Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.
Fräulein von Maran

Ich war eine Waise und habe meine Kindheit bei meiner Tante zugebracht, dem Fräulein von Maran, einer Schwester meines Vaters.

Ich wurde durch Madame Blondeau erzogen, eine vortreffliche Frau, die bei meiner Geburt schon seit langer Zeit im Dienste meiner Mutter stand.

Meine Tante hatte sich nie verheirathen wollen; sie war verwachsen, außerordentlich geistreich und spottsüchtig bis zum Uebermaß.

Ungeachtet ihrer Mißgestalt, ungeachtet ihrer Häßlichkeit, ungeachtet der außerordentlichen Kleinheit ihres Wuchses war es schwer, imposantere oder vielmehr hochmüthigere Züge zu finden, als die des Fräulein von Maran.

Sie flößte zwar nicht die achtungsvolle Ehrerbietung ein, welche der Adel der Züge, das vornehme Wesen, oder die freundliche Würde des Benehmens gebieten; aber bei ihrem Anblicke fühlte man Furcht und Mißtrauen gegen sich selbst.

Fräulein von Maran hatte meinen Vater nie verlassen; gegen die Mitte der Revolution emigrirte sie mit ihm nach England, nachdem sie seinen Kummer und seine Gefahren getheilt hatte.

Ungeachtet des Bösen, das meine Tante mir zugefügt hat, kann ich nicht umhin, anzuerkennen, daß sie ihren Bruder zärtlich liebte; aber die Liebe der Boshaften trägt auch ihren grausamen Stempel; man sollte glauben, sie liebten eine Person nur, um den Vorwand zu haben, hundert Andere zu hassen; sie lieben euch, aber sie verabscheuen die, welche ein Recht auf eure Neigung haben, oder euch ihre Anhänglichkeit beweisen.

So war die Liebe meiner Tante für meinen Vater.

Sie beherrschte ihn überdies vollständig durch den Hochmuth und die Festigkeit ihres Charakters. Er that nichts, ohne sie zu Rathe zu ziehen. Sie gab ihm stets Rathschläge voll Scharfsinn, Feinheit und Gewandtheit. Napoleon eben so sehr hassend, wie die Revolution, und innig vertraut mit mehreren Mitgliedern des englischen Cabinets, sah sie 1812 den Sturz des Kaiserreichs voraus, und bewog deshalb meinen Vater, seinen Wohnsitz in der Nähe von Hartwell zu nehmen und Ludwig XVIII. eifrig den Hof zu machen.

Sie selbst sah den König oft und gefiel ihm durch die kaustische Lebhaftigkeit ihres Geistes, die Sicherheit ihres Urtheils und die Freiheit ihrer Rede. Sie war innig vertraut mit der lateinischen Sprache und führte diesem Fürsten Citate an, die schlagend waren und um so feinere Schmeicheleien enthielten, da sie sich hinter einer beinahe cynischen Rauhheit verbargen.

Fein, gewandt, scharfsinnig, gefürchtet durch ihre sarkastische Bosheit, die, nichts fürchtend, Alles angriff, machte sich Fräulein von Maran aus ihrer Häßlichkeit, ihrer Schwäche, ihrer Mißgestalt eine Waffe oder ein Vertheidigungsmittel, um Männern und Frauen Trotz zu bieten. Sie gab sich selbst dem Spotte preis, um das Recht zu haben, Andere ohne Mitleid ihm opfern zu dürfen. Sie benutzte mit einer außerordentlich gefährlichen Kunst die Geheimnisse, die sie den Unbesonnenen oder Arglosen zu entlocken wußte, um später damit die durch ihre Arglist Betrogenen zu beherrschen; sie kannte den verwundbaren Fleck eines Jeden und wich vor keinem Spotte zurück, so bitter er auch sein mochte, indem sie dringend darum bat, ihrer ebenfalls nicht zu schonen.

