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X.
Erste Communion

Ungeachtet ihrer Feinheit, ungeachtet ihres Verstandes, durchschaute Fräulein von Maran den Beweggrund meiner Rache gegen Felix nicht. Sie glaubte, ich hätte aus Haß und Rachgier gegen ihren Hund gehandelt.

Ich hatte mir zu meinem Entschlusse nur Glück zu wünschen; Ursula schien durch diesen sonderbaren Beweis meiner Freundschaft außerordentlich gerührt zu sein; die Bande unserer zärtlichen Zuneigung zogen sich immer fester und fester.

Ich fand den Charakter Ursula's dem meinigen sehr überlegen; ich war oft aufbrausend, eigensinnig, starrköpfig; meine Cousine dagegen zeigte stets eine vollkommene Ruhe und Geduld; ihr sanfter und schwimmender Blick umhüllte sich zuweilen mit Thränen, aber nie zeigte er das Feuer einer heftigen Aufregung. Sie schien dazu bestimmt, zu dulden, oder sich zu opfern.

Fräulein von Maran schien allmälig den Fehler zu vergessen, dessen ich mich schuldig gemacht hatte, und fuhr fort, mich bei jeder Gelegenheit, auf Kosten meiner Cousine, zu erheben.

Diese, ohne Zweifel beruhigt durch die Zeichen der Anhänglichkeit, die ich ihr fortwährend gab, schien von jetzt an fühllos gegen die Tücke meiner Tante zu sein.


Eines der wichtigsten Ereignisse in dem Leben eines jungen Mädchens, welches kein Kind mehr ist, meine erste Communion, erweckte später in mir neue ernste Gedanken.

Fräulein von Maran beobachtete keinen von den äußern Gebräuchen der Religion. Nichts in ihrer Sprache, nichts in ihren Gewohnheiten verrieth Gefühle der Frömmigkeit. Sie ließ uns daher diese feierliche Handlung nur wie eine Art gesellschaftlicher Nothwendigkeit vollbringen.

Unglücklicherweise erfüllte der Geistliche, der mit unserem religiösen Unterrichte beauftragt war, diese himmlische Aufgabe nur wie eine von den Pflichten seines Standes. Er hielt sich an den Buchstaben dieser heiligen Ceremonie und legte nicht den göttlichen Geist hinein, der unseren jugendlichen Verstandeskräften faßlich gewesen wäre. Ebenso zeigte er uns die Beichte nicht als eine Folge frommen und wohlthuenden Vertrauens, auf welche der Priester durch Trostsprüche und Hoffnung auf Verzeihung antwortet. Die Beichte war für uns ein peinliches und gefürchtetes Geständniß.

Dieser Priester, der täglich kam, um uns auf die Communion vorzubereiten, nannte sich Abbé Dubourg; von mürrischem, harten Charakter, schien er stets eilig zu haben, seine Conferenzen zu beendigen.

Seine Lehrweise war trocken, kalt, beinahe geringschätzend. Als ein beredter Prediger hatte er während zwei Fastenzeiten mit dem größten Erfolge gepredigt, und wünschte, wie ich glaube, sehr lebhaft, zu einem Bischofssitze zu gelangen. Er kannte den mächtigen Einfluß meiner Tante und hatte aus Berechnung das Amt übernommen, welches er bei uns ausfüllte, ein Amt, welches er wahrscheinlich als unter seinem Wissen und unter seiner Beredtsamkeit betrachtete.

Jetzt, da ich die Thatsachen vergleichen und würdigen kann, scheint es mir, als hätte sich der Unterricht des Abbé Dubourg in nichts von dem unserer andern Lehrer unterschieden; er gab uns Religionsstunden, und nichts weiter.

Ach, glücklich die jungen Mädchen, deren religiöse Erziehung durch die Zärtlichkeit einer Mutter entwickelt und befruchtet wurde, einer Mutter, der heiligen Vermittlerin zwischen ihrem Kinde und Gott.

