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Damals waren just Gemeinderatswahlen, und die politischen Wogen gingen hoch – so hoch, daß sie auch mich in ihren Strudel zogen. Beim »Gmoawirt« in Oberrammelsdorf hub die Sache an. Ich war Gast eines Jagdfreundes, und wenn es nichts zu jagen gab, saßen wir beim Gabelwirt im Herrgottswinkel, und so lernten mich einige hervorragende Oberrammelsdorfer lieben und schätzen.
Der Rosenbauer nahm mich einmal auf die Seite, rieb seine rote Nase schier an meinen Brillengläsern und flüsterte wie eine rostige Windfahne in meinen Mund hinein: »Schau'n S', Herr Dokt'r, Se kunnt'n a guat's Werk tuan und mir an groß'n G'fall'n, mei' Schwiegersuhn will kandatirn bei die Gmoawohl'n, wissen S', aber er is mit 'n Mäuiwerk net so beinand wia Se, wissen S', und da man i halt, wann S' eahm a so a Kandat'nred' aufstell'n möcht'n, er brauchat s' aber bald, denn er muaß ja auswendi lerna, und Se bleib'n ja aa net ewig da, also wann 's halt sein kunnt, dann vielleicht schon muring, mir mach'n a Kellerpartie zum Micherlfranz, der hat an großartig'n Wein, den gibt er net an jed'n, aber wann i eahm sag', zweg'n was, dann liegt eahm nix dran, er hat an Viechszurn auf 'n Burgamasta, und wann mei 16 Schwiegersuhn einikimmt, der ramts dann dem Burgamasta schon owa. Se könnan des am best'n aufsetz'n und z'sammstell'n, Se derf'n da net na sag'n, Herr Dokt'r . . . .«
Ich erschauerte. Wie? Was? Ich sollte in das Schicksal von Oberrammelsdorf eingreifen? Noch dazu im Keller des Micherlfranz! Letztere Erwägung gab den Ausschlag. Ein Sagenkranz umwob den Weinkeller des Micherlfranz.
»Also gut, Ihnen zu Gefallen, lieber Rosenbauer, aber von Politik versteh' ich nicht viel, und schon gar nichts von der Oberrammelsdorfer –, aber wenn Sie mir helfen, wird 's schon geh'n.«
Der Rosenbauer legte seine breiten Hände auf meinen Nacken und preßte meinen Kopf an sein Herz, wobei mir die Kernspitze seiner Pfeife ins rechte Nasenloch fuhr. Dadurch kam ein feuchter Schimmer in meine Augen, und als dies der Rosenbauer sah, konnte er vor Rührung nicht reden, preßte mich noch einmal an sein Herz und an die Kernspitze, drückte mir die Hand und murmelte: »Muring um vieri, vom Klamschauer weg, wir hol'n Ihna o, bei'm Vurbeigeh'n . . . .«
Am andern Tag um 4 Uhr nachmittags machte ich die Bekanntschaft des Matthias Klamschauer, des Jakob Brunnmoser und des Leopold Braungeier, dieser trug einen Zöger, war der 17 Schwiegersohn des Rosenbauers, politischer Gegner des Bürgermeisters und Wahlwerber. Dem Rosenbauer leuchtete die helle Freude aus den rotgeränderten Augen und auf seiner Nase lag ein bläulicher Glanz.
»Alsdann, geh'n ma, da Micherlfranz wart' schon auf uns.« Sonst wurde nichts gesprochen, wenigstens nichts von Politik, nur Agrarisches, Viehzüchterisches und Meteorologisches. So ging's weinhügelab und an bis zur »Stanleit'n«, wo zwischen zwei Linden ein fensterloses weißes Häuschen mit großem, grünem Tor und braunem Dache blinkte.
»Da san ma schon«, sagte der Rosenbauer und schlug mit der Faust an das grüne Tor, daß es nur so dröhnte. Drinnen hallte eine Stimme auf: »I kimm schon!« und dann ward das grüne Tor aufgetan und ein rötliches, schwankendes Halbdämmer verschlang die Gäste des Micherlfranz. Der stellte die Kellerkerze auf einen umgestülpten Maischbottich, worauf das rötliche Halbdämmern nur mehr leise schwankte und der Rosenbauer sprach: »Also, Micherlfranz, da Herr Dokt'r is aa da, er wird die G'schicht schon mach'n, also fang' ma an!«
Der Micherlfranz nahm den Leuchter hoch und sprach nur schlicht: »Also gehts weiter owi, hint 18 steht d'r Tisch, Sess'ln hab i ka, aber sitz'n könnt's schon.«
Kühler Weindunst im niederen langgestreckten Kellergelaß, auf klotzigen Pfosten links und rechts Fässer aller Maße, deren Schatten auf der feuchten Kellerwand gespenstisch tanzten, hie und da ein blauschimmerndes Luftloch in der gewölbten Decke, dann ein kleiner Gartentisch, auf dem ein Viertelstutzen stand.
