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Rede, gehalten im Reichstage am 20. Februar 1918 anläßlich der Beratung über den Abschluß eines Friedensvertrages mit der Ukraine
Meine Herren! Dem Dank, den der Herr Abgeordnete Gröber – den wir alle zu unserer Freude wieder in alter körperlicher und geistiger Frische hier im Reichstag wirken sehen –, der Reichsregierung für den Abschluß des ukrainischen Vertrags ausgesprochen hat, schließen sich meine Freunde in jeder Beziehung an. Wir danken dem Herrn Staatssekretär v. Kühlmann und seinen Mitarbeitern für die Entschiedenheit, für die Zähigkeit und für die diplomatische Geschicklichkeit, mit der sie unsere deutschen Interessen bei den Verhandlungen in Brest vertreten haben. Wir danken ihnen auch für das Pflichtgefühl, mit dem sie es über sich gebracht haben, sich mit einem Herrn Radek an einen Tisch setzen. Wir danken ihnen auch für die Geduld, die sie bewiesen haben, bei diesen Verhandlungen auszuharren bis zum letzten, obwohl ich der Überzeugung bin, daß es auch für sie manche Stadien gegeben hat, in denen sie ihre ganzen Nerven zusammenreißen mußten, um nicht von sich aus die Verhandlungen abbrechen zu lassen. In einigen deutschen Blättern ist ihnen ein Vorwurf daraus gemacht worden, daß sie das nicht getan hätten. Ich kann mich diesem Vorwurf nicht anschließen. Gerade dadurch, daß sie bis zum letzten Augenblick ausgehalten, daß sie den Kelch bis zur Neige leerten, haben sie dem ganzen deutschen Volke gezeigt, wer daran schuld ist, daß die Verhandlungen abgebrochen werden mußten, haben sie erst das Bild des Herrn Trotzki gekennzeichnet, so wie es jetzt dem deutschen Volke erschienen ist, und haben ihm nicht den Gefallen getan, es vor der ganzen Öffentlichkeit so hinzustellen, als wenn lediglich deutscher Unmut und deutscher Übermut die Verhandlungen abgebrochen hätten und er dadurch uns in Unrecht gesetzt hätte.
Meine Herren, es ist seitens des Herrn Kollegen Gröber und seitens der Herren Vorredner Anstand daran genommen worden, daß der Vertrag neben der Unterschrift des Herrn v. Kühlmann auch die Unterschrift des Herrn Hoffmann trägt mit der Einleitung »als Vertreter der deutschen Obersten Heeresleitung«. Ich nehme an, daß wir über diese Unterzeichnung Mitteilung noch erhalten werden, da an sich ein gewisser Widerspruch besteht zwischen der Einleitung des Vertrags, der für die Kaiserlich deutsche Regierung als einzigen Vertreter den Herrn Staatssekretär von Kühlmann bezeichnet. Aber ich möchte doch auch bei dieser Gelegenheit sagen, daß es mir nicht so bedeutungsvoll erscheint, in welcher Weise die formale Unterzeichnung des Vertrages zustande gekommen ist. Denn mich dünkt, wenn wir uns nicht an Formalien halten, sondern an reale Tatsachen, dann haben wir in erster Linie der obersten Heeresleitung den Dank dafür auszusprechen, daß wir überhaupt zu einem Frieden mit der Ukraine gekommen sind. Sie hat überhaupt erst unsere diplomatischen Unterhändler in die Lage gesetzt, über einen Frieden mit Rußland verhandeln zu können. Aus dem Grunde scheint mir das Formale der Unterzeichnung wenig bedeutungsvoll zu sein. Es kommt auf den Inhalt des Vertrags überhaupt an, und da der Inhalt des Vertrags, soweit ich die Dinge übersehe, selbst von der äußeren Linken in seiner grundsätzlichen Bedeutung nicht angefochten worden ist, sehe ich nicht ein, warum man Bedenken dagegen hat, sich in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der obersten Heeresleitung auch in diesen Fragen zu befinden.
Ich habe meinerseits lediglich den Wunsch auszusprechen, daß, wenn weitere Friedensverhandlungen stattfinden, wie wir alle hoffen, die deutsche Reichsleitung einheitlich vertreten ist lediglich durch Bevollmächtigte des Deutschen Reichs als Einheit, und daß alle Wünsche und Ansprüche einzelner Bundesstaaten, in irgendeiner Form eine Sondervertretung zugebilligt zu erhalten, abgewiesen werden. Ich meine, das wollen wir doch wenigstens aus diesem Weltkriege herausholen, daß wir der Welt gegenüber als Deutsches Reich verhandeln, und nicht irgendwie unterschieden nach preußischen, bayerischen oder sonstigen Bevollmächtigten. Es hat in weiten Kreisen des Volkes befremdet, eines Tags davon zu hören, daß irgendwelche Abmachungen beständen, die hier Reservatrechte schüfen. Ich glaube, auch von diesem Rechte gilt, daß sein Bruch besser ist als seine Befolgung.
