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XVII.
Der Brief

Wie groß war meine Ueberraschung, als ich, auf mein Zimmer zurückgekehrt, in meinem Arbeitskabinet einen großen Korb mit Jasmin und Heliotrop, meinen beiden Lieblingsblumen gefüllt, vorfand.

Wir waren im Februar. Erst seit dem Morgen hatte Gontran, so zu sagen, das Recht, mir Blumen anzubieten; ich konnte nicht begreifen, wie er in so kurzer Zeit diese Masse von Blumen zusammenzubringen vermocht hatte, welche in dieser Jahreszeit noch seltner als kostbar sind.

Ich war tief gerührt durch diese Zuvorkommenheit. Blondeau erwartete mich; ich theilte ihr mein ganzes Glück, alle meine Hoffnungen mit. Nachdem diese vortreffliche Frau mich angehört hatte, antwortete sie mir:

– Ohne Zweifel, mein Fräulein, glaube ich, daß der Herr Vicomte von Lancry so liebenswürdig ist, wie Sie sagen; er wird eines Tages Herzog und Pair werden – das ist möglich; aber erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß es immer klug ist, ehe man sich verheirathet, Erkundigungen einzuziehen.

– Wie! Erkundigungen? Du bist verrückt! Hat sein Oheim, der Herzog von Versac, meiner Tante nicht Nachrichten über ihn gegeben?

Blondeau schüttelte den Kopf.

– Nachrichten von Verwandten sind immer gut, mein Fräulein; diesen darf man nicht immer glauben, selbst denen der Welt nicht immer.

– Was willst Du damit?

– Sehen Sie, Fräulein; wenn Sie mir es erlauben wollten, so würde ich mich bemühen, Manches zu erfahren, indem ich die Leute des Herrn Vicomte zum Plaudern brächte.

– Ha, das ist unwürdig! – Und Du wagst es, mir von so einer erniedrigenden Spionerie zu sprechen? – Erinnere Dich nur an Etwas! rief ich. Wenn Du nur den geringsten Werth auf meine Anhänglichkeit für Dich legst, so versprich mir auf der Stelle, an die Leute des Herrn von Lancry nicht die geringste Frage zu richten.

– Aber, mein Fräulein, es ist Ihre Tante, welche, so zu sagen, diese Heirath gestiftet hat! Vergessen Sie denn alle ihre Bosheiten? Den Haß, den sie gegen die arme Frau Marquise, Ihre Mutter, hegte, die sie durch Kummer tödtete? – In dem Augenblicke, wo Sie sich für immer binden wollen, überlegen Sie dies wohl, mein Fräulein. – Verzeihen Sie mir, wenn ich so spreche. Ich bin nur eine arme Frau, aber ich liebe Sie wie mein Kind. Dies Gefühl flößt mir Gedanken ein, die über meine Lage gehen, und den Muth, sie Ihnen zu sagen. Armes Fräulein – Sie sind so vertrauungsvoll, so gut, so großmüthig, daß Sie Niemand mißtrauen. Gerade wie mit Fräulein Ursula; ich halte sie nicht für aufrichtig, ungeachtet ihrer Seufzer und ihrer Opfermiene.

– Höre mich an, Blondeau: ich begreife, daß eine Art Eifersucht Dich dazu antreibt, ungerecht von Fräulein d'Orbeval zu sprechen; ich entschuldige daher auch dies Gefühl; aber ich bitte Dich, Dir nicht die geringste Anspielung auf eine Verbindung zu erlauben, die ich schließen will, weil ich sie ehrenvoll und schön finde. Ich weiß, was ich thue; ich bin kein Kind mehr. Nicht Fräulein von Maran hat mir von dieser Heirath gesagt, sondern ich habe mit ihr davon gesprochen. – Uebrigens, das fühle ich hier – lebte meine Mutter noch, so würde sie die Wahl meines Herzens billigen.

