Rudolf Stürzer
Schwankende Gestalten
Rudolf Stürzer

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Der Einspänner

Der Einspänner ist eine Dreiheit, denn er besteht aus einem Wagen und zwei Lebewesen, von denen das eine der Kutscher ist, während das andere von erfahrenen Hippologen als Pferd bezeichnet wird und auch manchmal tatsächlich einem solchen ähnlich sieht, besonders aus der Ferne; die ortsübliche Bezeichnung für diesen eigenartigen Vierfüßler ist »Kramp'n«, aber die Kutscher, die mit ihrer Zugkraft ja am vertrautesten sind, haben für diese auch andre, ganz seltsame Bezeichnungen, wie: »g'flickte Roßhaut«, »greane Salami«, »Hupferl«, »Spatz'nfuatta« oder auch »Haberngas«, aus welchen Bezeichnungen sehr schwer auf eine Verbindung mit Equus caballus zu schließen ist.

So wie das Zugtier, ist auch der Wagen von einer besonderen Eigenart; im Sommer ist er offen, im Winter geschlossen, aber immer ist es ein altes Modell von hohem, musealem Werte. Der Kutscher besteht im Herbst und Winter aus mindestens drei Röcken, über die ein Regenmantel gespannt wird. Desgleichen ist das Pferd in eine Unzahl von Decken gehüllt, aus denen es bei Beginn der Fahrt wie eine Zwiebel herausgeschält wird. Im Sommer steht das Pferd blank und mit nach vorn gebogenen Vorderfüßen, welche Eigentümlichkeit nicht nur auf 62 dem Stephansplatze zu beobachten ist, wo sie von Fremden fälschlich für einen Ausdruck der Frömmigkeit gehalten wird, sondern als besonderes Rassemerkmal auch an allen andern Orten, wo eben Einspänner stehen.

Die Kutscher sitzen meistens in der Schwemme eines nahen Bierhauses oder im Wagen, aber nicht auf dem Sitz, sondern auf dem Boden, und lesen kleine Zeitungen oder haben die Augen geschlossen. Viele Kutscher pflegen vorher ihren Pferden die Köpfe mit einem Sack zu verhüllen, und die Tiere machen dabei in der Regel mit dem Maul eine Art Mahlbewegung, die auch für Fressen gehalten werden kann.

Der Daseinszweck des Einspänners ist eigentlich unergründbar, aber er ist da, und somit hat man sich mit ihm auch abzufinden. Früher diente er einer Art gemächlicher Fortbewegung für Leute, die es nicht eilig hatten oder die während der Fahrt beispielsweise alle Firmenschilder auf der Mariahilferstraße lesen wollten, oder die glaubten, daß sie billig werden fahren können. Die derzeitigen Benützer des Einspänners gehören fast ausschließlich zu den »Billigdenkenden«. Mitunter aber steigt auch einer aus Neugierde ein, weil er es sich nicht vorzustellen vermag, daß sich die Dreiheit überhaupt in Bewegung setzen könne.

63 Ein solcher Forscher erlebt dann seine Wunder. Er sieht, wie das Pferd ausgeschält wird, wie es mit einem oder zwei Füßen Trittversuche macht, wie der Kutscher Wolken ausstößt, die einen sanften Duft von Hefe, Weingeist oder Gulaschsaft enthalten, wie er dann trotz seiner drei Röcke und dem Regenmantel sich schier elfenhaft auf den Kutschbock schwingt, nach den Zügeln langt, diese ein paarmal auf die Stelle zwischen den Hüftknochen des Pferdes aufklatschen läßt, worauf dieses mit allen vier Füßen Trittversuche anstellt, die vorerst ergebnislos verlaufen und erst im weiteren Verfolge einen Ruck herbeiführen, der dann wieder in einem Stillstand endet. Durch irgendwelche geheimnisvolle Kräfte zwingt dann der Kutscher das Pferd zu einer trippelnden Bewegung nach links und rechts, bis es den Kopf hoch wirft und in eine Art Aufregung gerät, in der es den Wagen sozusagen von der Stelle reißt. Ist dies geschehen, dann senkt das Pferd wieder den Kopf und kommt in eine Gangart, die nur mangels eines andern Ausdruckes als Trab bezeichnet wird.

