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Gedanken zur Krisis

(Juli 1917)

 

Demjenigen, der von außen her die letzten Ereignisse im deutschen Reichstag verfolgt hat, muß der Stimmungsumschwung, der vor sich gegangen ist, unerklärlich erscheinen. Erzbergers Vorstoß traf die öffentliche Meinung völlig unvorbereitet, und die wildesten Gerüchte durchschwirrten die Öffentlichkeit. An dem Tage, an dem der Reichstag in die Ferien ging, und an dem diese Zeilen niedergeschrieben werden, hatten die wenigen Wochen Reichstags-Tagung bewirkt, daß ein neuer Kanzler das Amt führte, daß eine Entschließung für den annexionslosen Frieden mit Mehrheit im Reichstage angenommen worden war und daß der Kanzler es für möglich erachtete, im Rahmen dieser Entschließung die Gedanken, die er selbst über die Zukunft Deutschlands hegte, ausführen zu können. Dazwischen liegt ein Erlaß des Kaisers, welcher das gleiche Wahlrecht für Preußen sicherstellte, dazu kommt die Zusage der Berufung von Parlamentariern in Reichsämter und preußische Staatsministerstellen, liegt das Kommen und Gehen der Führer unserer Armee, liegt die Begegnung des Kronprinzen und des Kaisers mit den Führern der Fraktionen. Selbst in unserer an Sensationen gewöhnten Zeit ist der außer- und innerpolitische Zeiger der deutschen Uhr noch niemals so heftig hin- und hergegangen, wie in diesen Tagen und Stunden. Was war geschehen?


Es ist unrichtig, wenn die öffentliche Meinung annimmt, daß der Vorstoß Erzbergers, den Schweizer Blätter eine Tat genannt haben, allein diese Dinge hervorgerufen hätte. Vorangegangen war, wie üblich, eine Besprechung der Parteiführer beim Reichskanzler. Man mußte annehmen, der Zweck dieser Besprechung sei ein Austausch der Gedanken, um die Lage zu klären und sich über dasjenige zu verständigen, was in der bevorstehenden Session von den Parteien vorgebracht werden würde, von der Regierung zugestanden werden konnte. Das politische Barometer war schon damals sehr bewegt. Denjenigen, die zwischen den Zeilen der Reden bei vertraulichen Sitzungen zu lesen verstanden, konnte es nicht zweifelhaft erscheinen, daß die Sozialdemokraten für eine vorbehaltlose Bewilligung der Kredite nicht zu haben waren. Vor Wochen hatte ferner bereits der Abgeordnete Erzberger im Kreise seiner Bekannten und Freunde mitgeteilt, daß er einen Vorstoß in der Angelegenheit der Berechnung über die voraussichtliche Niederzwingung Englands durch unsere U-Boote machen würde. Die Berichte aus dem Lande über die Stimmung des Volkes waren wenig erfreulich. Wir standen in der Zeit der größten Belastungsprobe unserer Ernährung. Deutsche Gründlichkeit verlangte, daß der Reichstag wegen der Bewilligung der Kredite zusammengerufen wurde; hätte die Regierung, nachträglich sich Indemnität suchend, den Reichstag nicht just in dieser Zeit der stärksten Erregung des Volkes zu einer, wie sie annahm, kurzen Tagung zusammengerufen, vielleicht hätte die neue Situation des Herbstes auch ein neues Bild geschaffen. So mußte sie jedenfalls erkennen, daß auf eine kurze Session nicht zu rechnen war, daß die politische Atmosphäre mit Elektrizität geladen war, daß sich einer der einflußreichsten Zentrumsführer aus Gründen, die sich vorläufig noch nicht erkennen ließen, in Opposition zur Regierung befand, daß die Kreditvorlage insoweit gefährdet war, als bei ihrer Einbringung mit 110 »Nein«-Zetteln zu rechnen war.

Man hätte erwarten können, daß angesichts dieser Situation der Reichskanzler von Bethmann Hollweg seinerseits in Aktion getreten wäre, um den Sturm zu beschwichtigen. Er mußte ein festes Programm darbieten, sich vom Kaiser die Genehmigung zu neuen Schritten auf diesen wichtigen Gebieten geben lassen und vor die Parteiführer mit dem Angebot hintreten: das könnt ihr erreichen, wenn dafür die Tagung des Reichstages ohne Erschütterung des Staates vor sich geht. Voraussichtlich hätte eine Erklärung des Kanzlers, daß er bereit sei, im Herbst das Wahlrecht vor dem preußischen Landtag einzubringen, sowie die Zusage der sogenannten Parlamentarisierung allein schon genügt, um jeden Sturm zu beschwichtigen und um inzwischen die Kreditvorlage in den sicheren Hafen zu bringen.

Herr von Bethmann Hollweg besaß diese Initiative nicht. Für diejenigen, die an den Besprechungen mit ihm vor Beginn der offiziellen Reichstagsverhandlungen teilnahmen, war es ein niederdrückendes Gefühl, daß in einem solchen Moment höchster Spannung der Kanzler des Deutschen Reiches den Parteiführern nichts zu sagen hatte. Er eröffnete die Verhandlungen und schloß sie, er dankte den Abgeordneten für den Ernst und die Offenheit, mit der sie gesprochen hatten. Aber welchen Kurs das Reichsschiff steuert, das vernahm niemand aus seinem Munde. Anscheinend übersah der Kanzler, dem das Erkennen fremder Psyche schwer gegeben war, die Stimmung in den Parteien, vielleicht glaubte er, daß es sich nur darum handle, irgendwie in Worten angehäuftem Unmut Ausdruck zu geben, ohne daß irgendein tatsächlicher Vorstoß zu erwarten wäre. Aus bekannt gewordenen Äußerungen des Kanzlers ist dies fast zu entnehmen. Der Hauptausschuß trat zusammen, ohne daß der Kanzler irgendeine Perspektive für die Richtung der auswärtigen oder der inneren Politik eröffnet hätte. Man hatte von vornherein die Empfindung einer unklaren Situation, und drei Tage später hatte man die Empfindung einer herannahenden Katastrophe.


