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Ein Gärtchen mit Apfel- und Zwetschkenbäumen oder ein Hof mit einem Kastanienbaum. Ab und zu noch ganz wie Anno dazumal mit Windlichtern, zumeist aber doch auch schon mit elektrischen Lampen. Ueberall jedoch auf den Tischen in taubeschlagenen Gläsern grüngoldiger Rebensaft, tropfbar-flüssiger Sonnenschein, wie er segenspendend auf Badens Fluren liegt und die Trauben kocht. Solches geschieht nicht jedes Jahr – aber wenn es geschieht, dann keltern sie da einen Wein, der sich trinken läßt.
Dann steckt ein Weingutbesitzer nach dem andern aus, in streng eingehaltener Folge, und er schenkt nur so viel, als er hat oder will, da darf nicht nachgeholfen oder gar gemischt werden, was da aus den Kellern kommt, ist bodenständiges Gewächs. Und meist auch trinken es die Bodenständigen, gelegentliche Gäste sind in der Minderheit, und mancher von diesen kommt just zum besten oft schon zu spät. Deß freut sich der Einheimische schon darum, weil ja der Fremde das Trinken mitunter gar nicht versteht.
Oh, wie schätzbar ist da der Dienst eines kenntnisreichen Führers! Heil dir, edler Virginius, der du mich von einem Heurigen-Eden zum andern 112 geführt und mir im schattigen Dämmer wiegender Laubdächer oder im kühlen Winkel des Preßhauses die Schätze deines Wissens geoffenbart!
»A Biertrinker soll zu kan Heurig'n geh'n, den kann ma net so owischwabeln wia a Bierlak'n, an Heurig'n muaß ma schön langsam owirinna lass'n, zerscht auf der Zungen z'druck'n und a bißl süff'ln, dann hast an Genuß! Und net rauk'n – wer zwisch'n einiraukt, der verpatzt si 'n G'schmack'n und kriagt den Kern vom Wein net aussa –, und allerweil was ess'n, der Wein muaß was zum Zehr'n hab'n, sunst steigt er aus 'n Mag'n in Kopf und draht di umranand! Und zu an jed'n Heurig'n derfst aa net eini geh'n, es hat net a jeder an guat'n, des muaß ma erscht ausprobier'n, da gibt's d'r G'sell'n, de schenk'n an Fünfavierzga statt an Anazwanzga oder an Dreiazwanzga . . .«
»Erlaubt, edler Recke, was ist das für ein Wein, der Fünfundvierziger?«
»Des is a ganz a merkwürdiger Jahrgang, der wird aus an Zwarazwanzga und an Dreiazwanzga g'macht – d'r Zwarazwanzga war a Darmreißer, den hab'n s' net anbracht, der geht jetzt so mit, aber den trink'n gewöhnli nur die andern, mir Badner kenna de Mischung, aber waßt: sag'n derfst es kan Leutgeber, sunst schaut er di nimmer an und du hast an Verdruß dein Leben lang – da 113 macht ma das anfach so: Ma bestellt si' a Viert'l, kost, und wann's a Fünfavierzga is, dann sagst halt, du bist nur auf an Sprung einakumma, du hast no was z' tuan, du kummst am Abend wieder, und wann er net herschaut, schütt'st das Glasl aus und geh'st!«
Dann kamen zwei mit der Miene starren Mißtrauens, sahen verdrossen umher, und der Leutgeb sprach: »No, es könnts eng schon hersetz'n, es g'schiecht eng nix – was wollts denn, an Rot'n oder an Weiß'n?«