Müssen nicht, so zu sagen, die hellglänzenden Strahlen des göttlichen Lichtes nur mittelst der mütterlichen Liebe in die noch so zarten und empfänglichen kindlichen Naturen eindringen? Außerdem wird man in diesem Alter geblendet, doch nicht aufgeklärt.

Der religiöse Instinct, der in mir lebte, der stets in mir gelebt hat, offenbarte mir indeß, wenn auch nur verworren, die Heiligkeit der Handlung, an der ich Theil nehmen sollte. In meiner Unwissenheit beschränkte ich indeß dieses majestätische Symbol, das unendlich ist, wie die Gottheit, nur auf meine persönlichen Gefühle.

Mit Ursula communiciren hieß für mich vor Gott die heilige Verpflichtung übernehmen, für sie die christlichste Schwester zu sein. So concentrirte ich in ihr die unbegrenzte Ergebenheit, welche die Religion für Alle fordert.

Unsere Communion am Fuße des Altares war für mich die heilige, die ewige Weihe unserer Freundschaft.

Ich weiß es, mein Gott, daß das heilige Gesetz sich über Alle erstreckt und nicht über einen Einzigen, aber der Heiland wird sich in seiner Barmherzigkeit zweier armer verwaister Kinder erbarmt haben, die in ihrer Unbefangenheit ihre rührende Freundschaft mit einer der imposantesten Mysterien der Religion in Verbindung brachten.


Von diesem Tage an erschienen unsere Bande mir unauflöslich; wir entwarfen die überspanntesten Pläne; wir wollten nie uns trennen, nie uns verheirathen; wir wollten leben wie meine Tante, beglückt durch die Freundschaft; und diese zukünftige Existenz alter Jungfern erschien uns als das beneidenswertheste Loos der Welt.

Die drei oder vier Jahre, welche auf meine erste Communion folgten, vergingen ohne wichtige Ereignisse.

Mein einziger Kummer war, mich täglich, ungeachtet meiner Bitten, eleganter gekleidet zu sehen, als meine Cousine, und meine Tante in unserer Beider Gegenwart zu denen, welche sie besuchten, sagen zu hören:

– Es ist unglaublich, wie die Jahre die Züge verändern. – Sehen Sie nur z. B.: Mathilde war als Kind nur hübsch; je mehr sie aber heranwächst, desto mehr gewinnt sie eine so vollendete, so ausgezeichnete Schönheit, daß man sich umdreht, um sie zu sehen. – Ursula dagegen, die ein recht nettes, kleines Mädchen war, wird, je größer, immer häßlicher; und dabei ist ihr Gesicht so gemein – so sehr gemein, während ihre Cousine eine so ausgezeichnet feine Gesichtsbildung hat. – Aber ach, was willst Du, liebe Kleine? fügte Fräulein von Maran hinzu, indem sie sich mit heuchlerischer Resignation zu Ursula wendete und ihren gutmüthigen Ton annahm – wir müssen uns fügen und es über uns ergehen lassen. – Unsere Linie in der Familie hat weder Anmuth noch Schönheit bekommen! Ich kann wohl davon sprechen, denn ich bin häßlich wie die sieben Todsünden und bucklig wie ein Nußsack. Aber apropos, fügte meine Tante hinzu, indem sie sich zu ihren Maulrednern wendete, finden Sie nicht, daß Ursula einen etwas gebogenen, einen etwas verdrehten Wuchs hat? Es ist beinahe nichts – aber doch etwas, nicht wahr? Es ist wie eine Familienerinnerung väterlicher Seits.

