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XIV.
Der Tag nach dem Balle

Es giebt gewisse Eindrücke, die, wie gewisse Landschaften, in einiger Entfernung gesehen werden müssen, um ihren vollen Werth zu erhalten.

Als ich am Tage nach dem Balle meine Erinnerungen sammelte, als ich mich auf die kleinsten Umstände dieses Abends besann, fühlte ich, so zu sagen, die Rückwirkung.

Gleichwohl, weshalb soll ich es Ihnen verbergen, mein Freund, beherrschte unter diesen Erinnerungen eine einzige alle übrigen: es war die an Herrn von Lancry, wie er mit der Herzogin von Richeville walzte, – nach einer Melodie Weber's.

Diese ziemlich melancholische Melodie kehrte mir beständig in das Gedächtniß zurück, wahrend ich mich nicht an die des Contretanzes erinnerte, den ich mit Herrn von Lancry getanzt hatte.

Das Resultat meiner Eindrücke war sehr traurig. Die Welt erschien mir, ungeachtet ihrer vollendeten Artigkeit, ungeachtet ihres feinen und reizenden Aeußern, schon als ein Tummelplatz, auf welchem, das Lächeln auf den Lippen und Blumen auf der Stirn, die furchtbarsten Streiche geführt wurden.

Was zwischen dem Fräulein von Maran und der Herzogin von Richeville vorgegangen war, bewies mir dies nur zu sehr. Ich hatte nur höfliche Worte gehört und ihr Sinn verbarg irgend ein grausames Geheimniß.

Man hatte sich indeß sehr um mich gedrängt, und ohne falsche Bescheidenheit schien es mir, als hätte man mich schön gefunden. Wie ich bemerkte, hatten die Fräulein von B. und von P. kaum drei oder vier Contretänze getanzt, wahrend Ursula und ich noch mehrere abschlagen mußten. Ich hatte mich nicht enthalten können, während meines Vorübergehens jene Art des Geflüsters zu hören, welches für ein Frauenzimmer stets sehr schmeichelhaft ist. Herr von Lancry, ohne allen Vergleich der angenehmste Mann dieser glänzenden Versammlung, hatte sich mit vielem Eifer um uns beschäftigt, und doch ließen diese Eindrücke ein trauriges, bitteres Gefühl in mir zurück.

Nichts desto weniger verdankte ich dieser festlichen Nacht einen süßen Gedanken, eine bestimmte Hoffnung. Herr von Mortagne sollte kommen.

Ich freute mich seiner Rückkehr. Ich fühlte dunkel das Bedürfniß eines ernsten und zuverlässigen Rathgebers; ich empfand nicht nur einen tiefen Widerwillen gegen meine Tante, sondern ihre Lobsprüche, ihre Rathschläge, ihre Bemerkungen versetzten mich auch in eine beständige Besorgniß. Ich glich jenen Unglücklichen, welche in Allem, was sie zu den Lippen führen, Gift zu finden fürchten.

Ich liebte Ursula mit allen Kräften meiner Seele, aber sie war eben so jung, eben so unerfahren, als ich; ich rechnete ausschließlich auf die Ergebenheit der Blondeau, aber diese vortreffliche Frau hatte nur eine blinde Liebe für mich.

Mein Vormund, Herr von Orbeval, der Vater Ursula's, hatte sich nach Touraine auf ein Gut, welches er dort besaß, zurückgezogen; ich sah ihn nie; überdies wurde er, eben so wie meine andern Verwandten, durch meine Tante gänzlich beherrscht. Ich mußte daher die Ankunft des Herrn von Mortagne als ein für mich sehr glückliches Ereigniß betrachten; er hatte mir übrigens versprochen, zurückzukehren, wenn er mir wahrhaft nützlich sein könnte.

Was mein Verlangen, ihn zu sehen, noch lebhafter machte, war die Art von Schrecken, den meine Tante zeigte, als die Herzogin von Richeville ihr seine Rückkehr verkündete.

Während dieser Beschäftigungen meines Geistes trat Ursula in mein Zimmer; wir sprachen vom Balle und ich erwähnte um so heiterer des leisen Gefühles der Eifersucht, das sie mir vor unserer Abfahrt zum Balle eingeflößt hatte, da ich mich während der ganzen Dauer desselben über den Erfolg meiner Cousine nur gefreut hatte.