Der Herr Kollege Dr. David hat seinerseits die Verhandlungen geschildert, die mit Herrn Trotzki bis zur ersten Phase des Abbruchs der Beziehungen stattgefunden haben, und hat das Bild des Herrn Trotzki doch in einer einigermaßen freundlichen Beleuchtung vor uns erscheinen lassen. Er war vollkommen in der Kritik der deutschen Regierung befangen, und wenn er auch ausdrücklich ablehnte – was selbstverständlich ist –, daß die deutsche Sozialdemokratie es irgendwie mit der Regierung der Bolschewiki in Petersburg identifizieren könne, so stellte er doch das Friedensbedürfnis dieser Regierung als das sie Kennzeichnende hin und sprach davon, daß es ihr darum zu tun gewesen sei, zu einem demokratischen Weltfrieden zu kommen, daß ihr der Gedanke einer internationalen Revolutionierung vollkommen ferngelegen habe. Es ist vielleicht über die Kreise der Sozialdemokratie hinaus interessant, in welcher Weise sich die Herren, die gegenwärtig in Rußland die Gewaltherrscher sind, zu denjenigen Gesichtspunkten stellen, die für den deutschen Sozialismus und auch für weite bürgerliche Kreise neuerdings Grundlage der Denkungsweise geworden sind. Ich meine das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Ich muß ja zunächst gestehen, daß mir an sich kein Gedanke bekannt ist, der so wenig ganz bestimmten sozialistischen Gedankengängen entspricht wie das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Denn die Grundanschauung, die ganze Anschauung, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Großbetrieb zustreben und der Zusammenfassung in großen mächtigen Gebilden sowohl auf wirtschaftlichem Gebiet wie auf staatlichem Gebiet und über die Grenzen der einzelnen Staaten hinaus völkerbindend zustrebt, kann eigentlich kaum jedem kleinen Volkssplitter die Möglichkeit geben, ein eigenes Leben zu führen. Das wäre die Auflösung derjenigen Ordnung, die bisher auch gerade für den Frieden der Welt mit das entscheidende Merkmal gegeben hat. Die Herren in Petersburg nehmen gar keinen Anstand, ihrerseits zum Ausdruck zu bringen, wie sie über das Selbstbestimmungsrecht denken; sie nennen es eine »bürgerlich-kapitalistische und antirevolutionäre Erfindung« und erklären in ihrer »Prawda« vom 22. Dezember russischen Stils, daß dieses Selbstbestimmungsrecht »gegebenenfalls mit Waffengewalt« gebrochen werden müßte. Das ist die Stellung derselben Bolschewiki, die in ihren Funksprüchen es wagen, uns Deutschen Vorwürfe zu machen, daß wir es nicht ernst meinten mit dem Selbstbestimmungsrecht. Ich darf darauf hinweisen, daß es dieselbe Regierung des Herrn Trotzki ist, die mit Bezug auf das doch wohl auch dem finnischen Volke zustehende Selbstbestimmungsrecht in ihrem maximalistischen Blatt »Rossija« erklärt, davon könne keine Rede sein, denn »historische Erinnerungen und strategische Bedingungen« führten zu dem Schluß, daß die Verteidigung Petersburgs sich nicht auf die Küsten des Finnischen Meerbusens beschränken könne, daß sie vielmehr in das Gebiet der Moonsundinseln und der Aalandsinseln vorgeschoben werden müsse.
Meine Herren, wenn jemand in Deutschland seine Politik aufbaut auf historischen Erinnerungen und strategischen Gesichtspunkten, dann ist das Wort »alldeutsch« dasjenige, das ihm entgegengeworfen wird. Hier ist es ein maximalistisches Blatt, das erklärt, vom Selbstbestimmungsrecht Finnlands könne keine Rede sein, denn Finnland gehöre zu Rußland auf Grund historischer Erinnerung und auf Grund der strategischen Grenzsicherung. Man sieht, daß doch auch für Friedensverhandlungen zwischen Völker und Staaten das Wort gilt, daß hart im Raume sich die Sachen stoßen, und daß man mit all den Theorien, die man zunächst zur Grundlage der Verhandlungen nimmt, nicht weit kommt, wenn man einmal diese Theorien in der Wirklichkeit durchführen soll. Meiner Meinung nach steht entgegen der Auffassung des Herrn Kollegen Dr. David doch die eine Tatsache fest, daß die Art und Weise, in der Herr Trotzki bei den Verhandlungen in Brest-Litowsk aufgetreten ist, nichts weiteres als Friedensobstruktion gewesen ist, daß er sein Ohr hingehalten hat, um zu hören, ob nicht etwas aus Berlin, Wien und Budapest herüberdröhnt, das ihm mitteilte, daß hier bei uns innere Unruhen und Wirren hervorgerufen seien, die ihm die Möglichkeit gäben, etwa mit der Straße der Hauptstädte der Mittelmächte seine Ideen uns gegenüber durchzuführen. Wir haben ja vom Herrn Staatssekretär offen gehört, daß Herr Trotzki, irregeführt durch Herrn Radeck, bis in die letzten Stunden geglaubt hat, daß ihm irgendwelche revolutionären Bewegungen zu Hilfe kommen würden. Wie kann man demgegenüber abstreiten wollen, daß die Gedanken der russischen Regierung auf die Revolutionierung der Welt gerichtet gewesen seien? Das haben die Herren ja ganz offen als ihr Ideal ausgesprochen, sie haben gar keinen Zweifel daran gelassen, daß ihnen das vorschwebt: ein Friede, geschlossen vom gesamten Proletariat der Welt, der zunächst einmal die ganzen Grundfesten derjenigen Ordnung umgestürzt hätte, die bisher bei den Staaten bestanden, die miteinander verhandeln. Man ist soweit gegangen, daß man, während man uns den Bruch des Waffenstillstandes vorwirft – leider hat Herr Dr. David sich diesem Vorwurf in gewissem Sinne angeschlossen –, in der Zeit, als wir am Verhandlungstisch saßen, von Petersburg aus Flugblätter nach Riga und in die besetzten Gebiete eingeschmuggelt hat, in denen man aufgefordert hat, sich zu revolutionieren und gegen die deutsche Besatzung vorzugehen. Wenn es etwas gibt, was gegen den Geist des Waffenstillstandes verstößt, dann ist es der Versuch, auf der einen Seite die Armee, die gegenübersteht, mit Ideen zu erfüllen, die sich gegen den Gedanken des Staates richten, und auf der anderen Seite in die besetzten Gebiete derartige Ansichten hineinzutragen. Um so weniger sollte meiner Auffassung nach Veranlassung vorliegen, daß wir nach Entschuldigungsgründen für Herrn Trotzki suchen. Ich meine, daß erfreulicherweise durch seine heutige Erklärung zutage getreten ist, daß die Herren in eine Sackgasse gekommen sind, aus der sie nicht mehr herauskommen, und wenn wir durch rechtzeitigen Einmarsch unserer Truppen im Osten erreicht haben, daß dieser Funkspruch kam, dann freue ich mich, daß dieser Einmarsch so rasch erfolgt ist, und daß wir Herrn Trotzki nicht noch sieben Tage Gelegenheit gegeben haben, diese Art von Mord und Greueltaten, Beraubung und Schändung fortzusetzen, die er zur Schande des russischen Namens in Estland, Livland und in anderen Gebieten betrieben hat.