Sie affectirte gewöhnlich eine gewisse Nachlässigkeit des Ausdrucks, welche sehr nahe an Gemeinheit grenzte. Ich hörte sie sagen, sie hätte einen Theil ihrer Jugend in Pontchartrain bei der alten Frau von Maurepas verlebt (wahrend der Verbannung des Herrn von Maurepas auf dieses Landgut) und dort jene Gewohnheit angenommen, sich gemeiner Ausdrücke zu bedienen, eine Gewohnheit, die unter der Regentschaft sehr in der Mode war und sich bei einigen Personen des Hofes noch bis zu Ende der Regierung Ludwig's XV. fortgepflanzt hatte.

Wundern Sie sich daher nicht, mein Freund, in meiner Schilderung hier und da auf Spuren einer Sprache zu stoßen, die in unsern Tagen sehr anstößig scheinen würde. Ich wollte nichts entstellen, was das Bild des Fräulein von Maran ähnlicher machen könnte.

Ludwig XVIII., der die Bitterkeit in den Epigrammen und die Derbheit in dem Scherze liebte, fand viel Gefallen an der Unterhaltung meiner Tante und sagte: »Man ist mit ihr behaglicher, als mit einem Manne und weniger genirt, als bei einer Frau.«

Im Jahre 1812 war mein Vater, der Marquis von Maran, ungefähr 40 Jahre alt. Mehrmals hatte er sich verheirathen wollen, aber seine Schwester, welche die Herrschaft über ihn zu verlieren fürchtete, hatte seine verschiedenen Heirathspläne vereitelt, entweder durch geschickt verbreitete Verleumdungen über die jungen Mädchen, die man dem Herrn von Maran vorschlug, oder indem sie ihm selbst einen so heftigen verstellungsfähigen Charakter beilegte, daß viele Väter von einer Verbindung mit einem solchen Schwiegersohne nichts mehr wissen wollten.

Herr von Maran sah meine Mutter; sie war so schön, von so reizendem Charakter, von so bezauberndem Geiste, daß er sich leidenschaftlich in sie verliebte, und zwar in so hohem Grade, daß er seiner Schwester seine Liebe und seinen Entschluß, sich zu verheirathen, zu gleicher Zeit bekannt machte.

Als Tochter eines Emigranten, des Baron d'Arbois, ehemaligen Generallieutenants in der Armee des Königs, war meine Mutter eben so arm, als ausgezeichnet schön.

Geizig und mißgestaltet, verachtete Fräulein von Maran die Armuth und verabscheute die Schönheit. Sie bot Alles auf, Bitten, Drohungen, Thränen, Spott, Tücke, um meinen Vater von seinem Entschlusse abzubringen; er blieb unbeugsam und heirathete meine Mutter.

Sie können sich denken, mein Freund, wie groß die Wuth, der Haß meiner Tante gegen meine Mutter sein mußte. Zum ersten Male in seinem Leben schüttelte mein Vater das Joch seiner herrschsüchtigen Schwester ab. Als eine gewandte Frau verbarg diese ihren Unwillen. In Gegenwart meines Vaters war sie anfangs kalthöflich gegen ihre Schwägerin; allmälig schien sie freundlicher zu werden und machte einige scheinbare Zugeständnisse; da sie aber fortwährend bei Herrn von Maran wohnte, gewann sie bald ihre frühere Herrschaft wieder.

Das Alter, der sarkastische, hochmüthige Geist des Fräulein von Maran imponirte meiner Mutter, einer Frau von engelgleicher Güte und deren Sanftmuth nur ihrer Schüchternheit gleichkam.

Mein Vater behandelte sie wie ein verzogenes Kind, und behielt alle ernsten Fragen für Fräulein von Maran.

Diese legte sich keinen Zwang mehr an, und ließ meine Mutter bald durch täglichen Kummer die verhängnißvolle Verbindung büßen, die sie geschlossen hatte.