»So, da setzts Eng her«, sagte der Micherlfranz und schob ein Brett über die Lagerpfosten; das war der Ehrensitz für den Wahlwerber und für mich, die andern hockten sich auf die klotzigen Pfosten rechts und links, und der Gastgeber verschwand mit der Kerze im Dunkel des Vordergrundes. Als er wiederkam, hatte er einen mächtigen Weinheber an der Schulter, den er unten mit dem Mittelfinger der Rechten verschloß. Er stellte die Kerze auf den Tisch und ließ nun in das Viertelglas aus dem Heber einen hellgelben Weinstrahl schießen. Im matten Lichte der Kellerkerze sah der den Verschluß regelnde Mittelfinger schwarz aus, nur dort, wo er am Heber klebte, hatte er einen weißen Fleck.
»Zerscht an leicht'n – der is von da Hundsleit'n«, sagte der Micherlfranz, und trank zuerst, dann ging das Glas herum. Ich kam als Erster 19 d'ran. »Austrink'n, Herr Dokt'r, austrink'n, der g'hört zum Obischwab'n, der macht nix!«
Der Heber, der einen Liter faßte, war im Nu entleert.
»Hiazt kimmt a Bär'ngrabner, den müaßts mit Andacht trink'n!« Wieder kreiste der Stutzen und die Trinker spitzten die Lippen, sogen den Wein durch die Zähne, ließen ihn auf der Zunge sprudeln und sagten: »Hm, hm, no jo.«
»Poldl, gib's Ess'n aussa«, sagte der Rosenbauer zu seinem Schwiegersohn, und dieser entnahm dem Zöger mächtige Stücke Selchfleisch, Speck, Würste und einen Laib Brot. Zum Schluß noch ein weißes Papierpäckchen, das legte er vor mich hin: »Das is für Eahna, Herr Dokt'r.« Nach Entfernung der dreifachen Hülle ersah ich ein halbes Kilogramm Schinken. Diese Ehrung rührte mich sehr, ich nahm mir vor, diese Auszeichnung durch das Aufsetzen der Kandidatenrede redlich zu verdienen.
»So, hiazt bring' no an Mailberger, und dann werd'n ma von der Sach' red'n, zweg'n dera ma da san«, sagte der Rosenbauer, und der Micherlfranz brachte den Mailberger. Dieser fand jedoch nicht volle Würdigung, und der Kandidat sagte: »Mit dem Wein kann ma ka politische Sach' 20 anfanga, da brauch' ma an andern – bring' an Loibner!«
Der Mailberger mußte rasch ausgetrunken werden, das letzte Viertel fiel auf mich, ich schluckte so viel ich konnte, und dennoch drängten einige: »G'schwinda, Herr Dokt'r, g'schwinda, daß ma zu der Arbeit kemma!«
Als ich zur Decke blickte, bog sich diese in einen gotischen Spitzbogen aus, der sich aber sofort wieder romanisch rundete; auch die Fässer machten diese Wandlung mit.
Nun kam der Loibner, und einer nach dem andern lobte ihn mit großen Worten. »Bei dem bleib'n ma! Des is a Wein! Teifi, der is g'rat'n! Herr Dokt'r, mit dem geht's!«
Und es ging. Das Schinkenpapier wurde ausgebreitet und ich setzte an:
»Meine lieben Wähler! Meine verehrten Herrn! Hochansehnliche Versammlung!«
»Net so viel im Anfang, des d'rmirkt er si sunst net«, mahnte der Schwiegervater, aber der Schwiegersohn widersprach: »Des d'rmirk i ma schon, denn das sagt a jeda, aber des auf'n Burgamasta, des muaß er ganz genau schreib'n . . . .«
Ich setzte fort: »Der Wahltag ist nahe, er wird der Zahltag . . . .«
21 »Bravo, bravo! Jawohl, a Zahltag! Das is sehr guat, Herr Dokt'r, a Zahltag für'n Burgamasta!«
Ich: »Ein Zahltag für alle politischen Sünden des bisherigen Systems . . . .«
»Systems! Das g'fallt mir sehr guat«, lobte der Kandidat.