Deshalb freue ich mich außerordentlich, daß Herr Kollege Dr. Dove, dem ich darin vollständig zustimme, zum Ausdruck gebracht hat, daß es gewisse Voraussetzungen gibt, die unbedingt eingehalten werden müssen, ehe man der deutschen Regierung und unserm Bundesgenossen zumuten kann, sich mit Herrn Trotzki in irgendwelche neue Friedensverhandlung einzulassen. Diese Vorbedingung ist einmal die restlose Räumung von Livland und Estland. Und ich glaube, Herr Kollege Dove wird vollständig mit mir übereinstimmen, wenn ich sage: und es gehört hinzu die sofortige Freilassung aller gefangen gesetzten Deutschen, Esten und Letten, aller derjenigen, die jetzt von den Gewalthabern in Rußland ins Gefängnis geworfen sind. Es gehört dazu die unbedingte Anerkennung der Selbständigkeit Finnlands und die Räumung Finnlands. Es gehört dazu die Anerkennung des Friedenszustandes mit der Ukraine. Es gehört dazu, daß auch dort die russischen Gewalttaten, die Festsetzung politischer Persönlichkeiten sofort ihr Ende finden. Wer mit uns Frieden schließen will, um dem ersten Frieden den zweiten anzufügen, hat zunächst Garantien dafür zu geben, daß er den ersten Frieden nicht stört. Es ist nicht möglich, mit Trotzki Frieden zu schließen und Militär senden zu müssen gegen ein die Ukraine angreifendes russisches Heer. Das ist ein Widerspruch in sich, den die Herren in Petersburg anerkennen müssen. Sind ihre Gedanken, wie Herr Kollege David annimmt, auf das große Ideal des Weltfriedens gerichtet, wohlan, die Worte haben wir gehört, sie sollen uns den Beweis bringen, daß sie mit Taten für dieses Ideal eintreten. Dann wird ganz Deutschland einverstanden sein, daß wir mit ihm über den Frieden verhandeln. Aber so lange sie nicht durch Taten den Beweis dafür erbringen, würden wir es für bedenklich halten, wenn unsere militärischen Maßnahmen auch nur im geringsten eingeschränkt würden.
Ich darf dann noch zu den Verhandlungen, die über unser künftiges Verhältnis zu Rußland ja gewisse Voraussetzungen geschaffen haben, einiges sagen, um so mehr, als wir ja nunmehr unter Umständen vor neuen Verhandlungen mit Rußland stehen.
Unsere Unterhändler haben ja schon an sich in Brest eine sehr schwierige Aufgabe zu lösen gehabt, und ich bedaure das eine außerordentlich, daß ihnen diese schwierige Aufgabe durch die Haltung eines Teiles der deutschen Presse noch schwieriger gemacht worden war, als es in Wirklichkeit war. Es gehen diese Schwierigkeiten von den ganz verschiedensten Stellen aus. Der »Vorwärts« hat sich dagegen gewehrt, daß ich ihn in die Kategorie der Blätter einreihte, die diese Schwierigkeiten machen. Als Herr v. Kühlmann zum ersten Male nach Brest hinging, schrieb der »Vorwärts« einen langen Aufsatz, der mit den Worten endete: »Unsere Unterhändler müssen mit dem Frieden zurückkommen, dafür stehen sie uns!« Meine Herren, ich glaube, daß die Position unserer deutschen Unterhändler dadurch nicht gestärkt wird, daß man ihnen diesen Wunsch mit auf den Weg gibt, und ihnen sagt, daß sie unter keinen Umständen etwa ohne den Frieden zurückkommen dürfen. Inzwischen hat ein Sozialdemokrat selbst sich zu dieser Art der Politik geäußert und einen sehr treffenden Vergleich gemacht: »Das ist genau so, als wenn Gewerkschaftssekretäre mit Arbeitgebern über Lohnerhöhungen verhandeln wollen, und ihnen eine Volksversammlung eine Resolution gibt, die sie veröffentlicht und worin sie sagt: daß ihr aber ja mit Beendigung des Streiks zurückkommt, dafür steht ihr uns!« Und der betreffende Sozialdemokrat hat die Frage aufgeworfen, ob bei einer solchen Taktik wohl irgendeine Lohnerhöhung durchzusetzen sein würde. Ich glaube, dieser Vergleich ist durchaus treffend. Auf diese Weise einseitig das Interesse zu betonen, das selbstverständlich bei einem jeden am Frieden vorhanden ist, das muß die Stellung der Unterhändler schwächen und kann sie nicht stärken, das dient nicht dem Frieden, sondern das verlängert den Krieg. Wie ich denn auch, ohne Herrn Kollegen David persönlich nahetreten zu wollen, die Überzeugung habe, daß die Geneigtheit des Herrn Trotzki, nunmehr unsere Bedingungen anzuerkennen, durch solche Ausführungen, wie wir sie von ihm gehört haben, nicht gesteigert wird, sondern daß wir uns dadurch unter Umständen neue Schwierigkeiten schaffen.
Ganz anders ist die Stellungnahme einer ganzen Kategorie von Persönlichkeiten, die auf einem grundsätzlich andern Standpunkt stehen als demjenigen, den die Reichsregierung einnimmt, und zwar handelt es sich hierbei nicht um irgendwelche parteipolitisch abzugrenzenden Kreise. Ich meine damit, ich möchte sagen, die ganze Schule von Politikern, die der Auffassung ist, daß wir versuchen müßten, mit einem großen, einheitlich in sich geschlossenen Rußland zu einem Freundschaftsvertrag zu kommen, der uns die Möglichkeit gäbe, von diesem deutsch-russischen Freundschaftsvertrag ausgehend zu einem Kontinentalbündnis gegenüber England zu gelangen und damit den großen Stoß gegen England zu führen, der uns für alle Zukunft diejenige Freiheit gegenüber England gäbe, die wir in diesem Weltkriege mit erkämpfen wollen. Es sind das die Persönlichkeiten des Herrn Professor Hötzsch, des Herrn Georg Bernhard, auch einer Gruppe hervorragender Sozialisten, die in den »Sozialistischen Monatsheften« diese Gedankengänge zum Ausdruck gebracht haben. Sie gehen so weit, daß beispielsweise Herr Bernhard überhaupt den deutschen Unterhändlern darüber Vorwürfe machte, daß sie sich mit der Ukraine in Sonderverhandlungen eingelassen hätten, indem er erklärte: Wie sich die Ukraine mit Herrn Trotzki auseinandersetzt, ist ihre Sache; wir brauchen ein einheitliches Rußland als Gegenkontrahenten, wir wollen nicht diese Loslösung einzelner Gebiete aus dem Ganzen, weil uns daran gelegen sein muß, diesen gewaltigen großen Staat ungeschwächt uns als künftigen Freund zu erhalten. Meine Herren, ich verstehe nicht, wie man der deutschen Regierung irgendwelche Vorwürfe darüber machen kann, daß sie, meiner Meinung nach mit unleugbarem Geschick, im richtigen Moment die Ukraine gegen Trotzki ausgespielt und uns durch diese Politik erst zu dem heutigen Angebot von Herrn Trotzki gebracht hat. Es ist das so echt Ausfluß deutscher Theorie, daß man in den luftleeren Raum hineintheoretisiert, ohne sich die Tatsachen anzusehen, die doch nun einmal da sind. Wir haben nicht mehr das alte einheitlich zusammengefaßte, große, gewaltige Rußland. Wir stehen unter einer Entwicklung, die unter dem einen Gesichtspunkt des Selbstbestimmungsrechtes der Völker, das zunächst einmal von den ersten der jetzigen russischen Regierung ausging, die Völker Rußlands, die sogenannten Fremdvölker, die ja die Mehrheit der Bevölkerung dieses gewaltigen Reiches ausmachen, in eine Bewegung hineingetrieben hat, die nunmehr dazu führt, daß alle diese einzelnen Bestandteile nach einer mehr oder minder ausgeprägten Selbständigkeit dringen. Meine Herren, wir müssen uns doch von unserem Standpunkt aus auch das eine sagen, daß wir ja selbst begonnen haben, dieses Gebilde des einheitlich starken Rußlands von uns aus zu erschüttern durch diejenige Politik, die seit dem 5. November 1916 eingeleitet worden ist, und die, auch wenn man sie bekämpft – und gerade meine politischen Freunde haben diese Politik nicht für richtig gehalten –, doch zunächst einmal Tatsachen geschaffen hat, an denen man nicht vorbeigehen konnte.