Der Kanzler war im Hauptausschuß nicht erschienen. Seine Vertretung lag in den Händen von Zimmermann, Helfferich und Capelle. Verschieden ist ihnen Temperament und Art, aber in ihrem Auftreten ergänzen sie sich doch so, daß sie die Sache der Regierung gut zu führen verstanden. Zimmermann hat keine persönlichen Feinde. Man erzählte sich in der Reichshauptstadt, daß einst der Doyen des diplomatischen Korps in Berlin beim Reichskanzler erschienen sei und ihm mitgeteilt habe, daß es in allen Kreisen der in Berlin akkreditierten Botschafter und Gesandten lebhaft begrüßt werden würde, wenn an die Stelle des damals zurückgetretenen Staatssekretärs des Äußeren der Unterstaatssekretär Zimmermann treten würde. Dieser Wunsch, ein starker Vertrauensbeweis in die Persönlichkeit des heutigen Staatssekretärs, wurde damals nicht erfüllt. Aber nachdem Jagow verabschiedet war, siedelte Zimmermann aus der kleinen, dumpfen Zelle, die man in der Wilhelmstraße »Arbeitszimmer des Unterstaatssekretärs« nennt, in die Arbeitsräume des Staatssekretärs über und übernahm die Leitung der deutschen Politik. Inwieweit bei den Mißerfolgen, die hier eingetreten sind, die Verhältnisse oder die Menschen stärker waren, mag ununtersucht bleiben. Auf jedem lastet schließlich die Erbschaft, die er übernommen hat. Zimmermann hat die Mexiko-Affäre ungemein geschadet, weniger das Bündnisangebot an Mexiko, als das Angebot der Abtretung von drei amerikanischen Staaten an dieses Land. Das durfte selbst dann nicht geschehen, wenn das Angebot vorläufig noch geheim blieb, denn es nahm unserem Angebot den Charakter des Ernsthaften und im Falle des Bekanntwerdens nahm es uns in den Weststaaten der Vereinigten Staaten die Sympathie. Jetzt brodelte im Ausschuß, nachdem die Erregung über die Mexiko-Angelegenheit sich gelegt hatte, die Kritik auf über die Verschlechterung der Beziehungen zu Norwegen durch die sattsam bekannte Angelegenheit des Bomben mit sich führenden deutschen Kuriers, über die Verschlechterung der Beziehungen zu der Schweiz, durch den Rücktritt des Bundesrates Hoffmann, über den Übergang Griechenlands in die Reihen unserer offenen Feinde. Über dem Ausschuß lag das lähmende Gefühl, daß der heutigen Reichsleitung nichts mehr gelingt. Es kamen einem von ungefähr die Worte von Wallenstein in den Sinn: »Wir mußten uns drücken von Ort zu Ort, der alte Respekt er war eben fort.« Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus fragte man sich besorgt, wie die Ernte angesichts des andauernd trockenen Wetters sein würde, man fragte den Staatssekretär Helfferich, wie es mit den Kohlen für den Winter stände, und zu all dem kam die Empfindung derjenigen, die einst dem unbeschränkten U-Bootkrieg widerstanden hatten, als hätten ihnen die Ereignisse Recht gegeben, als wäre der wirtschaftliche Erfolg des U-Bootkrieges, der von niemandem bezweifelt wurde, zu teuer bezahlt mit dem Kriegszustand gegenüber den Vereinigten Staaten, mit dem Abbruch der Beziehungen der großen Zahl der Südamerikanischen Republiken, mit den anscheinend hervorgetretenen Verschlechterungen der Beziehungen zu den europäischen Neutralen.

Persönlich kam dazu noch die eigenartige Abneigung der Linksparteien gegen den Staatssekretär Helfferich. Die Stimmung eines Parlaments ist eine besondere. Mancher Hofmann und Diplomat strauchelt auf diesem Parkett. Dem Staatssekretär Helfferich waren einst die Parteien des Reichstages, ja man kann sagen, ihm war das ganze deutsche Volk mit außerordentlichem Vertrauen entgegengetreten, als er das Reichsschatzamt übernahm. Gerade in nationalliberalen Kreisen hatte man seine Wahl herzlich begrüßt. Ein Mann aus der Praxis, in der Verwaltung der anatolischen Eisenbahn ebenso bewährt wie in der Deutschen Bank, ein starker Volkswirtschaftler, der in früher Jugend dem Reichsbankpräsidenten Koch bei seinem Kampfe um die Goldwährung zur Seite stand, ein Professor der Staatswissenschaften, der sich mit jedem anderen an den deutschen Universitäten messen konnte, ein gewandter Unterhändler bei wichtigen diplomatischen Aktionen, dazu jung und unverbraucht und voller Frische. Selten hat ein Staatssekretär so herrliche politische Flitterwochen erlebt, als Helfferich im Reichsschatzamt.

Man kann sagen, daß er den festen und sicheren Boden erst dann zu verlieren begann, als er in das Reichsamt des Innern übersiedelte. Gerade diejenigen, die sich zu seinen Freunden zählten, haben ihm davon abgeraten. Nun begannen sich gegen ihn Widerstände zu erheben, die vorher nicht vorhanden waren. Die Sozialdemokraten vermißten an ihm – zu Unrecht! – das sozialpolitische Empfinden, sahen in ihm vielleicht den Fabrikantensohn und den Freund der Kapitalisten, durch die Vize-Kanzlerschaft war er in den Strudel der Bethmann-Sympathien und -Antipathien hineingerissen, statt für gute Finanzen mußte er jetzt erst gegen den unbeschränkten U-Bootkrieg, dann, als nach seiner Auffassung die Zeit gekommen war, für seine Führung kämpfen. Er liebte es, seine Ausführungen stark zu prononzieren. Er war ein scharfer Debatter, der ungern sich auch nur das kleinste Beweisstück aus seinen Reden herausdebattieren ließ, dazu manchmal scharf in der Form, wenn auch stets sachlich im Angriff. Er mußte bei der unglücklichen Zusammensetzung des Reichsamts des Innern, diesem politischen Warenhaus Deutschlands, neben der Handels-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Fragen der Schutzhaft, politische Zustände in Elsaß-Lothringen dort vertreten, wo manchmal schwer etwas zu vertreten war, kam in immer schärferen Gegensatz zu Sozialdemokraten und einzelnen Parlamentariern des Fortschritts und schien es vor allem – weiß der Himmel warum – auch mit führenden Persönlichkeiten des Zentrums verdorben zu haben.

Auf diese Vertreter des Kanzlers wie auf den Staatssekretär des Reichsmarineamtes stürmten nun die Verhandlungen des Haushaltsausschusses ein mit ihren Fragen und Kritiken, mit all der vorher geschilderten schwülen Atmosphäre des Reichstags und der Parteien. In diese Atmosphäre hinein fiel die zweite Rede des Abgeordneten Erzberger, die als ein Wendepunkt in der Entwicklung anzusehen war und über deren Zustandekommen und Beweggründe einiges gesprochen werden muß.


Erzbergers Ausführungen sind als eine Absage an den unbeschränkten U-Bootkrieg gedeutet worden, als eine Aufgabe alter Hoffnungen, die mit der Einführung des unbeschränkten U-Boot-Krieges verbunden waren. Das ist unrichtig. Gegenüber dem Geraune und Geflüster muß festgestellt werden, was in der Erklärung der nationalliberalen Fraktion zur Friedensfrage mit voller Absicht an die Spitze gestellt worden ist: » Die Leistungen unserer U-Boote haben die in sie gesetzten Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern weit übertroffen.« Als es sich darum handelte, den unbeschränkten U-Bootkrieg zu beginnen, hat der Staatssekretär Capelle für das Reichsmarineamt und den Admiralstab die Erklärung abgegeben, daß die Marine, soweit man eine Garantie dafür übernehmen könne, diese Garantie dahin übernähme, daß durch den unbeschränkten U-Bootkrieg monatlich 600 000 Tonnen versenkt werden würden. Nun sind es nicht 600 000, sondern mehr als eine Million Tonnen geworden. Die Zahl unserer U-Boote wächst, ihre Qualität nimmt zu, die Feinde haben kein Abwehrmittel gefunden, das sie mit Sicherheit schützt, und so können wir mit Berechtigung stolz auf diese prächtige Offensivwaffe unserer Kriegführung blicken. Mit dem 1. Februar 1917 ist der Krieg in ein neues Stadium getreten. Drei Jahre hindurch sind wir Amboß gewesen, jetzt können wir endlich Hammer sein, über zwei Jahre waren wir Objekt der wirtschaftlichen Offensive der Entente, jetzt haben wir die wirtschaftliche Offensive in Feindesland getragen. Das bleibt bestehen, das ist bis in die Reihen der Sozialdemokratie durchgedrungen, daran ist auch im Hauptausschuß nicht gedeutelt worden.

