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Anläßlich der Trauerfeier im Reichstag
Als Bassermanns Leib in Mannheim dem Flammengrab übergeben wurde, da ertönten die Orgelklänge mit der Weise »Deutschland, Deutschland über alles«. In dem Sinne, daß Deutschland dem einzelnen über alles stehen soll, gehörte das Lied zum Abschied von Bassermanns Leben als Umrahmung seines Lebens und Wirkens. Von dem deutschen Manne, der sein Vaterland über alles liebte, lassen Sie uns auch sprechen in dieser Stunde der Gedächtnisfeier.
Jung ist in Deutschland die politisch-parlamentarische Entwicklung. Ein teilweise absolutistischer Bürokratenstaat, wenn auch im besten Sinne, sind wir länger gewesen als andere Völker. In wenigen Familien nur bestehen parlamentarische Traditionen. Um so mehr kam es Bassermann zugute, daß sie ihm eigen und vererbt waren. Trotzdem hat er erst verhältnismäßig spät in das politische Leben eingegriffen. Sein erstes Auftreten war aus dem Gefühl heraus geboren. Gegen die vom Reichstag veranlaßte Ablehnung des Gehalts für Bismarcks Mitarbeiter wendete er sich in flammender Rede. Kurz darauf steht er, und von da bis zu seinem Tode, im politischen Kampfe.
Schon an diesem ersten Auftreten wird ein Bestimmendes für sein Leben klar, nämlich die starke Anteilnahme der Gefühlsempfindung an seinem Wirken. Weiche Gefühlsempfindung ohne kühl abwägenden Verstand schafft schlechte Politiker, aber Verstandspolitik ohne vaterländisches Gefühl wird dauernd nie das deutsche Volk befriedigen. Bassermann hatte den Blick für das realpolitisch Erreichbare. Er stellte sich und der Partei nicht unerreichbare Ziele, aber er empfand den Pulsschlag der Zeit und wußte dem Empfinden weitester Kreise des Volkes in großen Augenblicken Ausdruck zu geben. Naumann sagte von ihm, daß er in seinen Reden immer noch der Dolmetscher der ganzen nationalliberalen Partei gewesen sei trotz der Gegensätze, die sie in sich barg. Er wuchs ins Große, wenn er wie ein Herold der Reichsherrlichkeit den Empfindungen für das Große Ausdruck gab. Der Idealist Bassermann verstand sein Volk. Er hatte sich den Sinn dafür erhalten, daß wir in der Hast und Unruhe des modernen Lebens Feierstunden des Geistes entlegen müssen, um an dem Sinne unseres Daseins nicht zu verzweifeln. Für diese Feierstunden, die er uns allen gegeben hat, danken wir ihm noch heute.
Ein zweites Mitbestimmendes ist aus seinem ersten Auftreten zu ersehen. Sein damaliges Eintreten für den Gründer des Reiches zeigt die Tradition seiner politischen Entwicklung. Er sah das Reich erstehen in Herrlichkeit durch Bismarcks Kraft. Gegen den Gründer des Reiches rannten Parteien an, die zu dem großen Manne in Widerspruch standen. Demgegenüber stand die nationalliberale Partei, umgeben von dem Glanz der Partei der Reichsgründung. Die Erinnerung an diese Zeiten ist ihm geblieben für die Dauer seines Lebens. Er hat wiederholt betont, daß das Reich nur durch die Kräfte erhalten werden könnte, die es geschaffen haben. Gerade in der Kriegszeit hat er wiederholt die Mahnung an seine Parteifreunde gerichtet, in nationalen Fragen die Konservativen nicht zu isolieren. Er stellte restlos die nationalen Erfordernisse parteipolitischen Erwägungen voran. Dadurch fiel ihm wie selbstverständlich eine führende Stellung in den großen Fragen nationaler Bedeutung zu. Diese führende Stellung hatte er mit Rudolf von Bennigsen gemeinsam. Eine gerade Linie führt vom Nationalverein Rudolf von Bennigsens zu der imperialistischen Politik Bassermanns. Hatte der eine die gedankliche Vorarbeit für die Gründung des Reiches geleistet, so galt Bassermanns Sorge der Erhaltung des Reiches und seiner Weltmachtstellung unter veränderten und erschwerten Bedingungen. Daher sehen wir ihn als Kämpfer für die Militärvorlage, für die Flotte, für die Kolonien, für das Auslandsdeutschtum. Daher seine Mahnrufe gegenüber der drohenden Einkreisung Deutschlands in den letzten Friedensjahren. Daher das zu seinem Leben so passende Bild, wie anläßlich seines 60. Geburtstages die Freunde aus dem Reiche ihm huldigten als einem der Schärfer des deutschen Schwertes, daß der 61 jährige hinauszog zu Kampf und Sieg nach Belgien und Polen, daß der für Deutschlands Verbleiben an flandrischer Küste Wirkende in Antwerpen praktisch das belgische Problem studierte, daß er schließlich mit infolge der ausgehaltenen Strapazen die Hingabe für seine Ideale mit seinem Leben bezahlte, auf seinem Grabstein wohl die Worte verdienend: »Auch er starb für Deutschlands Größe!«