Als zweites möchte ich betonen: so wenig hier die Voraussetzung eines starken, einheitlichen Rußland gegeben ist, das uns als Gegenkontrahent jetzt gegenübersteht, so wenig steht doch fest, daß dieses Rußland überhaupt die Absicht hat, sich nun speziell mit Deutschland zu einem kontinentalen Bündnis gegenüber England bereitfinden zu lassen. Wo haben wir denn eine Gewähr dafür, daß nicht in irgendeiner Zukunft es England gelingt, genau so wieder enge Beziehungen zu Rußland herbeizuführen, wie sie herbeigeführt worden sind zur Zeit Eduards VII. und wie sie zum Ausdruck kamen in der gewaltigen Koalition dieses Weltkrieges gegen uns? Man sagt, das demokratische Rußland biete Gewähr dafür, daß solche Entwicklungen nicht eintreten. Meine Herren, die Weltgeschichte schreitet so schnell vorwärts, zeigt uns so kaleidoskopartig wechselnde Bilder, daß ich glaube, niemand von uns kann die Garantie dafür übernehmen, zu sagen, wie dieses Rußland in einem Jahre, vielleicht wie es in einem Monat aussehen wird, welche Gewalten, die dort an die Oberfläche drängen, dann wieder in Rußland diejenigen sein werden, die dieses Land nach außen und innen vertreten. Auf einen Gegenwartszustand, der so wenig fundiert ist wie die Regierung der Lenin und Trotzki, irgendwie eine Zukunftspolitik von Jahrzehnten aufbauen zu wollen, das hieße Zukunftssicherheiten auf sehr schwankem Grunde errichten. Das wird gelten für alle Fragen, die uns später noch beschäftigen werden, auch für die Frage unseres eigenen militärischen Schutzes.
Ich glaube, die Anhänger dieser ganzen Richtung stellen sich auch im übrigen das Kontinentalbündnis gegen England etwas einfacher vor, als es in Praxis zu erreichen sein wird. Sie glauben, daß ein Bündnis Deutschland-Rußland automatisch das Bündnis mit Frankreich nach sich ziehen werde. Mag sein, daß mancher Stachel in Frankreich von der Bundesgenossenschaft mit England zurückbleibt. Aber daß zunächst einmal die seit Jahrzehnten genährte Feindschaft, der Haß gegen Deutschland das Bestimmende der französischen Politik bleibt, daß die Frucht dieses Weltkrieges nicht ein Bündnis Frankreich-Deutschland sein wird, das wird jedem von uns vor Augen stehen. Aus dem Grunde halte ich es für unrichtig, unserer Regierung darüber Vorwürfe zu machen, daß sie den Prozeß einer Selbständigmachung einzelner Fremdvölker Rußlands unterstützt hat, daß sie den Boden der Sonderverhandlung mit den Ukrainern vorbereitet und den heute vorliegenden Vertrag zustande gebracht hat.
Dieser Vertrag ist am heftigsten von dem Vertreter der polnischen Fraktion angegriffen worden. Wir haben volles Verständnis dafür, daß die Herren der polnischen Fraktion mit großem Bedauern die Abtrennung eines Gebietes von dem Polen sehen, das sie ihrerseits als überwiegend polnisch ansehen. Aber ich darf auch auf das eine hinweisen. Wir dürfen wohl mit vollem Recht die Frage in den Vordergrund stellen, die der österreichische Ministerpräsident seinem eigenen Polenklub und dem österreichischen Volke vorgelegt hat: was würden Sie zu einem Staatsmann gesagt haben, der in die Hauptstadt Ihres Landes zurückgekommen wäre und gesagt hätte: wir haben die Möglichkeit gehabt, Ruhe und Frieden an einem Teile der großen Front zu schaffen, mit einem Volke von 30 Millionen Einwohnern nunmehr in Frieden und Freundschaft zu leben und die eigne Versorgung sicherzustellen; wir haben es aber daran scheitern lassen, daß wir erklärt haben, Cholm bleibe bei Polen? Meine Herren, in Österreich würde man einen solchen Minister gesteinigt haben, der mit leeren Händen von dem Verhandlungstische aufgestanden wäre.
Sodann möchte ich die Herren der polnischen Fraktion auch noch auf das hinweisen, was ihnen gestern ein Kollege von der Fortschrittlichen Volkspartei vor Augen geführt hat. Sie sagen, daß die Polen von Deutschland nicht erwartet hätten, daß es irgendwie polnische Interessen preisgeben würde. Dann muß man doch die Gegenfrage stellen, was hat man denn von polnischer Seite getan, um sich ein Anrecht auf deutsche Sympathie zu erwerben? Meine Herren, ich weise Sie darauf hin, daß wir erlebt haben, daß der Obmann des österreichischen Polenklubs am 22. Januar im österreichischen Abgeordnetenhause folgende Anträge gestellt hat:
1. der Polenklub stellt fest, daß das Selbstbestimmungsrecht sich auf alle Polen ohne Rücksicht auf politische Grenzen beziehen muß,
2. die einzig mögliche Lösung der polnischen Frage ist die Vereinigung aller polnischen Gebiete mit dem Zutritt zum Meer.