Mein Vater, der beste Mensch von der Welt, hatte leider einen schwachen Charakter, obgleich voll Redlichkeit und Großmuth; er liebte seine Frau ohne Zweifel, fühlte aber für seine Schwester ebenso viel Anhänglichkeit als Verehrung, und betrachtete sie als den sichersten, den besten Führer, den er haben könnte.

Nach dem ersten Jahre der Heirath meines Vaters wurde der für einen Augenblick im Gleichgewicht gehaltene Einfluß des Fräulein von Maran wieder unumschränkter, als je. Meine Mutter begann mit Schmerz zu bemerken, daß sie das Vertrauen ihres Gatten nie besessen hatte.

Nichts geschah ohne den Anlaß oder ohne die Billigung meiner Tante; zwei oder drei Mal versuchte meine Mutter, Herrin in ihrem Hause zu sein, und beklagte sich bei ihrem Manne über die Eingriffe des Fräulein von Maran. Es folgten darauf grausame Auftritte.

Mein Vater erklärte meiner Mutter gerade heraus, er würde die brüderliche Liebe nimmermehr einem Gefühle opfern, das ohne Zweifel sehr lebhaft, aber doch erst ein oder zwei Jahre alt sei, während die erstere mit seinem Leben begonnen hätte und nur mit diesem enden sollte.

Von diesem Tage an fühlte sich meine Mutter tief verletzt. Zu stolz, um sich zu beklagen, zu schüchtern, um den Kampf mit ihrer Schwägerin zu wagen, ergab sie sich in ihr Geschick, und wurde dem Fräulein gänzlich geopfert.

Die Ereignisse, welche auf die Niederlagen von 1813 folgten, setzten meinen Vater in den Stand, seine ehrgeizigen Absichten zu befriedigen, und vermehrten noch den Einfluß des Fräuleins von Maran. Dank den Verbindungen, welche er auf den Rath seiner Schwester seit längerer Zeit mit Ludwig XVIII. geschlossen hatte, wurde Herr von Maran mit mehreren sehr wichtigen Sendungen an die Höfe von Wien und Berlin beauftragt.

Er setzte seine Schwester stets von dem Gange seiner Verhandlungen in Kenntniß. Sie war wirklich befähigt, an den wichtigsten politischen Händeln Theil zu nehmen. Ihre Rathschläge waren meinem Vater sehr nützlich und die ihm übertragenen Sendungen hatten den glücklichsten Erfolg. Im Jahre 1814 wurde er reichlich und ehrenvoll für seine Dienste belohnt, indem er eine sehr hohe Stelle in dem Staatsrathe Ludwig's XVIII. erhielt, dem er später nach Gent folgte und mit dem er nach Frankreich zurückkehrte.

Ich wurde 1813 während der Reise meines Vaters in Deutschland geboren. Dieses Ereigniß, welches meiner Mutter wieder einige Herrschaft über ihren Mann hätte geben können, wenn er bei ihr gewesen wäre, brachte nur eine sehr geringe Veränderung in die schon so sehr erkaltete Verbindung.

Je höher das Glück meines Vaters stieg, desto mehr wuchs auch die Herrschaft des Fräulein von Maran, desto peinlicher wurde die Lage meiner Mutter.

Der Salon meines Vaters war ein politischer geworden, dessen Honneurs Fräulein von Maran allein machte.

Meine Mutter, eine junge Frau von achtzehn Jahren, fühlte einen tiefen Widerwillen gegen die Staatsangelegenheiten, die sie nicht interessirten. Sie zog die Musik und Poesie den trockenen politischen Streitigkeiten vor, an denen sie weder Theil nehmen konnte, noch wollte.

