Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVI.
Das Liebesgeständniß

Ein Monat war seit dem Tage verflossen, an welchem ich mit meiner Tante und Herrn von Lancry in die Oper ging.

Dieser war sehr regelmäßig gekommen. Fräulein von Maran zu besuchen, Anfangs aller zwei bis drei Tage, und zuletzt täglich.

In dem Grade, wie unsere Vertraulichkeit zunahm, entdeckte ich an ihm tausend neue liebenswürdige Eigenschaften; man konnte keinen sich gleichbleibenderen, zuvorkommenderen Charakter, keine zartere Aufmerksamkeit finden. Sein feiner und erfindungsreicher Geist wußte so geschickt die Schmeichelei zu verbergen, daß selbst ich sie hinnahm, obgleich ich stets den Lobsprüchen mißtraute, indem ich mich aller der boshaften Uebertreibungen meiner Tante in Bezug auf meine angeblichen Vorzüge erinnerte.

Herr von Lancry war glühend und großmüthig, und es gab keine edle Sache, die er nicht mit Wärme vertheidigte. Voll Bescheidenheit litt er sichtlich, wenn man mit ihm von den Vorzügen sprach, welche ihm Auszeichnungen gewonnen hatten, die in seinem Alter jedenfalls selten sind. Was seine Erfolge in der Welt betraf, so konnte man leicht sehen, daß Herr von Lancry nicht die geringste Geckenhaftigkeit besaß, obgleich solche Dinge aus Schicklichkeit in meiner und Ursula's Gegenwart nur selten besprochen wurden; seine Unterhaltung war, wenn er wollte, wenn auch nicht ernst, doch wenigstens belehrend. Er war viel gereist und gereist mit Gewinn. Er sprach von den Künsten mit viel Geschmack und war den verschiedenen Literaturen nicht fremd.

Ihnen so ausführlich seine Vorzüge schildern, heißt beinahe Ihnen sagen, daß ich ihn liebte – ja, ja – ich liebte ihn.

Wie hätte ich ihn auch nicht lieben sollen? Bei meiner Tante fast in der Einsamkeit lebend, Niemand sehend als ihn, und ihn täglich sehend, wie hätte ich da wohl lange dem Zauber widerstehen können, der ihn so verführerisch machte? Ich habe Ihnen gesagt, wie traurig und einförmig das Leben war, welches ich bei meiner Tante führte. Sobald Herr von Lancry in näherem Umgang mit uns lebte, veränderte sich Alles: die Hoffnung, das Vergnügen, ihn zu sehen; das Verlangen, ihm zu gefallen; die Furcht, daß mir dies nicht gelingen möchte; die Rückerinnerungen während seiner Abwesenheit; die langen Träumereien; endlich die tausend geheimen Besorgnisse der Leidenschaft stürzten mich in eine fortwährende Unruhe, und die Zeit verfloß mit einer unglaublichen Schnelligkeit.

Ich liebte ihn – und ich war wechselsweise sehr glücklich und sehr unglücklich durch diese Liebe. Ich war glücklich, wenn ich in meinen seltenen Anfällen des Selbstvertrauens, in meinen Tagen des Stolzes auf Jugend, Schönheit und Liebe mich fragte, ob Gontran bei irgend einer Andern die Bürgschaft des Glückes finden könnte, die ich zu besitzen glaubte, und die ich ihm bieten konnte, wenn er meine Hand forderte.

Ich war unglücklich, ach, sehr unglücklich, wenn ich zweifelnd an mir selbst, an meiner Schönheit, zweifelnd beinahe an meinem Herzen, nicht zu glauben wagte, da Gontran mich lieben könnte, wenn ich mich selbst überredete, daß er mehr als je der Herzogin von Richeville zugethan sei.

Dann kehrten die Worte in meine Erinnerung zurück, welche sie mir in der Oper mit so theilnahmvollem Tone zugeflüstert hatte: Sehen Sie sich vor, armes Kind! Diese Worte kehrten in mein Gedächtniß zurück. In meiner Entmuthigung hatte ich dann nicht mehr die Kraft, diesen Mann zu hassen; ich legte dann diese Worte so aus, als hätte man zu mir gesagt: Sehen Sie sich vor, armes Kind; man will Sie mit Gontran verheirathen, und Sie haben nichts, was nöthig, um ihn zu gefallen. Sie werden leiden durch eine Liebe, die Sie allein fühlen.