Wenn in diesem gewaltigen Weltkrieg, in dem Hunderttausende von Deutschen ihr Blut im Kampfe gegen Rußland vergossen haben, und in dem als erste Frucht der Kriegsziele Deutschlands die Selbständigkeitserklärung Polens reifte, nun das erste, was die Polen erklären, darin besteht, daß man die Loslösung deutscher Gebiete verlangt, so ist das eine Politik, die nicht erwarten kann, daß sie Sympathien und Zustimmung in Deutschland auslöst. Ich muß sagen, daß mir ein parlamentarischer Ausdruck für diesen Antrag des österreichischen Polenklubs überhaupt nicht zur Verfügung steht. Wir brauchen aber gar nicht nach Österreich zu gehen. Wir haben im preußischen Abgeordnetenhause ganz Ähnliches gehört. Wir haben gehört, daß in Zukunft die Frage der Ostmarken Gegenstand internationaler Abmachungen und nicht mehr eine deutsche Frage sein soll. Wie können Sie verlangen, daß wir uns bei den großen Existenz- und Lebensfragen des deutschen Volkes etwas anderes fragen sollen als: wo liegen unsere deutschen Interessen? Und das wird bei dieser Frage wie bei allen anderen Fragen der Fall sein.
Meine Herren, ich möchte mich im übrigen gegen die Auffassung wenden, die man jetzt in die weite Weltöffentlichkeit hineinzubringen sucht, als sei diese Lösung der Cholmer Frage durch eigene Initiative Deutschlands erfolgt, als seien wir bei dieser Regelung führend gewesen. Wir sind sogar auf Darstellungen getroffen, die es so hingestellt haben, als wenn irgendwie die oberste Heeresleitung, die man hinter allen möglichen Plänen vermutet, hier der Ukraine noch Gebiet angeboten hätte, um künstlich einen Zankapfel zwischen der Ukraine und den Polen zu schaffen nach dem Grundsätze: divide et impera. Demgegenüber muß unterstrichen werden, was der Herr Staatssekretär v. Kühlmann wiederholt hier mit Nachdruck ausgeführt hat, daß in dieser Cholmer Frage nicht nur eine vollständige Übereinstimmung zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn stattgefunden hat, sondern daß bei der Besonderheit der großpolnischen Interessen in Österreich-Ungarn die deutsche Regierung der österreichischen hierbei die Vorhand gelassen hat.
Wenn nun der österreichische Außenminister bei der großen Bedeutung, die dem Polenklub für das innerpolitische parlamentarische Leben Österreichs zukommt, bei der großen Bedeutung, die außenpolitisch die Lösung der polnischen Frage für die Doppelmonarchie hat, seinerseits glaubte, sich diesen Ansprüchen der Ukraine nicht widersetzen zu können, dann soll man um so weniger Vorwürfe gegen die deutsche Regierung von polnischer Seite erheben; man soll anerkennen, daß hier um Lebensnotwendigkeiten der verbündeten Reiche gestritten wurde, und daß diesen Lebensnotwendigkeiten andere Erwägungen vorauszugehen hatten.
Meine Herren, ich darf da auf ein Letztes hinweisen. Wenn die Mitteilungen richtig sind, die durch die Presse gegangen sind, dann haben jetzt Vertreter der polnischen Legionäre in den letzten Tagen Verhandlungen mit den Maximalisten in Petersburg angeknüpft, um die polnischen Legionen gegen die Ukraine zu führen. Ich hoffe, daß das durch die heutige Erklärung des Herrn Trotzki in Bälde überholt sein wird. Sollte das aber nicht der Fall sein, und sollten polnische Legionäre gegen das Land ziehen, das mit uns jetzt diesen Frieden geschlossen hat, dann mache ich die Herren Polen darauf aufmerksam, daß sie es sind, die den Vertrag vom 5. November 1916 zerreißen und ihn uns vor die Füße werfen. Es ist zuviel verlangt, daß wir ruhig zusehen sollen, wie hier die Polen, die nie eine Armee für uns im Kampf gegen Rußland gehabt haben, eine polnische Armee gegen die Freunde Deutschlands und gegen den ersten Staat führen, mit dem wir Frieden geschlossen haben. Die ganze Geschichte der Völker zeigt, daß man die Freiheit sich erwerben muß, die Freiheit, die jedes Volk in ihrer Geschichte sich nur dadurch erworben hat, daß es auch sein Blut für diese Freiheit geopfert hat. So fällt die Freiheit der Entwicklung nicht in die Hand eines Volkes, wie man es polnischerseits glaubt, indem man einfach auf dem Beschluß vom 5. November 1916 fußend, sich über vitale deutsche Interessen glaubt hinwegsetzen zu können.
Ich komme damit zu einigen anderen Fragen, die in der vorangegangenen Diskussion aufgeworfen worden sind, darunter die Frage der strategischen Grenzsicherung, der etwaigen Zuteilung polnischer Gebiete zu Deutschland und Preußen. Meine politischen Freunde sind der Meinung, daß in den Fragen der strategischen Grenzsicherung dem Votum der obersten Heeresleitung maßgebende Bedeutung beizumessen ist. Darüber hinaus glaube ich des Einverständnisses meiner politischen Freunde sicher zu sein, wenn ich sage: von unserem völkischen Standpunkte aus haben wir gar kein Interesse, daß irgendwie polnisches Land zu Deutschland hinzukommt, wir haben kein Interesse daran, daß zu den Schwierigkeiten, die uns die Verhältnisse in der Ostmark gebracht haben, noch neue Schwierigkeiten dazu kommen. Es wird Sache der politischen Leitung sein, zu prüfen, inwieweit die Frage der strategischen Grenzsicherheit Lebensnotwendigkeit in Deutschland ist. Ist sie es, dann nehmen wir sie hin, nicht weil wir neues Land Deutschland einzufügen bestrebt sind, sondern weil eine staatliche Notwendigkeit dazu vorliegt.
Vom Herrn Kollegen Gröber ist auf die Erklärung hingewiesen worden, die der Landesrat von Litauen in bezug auf seine künftige Selbständigkeit abgegeben hat. Wir haben ja die Verhältnisse Litauens wiederholt in diesem hohen Hause und in unserer Kommission erörtert. Wenn Litauen die Absicht hat, sich von Rußland abzuwenden, und wenn wir feststellen können, daß die maßgebenden führenden Schichten des Landes mit großer Einheitlichkeit dahinterstehen, und wenn sie uns dafür Sicherheiten geben, daß sie in ein freundnachbarliches enges Verhältnis zu uns zu treten wünschen, wie das ihre Abgesandten einst in der Reichshauptstadt zum Ausdruck gebracht haben, indem sie eine Militärkonvention mit Deutschland, indem sie eine Einheitlichkeit des Eisenbahnwesens, des Münzwesens und eine Zollunion ihrerseits vorschlugen, dann, glaube ich, können wir auf diesen Boden treten.