– Mein Fräulein, noch eine Bemerkung! Wenn, wie Sie nicht zweifeln, die Erkundigungen, die man über den Herrn Vicomte einziehen kann, befriedigend sind, was macht es Ihnen dann aus, wenn –

– Höre, sagte ich zu Blondeau mit einem sehr festen Tone, ich kann Dich nicht hindern, nach Deinem Kopfe zu handeln; aber was es mich auch kosten würde – und es würde mir sehr schwer werden, mich Deiner Dienste zu berauben – ich erkläre Dir, daß ich, wenn Du mir noch ein Wort über diesen Gegenstand sagst, Dein Schicksal sichere, und Dich für immer von mir entferne.

– Ach, Fräulein, sehen Sie mich nicht so an. Mein Gott, das ist wie damals, als Sie noch ganz klein waren, und, verführt durch die bösen Rathschläge Ihrer Tante, mir sagten: daß ich das Geld mehr liebte, als alles Andere.

Und die arme Frau brach in Thränen aus.

– Ach, sagte ich mit ärgerlicher Ungeduld und beinahe hart, ich war so glücklich; mußt Du mich mit Deinen lächerlichen Visionen von diesem Glücke abbringen?

Dann nahm ich den köstlichen Korb mit den Blumen, die Gontran mir geschickt hatte und trug ihn in mein Zimmer, denn ich wollte Niemand die Sorge überlassen, ihn zu berühren. Von diesem Tage an gewöhnte ich mich daran, Blumen um mich zu haben, ohne etwas Anderes davon zu empfinden, als eine leichte Betäubung, die nicht ohne Reiz ist.

Allmälig verschwand die Ungeduld, die Blondeau in mir erweckt hatte, unter dem Zauber meiner Erinnerungen dieses Tages. Meine Gedanken waren so mächtig gewesen, daß ich den Brief Ursula's, die mir ihre Heirath anzeigte, noch nicht geöffnet hatte.

Ich habe diesen Brief, so wie mehrere andere, aufbewahrt. – Hier ist er.

Wenn Sie ihn lesen, werden Sie bemerken, daß sein Styl etwas prätentiös und romanhaft ist. Ich zankte zuweilen mit meiner Cousine über diese Art zu schreiben, ohne sie jedoch davon heilen zu können.

Sie, mein Freund, der Sie beinahe alle Phasen meiner Freundschaft für Ursula, und die Folgen ihrer Verheirathung eben so gut kennen, als ich, Sie werden ein bitteres Lächeln nicht zurückhalten können, wenn Sie diese thränenvollen seufzenden Zeilen lesen, in denen sie sich als ein so trübes Opfer darstellt.

Aber damals waren die Zeiten noch nicht verändert, ich besaß noch meine ganzen Illusionen und wurde durch das Unglück Ursula's grausam ergriffen.

Um Alles zu sagen, war dieser Brief, der mit einer sehr sichern und ruhigen Hand geschrieben war, schwarz gesiegelt, mit einem Steine, der einen Todtenkopf darstellte, ein auffallendes Siegel, welches Ursula sehr liebte.

Saint-Norbet, Februar 1820.

»Es ist geschehen, Mathilde, Deine arme Ursula ist geopfert; es bleibt ihr nichts mehr übrig, als ihr ganzes Leben den Thränen und der Trauer zu widmen. Kaum erblickt sie in der Mitte der finstern Zukunft, die ihrer wartet, einige Strahlen des Trostes, die sie ohne Zweifel Deiner theuren Freundschaft verdanken wird. – Aber mein Gott, weshalb wundere ich mich über den neuen Schlag, der mich trifft? Bin ich nicht seit langer Zeit daran gewöhnt, zu leiden? Als ein dem Unglück geweihtes Opfer kann ich nur die Stirn beugen und weinen!

»Verzeihung, meine Freundin, meine Schwester, wenn ich Deine Freuden durch diese Klagen trübe, welche meiner in Verzweiflung gestürzten Seele entströmen; denn ich ahne es, Du wirst glücklich sein. Du bist es nach Deinem Herzen: Du wirst den heirathen, den Du liebst. – So schön, so reich, so reizend, wie Du bist, darfst Du Dich nur zeigen, um zu gefallen.