Was Erzberger kritisierte, war etwas anderes. Er wandte sich gegen diejenigen, die Termine festgesetzt hatten, bis zu denen England unterworfen worden wäre. Er kritisierte die Berechnungen auch der offiziösen Stellen über den Frachtraum, den die Entente zur Verfügung habe und stellte den Satz auf, England sei erst niedergeworfen, wenn die sogenannte Welttonnage versenkt sei, weil England über diese Welttonnage verfüge, einmal, weil seine Verbündeten ihre Tonnage ohne weiteres zur Verfügung stellten, weiter, weil die Neutralen gezwungen würden, die ihre herauszugeben. Er stellte hieran anschließend die Frage, ob bei Fortsetzung des Krieges für Deutschland bei einem Friedensschluß günstigere Bedingungen durchzusetzen seien als gegenwärtig, und ob es nicht im Sinne einer Vermeidung weiteren Blutvergießens sei, noch einmal einen Schritt zu tun, um den Frieden herbeizuführen. Als einen hierzu geeigneten Schritt sah er eine Friedenskundgebung des Reichstages an auf der Grundlage der Politik vom 4. August 1914: »Uns treibt keine Eroberungslust«. Aus diesem Grundsatz müßten auch die Konsequenzen praktisch gezogen werden und der Reichstag müsse dies klar zum Ausdruck bringen.

Sachlich ist zu den Ausführungen Erzbergers in bezug auf die U-Bootfrage zu bemerken, daß seine Berechnungen ebenso einseitig und irreführend sind, wie diejenigen der Propheten, die, lediglich mit der englischen Tonnage rechnend, den baldigen Zusammenbruch Englands voraussahen. Es ist richtig, daß England nicht nur über seine eigene Tonnage, sondern auch über diejenige seiner europäischen Verbündeten verfügt. Es ist richtig, daß es sich der griechischen Tonnage bemächtigt hat, daß es die norwegische unter Zwang hält und daß es auch nicht davor zurückschrecken würde, sich der holländischen zu bemächtigen, wenn es ihm an den Kragen ginge.

Aber unrichtig ist es, anzunehmen, daß dasselbe für die überseeischen Gebiete gelte. Wir leben doch nicht in einem luftleeren Raum! Man kann wohl theoretisch sich vorstellen, daß die Vereinigten Staaten, daß Japan, China und die Südamerikanischen Republiken auf Schiffahrt verzichten würden, nur um dem bedrohten England zu helfen. In Wirklichkeit wird immer Schiffahrt von Yokohama nach San Franzisko getrieben werden, in Wirklichkeit wird immer die große Küstenschiffahrt Amerikas, Chinas und Japans eine Notwendigkeit bleiben. Niemals ist anzunehmen, daß all diese Nationen ihren Schiffsraum beinahe lediglich für London und Liverpool zur Verfügung stellen werden. Darin irrt Erzberger unbedingt. Was an Schiffsraum durch unsere U-Boote zur Strecke gebracht worden ist, übertrifft die größten Weltereignisse auf dem Gebiete des Kampfes gegen die Handelsschiffahrt seit allen Zeiten. Daß England diesen Kampf auf die Dauer nicht aushalten kann, ist unbestreitbar. Ein Ermatten im Kampf gegen die deutschen U-Boote zeigt sich schon heute. Selbst die »Daily Mail« muß einsehen, daß die deutschen U-Boote für England gefährlicher seien als die deutsche Armee. Den Ausdruck »wir werden England in einer bestimmten Zeit auf die Knie zwingen«, habe ich für mich immer zurückgewiesen, wohl aber habe ich in den entscheidenden Verhandlungen über den unbeschränkten U-Bootkrieg im Ausschusse zum Ausdruck gebracht, daß der unbeschränkte U-Bootkrieg trotz seiner politischen Nebenerscheinungen in der Kriegserklärung der Vereinigten Staaten und in der Mitreißung Südamerikas durch Washington eine unbedingte Notwendigkeit für Deutschland sei, weil wir ohne unbeschränkten U-Bootkrieg der Gefahr entgegengingen, trotz militärischer Siege durch wirtschaftliche Schwierigkeiten zu einem schlechten Frieden genötigt zu werden. Man stelle sich doch nur vor, wie die Welt aussehen würde, wenn der unbeschränkte U-Bootkrieg nicht ausgebrochen wäre! Dann würde England den Krieg wirtschaftlich kaum spüren, dann würde die Entente viel enger zusammenhalten als jetzt, dann wäre bei allen militärischen Siegen die Aussicht auf einen guten deutschen Frieden eine viel schlechtere als heute, trotz Wilson, trotz Südamerika.

Für Erzberger war die Kritik an der U-Bootfrage nur Mittel zum Zweck für seine Friedensresolution. Wenn er ohne diese Beweisführung zu seinem Ziel gekommen wäre, wäre vielleicht die U-Bootfrage gar nicht in dieser Weise in den Vordergrund getreten. Der Zentrumsvorschlag der Friedensresolution war das Sensationelle, nicht die mehr theoretische Erörterung des Zeitpunktes über Englands Erlahmen. Denn hier trat anscheinend das Zentrum auf die Seite von Scheidemann. Die Isolierung der Sozialdemokratie in der Friedensfrage war aufgehoben, eine Reichstagsmehrheit für einen annexionslosen und entschädigungslosen Frieden bereitete sich vor. Daß die Sozialdemokratie diesen Triumph lautschallend begrüßte, war selbstverständlich, daß der Hauptausschuß seine Beratungen unterbrach, um zu dieser neuen Situation Stellung zu nehmen, konnte ebenfalls nicht überraschen. Wurde doch dieser Wunsch namentlich von der Zentrumspartei auch selbst ausgesprochen, die zunächst von dem Vorstoß ihres Mitgliedes ebenso überrascht war, wie die anderen Fraktionen.

Von Panikstimmung im Hauptausschuß ist keine Rede gewesen. Daß der Reichstag die Nerven verloren habe, kann man ebensowenig sagen, wohl aber trat eine Panik in der öffentlichen Meinung ein, da die Presse, vor allem die demokratische der Reichshauptstadt, diejenige Disziplin vermissen ließ, die man Blättern in demokratisch regierten Ländern nachrühmen muß. Die unglaublichsten Gerüchte durcheilten die Reichshauptstadt und die Provinz. Die Entladung der Situation war erfolgt. Es galt für die Parteien zu der neuen Situation Stellung zu nehmen, eine politische Krisis war eingetreten. Der Herr Reichskanzler aber war bis zu dieser Stunde im Hauptausschuß noch nicht erschienen und wartete in seinen Arbeitsräumen auf die Entwicklung der Ereignisse.