Meine Herren, ich bin mit dem Abgeordneten Gröber auch in der kurländischen Frage der Auffassung, daß es wünschenswert sein wird, eine breitere Grundlage für die Vertretung des Landes zu schaffen, obwohl gerade rein formalistisch die kurländische Vertretung am allerwenigsten anzufechten ist, weil sie nach der alten Verfassung des Landes durchaus zu dessen Vertretung berechtigt ist. Wenn man sich hier rein auf den verfassungsmäßigen Standpunkt stellt, sind der litauische Landesrat und die übrigen geschaffenen Vertretungen weit mehr anfechtbar als gerade der so viel angegriffene kurländische Landtag. Ich bin aber der Überzeugung, daß auch eine breitere Basis dieser Vertretung gar nichts an den Beschlüssen ändern wird, die schon vorher vom kurländischen Landtag gefaßt worden sind. Denn wenn irgend etwas erzieherisch in bezug auf die Abwendung von der russischen Herrschaft gewirkt hat, dann ist es die Herrschaft der Herren Lenin und Trotzki in Petersburg gewesen. In diesen wenigen Wochen sind Millionen von Menschen die Augen über die großen Gegensätze zwischen Anarchie und Chaos auf der einen Seite und Sicherheit und Ordnung auf der anderen Seite aufgegangen. – Das ist auch in Äußerungen lettischer und estnischer Führer in einer Weise zum Ausdruck gekommen, wie ich das meinerseits niemals für möglich gehalten hätte.
Ich darf nun zu der von den verschiedensten Seiten gewünschten verfassunggebenden Versammlung für diese neugeschaffenen Länder das eine sagen. Man sollte auch bei der Entwicklung der Länder sich das eine vor Augen stellen, daß, so wie jeder Mensch eine Entwicklung durchläuft und erst von einem gewissen Alter an als politisch mündig erklärt wird, dies auch bei allen Völkern der Fall ist, und daß man die für ein Kulturvolk unbedingt geltenden Grundsätze eines allgemeinen gleichen direkten Wahlrechts nicht einfach automatisch auf in der Entwicklung begriffene Völkerschaften anwenden kann. Man wird da, wo eine Entwicklung bisher durch russische Herrschaft unterdrückt wird, wo bisher ein großer Teil von Analphabeten neben denjenigen, die sich zu den geistigen Quellen im Auslande gedrängt hatten, vorhanden ist, zunächst einmal den kulturell führenden Schichten für eine gewisse Zeit die Führung im Lande überlassen müssen; sonst würde man, wo man Ordnung zu schaffen trachtet, in Wirklichkeit in ein Chaos hineinkommen.
Ich komme zu der Frage der Bedeutung des Ukrainevertrags für uns. Man hat diesen Vertrag seltsamerweise in den gestrigen Verhandlungen mehr kritisch als zustimmend betrachtet. Wenn Herr Staatssekretär v. Kühlmann an den jubelnden Empfang denkt, der dem Grafen Czernin in Wien bereitet worden ist, wird er empfunden haben, daß die Temperatur in Berlin bedeutend kühler ist als die unserer verehrten Bundesbrüder in der österreichischen Hauptstadt.
Herr Abgeordneter Ledebour ist sogar soweit gegangen, daß er das Recht bestritt, mit einem Staat Verträge zu schließen, der eigentlich nicht in einer rechtmäßigen Form ins Leben getreten wäre, der noch nicht völkerrechtlich anerkannt wäre, und der doch deshalb formalistisch zu beanstanden wäre. Ich entsinne mich aus meinem Kolleg über Völkerrecht, daß Geheimrat Fricker in Leipzig uns das einmal sehr nett mit einem Vergleich auseinandergesetzt hat. Er sagte: mit der Entstehung neuer Staaten, überhaupt mit der Entstehung von Staaten, ist das so wie mit der Geburt der Menschen; auch die uneheliche Geburt verstößt gegen die Tradition und gegen gesetzliche Vorschriften, aber der Staat muß sie anerkennen, denn das Kind ist da: es bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als von dem Faktum Kenntnis zu nehmen. Ebenso ist es schließlich auch, wenn hier irgendwie ein Staat entsteht, der sich nun nicht irgendwie in die alten Regeln von Staatsentstehung und Staatsanerkennung hineinpressen läßt, daß man vernünftigerweise so handelt wie die deutsche Reichsregierung, daß man sagt: der Staat ist da, und deshalb betrachte ich ihn als Faktum. Von den Theorien des Herrn Abgeordneten Ledebour kann die deutsche Bevölkerung und das deutsche Vieh auch nicht satt werden. Es erscheint mir sehr viel vernünftiger, daß wir statt dieser Theorien die Futtermittel und das Getreide einführen.
Die Auffassung des Herrn Abgeordneten Ledebour ist die eines Legitimisten, der sich gegen das »Revolutionäre« in der Entwicklung der Völker wendet. Ich möchte Ihnen mit den Worten von Hans Sachs sagen: »Wollt ihr nach Regeln messen, was nicht nach eurer Regeln Lauf, der eigenen Spur vergessen, sucht dafür erst die Regel auf!« Wenn wir erst einmal tiefer schürfen in der Spur aller Völker, werden wir auf ebenso eruptive Erscheinungen in der ersten Zeit ihrer Entstehung stoßen als hier bei der Ukraine. Also ich denke, es ist schon vernünftig, daß wir die Ukraine als ein feststehendes Faktum angenommen haben. Und wenn gestern Herr Kollege Gröber gegenüber dem Optimismus des Herrn Staatssekretärs abwinkte und sagte: es genügt mir schon, daß wir mit der Ukraine in Ordnung sind – loben braucht man sie gar nicht in ihrer Bedeutung –, so möchte ich doch darauf hinweisen, daß es nicht übertrieben war, wenn Herr v. Kühlmann mit Recht darauf hinwies, daß in der Ukraine, ich möchte sagen, die wirtschaftliche Pulsader des großen Rußlands bisher gelegen habe und auch voraussichtlich bleiben wird. Von dem Getreideexport Rußlands entfielen 39 v. H. auf die Ukraine, von dem Zuckerexport 80 v. H., von der ganzen Kohlenförderung Rußlands, die 1 900 000 Pud beträgt, entfielen 1 300 000 auf die Ukraine, von 500 Millionen Pud Eisenproduktion 325 Millionen. Es ist also ein ganz wichtiger, gewaltiger Wirtschaftskörper des russischen Reiches, der sich hier losgelöst hat, der mit uns in wirtschaftliche Beziehungen treten will. Ich bin der Meinung, daß die Aufregung, die sich in Petersburg über diese Verhandlungen gebildet hat, daß der Versuch, mit Waffengewalt in diese Entwicklung einzugreifen, vor allen Dingen aus dem Gedanken heraus geboren war, daß Rußland ohne die Ukraine gar nicht zu leben vermag. Gerade die jetzige militärische Sicherung unseres Bündnisses mit der Ukraine hat den Machthabern in Rußland gesagt, daß sie nicht in der Lage sind, weiter zu existieren, wenn die Abschließung der Ukraine gegen Rußland Tatsache wird.