»Die arme Ursula dagegen, ohne Schönheit, ohne Vermögen, wurde schon bei der Geburt beinahe dem Unglück geweiht. – Was willst Du? Das ist ihr Geschick! – Doch was sage ich? – Nein, nein, ich bin ungerecht; bin ich Dir nicht auf meinem Wege begegnet? Hast Du nicht der kleinen Verlassenen die Hand gereicht? Verdankt sie nicht Deiner Großmuth, Deiner rührenden Freundschaft das köstlichste der Güter, eine glänzende Erziehung, wie mir dieses Fräulein von Maran täglich und mit Recht wiederholte?

»Verdanke ich Dir nicht – verdanke ich Dir nicht noch das süßeste, das theuerste Gefühl meines Herzens? Ach, außerdem – ohne die unwillkürliche Hoffnung, die es mir giebt, wäre ich schon vor Verzweiflung gestorben – Du hättest Deine Freundin nur noch zu beweinen.

»Höre, Mathilde. Es ist eine Thorheit, wirst Du sagen – mag sein – aber es ist eine schmerzliche und traurige Thorheit, ich versichere es Dich. – Ich habe trübe Ahnungen – ich weiß nicht, welches Loos meiner wartet – auf jeden Fall möchte ich Dir ein Andenken an mich hinterlassen, möchte Dir meine Bücher schenken und den kleinen Korallenschmuck, den Du kennst.

»Ach, ich bin ohne Vermögen, besitze nichts. – Verzeihe die Armuth dieses Geschenkes; aber es wird Dich wenigstens an unsere Tage der Arbeit, an unsere unschuldige Coquetterie junger Mädchen erinnern, nicht wahr, Mathilde? – Du wirst Deine Freundin beweinen! Nicht wahr, eine flüchtige Erinnerung an sie wird zuweilen Deine Gedanken in der Mitte der glänzenden Feste durchkreuzen, deren Königin Du sein wirst.

»Ich möchte hier mein letztes Asyl haben. Ich bin oft auf den bescheidenen Gottesacker des Dorfes gegangen; er hat nichts Abschreckendes; es ist ein grüner Rasenplatz, umgeben mit einer Hecke von Hagedorn und Flieder, welche im Frühjahr mit Blüthen bedeckt sein muß. Man erblickt auf demselben hier und dort hölzerne Kreuze. – O, wie süß wäre es mir, hier mit den demüthigen Geschöpfen vermengt zu werden, die in diesen unbekannten Gräbern ruhen; denn ich wäre dann, gleich ihnen, unbekannt durch diese Welt geschritten.

»Verzeihung, Mathilde, für den traurigen Eingang dieses Briefes; aber meine Seele ist so tief betrübt, daß ich mich der Bitterkeit meiner Eindrücke überließ.

»Ich muß Dir aber doch wohl den Grund meiner Thränen mittheilen.

»Ich verheirathe mich.

»Welche Heirath! Mein Gott! – Lebt wohl, ihr meine Mädchenträume! – Lebt wohl, meine unbestimmten Hoffnungen! Lebe wohl, besonders du Leben der Ergebenheit und der Anhänglichkeit, welches ich in Deiner Nähe verbringen wollte!

»Einen Augenblick habe ich daran gedacht, gegen den unerschütterlichen und fürchterlichen Willen meines Vaters zu kämpfen; aber ich fühlte, daß ich in diesem ungleichen Kampfe meine Kräfte bald aufgerieben haben, daß ich in dem Ringen zerschmettert werden würde; und dann machte mir auch ein wichtiger Grund eine Pflicht daraus, mich zu fügen. Ich gehorchte; Du sollst bald erfahren, weshalb.

»Vor acht Tagen, an eben dem Tage, wo ich Dir schrieb, ohne zu ahnen, was mich erwartete, ließ mein Vater mich auf sein Zimmer kommen. Du hast meinen Vater nie anders, als in der Welt gesehen, oder bei Fräulein von Maran, die ihm sehr imponirte; er muß Dir nur ernst und abgezirkelt erschienen sein. Hier ist er daran gewöhnt, zu herrschen, als unbeugsamer Gebieter zu sprechen; sein Gesicht hat einen ganz andern Ausdruck: es ist hart, beinahe drohend.