Drei Fragen zeichneten sich in der entstandenen Krisis ab. Die Stellung zu den führenden Persönlichkeiten der Reichsregierung, die Frage einer politischen Neuordnung in Deutschland und die Frage der Friedensbereitschaft des deutschen Volkes durch eine Demonstration des deutschen Reichstages. Die Stimmung im Lande angesichts dessen, was über die Reichstagsverhandlungen durchsickerte, muß man ohne Übertreibung als die eines Niederbrechens der Stimmung kennzeichnen. An diesem Niederbrechen der Stimmung war der Reichskanzler Bethmann Hollweg mitschuldig. Für jeden, der die Augusttage 1914 miterlebt hat, wird in seinem Herzen die Erinnerung unauslöschlich sein an das, was das deutsche Volk damals an himmelanstürmendem, todesverachtendem Idealismus aufbrachte, so hinfortstürmend über den Alltag, daß es auch in einem Zeitraum von mehreren Jahren nicht aufgebraucht werden konnte. Der Reichskanzler hat diese Stimmung nicht auf der Höhe zu halten vermocht, gerade unter ihm und durch ihn ist diese Stimmung neben der an sich selbstverständlichen Herabminderung durch Zeiten und Sorgen, viel mehr deshalb mit gemindert worden, weil Deutschland der politischen Führung und klaren Zielsetzung seines Wollens entbehrte, das persönliche Ich, so klein in den Augusttagen 1914 gegenüber der großen Idee »Deutschland« trat in den Vordergrund und die große Idee »Deutschland« wurde immer kleiner. Draußen pochten die Fäuste von Millionen an die Tore, die Deutschland niederringen wollten. Im Innern begann der furor teutonicus gegen sich selbst zu wüten. Die Siegeszuversicht begann dumpfem Pessimismus zu weichen, weil man sie an der Stelle vermißte, die hier führend sein sollte und führend sein mußte.

Nicht denen stimme ich zu, die der Meinung sind, daß man im Kriege von innerer Politik überhaupt nicht sprechen dürfe. Wenn ein derartiger Weltkrieg Jahre hindurch dauert, dann stellt er neue Forderungen an das miterlebende Geschlecht. In meiner Rede auf dem Thüringer Parteitag der nationalliberalen Partei im September 1916, beim Parteijubiläum am 28. Februar und in der viel angefeindeten Reichstagsrede vom 27. März 1917 habe ich mich zu dem Gedanken bekannt, daß eine neues, freiheitliches und größeres Deutschland aus diesem Kriege hervorgehen müsse, habe wiederholt darauf hingewiesen, daß durch eine mächtige Kundgebung von Krone und Volksvertretung der Gedanke des Fortbestehens des Dreiklassenwahlrechts ein für allemal verschwinden müsse. Die Osterbotschaft des Königs von Preußen ist nicht zuletzt durch den Vorstoß der nationalliberalen Reichstagsfraktion mit herbeigeführt worden und die Partei hat Grund, dies freudig anzuerkennen. Einem Volk gegenüber, das sich so einheitlich in den Augusttagen 1914 zusammenfand zur Verteidigung von Haus und Hof, von Herd und Heimat, mußten die Worte des Kaisers »ich kenne keine Parteien mehr« auch praktisch umgewertet werden. So wie wir einen Sozialdemokraten Müller im Kriegsernährungsamt neben dem konservativen Oberpräsidenten von Batocki erlebten, so hätten wir selbst auch einen sozialdemokratischen Minister ertragen können, um das Band zwischen Reichsregierung und Volk inniger zu gestalten. Nicht um Ausländisches nachzuahmen, aber um zu zeigen, daß nicht eine vielfach weltfremde Bürokratie Deutschland regiert, wäre die von mir in Eisenach angeregte engere Verbindung zwischen Parlament und Regierung damals oder schon früher durchzuführen gewesen.

Mit einer großen weltgeschichtlichen Geste konnte der König von Preußen vor sein Volk hintreten. Schon in der ersten Zeit des Krieges mußte er die Mitwirkung des Volkes an der Regierung ohne Unterschied der Parteien, die Beseitigung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen als Geschenk der Krone darbieten und dadurch auch das Verhältnis zu Krone und Volk enger gestalten.

Was die Bethmannsche Regierung tat, war etwas ganz anderes. Verheißungsvolle Worte, denen Taten nicht folgten, die Hoffnungen auf Neuorientierung wohl entfachten, die aber in keiner Weise zum Abschluß gebracht wurden. Statt sich mit den Parteien darüber zu einigen, was im Krieg an politischen Reformen durchgeführt werden könnte, das zurückzuweisen, was bis nach Beendigung des Krieges verschoben werden mußte, war auch in diesen innerpolitischen Fragen ein führerloses Hin und Her. Tönende Worte, Abschlagszahlungen von Session zu Session, ohne daß irgendwelcher Dank ausgelöst wurde. »Uneins zu Haus, nach außen klein«, diese Worte von Dingelstedt aus der früheren Zeit der Zerrissenheit Deutschlands schienen auch für uns wieder zu gelten.

Dabei schritt die Außenpolitik dieses Kanzlers von Mißerfolg zu Mißerfolg. Man hat den Alldeutschen vorgeworfen, daß sie, wenn ihre Politik durchgeführt würde, die ganze Welt zu Feinden Deutschlands machen würden. Nun, die gewiß alldeutschfeindliche Politik Bethmanns hat auf dem Erdball nicht mehr viel neutrale Staaten übrig gelassen!

Während es England gelang, einen Staat nach dem anderen, ja man kann sagen, einen Erdteil nach dem anderen, gegen uns in die Waffen zu hetzen, kämpften wir gegen Bundesgenossen, die Jahrzehnte mit uns verbündet waren, gestalteten die Verhältnisse zu den Neutralen sich weniger zufriedenstellend als je. Nur durch die todesverachtenden Leistungen unserer Truppen sind diese diplomatischen Mißerfolge während des Krieges ausgeglichen worden, den wir diplomatisch verloren hatten, als er militärisch begann. Den Kanzler, der bei Beginn des Weltkrieges bekennen mußte, daß seine Politik zusammenbreche wie ein Kartenhaus, begleiteten Täuschungen über Täuschungen während des Krieges. Er hoffte auf Englands, auf Belgiens, auf Italiens, auf Rumäniens und Amerikas Neutralität und sah in allen Feindschaft und Haß gegen uns entstehen. Bis in die sozialdemokratischen Reihen hinein trat die Empfindung, daß selbst bei Schließung des Friedens Schwierigkeiten in seiner Person entständen. Seine Politik gegenüber Washington versagte ebenso, wie seine Politik gegenüber Petersburg in den Zeiten Nikolaus II. und gegenüber Petersburg in den Zeiten Kerenskis. Hier von Einzelheiten zu sprechen, ist noch nicht möglich. Der Kanzler hat erklärt, daß die Verhältnisse in dieser Beziehung stärker gewesen wären als die Menschen. Mag sein. Aber wenn man sagt, daß auf die Dauer Glück nur der Tüchtige hat, dann muß eine solche Kette von politischen Mißerfolgen schließlich doch zu Zweifeln und Bedenken führen. Einen General, der keine Fortuna hatte, entließ Friedrich der Große, einen Reichskanzler, dem das Glück so abhanden war, konnte das deutsche Volk auf die Dauer nicht ertragen, ohne selbst unter seiner Tätigkeit schwer zu leiden. Zerrissenheit und Zerfleischung im Innern waren während dieser Jahre eingetreten, nicht nur wegen der innerpolitischen Fragen. In zwei Lager zerspaltet stand sich Deutschland beinahe seit 1915 in dem Kampf um die Kriegsziele gegenüber, obwohl man sich praktisch vielleicht gar nicht so fern stand.