Fräulein von Maran hingegen schien sich hier in ihrem wahren Elemente zu befinden. Als ich später in der Welt andere politische Frauen traf, überzeugte ich mich, daß sie einander alle gleichen. Sie sind ein Bastardgeschlecht, welches die ehrgeizigen, egoistischen Leidenschaften der Männer besitzt, aber nichts von der Anmuth des Weibes; Unfruchtbarkeit des Geistes, Dürre und Ohnmacht des Herzens, Härte des Charakters, lächerlich übertriebene Ansprüche auf Wissen, das ist es, was sie auszeichnet; mit einem Worte, die politischen Frauen haben etwas von dem Schulmeister und etwas von der bösen Stiefmutter, und wenn sie auch verheirathet sind, so gleichen sie doch stets alten Jungfern.


Bald schützte meine Mutter ihre Gesundheit vor, um sich aus der Welt zurückzuziehen, in welcher ihre Schwägerin sich so sehr gefiel. Sie wendete mir ihre ganze Zärtlichkeit zu. Sie liebte mich als die einzige Zuflucht vor ihrem Kummer, als ihren einzigen Trost, als ihre einzige Hoffnung.

Ihr Herz war so großmüthig, so gut, daß sie sich nie eine Klage, einen Vorwurf gegen Fräulein von Maran erlaubte.

Mein Vater wurde zum Pair erhoben.

Ein letzter, ein tödlicher Kummer war meiner Mutter vorbehalten; sie bemerkte, daß die Zärtlichkeit meines Vaters für mich immer mehr und mehr abnahm; er gewährte mir nur seltene und flüchtige Liebkosungen, indem er in seinem Stolze als erblicher Patrizier mit Bedauern sagte: »Wie Schade, daß es kein Knabe ist.«

Auf die Kälte, welche mein Vater mir zeigte, folgte bald eine gänzliche Gleichgiltigkeit.

Meine Mutter konnte diesen neuen Schlag nicht ertragen. Sie welkte noch einige Monate hin; dann starb sie!

Ich habe sehr oft und bitterlich geweint, wenn meine Gouvernante mir von den letzten Augenblicken der besten der Mütter erzählte; von der Furcht, welche meine Zukunft ihr einflößte, von ihrer ach nur zu sehr in Erfüllung gegangenen Besorgniß, mich in die Hände des Fräulein von Maran fallen zu sehen ...

Meine Mutter kannte die Schwäche meines Vaters. Sie ließ meine Gouvernante schwören, mich nie zu verlassen. Sie ließ sich auch von meinem Vater das Versprechen geben, sie bei mir zu behalten. Ach, ich sehe nur zu deutlich voraus, sagte meine Mutter zu der Blondeau, daß meine arme Mathilde auf der Welt Niemand haben wird, als Sie. Verlassen Sie sie nicht.

Ihre letzten Worte zu meinem Vater waren streng, rührend, feierlich: Ich sterbe sehr jung, ich habe viel gelitten, ich habe mich nie beklagt, ich verzeihe Alles; aber Sie sind vor Gott für das Schicksal meines Kindes verantwortlich.

Ungefähr ein Jahr nach dem Tode meiner Mutter begleitete mein Vater den Dauphin auf der Jagd, und stürzte mit dem Pferde. Die Folgen waren tödlich. Ich verlor ihn.

In einem Alter von vier Jahren war ich eine Waise, der Sorge meiner Tante, meiner nächsten Verwandten, übergeben.

Man muß gerecht gegen Fräulein von Maran sein: sie liebte ihren Bruder so sehr, als sie zu lieben vermochte. Ihr Benehmen gegen meine Mutter wurde durch eine Eifersucht dictirt, die sie bis zum Hasse trieb.

Fräulein von Maran betrauerte meinen Vater sehr; ihre Thränen waren bitter, ihre Verzweiflung in sich gekehrt, aber heftig. Ihr Charakter wurde noch galliger, ihr Witz noch schneidender, ihre Bosheit noch unerbittlicher.

Ich glich Zug für Zug meiner Mutter. Vergessend, daß ich das Kind ihres geliebten Bruders war, sah meine Tante in mir nur die Tochter einer Frau, die sie verabscheute. Ich sollte ihren Widerwillen gegen meine Mutter erben.