Wenn mein Vertrauen wieder wuchs, sah ich in diesen Worten der Herzogin nur eine verdeckte Drohung, eine Art von Verbot, auf ein Herz Anspruch zu machen, daß sie besaß.

Ich war um so betrübter durch diese verschiedenen Gedanken, da ich sie Niemand anvertrauen konnte. Mein Vormund, Herr von Orbeval, hatte Ursula auf einige Zeit zu sich gerufen; unsere Trennung sollte zwar nur von kurzer Dauer sein, war aber nicht weniger peinlich. In diesem Augenblicke besonders war mir die Trennung von meiner Cousine doppelt bitter. Bei meinen betrübendsten Zweifeln beruhigte ich mich dennoch zuweilen, daß Fräulein von Maran nicht so offen und so vertraulich Herrn von Lancry empfangen haben würde, hätte er ihr nicht seine Absichten mitgetheilt. Gleichwohl hatten meine Tante oder der Herzog von Versac nie die geringste Anspielung auf die Möglichkeit einer Heirath zwischen mir und Herrn von Lancry gemacht.

Endlich hörten diese Martern auf.

Am 15. Februar – ich erinnere mich an diesen Tag, an diese Umstände, als ob Alles gestern erst vorgefallen wäre – am 15. Februar war ich allein in dem Salon meiner Tante, wo ich sie zu finden glaubte, aber sie war ausgegangen, indem sie befohlen hatte, den Personen, welche nach ihr fragen könnten, zu sagen, daß sie bald zurückkehren würde.

Ich las in den Betrachtungen von Lamartine, als ich die Thür des Salons öffnen hörte; Servien meldete den Vicomte von Lancry.

Niemals hatte ich mich mit Gontran allein befunden, und ich fühlte daher eine tödtliche Verlegenheit.

– Man hat mir gesagt, mein Fräulein, Ihre Fräulein Tante würde bald zurückkehren und ließe die Besuchenden bitten, sie zu erwarten. Nachdem er dann einen Augenblick gezögert hatte, fügte er mit bebender Stimme hinzu: Ich glaubte nicht das Glück zu haben, Sie hier zu treffen; erlauben Sie mir daher, diese seltene und kostbare Gelegenheit zu benutzen, um Sie anzuflehen, mich zu hören.

– Mein Herr – ich weiß nicht – was können Sie mir zu sagen haben? antwortete ich stotternd und mit einem beinahe schmerzhaften Herzklopfen.

Mit zitternder Stimme, deren bezaubernden Klang ich nie vergessen werde, sagte er hierauf:

– Lassen Sie mich mit der größten Freimüthigkeit zu Ihnen sprechen, mein Fräulein – und seien Sie so gütig, mir zu versprechen, daß Sie eben so antworten wollen.

– Ich verspreche es Ihnen, mein Herr.

– Nun wohl, mein Fräulein; – mein Oheim, der Herzog von Versac, ein Geheimniß mißbrauchend, welches er wohl errathen konnte, das ich ihm aber nicht anvertraut hatte, war entschlossen, für mich von Ihrer Fräulein Tante Ihre Hand zu erbitten. – Ich habe ihn beschworen, dies nicht zu thun.

Der Muth versagte mir. – Ich fühlte im Herzen einen heftigen Stich; ich glaubte, Herr von Lancry fühle Abneigung gegen mich und antwortete mit matter Stimme:

– Es war unnöthig, mir mitzutheilen – mein Herr – Ich vermochte nicht auszureden.

– Nein, mein Fräulein, das war nicht unnöthig; erlauben Sie mir, Ihnen dies zu sagen; ich konnte den Herzog von Versac nicht autorisiren, diese Bitte bei Fräulein von Maran anzubringen, bevor ich Ihre Zustimmung hatte.

– Und meine Zustimmung wollen Sie jetzt erlangen? rief ich, ohne meine Freude verbergen zu können, ohne daran zu denken, sie verbergen zu wollen. Nach einer Bewegung der Ueberraschung des Herrn von Lancry bereute ich beinahe meine Freimüthigkeit; ich fürchtete, er möchte sie ungünstig auslegen; ich erröthete, wurde verlegen und konnte kein Wort hinzufügen.

Nach einigen Augenblicken des Schweigens fuhr Gontran fort:

– Ja, mein Fräulein, es ist Ihre Zustimmung, die ich zu erbitten komme, ohne daß ich wage, sie zu hoffen. Sie sind frei in Ihrer Wahl und ich würde stets bedauert haben, der Gegenstand einer Forderung, einer Bitte gewesen zu sein, die Ihnen unangenehm wäre.