Dem Kanzler aber gelang es nicht, hier zu einigen. Daß zudem zwischen der obersten Heeresleitung und dem verflossenen Kanzler nicht das Vertrauensverhältnis bestand, das zum fruchtbringenden Zusammenarbeiten notwendig war, das weiß nach den letzten Ereignissen jeder, trotzdem es monatelang abgeleugnet worden ist.

Diese Überlegungen, hier und da nuanciert, das waren die Beweggründe, die schließlich bei der nationalliberalen Fraktion, beim Zentrum, bei den Konservativen, ja schließlich innerhalb der Sozialdemokratie Bedenken gegen die weitere Kanzlerschaft Bethmanns auslösten. Ob das Vertrauen der Fortschrittlichen Volkspartei ein genügendes Äquivalent demgegenüber war, kann billig bezweifelt werden.

Man wird diese Kritik als hart bezeichnen. Wir haben oft in den Reihen unserer Partei das Lob des Kanzlers gehört, man wies auf die Lauterkeit seiner Gesinnung, auf seine Vaterlandsliebe hin, man freute sich an schönen Gedankengängen seiner Reden, man sah in ihm die lautere Natur des deutschen Gelehrtenpolitikers, die vielen anziehend scheinen konnte. Die Lauterkeit der Gesinnung und Vaterlandsliebe, in den Dingen, die das Reich angehen, wird dem Kanzler niemand bestreiten, sie sind schließlich aber wohl auch selbstverständliche Voraussetzungen in allen öffentlichen Stellungen. Die Fähigkeit, Fühlung und Beurteilung des Volksempfindens in Reden zusammenzufassen, soll dem verflossenen Kanzler nicht bestritten werden, aber die Wirkung dieser Reden war, wie bereits gesagt, zur Einigung nicht geeignet. Daß er im übrigen mit Rücksichtslosigkeit da vorging, wo es seiner Person galt, das wissen diejenigen, die mit ihm im politischen Kampf gestanden haben. Die Art, wie er versuchte, Bassermann von der Führerschaft der Nationalliberalen Partei zu verdrängen, kann ihm nicht vergessen werden, und der Zentralvorstand der Partei hat gegenüber diesem Vorgehen mit der Ausnutzung amtlicher Telegramme und all dem, was an Unerfreulichem dabei vorging, seiner Meinung deutlich Ausdruck gegeben.

Sein Verdienst aber, das ihm auch von seinen Gegnern nicht bestritten werden soll, ist die Heranziehung der Arbeiterschaft zur positiven Arbeit im Staat. Er hatte die Fähigkeit, hier auch persönlich die Brücke von der früheren Vereinigung des Staatsgedankens zur positiven Mitarbeit zu schlagen. Nur ist das nicht allein auf ihn zurückzuführen. Die Augusttage 1914 sind hier der große Wendepunkt in dem deutschen Volksempfinden. Die Bereitwilligkeit, an Stelle der Negation die Arbeitsfreudigkeit zu setzen, war damit bei allen Deutschen gegeben. Aber zugegeben muß werden, daß er hier denjenigen Ton fand, den er anderen Ständen gegenüber vermissen ließ, daß er hier der Staatsidee und seiner Politik viele Hunderttausende von Anhängern aus Arbeiter- und Angestelltenkreisen zu verschaffen wußte.

Als der Hauptausschuß wieder zusammentrat, kam der Kanzler, um die Krise zu beschwören. Es war zu spät. Er konnte das nicht mehr verhindern, was sich vorbereitete und in der Forderung nach der Friedensresolution und nach Demokratisierung Ausdruck fand. Ich habe die Einladung zur Adlon-Konferenz seinerzeit abgelehnt, aber ich habe im Hauptausschuß des Reichstages dem Reichskanzler gegenüber die Auffassung vertreten, daß seines Bleibens nicht mehr sei. Ein Sekundant ist ihm kaum erschienen. Wenige Tage später hat die Fraktion beschlossen, sich dahin auszusprechen, daß sie eine Lösung der Krise nur darin sehen könne, wenn der Kanzlerwechsel einträte. In demselben Sinne hat sich, gutem Vernehmen nach, die Zentrumsfraktion entschieden. Die Stellung der Konservativen war bekannt. Dem Kronprinzen dürften, als er die Frage nach dem Kanzlerwechsel stellte, die meisten der geladenen Politiker dasselbe gesagt haben. Inzwischen wußte Bethmann den Kaiser zu der Ankündigung des gleichen Wahlrechts neben dem direkten und geheimen Wahlrecht zu bewegen. Diese neue Konzession wurde in die Tage der Krisis hineingeworfen, ohne daß sie an der Krisis selbst etwas zu ändern vermochte. Die Tage der Kanzlerschaft Bethmanns waren gezählt. Am 13. Juli ging seine Kanzlerschaft zu Ende. Eine Krisis ohnegleichen im Parlament und im Volke begleiteten die letzten Tage seiner Tätigkeit.

Daß das deutsche Volk inmitten des Tosens des Weltkrieges diese Fragen der inneren Neuordnung in den Vordergrund zu stellen vermochte, das ist doch unbeschadet der Frage, wie man selbst zu der Frage der inneren Neuorientierung steht, auch nur ein Zeichen dessen, daß eine politische Leitung, die das Auge auf die großen außenpolitischen Ziele zu richten vermochte, nicht da war. Wäre die Reform des preußischen Wahlrechts sofort in einer jeden Zweifel ausschließenden Form ausgesprochen worden, wäre das engere Verhältnis zu Parlament und Volk ohne Unterschied der Parteien hergestellt gewesen und hätten wir an der Spitze eine kraftvolle Führung gehabt, die die Augen des Volkes weit geöffnet hätte für die politische Zukunft Deutschlands, die seine Nerven gestählt hätte für die Verteidigung des Heimatlandes, wie wären demgegenüber die Sorgen im Innern kleinlich erschienen. Aber diese Führung fehlte. Da die Gefahr bestand, daß die innere Einheit verloren ging, mußte auch die nationalliberale Fraktion zu den Fragen der inneren Neuorientierung Stellung nehmen. Man tut draußen im Lande manchmal so, als wenn man diese Dinge ganz losgelöst nur von dem Standpunkt der Fraktion aus ansehen könnte. Was ist denn die Fraktion heute gegenüber dem Ganzen? Wir haben uns mit der Frage zu befassen, wie es draußen in der Welt aussehen würde, wenn 110 Stimmen gegen die Kreditvorlage abgegeben würden. Wir müssen uns die Frage vorlegen, wie wird die deutsche Arbeiterschaft bei der Stange halten und ihre Mitarbeit weitersichern. Wir mußten das politische Ventil öffnen, damit die wirtschaftlichen Fragen nicht soviel zur Herabminderung der Stimmung beitragen. Um die Reibungen zwischen der Regierung und dem Parlament zu vermindern, haben wir die Forderung des engeren Verhältnisses zwischen Regierung und Parlament aufgestellt, aus diesem Grunde habe ich am 27. März d. J. geraten, diese Fragen bald zu erledigen. Uns hat niemals das parlamentarische System in Anlehnung an fremdländische Vorbilder vorgeschwebt. Selbst ein »parlamentarisches System« in Deutschland würde, wie kürzlich ein nationalliberaler Abgeordneter gesagt hat, doch auch nur ein deutsches parlamentarisches System sein können. Niemals würde beispielsweise das deutsche Volk verstehen und dulden, daß ein Zivilist Kriegsminister wäre oder an der Spitze des Reichsmarineamtes stände, niemals würde es verstehen, daß der politische Führer, nur weil er in der Politik firm ist, einem Ministerium vorstände, dessen Arbeiten ihm fern lägen oder denen er als Persönlichkeit nicht gewachsen wäre.