– Weißt Du wohl, liebe Ursula, sagte ich lächelnd, daß man vielleicht geglaubt hat, ich wäre meinetwegen so zufrieden, als man mich freudestrahlend sah, während ich doch im Gegentheil auf Dich stolz war? Aber was kümmert das uns, da wir die Einheit unsrer Herzen kennen.

– Wie findest Du Herrn von Lancry? fragte mich plötzlich meine Cousine.

– Ich finde ihn allerliebst, erwiederte ich, etwas überrascht durch diese Frage. Ja, allerliebst, besonders wenn er nicht mit dieser Herzogin von Richeville tanzt, die so gebieterisch aussieht.

Ursula sah mich aufmerksam an, senkte die Augen, schwieg einen Moment und fuhr dann fort:

– Soll ich Dir sagen, Mathilde, was ich glaube?

– Sprich denn, – schnell!

– Nun wohl – ich glaube, daß Fräulein von Maran und der Herzog von Versac entzückt sein würden, Dich mit Herrn von Lancry zu verheirathen.

Anfangs machte ich eine Bewegung des Staunens; dann brach ich in lautes Gelächter aus.

– Was findest Du denn so Unvernünftiges an dieser Vermuthung? fragte Ursula; hat der Herzog von Versac nicht Herrn von Lancry Fräulein von Maran vorgestellt? Hat diese Herrn von Lancry nicht sehr dringend aufgefordert, sie oft des Morgens zu besuchen? Wen aber empfängt sie Morgens? Fünf oder sechs ganz vertraute Personen. In welcher Absicht sollte sie zu Gunsten des Neffen des Herrn von Versac eine Ausnahme gemacht haben?

– Soll ich Dir sagen, Ursula, was ich glaube? erwiederte ich, indem ich mich des Ausdrucks meiner Cousine bediente; daß der Herzog von Versac und Fräulein von Maran entzückt sein würden, Dich mit Herrn von Lancry zu vermählen.

Jetzt kam die Reihe des Lächelns an Ursula.

– Welche Thorheit! sagte sie; eine so schöne Partie für mich armes Mädchen, demüthig und ohne Vermögen! Wäre das wohl möglich? Nein, nein, Du kennst mein Verlangen, meinen Entschluß, mich nie zu verheirathen; ich lasse mir zu viel Gerechtigkeit widerfahren, um nach dem zu streben, was ich nicht hoffen darf; und überdies, könnte es morgen von mir abhängen, Herrn von Lancry zu heirathen, so würde ich es doch nicht thun. Das überrascht Dich? Es ist dennoch so. Er ist zu schön, zu elegant, zu sehr in der Mode. – Das ist nicht das Glück, welches ich suchen würde; ich bin zu einer so glänzenden Stellung nicht geschaffen; mein Leben muß in der Dunkelheit verrinnen; ich darf kein anderes Glück haben, als das Deinige.

– Wir werden nie einig über die Rolle sein, die Du spielen zu müssen behauptest. – Meine gute Ursula, Du wirst sehen. Wenn ich meinem Herzen glaube, so wirst Du für Deine eigne Rechnung glücklich werden. – Aber um von Herrn von Lancry zu sprechen, weshalb sollen denn mir die gefährlichen Vorzüge, die er besitzt, besser gefallen, als Dir?

– Weshalb? Weil Herr von Lancry, indem er mich heirathete, eine Art von Mißheirath schlösse, während Du, die Du dieselben gefährlichen Vorzüge besitzest, wie mir scheint, über die Folgen einer solchen Heirath nur entzückt sein kannst und mußt.

– Ursula, Du bist thöricht. Herr von Lancry denkt ebenso wenig an mich, als ich an ihn, und überdies würde ich, gleich Dir, ein minder glänzendes und eben dadurch dauerhafteres Glück vorziehen.

– Aber Du findest doch Herrn von Lancry allerliebst?

– Mein Gott, wie boshaft Du bist! Nun ja, so viel wie man Jemand reizend finden kann, den man nur zwei Stunden gesehen hat.