Weil diese wirtschaftliche Bedeutung so wichtig ist, deshalb begrüße ich es auch, daß wir hier eine Art Modellvertrag für die Wiederherstellung der Wirtschafts- und der rechtlichen Beziehungen geschaffen, der in bezug auf den Ersatz von Schäden und den Austausch der Güter Modalitäten schafft, die uns voraussichtlich die Möglichkeit geben werden, einen Teil dessen, was an im Ausland investiertem deutschem Kapital und Unternehmungsgeist im Laufe dieses Weltkrieges gefährdet worden ist, nun allmählich zurückzuerhalten und damit die deutsche Wirtschaft von denjenigen Schäden zu befreien, die ihr der Weltkrieg wirtschaftlich gebracht hat.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit, wenn wir von der wirtschaftlichen Bedeutung der Ukraine sprechen, ein Wort über die Verhandlungen sagen, die hier in Berlin zwischen den ungarischen, österreichischen und deutschen Vertretern über die Verteilung der etwaigen Zufuhren aus der Ukraine stattgefunden haben. Wir alle wissen – ich habe gar kein Bedenken, das hier zu sagen, es ist von Wien aus sehr offen zugegeben worden –, daß Österreich sich in einer sehr schwierigen Lage befindet. Ich bin deshalb überzeugt, daß es im deutschen Volke vollständig verstanden und gewürdigt wird, daß wir bei der großen rumänischen Ernte nicht darauf bestanden, daß die nach unserer Bevölkerungszahl uns zustehende Quote – soviel ich weiß, sieben Zwölftel dieser Menge – eingehalten wurde, sondern daß wir zunächst vorschußweise an Österreich einen weit größeren Betrag abgeben, als er Österreich nach den Vereinbarungen zugestanden hätte. Ich bin auch fest überzeugt, daß das deutsche Volk ganz damit einverstanden ist, daß wir bei den letzten Schwierigkeiten der Versorgung der uns so lieben und sympathischen Wiener Bevölkerung große Mehlsendungen von Deutschland nach Wien geleitet haben. Die österreichische Regierung möchte ich aber bitten, angesichts dieser Tatsachen dann aber auch dafür zu sorgen, daß nicht eine gewisse Presse in Österreich die Dinge auf den Kopf stellt, nicht gewisse Blätter in Triest die dortigen Unruhen damit erklären, daß sie sagen, die Unruhen seien deshalb hervorgerufen, weil Deutschland die gesamte rumänische Ernte für sich in Anspruch genommen hat. Das ist nicht richtig. Wir verstehen es, daß wir in der Beziehung nachstehen sollten und werden in der Beziehung nachstehen, wie auch in bezug auf die Zufuhren, die aus der Ukraine kommen, wir gewiß gewillt sind, den Wünschen und Forderungen Österreichs in jeder Beziehung entgegenzukommen. Aber es würde wünschenswert sein, wenn auch die österreichische Regierung von der Tribüne ihres Parlaments aus gegen derartige Falschmeldungen, die nur geeignet sind, das treue bundesbrüderliche Durchhalten bis zum letzten Augenblicke zu erschweren, mit aller Entschiedenheit auftreten würde.
Wir haben durch die in Aussicht genommene militärische Expedition mittelbar eine Entlastung für die bedrohte Ukraine dadurch herbeigeführt, daß wir einen Vormarsch in Livland angetreten haben, der nach den heutigen Meldungen bereits 20 Kilometer vorgegangen ist. Es ist das einmal beschlossen worden zur militärischen Entlastung der Ukraine. Aber weiterhin auch – und das erscheint mir das Wichtigere – zur Errettung der in Not befindlichen Bewohner Livlands und Estlands.
Wie trostlos die dortigen Zustände sind, können Sie aus den heutigen Meldungen des Wolffschen Telegraphenbureaus ersehen, wonach man in Reval den dorthin vor den Plünderungen und dem Mordgesindel geflüchteten estländischen Adel zunächst einmal festgesetzt hat, Männer sowohl wie Frauen, und daß man weiter den gesamten baltischen Adel für vogelfrei erklärt, das heißt, daß jeder in der Lage ist, einen deutschen Gutsbesitzer niederzuschießen oder niederzuschlagen wie einen tollen Hund, ohne Bestrafung dafür zu finden, es sei denn, daß ihm vielleicht noch eine Belohnung dafür zugesichert wird.
In manchen Kreisen der deutschen Öffentlichkeit ist bezweifelt worden, ob die Dinge derartig lägen. Man hat es so hingestellt, als wenn irgendwie eine offiziöse Stimmungsmache eingesetzt hätte. Ich habe zu meinem Bedauern im »Vorwärts« gelesen, daß man auch sagte, diese estländischen und livländischen Gutsbesitzer hätten sich überhaupt nur aus Angst vor der Aufteilung des Landes jetzt Deutschland zugewendet. Nun, wenn es wirklich so wäre, so gilt für die deutschen Grundbesitzer dieser Provinzen jedenfalls dasselbe, was der Herr Kollege Gröber bezüglich der deutschen Ansiedler im Cholmer Gouvernement gesagt hat, d. h. wir hätten durchaus ein Interesse daran, zu verhindern, daß dort, wo deutscher Grundbesitz in deutschen Händen war, alles durch eine Regierung, deren Zeitdauer mir sehr beschränkt erscheint, in ein Chaos und in die größte Verwirrung gestürzt wird.