Aber die Empfindung war wach geworden, daß gerade in kriegerischen Zeiten der glänzendste Ressortminister da versagen kann, wo ein Mann mit politischem Instinkt stehen muß, daß die Geschäfte des Reiches sich regelmäßiger vollziehen, wenn unter gleichzeitiger Zugehörigkeit zu Parlament und Regierung Vertrauensleute in der Regierung mitwirken. In der Parlamentarisierung sah man das gewährleistet, was man bisher vermißte. Gerade die Affäre Erzberger gab den Anstoß dazu, die Frage erneut zu prüfen. Sagte man sich doch, daß in einem Lande, wo diese Fühlung bestand, derartige Vorgänge wie im Hauptausschuß des Reichstages unmöglich wären. Jetzt ist diese Parlamentarisierung zugesagt, nicht mehr freiwillig durch die Krone hingegeben, sondern halb erzwungen, jetzt ist das früher auf der Basis etwa des sächsischen Landtagswahlrechtes zu habende preußische Wahlrecht in das gleiche Wahlrecht umgeändert. Am 27. März habe ich dem Reichskanzler im Reichstag zugerufen: » Wenn zwischen Staat und Volksvertretung Spannungsmomente bestehen, dann tut man gut, wenn man sich einmal zu großen politischen Reformen bekennt, auch selbst kühn die Initiative zu ergreifen. Je eher er das tut, um so eher ist auch der preußische Ministerpräsident in der Lage, Bestrebungen, die gegen das Staatsinteresse verstoßen, entgegenzutreten, als wenn er derjenige ist, der sich der Initiative anderer gegenüber sieht.« Der Warnungsruf wurde nicht gehört, die Gelegenheit wurde versäumt.


Versäumte Gelegenheiten! Denkt die konservative Partei manchmal zurück an die Zeit der Blockpolitik des Fürsten Bülow? Man stürzte ihn, weil er für eine Reform des preußischen Wahlrechts eintrat. Man betörte die Landwirtschaft und stellte ihr vor Augen, daß sie zugrunde gehe, wenn eine Erbschaftssteuer von 56 Millionen Mark geschaffen würde. War Herr von Heydebrand damals ein Staatsmann, als er das angestrebte Zusammengehen mit dem Liberalismus kurzerhand zerbrach, einen Kanzler von den Fähigkeiten Bülows beseitigte und die Wahlrechtsreform um acht Jahre hinausschob? Hätten wir damals eine staatsmännische Leitung der konservativen Partei gehabt, dann wären die Dinge anders gegangen. Wenn die Konservativen die jetzige Entwicklung beklagen, dann sollen sie denken an die Politik, die sie gegen Bülow trotz Warnung von nationalliberaler Seite einst getrieben haben. Herr von Heydebrand wird angesichts der Entwicklung der Dinge bekennen müssen: mea culpa, mea maxima culpa!

Es wäre falsch anzunehmen, daß die Sozialdemokratie in dieser Kriegszeit die Frage des gleichen Wahlrechts provoziert in den Vordergrund gestellt hätte. Man muß ihr zugestehen, daß ihr ihre äußeren politischen Ideale näher standen als die innerpolitischen. Sie konzentrierte sich auf die Friedenskundgebung, die, von Erzberger angeregt, in den Scheidemannschen Bahnen wandelte. Diese Stellungnahme des Zentrums widersprach vollkommen der bisherigen Auffassung der Partei. Man braucht nur an die Erklärungen zu erinnern, die Spahn wiederholt für die Zentrumspartei und für alle bürgerlichen Parteien abgegeben hat. Als das Friedensangebot des Kaisers abgelehnt wurde, sagte Spahn mit deutlicher Betonung, daß nun auch die Grundlage dieses Friedensangebots nicht mehr gelten, die Feinde nicht mehr erwarten könnten, den Frieden zu diesen Bedingungen zu erhalten. Inzwischen hat sich die Lage des Deutschen Reiches in keiner Weise wirtschaftlich oder militärisch zum Schlechten geändert. Die Anstürme an der Westfront sind zusammengebrochen, gegen England haben wir, wie vorher gesagt, die wirtschaftliche Offensive ergriffen, in Rußland treiben die Dinge dem Chaos zu, in Frankreich und Italien ist tiefste Niedergeschlagenheit über den Verlauf des Krieges. Wenn die Patrioten im Lande klagen über einen gewissen Pessimismus im Reichstag, so sollen sie sich erinnern, daß in Frankreich wochenlang geheime Sitzungen abgehalten worden sind, daß nicht weniger als 22 Anfragen über die mißglückte Sommeoffensive eingebracht sind, daß man einen Wechsel in der obersten Heeresleitung herbeigeführt hat, daß man die Mahnung aussprach, französisches Blut in Zukunft zu schonen, und daß man der französischen Regierung Worte gesagt hat, die einem Verdammungsurteil gleichkommen. Wenn diese ganzen Dinge in der deutschen Öffentlichkeit besser bekannt wären, dann hätte man annehmen können, daß wir im Gegenteil jeden Grund zum Optimismus in einen guten Ausgang des Krieges haben können.

Andererseits soll nicht verkannt werden, daß die Friedenssehnsucht eine gewaltige ist; nicht nur im deutschen Volke, bei allen Völkern der Erde! Die ganzen Erwägungen in den Parlamenten der Welt lassen sich schließlich auf einen Nenner bringen: der Aufschrei der gequälten Menschheit gegen einen vierten Kriegswinter. Die Zahl der Toten ist auch in Deutschland weit über eine Million. Manche Familie, die zwei oder drei Söhne für das Vaterland hingegeben hat, sieht heute den letzten, 18 jährigen Sohn hinausziehen. Die Belastungsprobe der Völker ist auch nach dieser Richtung auf das allerhöchste gestiegen. Verständlich ist, daß alle den Frieden wollen, weniger verständlich aber, daß man glaubt, den Frieden herbeiführen zu können, wenn man von ihm spricht und bekannt gibt, daß man ihn herbeisehnt. Politisch ist die Friedenshoffnung durch die russische Umwälzung und ihre Friedensformel gestärkt worden. Ich habe es immer für falsch gehalten, den Grafen Czernin anzugreifen, wenn er für Österreich das Programm des annexionslosen Friedens akzeptierte. Ein Frieden ohne Entschädigung bedeutet für Deutschland einen Verlust. Denn der status quo ist kein Zustand wie früher, sondern ein Zurückwerfen um mindestens 20 Jahre. Für Österreich liegt die Sache anders. Für Österreich-Ungarn ist der annexionslose Frieden ein Gewinn. Er verbürgt ihm die Wiedergewinnung von Gebieten, die heute von Feinden besetzt sind. Wenn dazu noch eine polnische Königskrone winkt und wenn Grenzregulierungen den Zusammenhang Österreich-Ungarns mit Bulgarien sicherstellen und die Beherrschung des Lowtschen, die der Beherrschung von Montenegro gleich kommt, den Frieden beschließt, dann bedeutet dies alles für Österreich-Ungarn ein Gewinn. Es ist infolgedessen falsch, dem Grafen Czernin, der pflichtgemäß österreich-ungarische Politik zu treiben hat, vorzuwerfen, wenn er dies akzeptiert und sich bemüht, vielleicht auch den starken deutschen Bundesgenossen zur Abgabe einer gleichen Formel zu veranlassen.