»No gib halt zwa Viert'l Weiß'n her, was hast denn für an?«
»An Dreiazwanzga!«
»Des werd'n ma schon sehg'n! Hast a Musi?«
»Na, i brauch' kane, mei Wein macht schon Musi gnua!«
Sie nippen, drücken und süffeln; der Leutgeb fragt schier drohend: »No, was sagts?«
»Na ja, er laßt si trink'n – aber du hast schon an bessern g'habt . . .«
»Des machts mit unsern Herrgott aus, wann er kan bessern hat wachs'n lassen, aber heuer werds no kan bessern in Bad'n trunk'n hab'n!«
Dann kamen andre; es waren Hauer, also schwere Sachverständige. Ihnen sah der Leutgeb 114 ganz besonders scharf ins Gesicht. »No, was sagts?«
»Na ja, er is net schlecht, aber da paß auf mein auf, wenn i aussteck!«
»Ja, ja, ma kann an trink'n, aber no allerweil ka Vergleich zu mein, den i ausg'schenkt hab' . . .«
»I kenn' euchern Wein, mir brauchts nix d'rzähl'n, i sag' eng nur, der meine hat mehr Körper . . .«
»Jessas, Herr Doktor, des is g'scheit, daß Se da san, i hab' schon allerweil zu Ihna kumma woll'n! Mir is schon seit a paar Woch'n net so, wia ma sein soll, wissen S', Herr Doktor, i kann net mehr, meiner Seel', i kann net mehr! Zwanz'g Viert'ln gengan no owi, aber das anazwanzigste bring' i net mehr eini, net ums Varreck'n!«
»So trink'n S' halt nur zwanz'g!«
»Aber, Herr Doktor, wia könnans denn nur so red'n, mir bei unsern G'schäft, mir brauch'n do a Kraft, net? Was tua i mit zwanz'g Viert'ln im Tag? Na, na, Herr Doktor, Se müass'n ma do was geb'n, des geht ja net . . .«
»Ja, da kann i Ihna nix geb'n, mei liaber Brantner, da haßt's halt jetzt a bißl brems'n!«
»A freili, brems'n! Da muaß 's do was dafür geb'n, i bin ja no net so alt, mit zwarasechz'g 115 Jahrln soll i schon brems'n? Wissen S' wirkli nix, Herr Doktor?«
»Also, i will Ihna was sag'n: Trinken S' halt jetzt vorläufig nur fufzehn Vierteln, wissen S', tuan S' a bißl zruckschiab'n, daß S' wieder an Anrand kriag'n, dann könnan S' in ana Weil schon wieder auffi auf zwanz'g und auf mehr!«
»Also schön, i wir's probier'n, aber i fürcht' mi nur, daß i mit fufzehne aus der Kraft kumm zu an Anrand . . .«
Dann kam einer, hemdärmlig, mit blauer Schürze und einer verstaubten Kappe auf dem kahlen Kopfe.
»I hab' g'hört, Se hab'n an Dreiazwanzga?«
»Jawohl, den hab' i!«
Er nippt, zieht die Mundwinkel auseinander, schiebt die Unterlippe hinauf, schüttelt das Haupt und sieht trübsinnig ins Glas. »Des is ka Dreiazwanzga!«
»Des is a Dreiazwanzga, da gibt's nix z' red'n, wann i 's Ihna sag', dann is a Dreiazwanzga!«
Es kommen »Fremde«, Mißgunst empfängt sie.
»Bringen S' zwei Liter, oder nein, einen, wir werd'n dann schon seh'n, wie er uns schmeckt!«
Ein Hauer murrt: »Schmeck'n wird er eahna schon, aber vatragn werd'n s' 'n net, wann s' 116 zehn Viert'ln hab'n, kräull'n s' auf alle Viere aus 'n Gart'n . . .«
Die Fremden kosten; der Leutgeb steht kühl erhaben neben ihnen.