– Mein Herr, ich –

Gontran unterbrach mich, indem er mit dem Tone ernster Zärtlichkeit sagte: Mein Fräulein, noch ein Wort, ehe Sie durch eine Weigerung, vielleicht nicht übermüthige Hoffnungen, doch Wünsche vernichten, die ich kaum mir selbst zu gestehen wagte; erlauben Sie mir, Ihnen alle meine Gedanken zu sagen. Sie sind eine Waise; Sie stehen beinahe allein auf der Welt. Ich muß als redlicher Mann gegen Sie die ernste Sprache führen, die ich gegen Ihre Mutter führen würde. – Sie wissen, weshalb ich mich bei dieser Gelegenheit an Sie wende – und nicht an Fräulein von Maran, fügte Gontran mit einem bedeutungsvollen Tone hinzu, der mir bewies, daß er mein Verhältniß zu meiner Tante erkannt hatte, aus Zartgefühl aber nicht davon sprechen wollte.

Ich wurde lebhaft gerührt durch die ernste und innige Weise, wie Gontran sich aussprach.

– Ich verstehe Sie – sagte ich – und ich danke Ihnen.

– Wenn Sie mich gehört haben werden, mein Fräulein, fuhr er fort, werden Sie von der Zukunft eben so sicher urtheilen können, als wenn sie sich schon erfüllt hätte. Ich besitze vielleicht wenig gute Eigenschaften, aber ich bin stets ehrlich und aufrichtig in der Erfüllung meines Wortes gewesen. – Ich war von jeher entschlossen, mich nur mit einem Mädchen zu verheirathen, für welche ich die lebhafteste und achtungsvollste Liebe fühlte – jene innige und heilige Liebe, welche dem vorübergehenden Wohlgefallen der ersten Jugend eben so wenig gleicht, wie die flüchtigen Verbindungen, die aus dieser hervorgehen, der Dauer der Ehe gleichen; im Gegentheil ist mir auf der Welt nie etwas romantischer erschienen, als eine zärtlich übereinstimmende Verbindung – so wie ich sie träumte. – Um diesen Wunsch zu erfüllen, kommt es nur darauf an, die Schätze des Glückes, die eben so lange dauern können, als wir, zu schonen. – Dann durchschreitet man mit Entzücken und in einem gegenseitigen Vertrauen ein Leben voll Zärtlichkeit und Liebe, welchem das Genie des Herzens eine köstliche Mannigfaltigkeit verleihen kann – denn noch einmal – es giebt nichts Romantischeres, als die Ehe – wenn man sich zu lieben versteht.

Ich weiß nicht, weshalb mir in diesem Augenblick der Gedanke an die Herzogin von Richeville durch den Sinn fuhr; ich konnte mich nicht enthalten, Herrn von Lancry zu sagen:

– Dennoch, mein Herr, scheinen die vorübergehenden Verbindungen, von denen Sie sprechen, zuweilen –

– Ach, mein Fräulein, rief er, mich unterbrechend, aus, kann man sie je mit einem rechtmäßigen und wahren Glücke vergleichen? Ach, glauben Sie mir, wenn man für das Leben liebt, so erkennt man sehr bald das Nichtige dieser strafbaren Neigungen. Worin besteht denn ihr Zauber, daß man sie einer von Gott gesegneten Liebe vorziehen könnte? Wann eine Frau Einem vor Gott und den Menschen angehört, sollte man deshalb weniger den Reiz eines in ihrer Gesellschaft verbrachten Abends anerkennen? Sollte man es weniger genießen, von ihr vorgezogen zu werden, weil man dies durch Sorgfalt und Zärtlichkeit täglich in den Augen verdient hat? Ihr Geist, ihre Anmuth, ihre Triumphe – sollten sie uns minder theuer sein, weil ihr Blick den unsrigen ohne mindere Furcht suchen und wir ihr sagen können: Genieße, was Du einflößest! – Wenn sie in der Mitte der Welt ein Zeichen von uns mit geheimnißvollem und freundlichem Lächeln empfängt: sollte dann dieses Lächeln minder süß sein, weil es kein strafbares Einverständniß verkündet? Weil die Blumen, mit denen sie geschmückt ist, durch eine befreundete und geachtete Hand gepflückt wurden, haben sie deshalb weniger Glanz und Wohlgeruch? Wenn man reisen und sich von dem Pariser Tumulte in dem Anblick der Schönheiten der Natur erholen will, muß man denn durchaus eine Tochter ihrem Vater, eine Frau ihrem Gatten rauben, um die tausend Entzückungen einer verliebten Reise in einem bezauberten und poetischen Lande zu genießen?