Während meiner Kindheit war Fräulein von Maran für mich fast ein Gegenstand des Schreckens: ihr langes, mageres, gelbbraunes Gesicht, ihre stark ausgesprochenen Züge erschienen noch härter durch eine Tour falscher schwarzer Locken, welche ihre Stirn verhüllten. Sie hatte graue, sehr dichte Augenbrauen, kleine braune und sehr stechende Augen; sie trug zu jeder Zeit ein Kleid von carmeliterbrauner Seide und einen Hut von derselben Farbe und demselben Stoffe; diesen hatte sie beständig auf, selbst Morgens in ihrem Bette, wo sie zu frühstücken, zu schreiben oder zu lesen pflegte, eingehüllt in einen Bettmantel, ebenfalls von carmeliterbrauner Seide, wie man sie vor der Revolution trug.

Wenn die Zeit kam, wo ich täglich zu meiner Tante gehen mußte, wurde ich von einem unwillkührlichen Zittern ergriffen und die Thränen erstickten mich.

Es bedurfte der ganzen Zärtlichkeit meiner armen Blondeau, um mich zu bewegen, zu Fräulein von Maran hineinzugehen. Sie hatte mir gesagt, wenn ich fortführe, diese Furcht zu zeigen, so werde sie gezwungen sein, mich zu verlassen. Nach dieser Drohung überwand ich meine Furcht, erstickte meine Thränen, preßte Madame Blondeau's Hand in meine kleinen Händchen, und wir brachen zu diesen gefürchteten Zusammenkünften auf.

Wir mußten durch einen ersten Salon, in welchem sich gewöhnlich der Haushofmeister meiner Tante, Namens Servien, aufhielt.

Dieser Mensch theilte mit dem Schoßhunde des Fräulein von Maran, Namens Felix, meinen unüberwindlichen Widerwillen. Servien hatte ein Maal beinahe über das ganze Gesicht, einen gewaltigen Mund, große, mit Warzen bedeckte Hände; er machte auf mich den Eindruck eines wahren Wehrwolfes.

Endlich öffnete sich die Thür zu dem Schlafzimmer des Fräulein von Maran, ich klammerte mich an Blondeau's Kleid und näherte mich zitternd dem Bette meiner Tante.

Meine Furcht war nicht ohne Grund, denn Felix, der kleine weiße Spitz, fuhr sogleich unter der Bettdecke hervor und zeigte mir knurrend seine beiden Reihen scharfer Zähne.

Mehrere Male hatte er mich bis auf das Blut gebissen; statt aller Strafe rief meine Tante ihm dann mit leiser Stimme zu, indem sie mir einen zornigen Blick zuwarf: Nun, nun, kleiner Narr, willst Du wohl das Kind gehen lassen? Du siehst ja, daß es nicht mit Dir spielen will.

Fräulein von Maran war sehr unterrichtet und war fortdauernd vertraut mit dem Laufe der politischen Angelegenheiten. Ich fand sie, ihrer Gewohnheit nach im Bette, in ihrem carmeliterbraunen Mantel und Hut, die Zeitungen lesend, oder einen großen Folioband, der durch ein Pult getragen wurde. Sie empfing mich stets mit einem Vorwurfe oder mit Spott.

Diese Auftritte haben sich so oft erneuert und einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht, daß sie mir noch in den geringsten Umständen gegenwärtig sind. Ich verweile dabei, weil die unablässige Furcht, von der ich seit meiner Kindheit beherrscht wurde, auf den Rest meines Lebens einen mächtigen Einfluß geübt hat.

Ich sehe noch jetzt das Zimmer des Fräulein von Maran vor mir.

Im Hintergrunde ihres Alkovens, der mit dunkelrothem Damast ausgeschlagen war, hing ein großes elfenbeinernes Crucifix, darüber ein ebenfalls elfenbeinerner Todtenkopf; das ganze trat aus einem Rahmen von schwarzem Sammet hervor.