Gut, und Du findest ihn besonders reizend, wenn er nicht mit der Herzogin von Richeville walzt.

Ich konnte mich nicht enthalten zu erröthen. – Ja, sagte ich zu meiner Cousine, ich weiß nicht, weshalb das so ist, und eben so wenig weiß ich, weshalb ich erröthe, indem ich die Worte, die ich Dir sagte, wiederholen höre.

– Weshalb – weshalb? Soll ich es Dir sagen? erwiederte meine Cousine traurig. – Weil Du ihn lieben wirst.

– Ursula, noch einmal, Du bist verrückt!

– Nein, nein, Mathilde – ich bin nicht verrückt; meine Freundschaft für Dich, meine Furcht, von Dir vergessen zu werden, meine eifersüchtige Zuneigung, wenn Du willst, vertreten bei mir die Stelle einer Erfahrung, die ich nicht besitzen kann, und klären mich mehr vielleicht als Dich selbst, über Deine Gefühle auf. – Mathilde – ich mußte auf diese Veränderung in Deinem Leben gefaßt sein; früher oder später konnte das nicht ausbleiben. – Verzeih' – verzeih' mir deshalb meine Thränen.

Und sie warf sich mir weinend in die Arme.

Ich kann Ihnen nicht sagen, mein Freund, mit welcher innigen Rührung ich auf diesen Beweis der Zuneigung Ursula's antwortete; ich trachtete, durch die zärtlichsten Versicherungen sie zu beruhigen.

– Sieh, sagte ich zu ihr, indem ich meine Augen trocknete, mehr ist nicht nöthig, um mir Herrn von Lancry verhaßt zu machen – ich schwöre Dir –

– Mathilde – schweig, sagte Ursula, indem sie mir sanft die Hand drückte; schweig – ich bin albern, thöricht gewesen, meiner ersten Regung nachzugeben, aber sie war stärker als ich; mein armes Herz war voll, es strömte über, und außerdem kann ich Dir nichts verbergen, was ich für Dich oder Deinetwegen fühle.

Blondeau unterbrach unser Gespräch; sie trat mit dem Ausrufe ein:

– Ach Gott, Fräulein, der schöne Wagen! Es ist nie ein solcher auf den Hof des Hôtels gekommen, ganz gewiß nicht! – Und was für ein allerliebster junger Mann stieg heraus. Er fragte nach Fräulein von Maran und stieß auf der Treppe gegen Herrn von Bisson, der ohne Zweifel wieder etwas zerbrochen hat, denn er ging sehr rasch und hatte in der Eile seinen Hut vergessen.

Ursula sah mich an; ich verstand sie. Dieser junge Mann, von dem meine Gouvernante sprach, konnte Niemand anders sein, als Herr von Lancry.

Ich wurde durch diesen schnellen Besuch verletzt; es schien mir ein Mangel an Tact darin zu liegen; ich beschloß, unter irgend einem Vorwand nicht in den Salon hinabzugehen, wenn Fräulein von Maran mich bitten lassen sollte, hinabzukommen.

Wir hörten einen Wagen rasseln; Blondeau eilte an das Fenster und rief: Ach, da fährt der junge Mensch schon wieder fort, sein Besuch hat nicht lange gedauert.

Ich fühlte mich einer großen Last entledigt und bedauerte beinahe, daß ich mich nicht hatte weigern können, zu Fräulein von Maran hinabzukommen.

Kurz nach dem Mittagsessen gingen wir zu meiner Tante in den Salon; sie war allein und schien sehr zornig.

– Nun, sagte sie, wißt Ihr noch nichts von dem neuen Zug dieses abscheulichen Alles-Zerstörer's Bisson? Aber Gott sei Dank, er wird keinen Fuß wieder zu mir setzen.

– Hat Herr Bisson wieder etwas zerbrochen, Tante?