Sollte denn der schöne Himmel Spaniens oder Italiens für die verschleiert sein, welche sich lieben können, ohne zu erröthen? – O, glauben Sie mir, ich wiederhole es Ihnen, es giebt unerschöpfliche Schätze reinen Glückes und romantischer Freude in einer Verbindung, welche sich auf Liebe stützt, so wie ich sie träume. – Denn ich gestehe Ihnen, es wäre mir unmöglich, in der Ehe ein doppeltes Alleinstehen zu erblicken, ein gleichgültiges oder nur ein anständiges und höfliches Leben zu führen. – O nein, nein – ich möchte in diesem Leben alle Freuden, alle Anbetungen, die die ganze Macht meines Herzens concentriren! Jetzt, sehen Sie, da ich die falschen Freuden der Jugend kenne, scheinen sie mir ebensoweit von dem wahren Glücke entfernt zu sein, wie der Aberglaube von der Religion. – Ich weiß nicht, mein Fräulein, ob Sie mich wohl verstanden haben; ich weiß nicht, ob ich Ihnen nur einen schwachen Begriff meiner Gefühle, meiner Gedanken geben konnte. Wenn ich so glücklich war, wenn Sie mir gegen meine Hoffnung erlaubten, die Werbung zu autorisiren, welche Herr von Versac bei dem Fräulein von Maran beabsichtigt – glauben Sie meinem Worte als redlicher Mann – mein Fräulein – geliebt von Ihnen – würde ich in Allem Ihrer würdig sein.

Indem Herr von Lancry diese letzten Worte sprach, auf einem Armstuhle neben dem meinigen sitzend, stand er mit einer Bewegung voll rührenden, beinahe feierlichen Ernstes auf.

Ich kann Ihnen nicht sagen, mein Freund, welche Regungen die für mich so neue Sprache in meinem Herzen erweckte; es schien mir, daß ein strahlender und neuer Horizont sich vor meinem Blicke öffnete; ich wurde von einem entzückenden Beben ergriffen, denn die Worte Gontran's über das Romantische eines rechtmäßigen Glückes gaben tausend unbestimmten und verworrenen Gedanken, die bisher in meinem Geiste geruht hatten, den Ausdruck.

Dieses entzückende Bild der Liebe in der Ehe, mit dem Zartgefühl, den Mysterien und dem Entzücken der Leidenschaft, versetzte mich in eine unaussprechliche Wollust.

Ich war zu innig glücklich, um meine Freude zu verbergen, um in meine Antwort die geringste Verstellung zu legen. Ich fühlte meine Wangen brennen, mein Herz klopfen, nicht vor Schüchternheit, sondern vor edler Entschlossenheit. Ich wollte auf gleicher Höhe mit dem Manne stehen, der so aufrichtig zu mir gesprochen hatte und dessen Worte mir ein unbesiegliches Vertrauen einflößten.

– Ich werde weder minder aufrichtig, noch minder offen sein, als Sie, sagte ich ihm. Ich bin eine Waise – ich bin nur Gott und mir Rechenschaft von der Wahl schuldig, die ich treffen kann, die ich treffen will. – Ich glaube an die Liebe, die Sie mir so schön, so süß schildern, weil ich selbst oft diese Hoffnung geträumt habe.

– Mein Fräulein, es wäre wahr – ich dürfte hoffen?

– Ich habe Ihnen versprochen, offen zu sein und ich werde es sein; ehe ich Ihnen, nicht eine Hoffnung, sondern eine Gewißheit gebe – erlauben Sie mir meinerseits einige Worte über meine Gesinnungen. Halten Sie das, was ich Ihnen sagen will, nicht für den Ausdruck eines Zweifels, der meinen Gedanken fern ist. – Ich liebe meine Cousine wie die zärtlichste Schwester, sie ist ohne Vermögen und will eine Ehe nach ihrem Herzen schließen; um sie in den Stand zu setzen, ihre Wahl frei zu treffen, wünsche ich ihr die Hälfte meines Vermögens zu sichern. Wenn sie sich nicht verheirathet, wünsche ich sie immer bei mir zu behalten. Willigen Sie ein, daß sie auch Ihre Schwester sei?