Diese Frömmigkeit war nur ein Schein, eine Art von Anstandsäußerung, glaube ich, denn ich erinnere mich nicht, meine Tante zur Messe gehen gesehen zu haben.

Fast alle Scheiben des Fensters waren mit Stücken von buntem Glas bedeckt. Darunter befand sich eine Enthauptung Johannis des Täufers, welche mich lange in meinen kindlichen Träumen verfolgt hat.

Auf dem Marmor des rothlackirten Schreibtisches erblickte man in zwei Glaskästchen den Vater und den Großvater von Felix, prachtvoll ausgestopft.

Das boshafte Aussehen dieser Art unbeweglicher Phantome, mit ihren glänzenden Glasaugen, verursachte mir beinahe noch mehr Schrecken, als ihr Abkömmling.

Es lag für mich etwas Uebernatürliches in dem Anblicke dieser Thiere unter Glas, die sich nicht regten, nicht fraßen, und mir beständig die Zähne wiesen.

Mehrere alte Bilder hingen an dem grauen Täfelwerk der Wand; eines stellte meine Großtante vor, ehemals Aebtissin der Ursulinerinnen von Blois, ein kaltes, strenges Gesicht, bleich wie die Leinwandbinde, die ihre Stirn und Wangen umschloß.

Die anderen Bilder fielen mir weniger auf. Es waren mehrere unserer Verwandten des vorigen Jahrhunderts, in Hof- und Kriegstracht dargestellt.

Der Kamin endlich war mit zwei abscheulichen grünen Mißgestalten von chinesischem Porzellan geschmückt. Diese Ungeheuer waren vermittelst einer verborgenen Balancirstange in beständiger Bewegung, und verdrehten dabei zugleich ihre großen rothen Augen auf eine entsetzliche Weise.

Stellen Sie sich, mein Freund, ein armes Kind von fünf bis sechs Jahren mitten unter diesen geheimnißvollen Wundern vor, und Sie werden meinen Schrecken begreifen.

Aber ach, das war nur ein Vorspiel ganz anderer Qualen. Es handelte sich darum, ungeachtet des Gebelles und Zähneknirschens Felix's, mich auf das Bett meiner Tante zu setzen und mich von ihr küssen zu lassen.

Fräulein von Maran schnupfte sehr stark, und der Geruch des Tabaks war mir unerträglich. Gleichwohl, ungeachtet der Furcht und des Widerwillens, welchen meine Tante mir einflößte, fühlte ich mich dennoch gerührt durch die Zeichen der Zuneigung, die sie mir geben wollte. Ich machte unerhörte Anstrengungen, meine Angst zu überwinden, aber oft gelang es mir nicht.

Später habe ich erfahren (und das Benehmen meiner Tante hat mir ihren Widerwillen nur zu sehr bewiesen), daß es nicht aus Zärtlichkeit geschah, sondern um sich an meiner Angst zu weiden, wenn sie mir täglich meinen Morgenkuß gab.

Ein Auftritt unter andern hat mir eine unauslöschliche Erinnerung zurückgelassen; man kann darnach den Charakter meiner Tante beurtheilen. Eines Tages führte man mich zu ihr.

War es Ahnung oder Zufall? Nie war sie mir boshafter erschienen, ich wagte es nicht, mich ihr zu nähern. Ich bückte den Kopf so sehr, daß mir meine langen blonden Locken über das Gesicht fielen.

Endlich setzte Blondeau mich auf das Bett des Fräulein von Maran.

Diese faßte mich rauh in ihre Arme und rief mit Bitterkeit: Mein Gott, wie einfältig diese Kleine mit ihren großen starren Augen aussieht und mit ihren Haaren, die ihr über die Stirn fallen! Man muß ihr die Haare ganz rund abschneiden, wie einem Jungen.

