichtig genug, um das Interesse zu erklären, welches ich für Sie hege.
– Gnädigste Frau, sagte ich; ich habe mich vielleicht über Fräulein von Maran zu beklagen gehabt; aber seit einigen Tagen hat sie so viel für mich gethan, daß ich die üblen Launen eines jungen Mädchens vergessen muß.
Ich betonte absichtlich die Worte: hat sie so viel für mich gethan, um dadurch der Herzogin zu verstehen zu geben, daß ich von meiner Heirath mit Gontran sprechen wollte.
Die Herzogin schüttelte traurig den Kopf und sagte:
– Sie hat so viel für Sie gethan? – Ja, Sie sprechen die Wahrheit – sie hat noch nie so viel für Ihr Unglück gethan.
Von diesem Augenblicke an glaubte ich den Grund zu dem Besuche der Herzogin von Richeville zu errathen. Sie liebte Gontran; dessen Heirath mit mir machte sie wüthend vor Eifersucht; sie war eben so gewandt, als verstellungsfähig, und kam ohne Zweifel, um Herrn von Lancry zu verleumden und eine Verbindung zu stören, die sie verabscheute.
Indem ich von diesem Gedanken ausging, wurde mir Gontran nur noch theurer, da ich sah, wie man mir sein Herz streitig machte. Ich war beinahe stolz darauf, zu sehen, daß eine Frau, wie die Herzogin von Richeville, so schön, so hochmüthig, die Welt so geringschätzend, zu einer Verkleidung, zu der gewandtesten und vielfältigsten Verstellung ihre Zuflucht nahm, um bei mir demüthig eine abscheuliche Rolle zu spielen.
Fest entschlossen, das Benehmen der Herzogin aus diesem Gesichtspunkte zu betrachten, antwortete ich ihr trocken:
– Ich wiederhole Ihnen, gnädigste Frau, daß ich jetzt für alles das, was Fräulein von Maran für mich gethan hat, nur äußerst dankbar und gerührt sein kann.
– Das muß so sein, sagte die Herzogin, und weil es so ist, und weil Sie blindlings in die Ihnen gelegte Schlinge fallen können, unglückliches Kind – komme ich zu Ihnen. Sie sind verlassen von Allen, Sie stehen ganz allein! Blicken Sie um sich! Seitdem Ihr einziger Freund – Ihr einziger Beschützer fort ist – von wem wollen Sie Rath fordern, wem sich anvertrauen?
– Niemandem – Sie haben Recht, gnädigste Frau.
– Niemandem? – Nicht einmal mir, wollen Sie sagen? – Das ist grausam, Mathilde. – O, fühlen Sie sich nicht beleidigt durch diese Vertraulichkeit. Ich bin beinahe noch einmal so alt, wie Sie, und dann weiß ich nicht, was ich thun, was ich sagen soll, um diese eisige Kälte zu brechen, die Sie von mir entfernt. Verzeihen Sie, wenn ich mich vielleicht zu vertraulicher Ausdrücke gegen Sie bediene. – Aber mein Gott, kann ich denn in einem solchen Augenblicke die Worte abwägen, die mir aus dem Herzen kommen?
Meine ganze Eifersucht, alle meine Vorurtheile gegen die Herzogin von Richeville waren nöthig, um nicht durch die bezaubernde Anmuth entwaffnet zu werden, mit welcher sie diese letzten Worte sprach.
Wie es in solcher Gemüthsstimmung, wie die meinige war, stets geschieht, rühren gewisse Worte um so tiefer, oder empören um so stärker, je mehr sie einem Schrei der Seele gleichen. Ich erwiederte daher der Herzogin:
– Ich wünschte den Zweck dieser Unterredung kennen zu lernen, gnädigste Frau; wenn es kein anderer ist, als meine früheren Klagen gegen Fräulein von Maran neu zu erwecken, so muß ich Ihnen zwar für die Theilnahme danken, die Sie im Namen des Herrn von Mortagne für mich hegen, aber ich kann zugleich nicht umhin, Ihnen zu wiederholen, daß ich jetzt das Benehmen des Fräulein von Maran nur zu loben habe.