»Du hast kein Vermögen, sagte er zu mir; man muß daran denken, Dich zu verheirathen. Ich habe für Dich eine ungehoffte Partie gefunden, einen jungen Mann, der über 60,000 Livres Einkommen besitzt, ungerechnet die Hoffnungen und das, was er noch gewinnen kann; denn er verwaltet sein Vermögen vortrefflich und versteht sich ausgezeichnet auf die Geschäfte. Er wird morgen mit seiner Mutter hieher kommen. Suche ihm zu gefallen; denn wenn Du ihm gefällst, ist die Heirath geschlossen. Besonders sei einfach und heiter, denn Herr Sécherin ist ein Bursche von heiterer Laune, ganz rund und ohne alle Umstände. Ueberlege Dir das; ich lasse Dich allein. Ich muß nach Sanlaies. Die unglückliche Besitzung kostet mich in der That mehr, als sie mir einträgt, und Du mußt eine gute Heirath schließen, um nach meinem Tode nicht in einer schlimmer als mittelmäßigen Lage zu sein.

»Ohne mir so viel Zeit zu gönnen, ein einziges Wort zu erwiedern, ließ mein Vater mich allein.

»Ach, meine Freundin, ich kann Dir nicht sagen, in welchen Abgrund ich zu stürzen glaubte, als ich die verhängnißvollen Worte hörte, ich, die ich, wie Du weißt, gleich Dir eine entzückende Einheit der Seelen geträumt hatte, die sich früh oder spät begegnen, weil sie sich immer unwillkürlich suchen!

»Ich brachte die Nacht unter Thränen zu. – Du wirst mich vielleicht fragen, Du gute zärtliche Schwester, ob ich das großmüthige Versprechen vergessen hatte, welches Du mir gabst, Dein Vermögen mit mir zu theilen, um mir eine Heirath nach meinem Herzen zu erleichtern, oder mich bei Dir zu behalten, wenn ich keine mir zusagende Partie fände. Nein, Mathilde, nein – ich hatte dieses Versprechen nicht vergessen; ich wußte, daß Dein Herz groß, daß es edel genug war, es zu halten! – Deshalb wollte ich das Opfer, welches Du unserer Freundschaft zu bringen gedachtest, unmöglich machen. In Deiner eben so bewundernswerthen als unüberlegten Anhänglichkeit hattest Du nicht an die Zukunft gedacht; obgleich Dein Vermögen beträchtlich ist, ist es doch nicht groß genug, um so getheilt werden zu können. Mit Deinem ganzen Vermögen bist Du eine sehr reiche Erbin und kannst auf die glänzendsten Partien Anspruch machen; wenn Du es theilst, verminderst Du Deine Aussichten zur Hälfte.

»Ohne Zweifel war es einer meiner süßesten Mädchenträume, ewig bei Dir bleiben zu können. Aber wer weiß, ob dies auch dem zusagen würde, den Du zum Gatten wählst. Großer Gott, lieber wollte ich tausendmal sterben, als die Ursache zu der kleinsten Uneinigkeit zwischen Euch sein! Ich habe mich daher gefügt, Mathilde. Ich habe die Kraft dieser Ergebung in meiner Freundschaft, in meiner Anhänglichkeit für Dich gefunden! Ich werde stets das Opfer, das ich mir auferlegte, segnen, indem ich daran denke, daß es vielleicht dazu beitragen konnte, Dein zukünftiges Glück zu sichern.

»Ach, es ist mir sehr schwer geworden! Ich habe während der Nacht, die meinem ersten Zusammentreffen mit Herrn Sécherin voranging, bitter geweint.

»Soll ich Dir Alles sagen, Alles gestehen? Einen Augenblick stillte ein gottloser Gedanke meine Thränen. – Das Haus meines Vaters ist von tiefen, mit Wasser gefüllten Gräben umgeben – ich stand auf – ich öffnete mein Fenster – ich maß die Höhe; – der Mond war verschleiert, es war eine traurige Winternacht – der Wind heulte – ich trat auf den Balkon – ich sagte zu mir selbst: besser ist ohne Zweifel ein strafbarer Tod, als das Leben, welches meiner wartet; ein Schwindel erfaßte mich; ich hätte vielleicht einer verderblichen Einflüsterung nachgegeben – da, als ich noch ein letztes Mal an Alles dachte, was mir theuer ist – an Dich – da hielt Dein Andenken mich zurück. – Dank Dir dafür, Mathilde, denn diese Erinnerung hat mich am Rande des Abgrundes aufgehalten – sie hat mich gehindert, ein Verbrechen zu begehen – ich habe mich entschlossen, zu leben.