Madame Blondeau, welche mir später alle diese näheren Umstände erzählt hat, faltete die Hände und rief: Heilige Jungfrau! Gnädiges Fräulein, es wäre ein Mord, die schönen blonden Locken Mathildens abzuschneiden! Sie fallen ihr bis auf die Füße herab.

– Nun, eben deshalb; damit sie nicht darauftritt. – Zu Ende! – Eine Scheere.

– Ach, gnädiges Fräulein, rief Blondeau mit Thränen in den Augen, ich beschwöre Sie, thun Sie das nicht. – Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen – das wäre beinahe eine Gottlosigkeit – eine Gotteslästerung.

– Was ist es – was ist es? fragte meine Tante mit ihrer gebieterischen und schneidenden Stimme, vor der Alles rings um sie her erbebte.

– Ja, gnädiges Fräulein, erwiederte meine Gouvernante mit zitternder Stimme, die Frau Marquise hat mir empfohlen, nie das Haar ihrer Tochter abzuschneiden – man hatte sie ihr selbst nie abgeschnitten – der armen Frau! – Sie hatte so schöne Haare! – Deshalb hat sie mir eben diese Ermahnung gegeben – ehe – ehe sie starb –, sagte die vortreffliche Frau und brach in einen Strom von Thränen aus.

– Sie sind eine unverschämte und abscheuliche Lügnerin! Meine Schwägerin hat nie eine solche Albernheit gesagt. – Eine Scheere – und zu Ende!

Mein Tante sagte die Worte: meine Schwägerin mit einem Tone so bitterer Ironie, daß sich mir später immer das Herz zusammenzog, wenn ich sie diese Worte aussprechen hörte.

Das Fräulein von Maran war so zornig, daß ich nicht erschrockener hätte sein können, hätte es sich um mein Leben gehandelt.

Mit einer Hand zog sie mich an sich, indem sie meine Arme in ihre langen, magern Finger schloß, die hart wie Eisen waren; mit der andern riß sie mir den Kamm aus den Haaren, die alsbald über meine Schultern herabrollten.

Der Schrecken machte mich stumm; ich hatte nicht die Kraft zu schreien.

– Fräulein, Fräulein, sagte Blondeau, indem sie auf die Knie fiel, im Namen des Himmels, thun sie das nicht; es wurde ein Unglück für Mathilden daraus entstehen, es heißt dem Willen ihrer sterbenden Mutter ungehorsam sein, gnädiges Fräulein!

– Werden Sie mir die Scheere geben oder nicht, albernes Thier, das Sie sind?

Aber mein Gott – mein Gott – gnädiges Fräulein!

Ohne ihr zu antworten, schellte meine Tante.

Servien erschien.

– Servien bringen Sie Ihre große Scheere her.

– Ja, gnädiges Fräulein, sagte Servien.

Er ging.

– Gnädiges Fräulein, rief meine Gouvernante entschlossen, ich bin nur eine arme Dienerin und Sie sind meine Gebieterin, aber eher laß ich mich tödten, ehe ich die Haare meines armen Kindes anrühren lasse!

Und meine Gouvernante ging auf das Bett zu, um mich den Händen meiner Tante zu entreißen.

Felix, durch diese Bewegung gereizt, sprang auf Blondeau zu und biß sie in die Backe.

– Ha, das boshafte Thier, rief sie in ihrem Zorn, faßte Felix beim Halse und warf ihn derb mitten in das Zimmer.

Der Hund stieß klägliches Geschrei aus; ich fühlte, wie sich die Nägel meiner Tante in meine nackte Schulter einbohrten.

– Fort von hier, fort von hier, Unglückselige! rief sie zu Blondeau.

Als sie dann Servien eintreten sah, fügte sie hinzu: Werfen Sie diese Unverschämte vor die Thür und kommen Sie dann zurück, die Kleine zu halten, damit ich ihr das Haar abschneide.