Der Abgeordnete Erzberger ist vor einigen Monaten vom Kaiser von Österreich empfangen worden. Seine guten Beziehungen zu Wiener maßgebenden Politikern sind bekannt. Sein Vorstoß im deutschen Reichstage ist vielleicht deshalb im wesentlichen beeinflußt durch den Wunsch nach Herstellung eines gemeinsamen Programms der Mittelmächte auf dem Wege einer Herbeiführung eines Friedens mit Rußland, das an seine Verbündeten die Frage stellen soll, ob sie gegenüber einer solchen Formel den Kampf weiter fortsetzen oder die Friedensbereitschaft erklären wollen. Welche weiteren Einflüsse bei der Stellung der Zentrumspartei mitgewirkt haben, kann noch niemand sagen, die völlige Schwenkung des Zentrums ist zu seltsam, um einfach erklärt zu werden. Hier werden vielleicht erst kommende Zeiten das Licht bringen, das wir heute noch vermissen.

Nur eines kann gesagt werden, die Darstellung, die von konservativer Seite gegeben wird, als wenn Erzberger im Auftrage von Bethmann Hollweg gehandelt hätte, um diesem die Möglichkeit zu geben, sich zum Scheidemann-Frieden zu bekennen, dem er innerlich immer nahe gestanden hätte, ist unrichtig. Erzberger hat im Gegenteil keinen Zweifel darüber gelassen, daß er eine Lösung der Krise auch nur im Rücktritt Bethmann Hollwegs sehe und hat das so zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht, daß nach dieser Richtung hin Bedenken nicht ausgesprochen werden könnten.


So viel über die Beweggründe der großen Aktion. Die nationalliberale Fraktion hatte zu den Dingen Stellung zu nehmen und hat sie gefunden in einer eigenen Erklärung, die sie abgab, indem sie zugleich die Erzbergersche Friedensresolution einstimmig ablehnte.

Die Auffassung der nationalliberalen Fraktion über die Kriegsziele war theoretisch nie eine einheitliche. Das ist bei uns als Partei der Individualitäten nicht zu verwundern. Schon bei dem U-Bootkrieg in der Zeit der Bassermannschen Führung trat eine Differenzierung der Ansichten zutage. Damals stimmten 34 Mitglieder der Fraktion für die Forderung des unbeschränkten U-Bootkrieges, während 10 Mitglieder sich hierzu nicht entschließen konnten. Inzwischen haben die Dinge sich jedoch dahin entwickelt, daß diese Theorien heute wenig Geltung mehr haben, vielleicht haben wir uns überhaupt die Köpfe eingerannt wegen theoretischer Meinungen, während wir praktisch gar nicht so weit auseinandergingen. Das ist das Verleumderische in gewissen Polemiken, daß sie es so darstellen, als gebe es in Deutschland Leute, die verlangten, daß das deutsche Volk sich ausbluten sollte, bis wir Boulogne erobert hätten oder vor dem Peipussee ständen. Es gibt nichts Dümmeres als derartige Ausstreuungen. Wenn man im ersten Jahre des Krieges Denkschriften und Bücher geschrieben hat über die wünschenswerten Sicherungen der Grenzen Deutschlands, so müßte man solche Theorien natürlich zunächst ohne Rücksicht auf die militärische Lage aufstellen. Wenn wir neben Kurland Estland und Litauen besäßen und damit die Herrschaft über die Ostsee in alten deutschen Landen in den Händen hätten, wenn unsere Fahnen über Calais wehen würden und wir damit ein deutsches Gibraltar am Atlantischen Ozean errichten könnten, wer könnte uns veranlassen, dies aufzugeben, wenn wir uns militärisch dort halten können? Aber so liegen ja die Dinge nicht. In dem Augenblick, wo die Friedensverhandlungen beginnen, ist die Kriegskarte die Grundlage der Verhandlungen. Kein vernünftiger Mensch wird die Grenze des Peipussees verlangen, wenn wir vor Riga stehen. Aber wir haben alle den Wunsch, daß wir bei einem Frieden für Deutschland an Sicherungen herausholen, was herauszuholen ist im Westen und im Osten und auch herausholen für unsere Kolonialmacht und unsere Seegeltung, was wir erhalten können. Wenn wir eine Reichsleitung hätten, zu der das deutsche Volk das Vertrauen besessen hätte, welches zu der Heeresleitung bestand, dann würde über das Maß dieser Sicherung kein Mensch leidenschaftlich diskutieren. Das Mißtrauen in die Zielfragen der Reichsleitung hat erst zu den Kämpfen geführt, die auch innerhalb unserer Partei ausgesuchten werden. Mißverständliche Schlagworte haben dabei mitgespielt.

Wir haben in der Nationalliberalen Partei nicht grundsätzliche Annexionisten oder Nichtannexionisten. Wenn wir einen Diktierfrieden schließen könnten, dann wäre niemand unter uns, der sich in der Partei entgegenstemmen würde, wenn wir fremdes Gebiet uns aneignen, weil das der Verständigung der Völker widerstreben würde. Wir waren uns andererseits darüber einig, daß wir es gegenwärtig ablehnen mußten, den Krieg weiterzuführen, um weitere Eroberungen zu machen. Wir sind darüber einig, uns mit unseren Feinden auf die Friedensbank zu setzen unter Berücksichtigung der gegenwärtigen militärischen Lage und der Faustpfänder, die wir in unseren Händen haben. Daß ein so gewaltiger Koalitionskrieg des Erdballes nicht ausgehen kann, ohne einen Ausgleich der Interessen – nicht nur zwischen den Feinden, sondern selbst zwischen den Verbündeten! – ist klar. Daß wir eine dauernde Versöhnung der Völker anstreben, ist nicht minder klar. Wir zählen doch zu den Völkern, die heute mit uns im Kampfe stehen, nicht nur Engländer und Franzosen, sondern auch Chinesen und Südamerikaner, die wir sicherlich nicht im Haß gegen Deutschland erhalten wollen, der durch englische Propaganda hervorgerufen worden ist.