Anfangs sah Gontran mich staunend an, dann rief er mit gefalteten Händen:

– Welch ein edles Herz! Welches Gemüth! Wie könnte ich eine so große Anhänglichkeit nicht billigen – was sage ich – nicht bewundern! Wäre sie nicht eine Bürgschaft für Ihre edlen Gesinnungen, könnte man noch daran zweifeln? Und dann, kenne ich nicht Fräulein Ursula? Weiß ich nicht, daß sie so viel Ergebenheit verdient?

– O, schön, schön! sagte ich hingerissen, ich sehe, daß mein Herz ein Echo in dem Ihrigen findet. Jetzt noch eine letzte Frage – fügte ich stammelnd hinzu indem ich die Augen senkte: Die Herzogin von Richeville –

Ich vermochte nur diese Worte zu sagen.

Gontran antwortete mir sogleich: Ich verstehe Sie, mein Fräulein; – die Gerüchte der Welt sind bis zu Ihnen gedrungen. – Seit meiner Rückkehr aus England, oder vielmehr seit dem Balle bei dem österreichischen Gesandten – ich schwöre es Ihnen auf meine Ehre – habe ich mich nur mit einem einzigen Gedanken beschäftigt; – ich wage nicht zu sagen – mit einer einzigen Person.

Ich reichte Gontran die Hand hin und konnte zwei Thränen nicht zurückhalten, zwei sehr süße Thränen. – Wenn Sie die Hand der Waise wollen – so ist sie die Ihrige – ich reiche sie Ihnen vor Gott!

– Vor Gott auch leiste ich den Eid, sie zu verdienen! sagte Gontran und sank so reizend und so natürlich, beinahe möchte ich sagen, so fromm auf die Knie, indem er meine Hand an seine Lippen zog, daß mir an dieser Bewegung nichts übertrieben erschien.

In meinem Leben empfand ich keinen süßeren, ernsteren und zugleich triumphirenderen Eindruck.

Ich faltete die Hände und sagte mit tief gerührter Stimme:

– Mein Gott, mein Gott, ich danke Dir, daß Du mein Leben jetzt so lachend und so schön machst!

Ein Wagen rollte auf den Hof und verkündete die Rückkehr des Fräulein von Maran.

– Mathilde, sagte Gontran, wollen Sie mir erlauben, jetzt gleich, hier, in Ihrer Gegenwart, Ihrer Tante meine Bitte vorzutragen? – Dann – könnte ich vielleicht zurückkehren, diesen Abend bei Ihnen zuzubringen.

– O, ja, ja! rief ich voll Freude aus; Sie haben Recht – so können Sie diesen Abend zurückkehren.

Fräulein von Maran trat in den Salon.

– Ich wette, sagte sie, noch auf der Schwelle, zu mir, daß Du nicht weißt, was Fräulein Ursula in Touraine macht.

– Nein, meine Tante.

– Und Sie, Gontran?

– Ich weiß es durchaus nicht!

– Ich aber, ich weiß es. Ich komme von dem Notar des Herrn von Orbeval, der auch der meinige ist; er kramte aus – Sie errathen nicht was? Ich wette Hundert gegen Eins – ich wette Tausend gegen Eins –

– Aber, liebe Tante –

– Er kramte Documente aus, Schenkungen für Ursula, sagte Fräulein von Maran mit lautem Lachen; für Ursula, die sich verheirathet.

– Ursula verheirathet sich – ohne es mir zu schreiben! In ihrem letzten Briefe sagte sie mir davon kein Wort! rief ich mit schmerzlicher Ueberraschung aus.

– Warte nur, warte nur. Eben hat mir Pierron, als er mir die Wagenthür öffnete, einige Briefe gegeben, die ich einsteckte, ohne sie anzusehen; vielleicht ist einer von Ursula für Dich dabei.

Fräulein von Maran durchsuchte ihre Taschen, zog drei Briefe hervor, las die Adressen und sagte: Hier ist in der That einer, aus Tours gestempelt, für Dich.

– Mein Fräulein, sagte Herr von Lancry zu meiner Tante, was ich Ihnen zu sagen habe, ist sehr ernst. Ich verletze ohne Zweifel die üblichen Gebräuche, indem ich einen solchen Gegenstand ohne Einleitung berühre; aber ich bin so glücklich und besonders so eifersüchtig darauf, sobald als möglich das Vorrecht zu genießen, welches mir vielleicht gewährt wird – daß ich, der Zustimmung Fräulein Mathildens gewiß, Sie um deren Hand bitte.