»Ach, wird dies Leben, das ich dem Kummer, der mich drückt, nur schwach streitig mache, wird es sich nicht sehr bald aufreiben? Ach, wenn das wäre – wenn das wäre – so würde ich Gott dafür segnen, daß er mich von dieser Erde abruft; ich würde den Tod als den süßen Lohn so vieler Opfer annehmen, die ich den Muth hatte, mir aufzuerlegen.

»Der verhängnißvolle Tag erschien. Am Morgen wiederholte mein Vater seine strengsten Ermahnungen; ich erwartete mit eben so viel Niedergeschlagenheit als dumpfer Gleichgiltigkeit den Augenblick, wo man mir Herrn Sécherin vorstellen würde.

»Ungeachtet des Zornes, ungeachtet der Befehle meines Vaters, hatte ich durchaus keine Sorgfalt auf meinen Anzug verwendet. Wie hätte ich dazu den Muth haben können? Mein Gott! Ich trug ein schwarzes Kleid, das wahre Emblem der Gedanken, welche mein Herz verzehrten. Meine Haare fielen in langen Locken an meinem durch den Schmerz gebleichten Gesichte herab; ich hielt mich so gebückt unter dem Gewichte des Unglücks, welches mich niederbeugte, daß mir Fräulein von Maran gewiß, und dies Mal mit Recht, den Vorwurf gemacht haben würde, ich sei verwachsen.

»Mein Vater mochte mich immerhin hart ausschelten, mir befehlen, mich besser zu halten, ein lächelndes Gesicht anzunehmen – ich konnte die schmerzlichen Gefühle, die mich bestürmten, nicht besiegen. Ich wendete kaum den Kopf, als man Herrn Sécherin und seine Mutter meldete.

»Herr Elias Sécherin ist, wie mein Vater mir gesagt hat, bei sehr großen Unternehmungen betheiligt und vermehrt täglich das Vermögen, welches sein Vater ihm hinterlassen hat. Von seinem Gesicht, seinem Benehmen kann ich Dir nichts sagen – denn ich sehe Alles durch einen Schleier von Thränen.

»Herr Elias Sécherin muß nicht schwer zu verführen sein, denn nach seiner Entfernung lobte mich mein Vater, indem er mir die Versicherung gab, ich sei vollkommen gut, einfach, anspruchslos gewesen, und Herr Sécherin und seine Mutter wären entzückt von mir wieder abgereist.

»Ich bin wie eine arme Gefangene, deren Augen noch nicht durch die eisigen Nebel zu dringen vermochten, von denen sie umgeben ist. Ich habe wohl Herrn Sécherin und seine Mutter undeutlich gesehen, aber es bleibt mir nur eine verworrene Erinnerung an sie. Ich habe einige Worte mehr gehört, als vernommen. Ich habe maschinenmäßig geantwortet. Heut unterzeichnet man den Contract, und meine Hochzeit soll morgen oder übermorgen, glaube ich, sein.

»Wenn Du mich binnen einigen Tagen in Paris wiedersiehst, wirst Du Deine Arme dem bedauernswerthen, doch gehorsamen Opfer öffnen!

»Verzeihung, Verzeihung, Mathilde, daß ich so Dein Glück trübte, denn eine geheime Ahnung sagt mir, daß Du glücklich bist, daß Er Dich liebt. Du weißt dies seit dem Tage bei dem Gesandten. Ich habe Dir gesagt: Du wirst ihn lieben, und ich bin überzeugt, er wird sich dieser Liebe dadurch würdig machen, daß er sie theilt.