– Ob er etwas zerbrochen hat! – Ei, ja wohl hat er! und das ist die Schuld des Dummkopfes Servien! rief meine Tante mit verdoppelter Wuth. Ich hatte ihm ein- für allemal verboten, diesen häßlichen Menschen in meinem Salon allein zu lassen. Ich war in meinem Cabinet und schrieb einen Brief; die Thüre stand halb offen, da hörte ich plötzlich ein Geräusch wie den Ton einer Schnarre; ich wußte nicht, was das sein konnte, stand auf, trat in den Salon, und was seh ich? Den unwürdigen Herrn Bisson auf meinem Armstuhle, meine Pendeluhr zwischen seinen Füßen und mit meiner Scheere in dem Werke herumarbeitend. Schon hatte er die große Feder gesprengt, und daher rührte der schnarrende Ton, den ich gehört hatte.

Fräulein von Maran war so zornig, daß sie unser unterdrücktes Gelächter nicht bemerkte, sondern fortfuhr: Wahrhaftig, ich hätte ihn geprügelt, hätte ich die Kraft dazu besessen.

Sie haben also geschworen, hier Alles zu zerstören! Können Sie sich denn nicht ruhig halten, abscheulicher Mensch, der Sie sind! sagte ich zu ihm.

– Was soll ich denn thun, während ich auf Sie warte? Ich langweile mich, wenn ich nichts vornehme, antwortete er mir so dumm und so kalt, indem er die Uhr auf den Boden setzte, daß ich mich wahrhaftig nicht mehr halten konnte. Ich fühlte mich empört und stieß und drängte ihn, so daß er ganz wild davon lief.

– Ohne seinen Hut mitzunehmen, der dort auf dem Stuhle liegt, sagte ich zu meiner Tante.

– Desto besser! rief sie. Ich wünschte, er trüge eine Gehirnentzündung davon, daß man ihn wie einen abscheulichen Narren einsperrte, der er trotz aller seiner Kenntnisse ist.

Fräulein von Maran mußte wirklich sehr zornig sein, denn sie wies barsch die Liebkosungen des ehrwürdigen Felix zurück, der brummend in seinen Korb zurückkroch.

Felix's Anblick erinnerte mich an die Tapferkeit des Herrn von Mortagne, die ich in meiner Kindheit so bewundert hatte, als er es wagte, dieses häßliche Thier mit dem Fuße zu stoßen. Ich faßte mir den Muth, Fräulein von Maran zu fragen, wo Herr von Mortagne sei und ob er bald kommen würde.

Ich glaubte meine Tante wollte mich mit ihrem Blicke zu Boden schmettern.

– Geht Dich das etwas an? rief sie. Weshalb thust Du die Frage? Kümmere ich mich darum, was dieser Mensch macht? Gott sei Dank, was auch die Herzogin sage, deren Seele eben so schwarz ist, wie die Hölle, so genüge es Dir, zu wissen, daß er wohl aufgehoben ist, wo er ist, und daß er lange dort bleiben wird; verstehst Du? der abscheuliche Jakobiner!

Ich unterstreiche diese Worte, mein Freund, weil ich unwillkürlich über den wilden, unheimlichen Ausdruck bebte, mit dem meine Tante sie aussprach. Ich erinnerte mich unwillkürlich, daß sie vor zehn Jahren und beinahe an derselben Stelle einen unversöhnlichen Blick auf Herrn von Mortagne geworfen hatte, indem sie in ihrer stummen Wuth die Stricknadel, die sie in der Hand hielt, zerbrach.

Ich fand kein Wort, Fräulein von Maran zu sagen oder zu antworten, so sehr war ich erschrocken.

Nach einigen Augenblicken des Stillschweigens fuhr meine Tante fort:

– Gontran hat mir für morgen die Loge der Kammerherren angeboten; ich habe es angenommen und wir werden fahren.

Ich glaubte sehr heldenmüthig zu handeln und meine Freundschaft für Ursula zu beweisen, indem ich diese Gelegenheit verweigerte, Herrn von Lancry wiederzusehen.

– Ich bin ermüdet vom Balle, Tante, erwiederte ich; ich würde es vorziehen, nicht in die Oper zu gehen.

– Du wirst vorziehen, was ich Dir befehle vorzuziehen, antwortete Fräulein von Maran mit schneidendem Tone.

Ursula warf mir einen flehenden Blick zu.

– Ich werde in die Oper gehen, wenn Sie es durchaus verlangen, sagte ich zu meiner Tante.



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