– Sie müssen schon viel gelitten, müssen unter schwerem Druck gelebt haben, daß Sie sich mit siebzehn Jahren schon so beherrschen können, sagte die Herzogin von Richeville, indem sie mich mit dem Ausdrucke schmerzlichen Mitleids ansah; oder Ihr Vorurtheil gegen mich muß unbesieglich sein. Dann sagte sie, indem sie zu sich selbst sprach; Wozu nützt der Versuch? Gleichviel, gleichviel! – Es ist eine Pflicht – und hierauf zu mir sich wendend, sagte sie lebhaft: Ja, es ist eine Pflicht, und ich werde sie erfüllen. – Man will sie mit Herrn von Lancry verheirathen.
– Fräulein von Maran und der Herr Herzog von Versac haben einen Beschluß bestätigt, den Herr von Lancry und ich gefaßt hatten. Und diese Heirath ist abgemacht, fuhr ich fort, ganz stolz, ganz triumphirend darüber, meine Nebenbuhlerin durch diese in dem Munde eines jungen Mädchens vielleicht unpassenden Worte vernichten zu können.
– Wissen Sie, was Herr von Lancry ist?
– Frau Herzogin –
– Nun gut, ich will es Ihnen sagen. Herr von Lancry ist ein allerliebster Mensch, voll Anmuth, Geist und Tapferkeit, von vollendeten Formen und einer ausgezeichneten Eleganz: Sie wissen das, nicht wahr, unglückliches Mädchen? Diese glänzenden Außenseiten haben Sie verführt und ich mache Ihnen das nicht zum Vorwurf; aber unter diesem glänzenden Aeußern verbirgt sich ein ausgetrocknetes Herz, ein unlenksamer Egoismus, eine unersättliche Habgier, welche er durch ein zügelloses Spiel zu befriedigen sucht. Seit langer Zeit hat er sein Vermögen fast ganz verschwendet; er hat beträchtliche Schulden, glauben Sie mir, Mathilde; Fräulein von Maran hat diese Heirath erleichtert, beschützt, weil Sie durch dieselbe in einen Abgrund unberechenbaren Unglücks gestürzt werden müssen. Ich beschwöre Sie daher auch im Namen Ihres Freundes Mortaqne, warten Sie, um diese Verbindung zu schließen, seine nahe bevorstehende Rückkehr ab; Sie wissen nicht, wer der Mann ist, den Sie gewählt haben! Noch ein Mal, ich flehe Sie darum an, erwarten Sie Herrn von Mortagne, erwarten Sie ihn im Namen Ihrer Mutter!
– Genug, gnädigste Frau! rief ich unwillig aus. Ich werde nicht dulden, daß der Name meiner Mutter bei einer Verleumdung angerufen werde, zu der Sie sich nicht scheuen herabzusteigen. Sie – Sie, Frau Herzogin. – Ach, was habe ich Ihnen denn Böses gethan, daß Sie es versuchen, zu vergiften, was ich als das einzige Glück, als die einzige Hoffnung meines Lebens ansah – was ich noch dafür ansehe, so wahr Gott mich hört? – Ich bebe vor Entsetzen, indem ich daran denke, daß diese abscheulichen Worte, von jedem Andern, als von Ihnen ausgesprochen, das Vertrauen, die Bewunderung, die Liebe, die ich für Herrn von Lancry fühle, vielleicht verwandelt haben könnten.
– Sie hätten vielleicht an diese Worte geglaubt, wenn jeder Andere, als ich, sie Ihnen gesagt hätte? wiederholte die Herzogin von Richeville, indem sie mich aufmerksam ansah und den Sinn dieser Worte zu suchen schien. Weshalb gewähren Sie mir weniger Vertrauen, als jedem Andern?
– Weshalb? Das fragen Sie? Aber es ist die Rede von Herrn von Lancry, gnädigste Frau – und so isolirt ich auch stehe, so sind doch gewisse Gerüchte –
– Ach, das unglückliche Kind hält mich für eifersüchtig auf Herrn von Lancry! rief die Herzogin von Richeville mit dem Tone der Ueberraschung, beinahe des Schreckens. Dann ist Alles verloren, Mathilde! Das glauben Sie? Mein Gott, mein Gott, ich bin also sehr bei Ihnen verleumdet worden, daß Sie mich einer solchen Nichtswürdigkeit für fähig halten! Verliebt in Herrn von Lancry, komme ich, ihn bei Ihnen zu verleumden, um dadurch eine Heirath unmöglich zu machen, die mich in Verzweiflung stürzen würde? Sagen Sie, glauben Sie das nicht?
– Erlassen Sie mir die Antwort, gnädigste Frau.