Die Speichellecker des Fräulein von Maran verfehlten dann nicht, nur schwach zu läugnen, meine Tante aber rief aus:

– Welch ein Unterschied mit Mathilde! – Das ist ein wahrer Feenwuchs, gerade wie ein Rohr, biegsam wie eine Weide; es giebt kein junges Mädchen ihres Alters, das wie sie Anmuth mit Würde, Geist mit Schönheit vereinigte. Was ist dabei zu thun? Du, die Du nicht diese schönen Eigenschaften besitzest, meine arme Ursula, folge mir, und um Dich darüber zu trösten, daß Du in jeder Beziehung Deiner Cousine so untergeordnet bist, bewundre sie; – denn siehst Du, die Bewunderung ist der Trost häßlicher, großmüthiger Seelen. Das wird von Deiner Seite nur um so besser gehandelt sein, da man Dich besonders dann häßlich findet, wenn man Dich mit Mathilde vergleicht. – Es ist gerade, wie bei mir: ich erschien nie so häßlich und mißgestaltet, als in der Gesellschaft einer jungen und schönen Frau; aber ich tröstete mich damit, wie ich Dir sagte, daß ich sie bewunderte. – Und dann hast Du auch tausend Gründe, um Mathilde zu lieben; Eure Freundschaft entzückt mich; denn sie beweist mir, daß Du nicht undankbar bist. Hat Deine Cousine nicht das glänzendste Mitleid von der Welt gegen Dich ausgeübt? hättest Du ohne ihre Wohlthätigkeit eine solche Erziehung genossen? Hätte Dir Dein Vater Lehrer für einen Louisd'or die Marke geben können? Noch einmal, Du thust Recht daran, Deine Cousine zu lieben, sie zu segnen; denn ihr verdankst Du es, wenn Du durch Deine Kenntnisse, Deine Talente vergessen machen kannst, daß Dein Gesicht ebenso wenig angenehm, als das ihrige entzückend ist.

Es konnte nichts Hinterlistigeres, Abscheulicheres, Gefährlicheres geben, als diesen Tadel und diese Lobsprüche über unsere physischen Vorzüge oder Nachtheile.

Ich habe nie die falsche Bescheidenheit begriffen, welche darin lag, seine Schönheit zu läugnen. Es ist eine von uns unabhängige Thatsache, wenn wir schön sind; dies eingestehen, heißt nicht, sich brüsten, sondern die Wahrheit sagen.

Ich begreife dagegen die ängstlichste, die mißtrauischeste Zurückhaltung in der Würdigung der Talente oder Vorzüge, die man erworben haben kann.

Ich glaube daher, daß ich mit 16 oder 17 Jahren schön war, wenn auch nicht so schön, als Fräulein von Maran behauptete; aber ich war es genug, um ihre Lobsprüche zu rechtfertigen, wären sie nicht so grausam übertrieben gewesen.

Ebenso war es mit dem Tadel, den sie gegen meine Cousine aussprach; ihr Wuchs war groß, schlank, vollkommen gerade; was aber der Bosheit meiner Tante einen Schein von Wahrheit verlieh, war, daß Ursula sich, wie viele junge Personen, die sehr schnell wachsen, etwas krumm hielt. Man sieht, mit welcher Kunst, mit welcher Ueberlegung Fräulein von Maran ihre Bosheit durchführte.

Es war dasselbe System, welches sie seit meiner Kindheit durchgeführt hatte. In einem gewissen Gesichtspunkte sprach sie die Wahrheit und überdies war ihre Waffe zweischneidig.

Meine Tante wollte Ursula in ihrer Eitelkeit schmerzlich verletzen und meine Eigenliebe bis zur Lächerlichkeit steigern.

Wenn die falschesten Begriffe, die anerkanntesten Lügen unablässig wiederholt werden, und so endlich tiefe Spuren in unserem Geiste zurücklassen, wie muß es dann sein, wo es sich um scheinbare Wahrheiten handelt?

Meine Cousine glaubte sich endlich jedes Reizes, jeder Annehmlichkeit baar; versicherte ich ihr das Gegentheil, so betrachtete sie meine Worte als die Folge eines zärtlichen Mitleids und antwortete mir:

– Mein Gott, wie gut Du bist, daß Du mich so zu trösten versuchst. – Ich täusche mich nicht und Fräulein von Maran hat Recht. Du bist eben so schön, wie ich häßlich; ich habe mich darein gefunden.