– Mein Gott, rief meine Tante, was sagen Sie mir da, Gontran? Das ist ja wie ein Donnerschlag – ich kann mich nicht davon erholen. Eine auf solche Weise verabredete Heirath hat man noch nie gesehen.

– Sie sprechen die Wahrheit, mein Fräulein; wenn Sie Ihre Zustimmung gewähren und ich meinem Herzen glauben darf – so wird diese Ehe einzig unter allen Ehen sein, sagte Gontran, indem er mich ansah.

Ich bin in der That ganz betäubt. Das geschieht nie so, armer Gontran! Die Verwandten übernehmen dergleichen Eröffnungen mit allen Arten von Einleitungen und Vorreden. Man spricht davon zuweilen acht Tage, und dann nach andern Vorreden läßt man das kleine Mädchen kommen und sagt ihr, es könnte wohl sein, daß man eines Tages daran dächte, sie zu verheirathen; daß in diesem Falle ein junger Mann, der solche, und solche, und solche Vorzüge vereinigte, eine passende Partie zu sein schiene.

– Nun wohl, meine Tante, sagte ich heiter zu Fräulein von Maran, stellen Sie sich vor, diese acht Tage und diese langen Vorreden wären vorbei und Sie hätten zu dem kleinen Mädchen gesagt, daß eine passende Partie sich böte.

– Nun? sagte meine Tante.

– Nun – das kleine Mädchen nimmt sie mit inniger Dankbarkeit an, sagte ich zu Fräulein von Maran, indem ich mit Zärtlichkeit ihre Hand ergriff, zum ersten Male in meinem Leben.

Diese Hand war eiskalt. Sie drückte lange die meinige mit ihren fleischlosen Fingern, indem sie einen durchbohrenden Blick auf mich richtete, dann lächelte sie, wie sie lächeln konnte.

Ich vermochte es nicht, ein Gefühl unbestimmten Schreckens zu besiegen, welches jedoch gleich wieder verschwand.

– Willst Du denn wirklich den abscheulichen Taugenichts hier zum Manne haben, liebes Kind? Nun, es sei; ich will Dir nicht entgegen sein. – Ich willige ein – angenommen nämlich die Einwilligung des Herrn von Orbeval, Ihres Vormunds, und die Ihres Oheims, Gontran.

– Er wollte Ihnen dieselbe Bitte vortragen, mein Fräulein, sagte Herr von Lancry, außer sich vor Freude.

– Ach, meine Tante, Sie sind für mich eine zweite Mutter! rief ich in meiner Freude, indem ich Fräulein von Maran mit Innigkeit umarmte.

– Ha ha ha, hören Sie die Närrin? sagte meine Tante, indem sie laut lachte, mit ihrem schneidenden spöttischen Gelächter: Eine zweite Mutter!

Ach, ich hatte gelästert, indem ich dem Fräulein von Maran den Namen einer zweiten Mutter gab. – Gott sollte mich dafür grausam bestrafen.

Abends um neun Uhr kam Gontran mit seinem Oheim, dem Herzog von Versac, wieder. Dieser machte meiner Tante die officielle Anzeige, daß der König die Gnade gehabt hätte, ihm zu erlauben, seinen Herzogstitel und seine Pairie auf Herrn von Lancry zu übertragen, wenn dieser sich vermahlte.

– Du wirst also eines Tages Herzogin sein, was gewiß sehr angenehm ist, wenn man dabei über 100,000 Livres Renten hat, sagte Fräulein von Maran. Dann fügte sie hinzu:

– Apropos, von Renten – ich habe meine Thür für diesen Abend schließen lassen. Wir haben mit Herrn von Versac vom Contracte zu sprechen. Die Verliebten verstehen davon nichts. Laßt uns also in Ruhe und geht in meine Bibliothek.

Was soll ich Ihnen, mein Freund, von diesem Abend sagen, der so köstlich dazu verwendet wurde, von einer Zukunft zu plaudern, die sich so glänzend zeigte? War es möglich, gewissere Aussichten auf Glück zu vereinigen? Geist, Schönheit, Reiz, Zartgefühl, Verdienst, Geburt, Reichthum; – besaß nicht der, den ich heirathen sollte, alle diese Vorzüge?



 << zurück weiter >>