– Nun gut, so will ich Ihnen mein Geständniß ablegen. O, es ist peinlich, es ist sehr grausam, aber was thut das? Es kann Sie retten!
Nachdem die Herzogin von Richeville lange Zeit gezögert hatte, sagte sie endlich mit bebender Stimme, tief erröthend und mit allen Zeichen der Verwirrung:
– Erfahren Sie denn, daß ich gleich Ihnen – Herrn von Lancry geliebt habe; ja, gleich Ihnen, wurde ich durch seine glänzenden Außenseiten verführt. – Aber ich entdeckte bald allen Egoismus, alle Gleichgültigkeit, Härte, Grausamkeit, die sogar in ihm liegt, wenn seine Eitelkeit befriedigt ist. Ich weiß daher auch nicht, was jetzt in meiner Seele stärker ist, mein Haß oder meine Verachtung für Herrn von Lancry.
Diese letzteren Worte der Herzogin von Richeville erschienen mir so abscheulich, daß ich, jede Mäßigung verlierend, ausrief:
– Gleichwohl dachten Sie auf dem Gesandtschaftsballe nicht so, gnädigste Frau!
Die Herzogin von Richeville zuckte die Achseln mit einer Bewegung schmerzlicher Ungeduld und fuhr fort:
– Hören Sie mich zu Ende – so werden Sie erfahren, weshalb ich auf jenem Balle so handelte, und werden Herrn von Lancry kennen lernen. Vor ungefähr einem Jahre wurde ich von einem großen Unglück betroffen; ich war die elendeste der Frauen. – Möchten Sie nie fühlen, Mathilde, wie schwach das Leiden uns macht, möchten Sie nie unglücklich sein, um nie den gefährlichen Zauber einer befreundeten Stimme kennen zu lernen, die uns tröstet, uns beklagt! Ich glaubte an die Betheuerungen des Herrn von Lancry, ich liebte ihn aufrichtig, voll Ergebenheit; ich war für ihn die beste, die zärtlichste der Freundinnen; ich lebte damals ganz in der Zurückgezogenheit und suchte allen seinen Gedanken, allen seinen Wünschen zuvorzukommen. Eines Tages sah ich ihn nicht zu mir kommen; voll Besorgniß schickte ich zu ihm. – Er war an eben dem Morgen nach London abgereist, ohne mir ein Wort zu schreiben, der Welt die Sorge überlassend, mir mitzutheilen, daß er in England irgend eine Tänzerin treffen wollte, die er mir seit einigen Tagen zur Nebenbuhlerin gegeben hatte. Dieses Benehmen war so roh, so niedrig, daß mein Zorn nur mich selbst traf; ich war empört darüber, daß ich mich von diesem Menschen hatte betrügen lassen. Zu meiner großen Verwunderung folgte die unbedingteste, die verächtlichste Gleichgültigkeit auf ein Gefühl, welches ich den Morgen vorher noch für unzerstörbar gehalten hatte. Es giebt Beleidigungen, die so erbärmlich sind, daß sie nicht Zorn einflößen, sondern nur Mitleid. Als ich Herrn von Lancry auf dem Gesandtschaftsballe traf, sah ich ihn zum ersten Male, seitdem er mich auf so niedrige Weise geopfert hatte. Seiner Zuversicht ungeachtet gerieth er in Verlegenheit. – Ich empfand nichts – nichts, als das Verlangen, ihm meine Verachtung zu beweisen, indem ich ihn mit so viel scheinbarer Zuvorkommenheit aufnahm, als stände ich mit ihm auf dem Fuße einer Vertrautheit, welche durch eine ehemalige Freundschaft gerechtfertigt wurde; – darüber hinaus ging meine Rache nicht. Aber für einen Menschen von dem Charakter des Herrn von Lancry und im Allgemeinen für alle Männer – ist nichts verletzender, nichts grausamer, als das Opfer, welches sie zum Tode treffen wollten, gleichgültig lächeln zu sehen. – Ich sagte Ihnen, mit welcher Theilnahme Herr von Mortagne zu mir von Ihnen gesprochen hatte; ich betrachtete Sie daher mit theilnahmvoller Neugier, als Fräulein von Maran mich anrief, um mir einige blutige Worte zu sagen, deren versteckten Sinn Sie nicht verstehen konnten. Ich hatte genug Herrschaft über mich selbst, um ihr nur durch eine Thatsache zu antworten, die sie mit Schrecken erfüllen mußte – die Ankunft des Herrn von Mortagne, die ich auf zuverlässige Weise wußte. Er ist das Opfer einer abscheulichen Machination gewesen. Binnen Kurzem werden Sie ihn sehen.