Ohne Zweifel war die Sprache meiner Cousine aufrichtig. Nichts ließ mich damals vermuthen, daß meine Tante ihren Zweck erreicht hätte, daß bittere Eifersucht in diesem aufrichtigen und reinen Herzen keimte.

Aber ach, die Zukunft wird beweisen, ob es nicht ein Verbrechen von Fräulein von Maran war, ein großes Verbrechen, daß sie, welche die geheimsten, verborgensten Falten des menschlichen Herzens kannte, es nur gewagt hatte, in der Seele Ursula's die entsetzlichste, die grausamste, die unversöhnlichste aller Leidenschaften zu erwecken: den Neid.

Die andere Gefahr – die, meine Eigenliebe übermäßig zu reizen, war minder ernst. Indem meine Tante so handelte, leistete sie mir, ohne es zu wissen, einen Dienst.

Sie sicherte mich dadurch für immer gegen übertriebene Schmeicheleien.

Was die Schmeicheleien gefährlich macht, ist die Gewohnheit, ist das Bewußtsein, mit Zärtlichkeit, Takt und Wahrheit gelobt worden zu sein.

Man giebt sich dann blind dem Zauber dieser wohlklingenden Worte hin; sie erinnern uns dann nur an eine Vergangenheit voll Vertrauen, Liebe und Aufrichtigkeit.

Welch eine unwiderstehlich bezaubernde Gewalt müßte nicht eine Schmeichelei haben, welche die Lobsprüche einer Mutter fortzusetzen schiene!


Wenn ich mit Ursula von unsern Mädchenplänen sprach, uns niemals zu verheirathen, Plänen, denen ich treu bleiben wollte, sagte sie mit trübem Lächeln:

– Das ist gut für mich, eine alte Jungfer zu werden, denn ich bin arm und häßlich. Du aber, reich, schön, reizend, Du wirst Dich verheirathen und wirst glücklich sein. Nur wirst Du mir ein kleines Plätzchen in Deinem Herzen aufbewahren, und auch in Deinem Hause, damit ich jeden Augenblick Zeugin Deines Glückes sein kann.

Ach, das Verhängniß verspottet oft bitter unsere Wünsche und unsere Pläne.

– Ich hatte mein siebzehntes Jahr erreicht. Meine Cousine und ich, wir waren fast nie aus dem Hôtel Maran gekommen.

Zuweilen gingen wir mit Herrn von Orbeval in die komische, oder in die große Oper; aber wir waren in der Welt noch nicht vorgestellt worden.

Sehr selten blieben wir Abends in dem Salon meiner Tante. Sie sah viel mehr Herren als Damen, und die Anwesenheit zweier junger Mädchen ist fast immer ein Zwang für die Unterhaltung.

Fräulein von Maran, welche ohne Zweifel daran dachte, mich zu verheirathen, entschloß sich mit großem Widerstreben, mich zu Anfang 1830 in die Welt einzuführen.

Sie theilte mir und meiner Cousine den Entschluß mit, indem sie, ihrer Gewohnheit nach, etwas Unangenehmes für Ursula hinzufügte. Nicht mehr bei mir allein, sagte sie, wirst Du durch die Vergleiche zu leiden haben, die man zwischen Dir und Mathilde anstellt, sondern auch in der großen Welt. – Waffne Dich mit Muth, mein liebes Kind. – Deine erste Prüfung wird bald erfolgen. Morgen Vormittag werde ich Euch der österreichischen Gesandtin vorstellen, und Mittwoch führe ich Euch auf den Ball, den sie giebt. Es ist Zeit, daß Ihr in die Welt eintretet. Ich bin alt, von schwächlicher Gesundheit; ich möchte nicht sterben, ohne meine theure Nichte verheirathet zu sehen – und besonders so verheirathet, wie ich es wünsche.



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