»Glückliche, glückliche Mathilde! Ich bedarf der Gewißheit Deines Glückes, um dadurch das Leben erträglich zu finden, welches ich elend hinschleppen werde – bis die Last meiner Leiden zu schwer wird. Dann werde ich diese Erde der Schmerzen verlassen, indem ich noch einen letzten Blick der Sehnsucht auf die Jahre zurückwerfen, die ich bei Dir verlebte.

»Ich sage Dir Lebewohl, ein sehr trauriges Lebewohl! Einen Augenblick habe ich daran gedacht, Dich auf meinen Knieen zu beschwören, meiner Trauung beizuwohnen, um mir Muth einzuflößen; aber bald dachte ich daran, daß Dein Anblick mir die wenige, noch übrige Kraft rauben würde, indem er mich an alles das erinnerte, was ich durch die Trennung von Dir verliere. – Lebe noch einmal wohl. Wenn Du Deine arme Ursula wiedersiehst, wirst Du gewiß viel Mühe haben, sie wieder zu erkennen.

»Lebe wohl – meine Kraft bricht; ich habe so viel geweint! – Dein, von Herzen, aus der tiefsten Tiefe meines Herzens.

»Ursula von Orbeval.«

Nachdem ich diesen Brief gelesen hatte, war ich zu Boden geschmettert.

Der Gedanke, welcher alle andern überherrschte, war: daß Ursula, wie sie mir sagte, buchstäblich [sich] für mich geopfert hätte, aus Furcht, meiner Heirath mit Herrn von Lancry zu schaden.

Dann machte ich meiner Cousine beinahe einen Vorwurf daraus, so wenig auf meine Zuneigung und die Gontran's gerechnet zu haben. Es herrschte in ihrem Briefe eine so tiefe Traurigkeit, eine so verzweiflungsvolle Niedergeschlagenheit, daß ich ernstlich besorgt war, indem ich eine schleichende Krankheit für sie fürchtete.

Es blieb mir noch eine Hoffnung. Ursula's Heirath konnte verschoben werden. Ich entschloß mich, am nächsten Tage Gontran zu bitten, sogleich nach Touraine zu reisen; er sollte meine Cousine anflehen, diese Verbindung aufzuheben und ihr selbst die Versicherung geben, daß die Erfüllung meiner Versprechungen unserer Verbindung nicht die geringste Schwierigkeit entgegensetzen könnte.

Ich verbrachte eine sehr unruhige Nacht. Am nächsten Tage erwartete ich mit Ungeduld die Ankunft Gontran's. Er war sogleich bereit, Ursula aufzusuchen; er begriff, er theilte meine Besorgnisse, meine Hoffnungen mit einer bewundernswerthen Güte. Er sollte Fräulein von Maran nichts von dieser Reise sagen, und sie sogleich antreten. Wir sprachen von diesem für mich so wichtigen Gegenstande, als man mir einen Brief aus Tours brachte.

Ursula's Heirath war vollzogen. Ihr gestriger Brief hatte sich um mehrere Tage verspätet.

Diese Nachricht betrübte mich sehr. Ich war so glücklich durch meine Liebe zu Gontran, daß ich noch weit mehr einsah, wie grausam das Loos Ursula's sein mußte.

Meine Cousine meldete mir, daß sie binnen wenigen Tagen mit ihrem Manne und ihrem Vater eintreffen und den Rest des Winters in Paris zubringen würde.

Ich ging auf mein Zimmer, um meiner Cousine zu schreiben, um mich über ihren Mangel des Vertrauens zu beklagen, um sie zu trösten, zu ermuthigen, um endlich noch in ihren Augen die Vortheile hervorzuheben, welche ihr Schmerz sie vielleicht verhinderte, in dieser sie in Verzweiflung setzenden Verbindung zu finden.

Ich fand die Blondeau in meinem Arbeitskabinet; sie sagte mir, daß eine Frau, die eines guten Werkes wegen bei mir bitten wolle, mich zu sprechen wünschte.

Ich befahl ihr, sie hereinzuführen. Ich sah eine Frau, in einen Mantel gehüllt, das Gesicht hinter einem schwarzen Schleier durchaus versteckt.

Die Frau ließ den Mantel fallen und erhob den Schleier.

Es war die Herzogin von Richeville.



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