– Mein Gott, gnädigste Frau, rief ich aus, was bedeutet das?
– Ich kann es Ihnen noch nicht sagen, erwiederte die Herzogin von Richeville, aber bald wird er hier sein. Deshalb flehe ich Sie an, ihn zu erwarten, ehe Sie diese verhängnißvolle Heirath schließen. – Noch einige Worte, und ich verlasse Sie, sagte die Herzogin, indem sie meine Ungeduld sah. An eben jenem Abende des Gesandtschaftsballes waren die Pläne Ihrer Tante und des Herzogs von Versac kein Geheimniß mehr. Man sagte überall, der Herzog hätte seinen Neffen nur wegen dieser reichen Heirath aus England zurückkommen lassen. Als ich Sie am zweiten Tage darauf im Opernhause in der Kammerherrenloge sah, zweifelte ich nicht mehr an der Wahrheit dieses Gerüchtes. Ihre Tante und der Herzog von Versac hatten es absichtlich bestätigt, indem sie Sie zusammen mit Herrn von Lancry in der großen Opernloge zeigten, um dadurch jede andere Verbindung, die sich bieten könnte, abzuschrecken. Fräulein von Maran wußte, daß ein junger Mann, von dem ich Ihnen bald sagen werde, für den Herr von Mortagne sich lebhaft interessirte, und der Sie auf dem Gesandtschaftsballe gesehen hatte, um Ihre Hand anhalten lassen wollte, denn Sie hatten einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. – Ich fühlte die Gefahr, die Sie liefen. Bei dem Ausgange aus der Oper sagte ich Ihnen: Armes Kind, sehen Sie sich vor! – Aber ich wollte mich nicht auf diese unfruchtbare Warnung beschränken. – Was ich Ihnen heute sage, wollte ich Ihnen sagen, ehe Herr von Lancry einen Eindruck auf Ihr Herz gemacht haben könnte; denn begabt mit den Vorzügen, die er in sich vereint, und begünstigt durch Ihre Tante, mußte er Ihnen gefallen. – Unglücklicherweise fühlte ich mich an dem Tage nach jener Opernvorstellung unwohl, und dann wurde ich so ernsthaft krank, daß ich meinen Plan nicht auszuführen vermochte. – In dieser äußersten Noth sprach ich mich mit vollem Vertrauen gegen Frau von Mirecourt aus, eine meiner Freundinnen, die auch Ihre Tante oft sieht; ich beauftragte sie, wo möglich mit Ihnen zu sprechen, um Sie über die Heirath aufzuklären, zu der man Sie bestimmen wollte, und Sie zu bitten, die Rückkehr des Herrn von Mortagne zu erwarten. Ihre Tante mißtraute der Frau von Mirecourt; sie kannte unsere Verbindung und verhinderte sie, allein mit Ihnen zu bleiben. Da verwünschte ich noch mehr die Leiden, die mich an das Zimmer fesselten. Täglich mußte Ihre Liebe für Herrn von Lancry wachsen; ich wollte Ihnen schreiben, aber ich fürchtete, daß Ihre Tante meinen Brief auffangen möchte; ich war in Verzweiflung, indem ich daran dachte, daß Sie, nicht zeitig genug gewarnt, vielleicht über Ihre Zukunft verfügt haben würden. – Ich hege so viel Theilnahme für Sie. – Wie grausam mir dieser Gedanke war – aber ach, ich sehe leider an Ihrer Kälte, Mathilde, daß Sie sich in Ihrem Mißtrauen immer noch nach der Ursache meiner für Sie so lebhaften Theilnahme fragen. Mein Gott, muß ich Ihnen denn nochmals wiederholen, daß ich mich meiner Schuld gegen den Grafen Mortagne entledige, indem ich Sie zu retten versuche?
– Und Sie rächen sich zugleich an Herrn von Lancry, sagte ich mit Bitterkeit.
– Ich räche mich, Mathilde? erwiederte sanft die Herzogin. Muß ich denn durchaus durch einen solchen Beweggrund bestimmt werden, um ein herzliches Mitleid für Sie zu hegen? Muß nicht das Herz vor Schmerz brechen, indem man sieht, wie Sie, arme Kleine, so jung, so interessant, verlassen, verloren mitten unter diesen boshaften Egoisten, endlich das Opfer des Hasses Ihrer Tante und der Habgier des Herrn von Lancry werden?