– Gnädiges Fräulein, Verzeihung, Verzeihung! rief Blondeau. Ich habe Unrecht gehabt; ich habe mich vergessen; aber haben Sie Mitleid mit Mathilde! – Gnade für ihre schönen Haare, Gnade! Und dann gnädiges Fräulein, die Hand ihrer sterbenden Mutter hat sie berührt – das hat sie geheiligt.

– Ein Wort noch, und ich jage Sie fort, verstehen Sie mich? erwiederte meine Tante.

Diese Drohung machte Blondeau erstarren. Sie wußte Fräulein von Maran fähig, ihr Wort zu erfüllen. Vor allem fürchtete sie, mich zu verlassen; sie fügte sich daher in das Opfer.

Mein ganzes Leben lang werde ich mich an diesen Auftritt erinnern. Er scheint kindisch zu sein, aber für mich war er gräßlich!

Servien, mit dem von Wein gedunsenen Gesichte, hielt die große Scheere offen. Ich glaubte er wollte mich tödten, und stieß durchdringendes Geschrei aus.

– Nehmen Sie sie doch in Ihre Arme, sagte meine Tante zu dem Menschen, und halten Sie sie fest; wenn sie sich wehrt, kann sie verwundet werden.

Ach, ich dachte nicht mehr daran, mich zu wehren. Ich hatte die Besinnung beinahe ganz verloren.

Blondeau verhüllte sich schluchzend das Gesicht; Servien packte mich mit seinen gewaltigen Händen.

Ich schloß die Augen; ich bebte, als der kalte Stahl meinen Hals berührte; ich hörte das Kreischen der Scheere; – ich fühlte wie meine Haare rings um mich her fielen.

Als die Execution beendigt war, sagte meine Tante zu Servien, indem sie aus allen Kräften lachte: Jetzt sieht sie aus, wie ein abscheulicher kleiner Chorknabe. – Servien, rufen Sie ein Mädchen, daß sie die schönen Haare ausfege!

Blondeau bat zitternd um die Erlaubnis, sie aufnehmen und bewahren zu dürfen.

Meine Tante erlaubte es, und gebot ihr dann, mich fortzuführen.

In dem Augenblick, als ich das Zimmer verlassen wollte, rief Fräulein von Maran mich zu sich zurück, betrachtete mich einen Augenblick und sagte dann mit einem neuen Ausbruch des Gelächters: Mein Gott, wie häßlich die Kleine so ist!

Als ich mit Blondeau auf unser Zimmer kam, nahm sie mich in die Arme und bedeckte mich mit Thränen und Küssen.

Ich hatte bei dem Anblicke der großen Scheere Servien's eine solche Furcht empfunden, daß die Entwickelung dieses Auftrittes mir beinahe glücklich erschien. Ich theilte die Verehrung und Bewunderung meiner Gouvernante für meine Haare nicht. Ich gestehe sogar, daß ich mich ziemlich zufrieden fühlte, im Garten umher laufen zu können, ohne mir jeden Augenblick das Haar aus der Stirn streichen zu müssen.

Aber die letzten Worte meiner Tante waren mir aufgefallen: Wie häßlich die Kleine so ist!

Ich bat meine Gouvernante, mich vor einen Spiegel zu tragen, und ich fand mein Gesicht so sonderbar, daß ich zum großen Kummer Blondeau's laut lachte.

Später vermochte ich mir das sonderbare Benehmen des Fräulein von Maran zu erklären. Sie hatte stets eine Antipathie, einen tiefen Widerwillen für Alles empfunden, was schön war; und ohne Eitelkeit, mein Freund, oder vielmehr nach der blinden Anhänglichkeit meiner Gouvernante, war ich als Kind ganz allerliebst. Dann hatte auch meine Tante stets meine Mutter verabscheut. Später machte ich in dieser Beziehung grausame Erfahrungen.



 << zurück weiter >>