Aber es handelt sich nicht in erster Linie um den materiellen Schaden, der dem einzelnen hier zugefügt wird. Ich darf bezüglich dieser materiellen Frage daran erinnern, daß lange, ehe die Revolutionäre in Rußland ans Ruder kamen, noch unter der zaristischen Zeit, der Gutsbesitz in Kurland sich bereit erklärte, für den Fall der Lostrennung von Rußland ein Drittel seines Landes an Deutschland abzutreten, um dadurch die Möglichkeit einer deutschen Kolonisation zu schaffen. Es drängt sich uns doch die Frage auf, ob wir tatenlos zusehen können, wie diejenigen Deutschen in den baltischen Landen, die allen Verfolgungen, aller Not und allen Schwierigkeiten zum Trotz durch sieben Jahrhunderte hindurch an der deutschen Sprache und deutschen Kultur festgehalten haben, weil sie Deutsche sind, hingemordet, hingeschlachtet werden. Ich muß sagen, wir wären kein Volk von Ansehen und Ehre, wenn wir das ruhig mit ansehen würden, ohne hier einzugreifen. Es wäre nicht zu verstehen, wenn wir, die wir für die Freiheit uns volksfremder Nationen eingetreten sind, nicht unser Herz in erster Linie schlagen ließen für die Balten, die mit uns eines Mutes sind. Es klingt so oft von der äußersten Linken uns entgegen, wenn man ein Wort für die deutschen Balten spricht: diese sieben oder neun vom Hundert der Bevölkerung des Baltikums! Gewiß, sie sind keine Mehrheit im Lande, sie sind eine Minderheit. Um so höher muß man es schätzen, daß sie trotz dieser Minderheit gewußt haben, sich ihr Deutschtum derartig zu erhalten, derartig auch kulturell und geistig die Führenden zu bleiben, wie sie es getan haben im Gegensatz zu den Deutschen in anderen Ländern über dem großen Wasser, wo Hunderttausende und Millionen von Deutschen saßen, die in der Lage waren, sich durchzusetzen. Wie sind da die späteren Generationen amerikanisiert, wie haben sie ihren ehrlichen deutschen Namen preisgegeben, wie haben wir sehen müssen, wie wir dort der Kulturdünger für andere Nationen gewesen sind. Wie war dort in Chikago, Milwaukee, Cincinnati und anderwärts ein so starker deutscher Einschlag, daß sie eine deutsche Stadt hätten bleiben können, wenn der Enkel geblieben wäre, was einst der Großvater war! Hier in den Ostseeprovinzen haben die Balten, viel mehr bedrängt, als je ein Deutschamerikaner in den Vereinigten Staaten war, durch alle Schwierigkeiten zaristischer Verfolgung hindurch ihre deutschen Schulen, ihre deutschen Zeitungen, ihre deutsche Bildung sich erhalten. Wenn Sie heute nach Riga, nach Mitau, wenn Sie in dortiges Land gehen, dann tritt Ihnen ein Deutschtum entgegen, so rein, so unverfälscht und so ideal, daß man manchmal wünschen möchte, es wäre in Reichsdeutschland in derselben Weise zu finden. So muß die Stimmung in Deutschland gewesen sein, als noch ein einheitliches Deutschland erstrebt und erträumt wurde. Denn der Deutsche ist vielleicht so, daß ihm vor allem das als Ideal erscheint, was er mit seinem Herzen ersehnt, daß dann aber, wenn das Ersehnte Tatsache wird, wenn das Grau des Alltags allmählich über das Ersehnte kommt und Jahre und Jahrzehnte vergehen, er das nicht mehr so schätzt, was ihm dann alltäglich erscheint.
Dort ist noch die große Sehnsucht nach der Vereinigung mit Deutschland. Dort haben die Balten in ihrem livländischen Kalender, mit vollem Recht von ihrer eigenen Seelenstimmung ausgehend, das Goethesche Wort sich zum Motto genommen: »Pfeiler, Säulen kann man brechen, aber nicht ein freies Herz.« Mit diesem freien, zu Deutschland sich bekennenden Herzen haben sie sich dort gegen Rußland durchgesetzt, kommen sie in größter Lebensgefahr über die russische Linie herüber, haben sie heute, wo über das Geschick von Estland und Livland noch nichts bestimmt ist, sich in ihrer Ritterschaft für den Anschluß an Deutschland erklärt, wohl wissend, daß sie ihren Kopf verwirkt haben, wenn das nicht durchgehen würde. Starke Persönlichkeiten treten uns dort entgegen, die nicht Hast und Unruhe des Erwerbssinnes so ideallos gemacht haben, wie wir das manchmal in Deutschland finden, sondern die in dem Streben nach Allgemeinbildung, in dem Streben nach Schaffung von Persönlichkeitswerten uns als Deutsche aus alter guter Zeit erscheinen. Und wie die Ritter, so das Bürgertum in den Städten. Niemals ist mir mehr die Stimmung der Meistersinger aus dem alten Nürnberg zum Ausdruck gekommen, als in der Stunde, da ich in der Gildenstube von Riga saß, als ich sah, wie dort, auch unter russischem Druck bis zum letzten das deutsche Leben sich entfaltet hat. Wenn wir nach Dorpat gelangen, wo eine geistige Hochschule liegt, von der unendlich viel zur Befruchtung deutschen Wesens ausgegangen ist, wenn wir neben Kurland auch Livland und Estland besetzt haben, dann hoffe ich, daß auch der Tag kommen wird, »wo diese alte deutsche Erde im Schutze des großen Reiches liegt.« Das bedeutet nicht die Annexion dieser Gebiete. Aber es bedeutet ein freies Baltikum in enger Anlehnung an Deutschland unter unserem militärischen, politischen, geistigen und kulturellen Schutz. Ich glaube, es wäre eines der schönsten Ziele dieses Weltkrieges, wenn wir dieses Stück treuen Deutschtums so bewahren, so innig mit uns verschmelzen könnten, wie es von ihm selbst gewünscht wird. Wir werden das um so eher können, ohne ein Volk zu vergewaltigen, als mir Kenner des Landes gesagt haben: Wenn Sie jetzt nach Estland und Livland marschieren und das Land von dem Chaos der Anarchie befreien, dann lassen Sie überall die freieste Abstimmung gelten, und Sie werden auch bei Esten und Letten nur ein einziges Votum, ein Votum für den Anschluß an Deutschland bekommen.
Meine Herren, wir hoffen, daß der Ukrainer Frieden, der heute zur Debatte steht, das erste Glied in der Kette von Friedensverträgen mit einzelnen Völkern sein wird, Friedensverträge, die uns allmählich dem Weltfrieden näherbringen werden. Bis dahin wird neben der Diplomatie das Schwert das Wort haben. Irre ich nicht, dann steht bei Marx geschrieben, daß Kriege nicht beendet werden durch das Schwert der Kritik, sondern durch die Kritik des Schwertes. Wir haben ja einstmals das Wort vernommen von dem Narren, der noch an den Sieg glaubt. Nun, ich habe mich gefreut, in einem sozialdemokratischen Blatt jüngst zu lesen, daß dort ein sozialdemokratischer Schriftsteller schrieb: Der Narr, der noch an den Sieg glaubte, hat vorläufig recht behalten, wenigstens im Osten. Ich hoffe, daß er auch recht behalten wird im Westen, wenn der Westen uns zwingt, mit der letzten großen, gewaltigen Kraftanstrengung des deutschen Volkes mit ihm um die Entscheidung zu ringen. Dann werden wir durch den deutschen Sieg zu dem Frieden der Welt gelangen.