»Grinzinger is das keiner . . .«
»In Bad'n gibt's kan Grinzinger, und in Grinzing gibt's kan Badner – aber der Badner is a Badner, aber der Grinzinger is net alleweil a Grinzinger!«
Der Mann mit der blauen Schürze bekommt das zweite Viertel; er verzieht wieder den Mund und sieht trübsinnig ins Glas. »Des is ka Dreiazwanzga!«
»Wann i's Ihna aber sag', des is ana! Uebrigens brauch'n S' 'hn ja net z' trink'n, wann S' glaub'n, daß 's kana is . . .«
Die Hauer politisierten. »Paß nur auf, bis d'r Seipl wieder da is, dann geht's glei wieder anderscht.« – »Aber d'r Seipl kann's allani aa net d'rmach'n, was waß überhaupt der, was mir Hauer brauch'n!«
»Du schau amal die sechse durt an, de hab'n richti no allerweil den an Liter!«
Der Mann mit der blauen Schürze bekommt das dritte Viertel; er verzieht den Mund und sieht trübsinnig ins Glas. »Des is ka Dreiazwanzga!«
117 »Jetzt hör'n S' schon amal auf, i schenk' kan andern als an Dreiazwanzga, i sag's jetzt zum letzt'n Mal! . . .«
»Herr Doktor, wia is des mit die fufzehn Viert'ln? Muaß i da schon heut' anfanga oder hat's Zeit bis muring?«
»Wie viel hab'n S' denn heut' schon?«
»Des is daweil 's achtzehnte, passen S' auf, beim anazwanzigsten hat's mi! . . .«
»Da hab'n s' neuli umag'red't, daß ka Kriag mehr sein derf, no ja, des is ja ganz schön, aber mir fangen do eh kan mehr an – mit was denn und mit wem denn, net? Zu was ma da no erscht a Versammlung mach'n muaß!« – »I denk' ma mein Teil, i red nix, aber i sag nur so viel, wan ana an Kriag anfanga will, dann fangt er 'hn an, da fragt er net z'erscht an andern, und uns Badner schon gar net!« – »No ja, g'red't muaß werd'n, da kannst nix mach'n, aber d'r Brenner Schurschl hat 's beste G'schäft dabei g'macht, um drei Täg hat er früher einzog'n, den ganz'n Wein hab'n s' eahm ausg'soff'n beim ›Nia wieder Kriag!‹« – »Den sei Wein war ja das reine Gurk'nwasser! De werd'n guat ausg'schaut hab'n, bis nach Wean einikemma san!«
Der Mann mit der blauen Schürze bekommt das vierte Viertel; er verzieht den Mund nicht mehr, 118 aber er schüttelt verneinend das Haupt. »Des is ka Dreiazwanzga! . . .«
Der kleine Garten füllt sich. Ein Summen und Schwirren hebt an.
»Da schau, jetzt kriag'n de durt erscht 'n dritt'n Liter! . . .«
»Und wann wieder a Kriag is . . .« – »Und in Wöllersdorf is g'stohl'n wurd'n . . .« – »Der Vierazwanzga kann no guat werd'n, aber wenig wird sein . . .« – »Am Sunntag hat d'r Obermayer beim Traben wieder guat owig'schob'n . . .«
»Herr Doktor, i hab' schon 's zwanzigste!«
»Brems'n! I kumm murg'n zu Ihna! . . .«
Der Mann mit der blauen Schürze bekommt das fünfte Viertel; er sieht den Leutgeb grimmig an:
»Des is ka Dreiazwanzga!«
»Jetzt hab' i gnua, wann S' no a Wurt sag'n, daß des ka Dreiazwanzga is, schenk' i Ihna nix mehr ein!«
Sanft senkt sich die laue Sommernacht herab, Männer lachen, Frauen kichern, Lichter blitzen auf, frohe Gesichter und leuchtende Augen ringsum.
Der Mann mit der blauen Schürze bekommt das sechste und siebente Viertel und nimmt sie wortlos hin. Am heitersten sind die sechs Fremden, sie trinken noch einen vierten Liter und besprechen den 119 Unterschied zwischen dem Grinzinger und dem Badner Wein. Die vier Hauer zählen die Striche, die sie nach jedem Viertel gemacht. »I hab' neuni, ungrad geht net!« – »I hab' a neuni, da muaß no ans drauf!« – »I hab' schon zehne, aber auf ans mehr kummt's ma net an.« – »I hab' erscht achte, aber i bring' kans mehr owi, i waß ja, daß i krank bin – gelt'n S' ja, Herr Doktor, Se kumman bestimmt muring?«
Der Mann mit der blauen Schürze hat das achte Viertel schweigend in sich gegossen, nun erhebt er sich und schickt sich zum Gehen an.
Im Torflur bleibt er stehen, faßt mit der Linken den Torflügel, hebt die Rechte drohend, seine Augen sprühen Feuer und faustschüttelnd ruft er dröhnend in das Summen und Schwirren:
»Und es is do ka Dreiazwanzga!« 121