– Das ist zu viel, gnädigste Frau, rief ich in einem Anfalle empörten Stolzes aus; bin ich denn, Alles wohl erwogen, so schlecht oder so wenig begabt, daß Herr von Lancry, indem er um meine Hand nachsucht, nur mein Vermögen im Auge haben kann? Weil er Sie betrogen, das gebe ich zu, ist das ein Grund, weshalb er ein Herz nicht würdigen könnte, das sich ihm voll Trunkenheit ganz hingiebt? Und wer sagt Ihnen, gnädigste Frau, daß Sie ihn geliebt haben, wie er geliebt zu werden verdient? Und wer sagt Ihnen, daß alle die Frauen, die er so unwürdig betrogen hat, ihn eben so sehr liebten, wie ich? Und wer sagt Ihnen, daß er nicht eben deshalb, weil seine Seele edel und groß ist, den ganzen Unterschied zu ermessen vermag, der zwischen einer strafbaren Verbindung besteht und einer in den Augen Gottes und der Menschen geheiligten Liebe? Mit welchem Rechte werfen Sie ihm eine Schlechtigkeit vor, Sie, die Sie einen großen Fehler begingen? Und mit welchem Rechte vergleichen Sie Ihre Liebe mit der meinigen?
– O Gott, Gott! das hören zu müssen! sagte die Herzogin von Richeville, indem sie ihr Gesicht in beide Hände barg, und zwar mit einem Ausdrucke des Schmerzes und der Demuth, der mir aufgefallen sein würde, wäre ich weniger empört gewesen. Aber leider konnte ich meine Sprache nicht mäßigen, und ich beklage jetzt ihre Grausamkeit. Hingerissen durch das Verlangen, Gontran für die Verleumdungen zu rächen, für deren Gegenstand ich ihn hielt, fuhr ich fort:
– Sie sagen, daß er kein Vermögen mehr hat, daß er es verschwendete? – Desto besser; ich fühle mich deshalb doppelt glücklich, ihm das meinige anbieten zu können. Er hat, wie Sie sagen, in dem Spiel Hülfsquellen gesucht? – In Zukunft reich, wird er nie mehr zu diesem Mittel seine Zuflucht nehmen. – Sie glauben, daß er mich betrügt? – Beruhigen Sie sich – der Neid, die Eifersucht halten oft ihre boshaften Hoffnungen für Voraussehung. – Die wahre Liebe ist glücklicher; stark durch ihre Ergebenheit, ihre Großmuth, sieht sie mit Sicherheit die Belohnung voraus, die sie verdient und empfängt.
Die Herzogin von Richeville erhob ihr schönes Gesicht, das ich zu meiner großen Ueberraschung in Thränen gebadet und schmerzlich verzogen sah.
Ich gestehe Ihnen, mein Freund, daß ich mich, ungeachtet meines Unwillens, einer tiefen Bewegung nicht erwehren konnte, als ich diese Frau, die für gewöhnlich so stolz und so hochmüthig war, meine Vorwürfe mit so vieler Ergebung hinnehmen sah.
Sie faßte meine Hand, die ich nicht den Muth hatte, ihr zu entziehen, und sagte in dem Tone tiefer Betrübniß:
– Es ist geschehen, Mathilde; es ist keine Hoffnung mehr, – Sie sind das Opfer einer Sophisterei, die mich in das Verderben stürzte – mich, wie so viele Frauen. – Auch ich sagte zu mir selbst, als ich Herrn von Lancry liebte: Bin ich nicht schöner, verführerischer, als meine Nebenbuhlerinnen? – Sie haben dies unbeständige Herz nicht fesseln, diesen stolzen, geringschätzenden Charakter, der mit den Gefühlen der Ergebungsvollsten spielt, nicht bezähmen können; mir wird es gelingen. Ach, Mathilde, ich habe Ihnen meine Schande und meine Schmach gestanden. Glauben Sie jetzt nicht, daß ich mich nur einen Augenblick mit Ihnen vergleichen wollte, daß ich glaubte, der Sieg über den Reiz Ihrer Persönlichkeit, über den seltenen Verein liebenswürdiger Eigenschaften, die Sie auszeichnen, davon tragen zu können. Aber dieser Reiz, diese Eigenschaften, die ich beinahe geahnet hatte, machten mich noch eifriger, dem Schützlinge des Grafen von Mortagne zu dienen.