Ich: »Ein neuer Geist muß einziehen in unsre Gemeinde . . . .«
»Herr Dokt'r, des möcht' i net sag'n, sunst glaubt ma vielleicht, i bin a Liberala.«
Ich: »Also, das gute Alte muß wieder zur Herrschaft kommen; wir müssen wieder als gute Christen . . . .«
»Des net, Herr Dokt'r, sunst agitiert d'r Veilchenbaum geg'n mi!«
Ich: »Also, wir müssen wieder Gerechtigkeit und Ordnung einführen; wir wollen freie Menschen sein . . . .«
»Oha, des schon gar net, sunst is glei d'r Pfarra auf!«
Ich: »Also, wir wollen uns nicht mehr bekämpfen, sondern arbeiten, ehrlich arbeiten für das Wohl unsrer Gemeinde und daß es jedem gut geht; wir wollen den unerhörten Steuerdruck . . . .«
22 »Bravo, bravo! Ja, die Steuern, de müass'n aufhör'n! Bravo, Herr Dokt'r! Poldl, des mirk d'r b'sunders.«
Ich konnte auf einmal nicht mehr weiterschreiben, denn mein Bleistift machte plötzlich Doppelstriche, und dann hinderten auch Fettflecke seinen glatten Gang.
»Trinken S', Herr Dokt'r, daß S' wieda in Schwung kemma! Des macht nix. Schreiben S' nur über d'Fett'n umi, der Poldl kann's schon les'n.«
Ich schrieb nicht über die Fettflecke des Schinkenpapiers, sondern umging sie, wodurch die Zeilenrichtung allerdings einigermaßen litt.
»Also, no was auf'n Burgamasta, er soll sag'n, von was für an Geld sein Stadl mit Etanit deckt wurd'n is!«
Ich: »Also, wir wollen Rechenschaft fordern und auf die Gebarung mit Gemeindegeldern und Steuergeldern ein wachsames Auge haben . . .«
»Jawohl, mir werd'n eahm auf d' Finger schaun, dem Gauner! Poldl, hörst, des vagiß net!«
Der Loibner war Oel ins politische Feuer!
»Wir wollen unter euch treten und fürchterliche Musterung halten, denn unser Wahlspruch ist: Nieder mit der Korruption!«
23 »Sehr guat, des g'fallt ma recht mit d'r Kruption«, lobte der Wahlwerber.
»Wir wollen als deutsche Männer das Deutschtum hochhalten . . . .«
»Na, des tan ma net, des is für d' Stadtleut', des is nix für uns, da muaß was anderschts eini«, sagte der Brunnmoser und der Micherlfranz sprach: »Dem Burgamasta haun ma no oans auffi!«
»Wir wollen unter das Eternitdach leuchten, und wehe, wenn es einen Augiasstall deckt!«
»Saustall war besser«, sagte der Wahlwerber.
Ich mußte ein zweites Blatt nehmen, da dieses jedoch dem Schinken näher gewesen, wies es auch größere Fettflecke auf.
»Des macht nix, des is in d'r Politik aa net anderschts, d' Hauptsach is, daß ma um die Fettfleck umi kimmt«, sagte der Micherlfranz, und ich schrieb weiter, trotzdem der Bleistift nun fort und fort Doppelstriche bei jedem Buchstaben machte. Ich durfte jedoch den Blick nicht abwenden, denn sofort hoben sich die Fässer als Spitzkegel und der Kellerleuchter tanzte im Zickzack auf und ab und fünf Bauerngesichter tanzten mit.
Ich hieb dem Burgamasta eins ums andre hinauf, vom tosenden Beifall der Runde begleitet, schrieb über die Fettflecke hin und freute mich, daß auf diesen der Bleistift keine Doppelstriche machte.
24 Endlich war ich fertig und wollte das ganze durchlesen, das Nichtgewünschte durchstreichen, aber die Buchstaben huben einen gar merkwürdigen Reigen an, flossen ineinander und strebten gleich darauf wieder auseinander – dann kroch eine breite, rote Hand über den Tisch und griff nach den Blättern.
»Steck's ein, Poldl, und valier's net – und d'r Herr Dokt'r soll leben!«
Ich sank irgendwo hin, ein milder Duft von Aepfeln und Stroh umgab mich, und der ganze Raum verschwamm in flackerndes, rötliches Dämmern, aus dem zwei rotglühende Nasen sich mir ins Bewußtsein bohrten. Dann weiß ich gar nichts mehr, aber schon rein gar nichts, nur, daß der Leopold Braungeier bei der Wahl durchfiel. Er ist halt doch nicht »um die Fettfleck umi kemma«! 25