In Zeiten, in denen diese nationalen Fragen in den Hintergrund traten, war die Stellung des Führers der Nationalliberalen eine schwierige. Bennigsen scheiterte an dem Versuche, die Partei der Reichsgründung auf eine geschlossene Haltung in Wirtschaftsfragen zu vereinigen und sah die stolze Partei an diesen Aufgaben zerschellen. Bassermanns historisches Parteiverdienst ist die Herbeiführung einer wirtschaftspolitischen Einheitsfront der Partei auf der Grundlage des maßvollen Schutzzolles, wie er im letzten Zolltarif zum Ausdruck kam. Höher aber als das parteipolitische steht hier sein vaterländisches Verdienst. Ohne die wirtschaftliche Erstarkung der Landwirtschaft durch diese Politik würde Englands Wirtschaftskampf gegen Deutschland von größerem Erfolge begleitet gewesen sein. Unbeirrt durch volkstümliche Schlagworte ist er den Weg der berechtigten Produktionsinteressen der schaffenden Stände gegangen. Aber gleichzeitig fanden ihn die großen Fragen der deutschen Sozialpolitik als klaren Erkenner deutscher Zukunftsentwicklung. Starken Strömungen zum Trotz setzte er, erst in der Partei, dann im Deutschen Reichstag, die Ablehnung der Ausnahmegesetze gegen die Gewerkschaften durch. Unter Lachen und Zischen auf verschiedenen Bänken des Reichstags gab er seinem felsenfesten Vertrauen auf das Zusammenfinden von Arbeiterschaft und Staat beredten Ausdruck. Die Zustimmung großer Arbeiterorganisationen zu seiner letzten Reichstagskandidatur in Saarbrücken hat er selbst als den schönsten Augenblick seiner politischen Wirksamkeit bezeichnet. Der Weltkrieg hat bewiesen, daß sein Optimismus nicht utopisch war. Wer wollte, unbeirrt durch Parteileidenschaft, heute daran zweifeln, daß diese Stellung Bassermanns, die den Ausschlag in diesen Fragen gab, den für Deutschlands innere Entwicklung segensreichen Weg eingeschlagen hat?
So zeigen ihn die großen bewegenden Fragen deutscher Reichspolitik als weitblickenden Parteiführer, als weitblickenden Deutschen. Vaterland und Partei trauern um das, was sie an ihm verloren haben, mehr aber noch die, die den Menschen Bassermann kannten und liebten, der als stolz und spröde galt, wenigen sein Herz erschloß, sie aber das Edle seiner Seele und die Tiefe seines Gemütes erkennen ließ. Der nichts für sich erstrebte, nie für seine Person kämpfte, ein vornehmer Gegner seiner Feinde war. Er ist seiner Familie, er ist dem kleinen Kreise seiner engeren Freunde unendlich viel gewesen. Er konnte harmlos sein wie ein großes Kind, reich an nichtverletzendem Spott, ein Froher unter den Fröhlichen, den Becher schwingend in Freundeskreisen, das Herz voll von deutschen Volksliedern und Studentengesängen, des Korpsbandes gern gedenkend, das die Brust einst geschmückt. Ein froher Wandertrieb war ihm eigen. Ihm war Deutschland kein geographischer Begriff. Er liebte die Geschichte seines Volkes, er vertiefte sich in ihr. Er kannte seine Wälder und Auen und seine wogende See, die Kleinodien seiner alten Städte und die Geschichte seiner Burgen. So gilt das letzte Lebewohl auch dem Kameraden, der von uns gegangen ist.
Er ging zu früh von uns. Die Tragik seines Lebens besteht darin, daß er in einem Augenblick scheiden mußte, wo sein Herz voll war von Plänen und Entwürfen für das, was ihm an deutscher Zukunft vorschwebte. Die Tragik unserer Partei liegt darin, daß sie seines Rates in einer Zeit entbehren muß, in der eine Fülle neuer großer Probleme Lösung heischend auf uns einstürmten. Uns wird er unvergessen bleiben, sein Bild wird nicht von unserer Seele schwinden, sein Name eingetragen werden in das Buch deutscher Geschichte.
Vor großen Entscheidungen steht unser Vaterland. Aus dem Grabe tönt uns in dieser Stunde Bassermanns Mahnung, die er der Handschriftensammlung des Leipziger Buchgewerbemuseums übermittelt hat: » Durchhalten und Siegen und den Sieg restlos ausnützen, sei zwingendes Gebot für die deutsche Politik. In Jahrhunderten kehrt die Zeit so furchtbarer Kämpfe, aber auch die Möglichkeit, Deutschland größer und stärker zu machen, nicht wieder. Nur jetzt nicht schwach und nachgiebig werden. Was du von der Minute ausgeschlagen, bringt keine Ewigkeit zurück.«
Lebe wohl, Ernst Bassermann. Du sahest wie Moses das gelobte Land des größeren Deutschlands und konntest die große Zukunft nicht mehr erleben. Möchte, was du klopfenden Herzens ersehntest, Wahrheit werden, möchte der große Moment kein kleines Geschlecht finden, auf daß deine Gebeine einst ruhen in dem größeren Deutschland der Zukunft, für das du kämpftest bis zur letzten Kraft deiner Seele!