Ohne das Gewicht Ihrer Worte abzumessen, armes Kind, haben Sie mich eben auf grausame Weise den Unterschied fühlen lassen, welcher zwischen der Liebe besteht, die ich dem Herrn von Lancry bieten konnte und der, welche Sie ihm widmen. – Sie haben Recht, Mathilde. Könnte Herr von Lancry durch alles das gerührt werden, was in Ihrer Liebe so bewundernswerth Gutes und Ergebungsvolles liegt, so dürften Sie das Glück hoffen, welches Sie träumen. Aber glauben Sie mir, fügte die Herzogin hinzu, indem sie die Stimme dämpfte und auf mich einen in Thränen schwimmenden Blick richtete, der mir in das Herz drang: Glauben Sie, wie strafbar auch die Liebe sei – was die Frau auch sein mag, die treu und ergebungsvoll liebt – nie wird ein Mann von edlem Herzen durch Beleidigung und Grausamkeit die Beweise inniger Anhänglichkeit vergelten: – ein solches Benehmen verräth stets einen boshaften Charakter. – Dennoch, Mathilde, können Sie vielleicht, ohne Ihre Wissen und das meine, Recht haben. – Vielleicht sind Sie dazu bestimmt, den Charakter des Herrn von Lancry völlig umzuwandeln. – Gewiß – wenn Schönheit, Anmuth, die liebenswürdigsten Eigenschaften dies Wunder bewirken können – so wird es Ihnen gelingen. – Aber ach, glauben Sie mir, wenn ich die geringste Hoffnung zu dieser Bekehrung gehabt hätte, so würde ich mir ein Verbrechen daraus gemacht haben, Ihren Glauben, Ihr Vertrauen auf diese Liebe zu erschüttern. – Indeß – die Zukunft wird entscheiden! – Leben Sie wohl, Mathilde, – leben Sie wohl – einst werden Sie mich vielleicht besser kennen lernen, einst, armes Kind – werden Sie vielleicht voll Bitterkeit zu mir sagen: Weshalb habe ich nicht auf Sie gehört! – Aber, großer Gott, lieber will ich in Ihren Augen bleiben, als was ich Ihnen jetzt erscheine, eine boshafte und hinterlistige Frau, als meine Ahnungen durch Ihr Unglück gerechtfertigt sehen. Leben Sie wohl – leben Sie noch einmal wohl! – Zum letzten Male frage ich Sie: Wollen Sie die Ankunft des Grafen Mortagne nicht erwarten?
– Gnädigste Frau, erwiederte ich, gerührt durch die Thränen der Herzogin von Richeville, ich flehe Sie an, dieser Unterredung ein Ende zu machen. Einige Worte, die ich bereue, die ich bitter bereue, sind mir entschlüpft. Sie mögen Ihnen wenigstens beweisen, daß die Hitze, mit welcher ich Herrn von Lancry vertheidigte, einem Herzen entsprang, welches ihm für ewige Zeiten angehört.
– Noch ein letztes Wort und ich verlasse Sie, sagte die Herzogin; was ich Ihnen zu sagen habe, wird in nichts Ihren Entschluß ändern, aber ich darf Ihnen wenigstens das nicht verhehlen, was mit den Absichten zusammenhängt, die Herr von Mortagne mit Ihnen hatte. Vor seiner Abreise nach Italien dachte er an Ihre Zukunft und sprach mit mir, wie ich Ihnen schon sagte, von einer Heirath zwischen Ihnen und dem Sohne eines seiner besten Freunde, dem Herrn Abel von Rochegune, der damals zwanzig Jahr alt war und einst ein beträchtliches Vermögen bekommen sollte. Dieser junge Mann schien Herrn von Mortagne eine Ihrer würdige Partie. Jetzt ist Herr von Rochegune durch den Tod seines Vaters, eines der edelsten Charaktere unserer Zeit, Herr großer Güter. Er kommt von einer Reise zurück und Alles stimmt in dem Lobe seines Geistes und seiner Eigenschaften überein. Ohne schön zu sein, hat sein Gesicht unendlich viel Reiz. – Er hat Sie auf dem Gesandtschaftsballe gesehen; er wurde von Ihrer Schönheit ergriffen, und ohne die Affectation, mit welchem Fräulein von Maran Ihre Heirath mit Herrn von Lancry voraus proclamirte, würde Herr von Rochegune um die Gunst gebeten haben, Ihnen vorgestellt zu werden. Wenn Herr von Mortagne hier gewesen wäre, so würde er Ihnen seinen Schützling zugeführt haben. Ich sage Ihnen das, Mathilde, um Ihnen zu beweisen, daß Ihr Entschluß, die Rückkehr Ihres einzigen Freundes nicht abzuwarten, demselben um so peinlicher sein wird, da er Absichten hatte, von denen Ihr Glück ihm abzuhängen schien.