Die Zeiten, in denen ein Einspänner wegen Schnellfahrens aufgeschrieben wurde, sind für immer vorbei. Heute »zepperlt« er dahin in mäßiger Eile und fährt höchstens nur mehr Handwägelchen oder einer stehenden Straßenbahn vor, es ist 64 mehr ein sanftes Gleiten als Fahren, das nur bei Straßenkreuzungen durch ein Stoßen und Holpern unterbrochen wird.

Das Lehrreiche beginnt aber erst am Ende der Fahrt. Es ist immer dasselbe.

»Was krieg'n S' denn?«

»Was wir i denn kriag'n?«

»Was zeigt der Taxameter?«

»Der geht net.«

»Ja warum denn nicht?«

»Aber den hab' i erscht gar net ang'stellt, der hat ja an blöd'n Tarif . . .«

»Also, was für einen gescheiten haben Sie denn dann?«

»No, i muaß do aa leb'n könna, net? Von dem Taxameter kann i net leb'n und mei Roß aa net!«

»Also, was muß ich Ihnen zahlen?«

»No, sag'n ma halt 45.000!«

»Was? Ich fahr' sonst immer dieselbe Strecke mit einem Autotaxi, das kostet nur 20.000!«

»Des glaub' i schon, der kann aa billiger fahr'n als wia i!«

»Ja, wieso denn? Der braucht doch Benzin . . .«

»Und i an Habern, hab'n S' a Idee, was dar Habern kost?«

»Doch nicht mehr als Benzin?«

65 »A freili, da hab'n ma an G'spaß g'habt! Und dann da Stall und da B'schlag und 's G'schirr, und bis ma a Fuhr kriagt, des kann ma mit an Taxameter net außabringa . . .«

»Dann wundert 's mich, daß es überhaupt noch Einspänner gibt!«

»Ah, de wird's no lang' geb'n, denn es san no a Massa Leut' da, de net mit an Auto fahr'n, weil's eahna z' gfährli is, und a jeda hat's ja aa net so gnötig, er is froh, wann er mit g'rade Glieder hinkummt, wo er hin will, da zahlt er gern a bisserl mehr . . .«

»Aber die Fremden?«

»Ah, de fahr'n aa no ganz gern mit an Anspanna, weil's da aa was sehg'n beim Fahr'n – in an Auto reißt 's ihna ja das Wasser her, daß die Aug'n net aufbringa, und im g'schlossana sehg'n s' bei die Fenster vor lauta Schwitz net außi. Und unserana kann aa mit die Leut' red'n und eahna alles erklär'n, aber a Schoffär muaß aufpass'n, daß er an kan Kandelaba anfahrt oder an Wachter umführt – des gibt's bei unseran alles net.«

»Bei mir gibt's das aber auch nicht, daß ich einem Einspänner mehr zahle als einem Auto, das mich viel geschwinder herbringt.«

»Da san S' aber dann schlecht im Irrtum, liaba Herr. Se san ja mit mir aa länger g'fahr'n als mit 66 an Auto, des muaß do mehr kost'n, des is do klar – oder vielleicht net?«

Eine solche Logik tötet jeden Keim eines Widerspruches.

»Das ist das letztemal, daß ich mit einem Einspänner fahre.«

»Des sagt a jeda, aber i sag' Ihna: Se werd'n no amal froh sein, wann S' an Anspanna find'n. Wana werd'n die Weana no um uns, wann 's vur lauta G'stank'n net mehr zum Aushalt'n sein wird und die Leut' über ka Straß'n mehr umikumma, weil s' alle z'sammg'rad'lt werd'n auf an Baaz. Dann werd'n kane Anspanna mehr da sein, und Wean wird guat ausschau'n. D' Fiaka san schon umbracht, jetzt kummt da Anspanna dran. Des san Zeit'n, des san Zeit'n! Aber wana werd'n s' no alle, wana werd'n s' no . . .« 67

 


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