Auf der Grundlage solcher Erwägungen hat sich die Fraktion auf folgende Erklärung geeinigt:

 

Wir haben uns einmütig entschlossen, die vorliegende Entschließung abzulehnen. Einen förmlichen Beschluß des Reichstags herbeizuführen, können wir nicht für richtig halten, da jeder Entschluß von den Feinden ebenso absichtlich mißverstanden und entstellt wird, wie dies mit dem Friedensangebot vom Dezember 1916 geschehen ist. In der Sache selbst erklären wir folgendes: Nach drei schweren Kriegsjahren steht das deutsche Volk mit seinen Verbündeten in ungebrochener Kraft einer Welt von Feinden gegenüber. Unauslöschlich ist der Dank für die militärischen und wirtschaftlichen Leistungen unseres Volkes und seiner Verbündeten, unerschütterlich ist das Vertrauen in unsere Stärke und Ausdauer, fester als je ist die Überzeugung von unserer Unüberwindlichkeit. Unsere Heere stehen nach wie vor in Feindesland. An ihrer Tapferkeit zerschellt jeder Ansturm. Größer als das Deutsche Reich sind die von ihm besetzten Gebiete. Die Leistungen unserer U-Boote haben alle in sie gesetzten Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern weit übertroffen. Die Zahl der U-Boote wächst stetig und mit ihr der Verlust unserer Feinde an Schiffsraum bis zu einem Grade, den sie auf die Dauer nicht ertragen können. Mit voller Zuversicht sehen wir der Zukunft entgegen. Aber auch heute noch bekennen wir uns zu dem Satze der Thronrede vom 4. August 1914, daß uns nicht Eroberungslust treibt. Wir sind damit einverstanden, daß auf dieser Grundlage mit unseren Feinden, sobald sie dazu bereit sind, über den Abschluß eines Friedens verhandelt wird, der dem deutschen Volke und seinen Verbündeten Dasein und volle Entwicklungsfreiheit gewährleistet und durch einen Ausgleich der Interessen eine dauernde Versöhnung der Völker ermöglicht. Lehnen die Feinde das ab, dann fällt die Verantwortung für die Fortdauer des Krieges auf ihr Haupt.

 

In dieser Erklärung kommt klar zum Ausdruck, daß unsere militärische Lage eine glänzende ist, daß wir gewaltige Faustpfänder besitzen. Diese Erklärung tritt der falschen Berechnung des U-Bootkrieges entgegen und weist darauf hin, daß er die in ihn gesetzten Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern übertroffen hat. Sie vereinigt sich andererseits mit der Mehrheit des Reichstags darin, daß nicht beabsichtigt ist, deshalb den Krieg weiterzuführen, um neue Eroberungen zu machen. Es mag viele Freunde im Lande geben, die eine andere Form der Erklärung unserer Fraktion gewünscht hätten, eine Sprache vom deutschen Sieg, ein energisches Zukunftsprogramm. Die so sprechen, mögen bedenken, daß die Regierung durch den Mund des Reichskanzlers zum Ausdruck bringen ließ, daß sie ihre Ziele im Rahmen der vorgelegten Mehrheitsresolution zu erreichen gedenkt und daß diese Erklärung im Einverständnis mit der Obersten Heeresleitung abgegeben wurde. Die Männer der Obersten Heeresleitung bürgen dafür, daß sie mit der ganzen Stärke ihrer Persönlichkeit dafür eintreten werden, daß Deutschland die Sicherungen erhält, deren es für seine Zukunft bedarf. Der neue Kanzler, der sich von niemand die Führung aus der Hand nehmen lassen will, steht auf demselben Standpunkt. Ob man dann einen solchen Frieden, der uns die nötige Sicherung gibt, Verständigungsfrieden, Siegesfrieden oder deutschen Frieden nennt, tritt demgegenüber zurück.

Man könnte einwenden, daß diese Auffassung logisch dazu führt, sich der Resolution Erzberger-Scheidemann anzuschließen. Man könnte sagen, daß ein Widerspruch darin liegt, von einem Ausgleich der Interessen zu sprechen, aber die Erzbergersche Formel ablehnen. Eine solche Auffassung übersieht die scharfe sachliche Verschiedenheit der nationalliberalen Entschließung und die Verschiedenheit der taktischen Auffassung. Man kann der Anschauung sein, daß man zum Frieden bereit ist, aber es ist ganz etwas anderes, ob man diese Anschauung hegt oder ob man sie in Form eines formellen Reichstagsbeschlusses wiederholt zum Ausdruck bringt. Als Reichstagsbeschluß nach außen kann die Erklärung nicht anders ausgelegt werden, als ein Friedensangebot des deutschen Volkes, das dem Friedensangebot des Monarchen folgt. Wir wissen, daß das Friedensangebot des Kaisers und seiner Verbündeten mit Hohn zurückgewiesen worden ist. Die Hand zum Frieden griff ins Leere. Wenn jetzt von uns in die Welt hinausgerufen wird, daß wir Frieden schließen wollen, dann muß das schwächend wirken. Daran mitzuwirken, lag für die Nationalliberale Fraktion keine Veranlassung vor. Es mußte ferner in der vorangegangenen Entschließung darauf verwiesen werden, daß wir in die Friedensverhandlungen nur eintreten auf Grund der Faustpfänder, die uns das deutsche Schwert geschaffen hat. Sie mußte ferner einen scharfen Strich ziehen zwischen unserm Wunsch, den Krieg nicht um weiterer Eroberungen wegen fortzusetzen und jener von dem Garanten Scheidemann mit eingebrachten Erklärung, die den Gedanken eines Verzichtfriedens aufkommen ließ, dem wir entschieden widerstreben. Mochte der Kanzler aus einer Zwangslage heraus sich mit der Erzberger-Scheidemannschen Formel abfinden müssen, für die nationalliberale Fraktion bestand dieser Zwang nicht. Sie sah den Übermut der Ententepolitiker voraus, der uns heute schon aus den Worten eines Carson entgegenklingt. Deshalb faßte die Fraktion ihre eigenen Anschauungen in eine eigene Erklärung zusammen, lehnte aber die Formel der Mehrheit ebensowenig ab.

Unsere Parteifreunde im Lande sind durch die Vorgänge während der Krisis sehr beunruhigt worden. Nie mehr als in den letzten Wochen haben wir bedauert, daß uns in der Reichshauptstadt keine große Presse zur Verfügung stand. Die törichtesten Gerüchte wurden von der Presse, die im Dienste anderer Parteien arbeitete, veröffentlicht und wurden geglaubt. Aber die Parteifreunde im Lande können darüber beruhigt sein, die Partei und die Fraktion sieht den Weg vor sich, den sie gehen muß, und von dem sie niemals abweichen wird: Den Weg zu deutscher Macht nach außen und zur Freiheit nach innen. An diesem Standpunkt hat auch die Krisis nichts geändert, die weder durch die nationalliberale Partei noch – letzten Endes – durch andere Parteien herbeigeführt wurde, sondern durch das Versagen von Persönlichkeiten, durch das Versagen eines Systems, das den großen Leistungen des deutschen Volkes nicht gerecht wurde.

Unerfreulich und unerquicklich waren diese letzten Wochen. Wie in einer schwülen stickigen Luft atmeten wir im Parlament und unsere Freunde draußen. Täuscht nicht alles, dann haben wir diese Wochen bald überwunden. Wir sehen neuen Tagen und neuen Zeiten entgegen. Die Zukunftssorgen um das Deutsche Reich werden bleiben. Das aber kann keinem das Recht geben, daran zu zweifeln, daß der Krieg mit seinen gewaltigen Leistungen von Heer und Volk nicht enden kann mit einem deutschen Verzicht, sondern nur enden wird mit einem den deutschen Sieg ausnutzenden Frieden, der uns nicht nur Dasein und frühere Größe sicherstellt, sondern unsere politische und wirtschaftliche Zukunft gewährleistet. Es wird so werden, wie es das prächtige Hindenburgwort formte:

»Schwer ist die Zeit, aber sicher der Sieg.«



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