– Wäre Herr von Mortagne, dessen Güte ich nie vergessen werde, hier, so würde ich ihm antworten, daß ich eine ehrenvolle Wahl getroffen hätte, und daß keine Rücksicht mich abhalten würde, mit Herrn von Lancry mich zu verbinden – erwiederte ich mit jener unbeugsamen Hartnäckigkeit des Willens, die blinde, durch Widerspruch noch gesteigerte Liebe charakterisirt.
– So leben Sie denn wohl, Mathilde! sagte die Herzogin von Richeville mit bebendem Tone; geben Sie mir wenigstens die Versicherung, daß Sie an die Uneigennützigkeit meines Schrittes glauben; ich werde mich dadurch über den Kummer trösten, daß ich Ihr Vertrauen nicht zu gewinnen vermochte. – Sagen Sie, sagen Sie, daß Sie meiner nicht im Bösen gedenken.
Ich wollte ihr eben antworten, als Blondeau rasch hereintrat.
Die Herzogin von Richeville verbeugte sich bescheiden gegen mich und ging.
Jetzt, mein Freund, weiß ich so gewiß, daß ich nicht mehr daran zweifeln kann, daß die Herzogin von Richeville nicht durch einen bösen Nebengedanken geleitet wurde, als sie so zu mir sprach. Sie fühlte ein wahrhaft theilnehmendes Mitleid für mich. Ihre Dankbarkeit gegen Herrn von Mortagne, und das Interesse, welches meine Lage ihr einflößte, waren die einzigen Beweggründe ihres Schrittes gewesen.
Sie wissen, mein Freund, daß diese Frau in sich die auffallendsten Widersprüche vereint. Sie verbringt die Hälfte ihres Lebens damit, die Fehler, die sie begangen hat, bitter zu beweinen, und das aus dem Grunde ihrer Seele und ohne Heuchelei. Ihre hohe Stellung und ihr heftiger Charakter machen ihr jede Verstellung ebenso nutzlos als unmöglich.
Nein, sie ist eines jener besonderen Wesen, die ebenso mächtig für das Böse wie für das Gute sind; aus den Händen Gottes ging sie rein, edel und groß hervor; die Erziehung, die Welt, das Leben, in das man sie einführte, haben sie, mehr noch als ihre bösen Neigungen, strafbar gemacht. Aber es liegen in ihr so kräftige Eigenschaften, ihr Geist ist so scharf, ihr Verstand so richtig, ihr Urtheil so überlegen, ihr Herz ist so gut geblieben, ihre Seele so großmüthig, daß, wenn sie sich zuweilen inmitten verzweiflungsvoller Erinnerungen mit inniger Reue erhebt, sie zum Himmel einen flehenden und verzweifelten Blick und zur Erde ein Lächeln der Bitterkeit und Geringschätzung wirft.
Später, mein Freund, werde ich Ihnen einige bewundernswerthe Züge von dieser Frau mittheilen, die ohne Zweifel manches Unrecht beging, die aber stets so unwürdig verleumdet wurde; ich werde Ihnen ihre entsetzliche Heirath schildern, durch die sie vielleicht allein in den Abgrund geschleudert wurde, aus dem sie sich zuweilen erhebt, geläutert durch eine schmerzhafte Sühne.
Sie werden jetzt die Reue begreifen, welche mich erfaßt, wenn ich an die verächtliche Härte denke, mit der ich sie wegen eines Schrittes behandelte, den nur die rührendste Theilnahme veranlaßt hatte: noch wage ich nicht zu sagen, die verhängnißvollste Voraussicht.
Kaum hatte die Herzogin von Richeville sich entfernt, als ich zu meiner Tante ging. Die erste Person, die ich bei ihr erblickte, war Gontran.