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Kaum hatte ich mich im Bugsprit festgesetzt, als der Außenklüver zu killen anfing und sich dann auf der anderen Bucht füllte mit einem Knall, der sich anhörte wie ein Kanonenschuß. Der Schoner erzitterte bis zum Kiel unter dem Schlag. Aber im nächsten Augenblick, während die anderen Segel noch voll standen, hing der Klüver schon wieder flach und schlaff.
Das hätte mich beinahe wieder in die See hinausgeschleudert, und darum kletterte ich so schnell wie möglich am Bugspriet hinunter und fiel kopfüber auf das Verdeck. Ich befand mich im Lee der Back, und das noch immer voll stehende Großsegel verbarg einen Teil des Achterdecks. Kein Mensch war zu sehen. Die Decksplanken, die seit der Meuterei nicht mehr gewaschen worden waren, zeigten viele Fußspuren. Eine leere, am Halse abgebrochene Flasche rollte wie etwas Lebendiges in dem Speigatten.
Plötzlich schoß die »Hispaniola« wieder ganz in dem Wind. Hinter mir machten die Klüver ein lautes Getöse. Das Ruder flog zur anderen Seite mit einem heftigen Schlag. Ein Zittern lief durch das ganze Schiff. Als der Baum des Großsegels herumschwang, wobei die Taue laut aufschrien in ihren Blöcken, konnte man das Achterdeck übersehen.
Dort waren in der Tat die beiden Wachleute. Der mit der roten Mütze lag auf seinem Rücken, steif wie ein Brett, mit weit ausgestreckten Armen und mit aufgeworfenen Lippen, die die Zähne bloßlegten. Israel Hands lehnte gegen die Bordwand mit dem Kinn auf der Brust und den flachen Händen auf dem Verdeck. Unter dem sonngebräunten Überzug schien seine Haut so weiß wie ein Talglicht.
Eine Weile noch bockte und hüpfte das Schiff wie ein boshaftes Pferd. Die Segel füllten sich bald von der einen, bald von der anderen Seite. Die Bäume flogen hin und her und die Masten stöhnten laut unter dem Druck. Zuweilen kam eine Wolke von Wasserstaub über die Bordwand, wenn das Schiff gegen die Dünung anschlug.
Bei jedem Sprung des Schoners bewegte sich der Tote hin und her. Es war entsetzlich anzusehen, wie weder seine Haltung noch sein stereotypes Grinsen irgendwelche Veränderung erfuhr durch solch rauhe Behandlung. Auch Hands schien immer mehr in sich zusammenzusinken bei jedem Sprung des Schiffes. Seine Beine rutschten immer weiter aus. Mehr und mehr drehte er sich nach der anderen Seite, bis ich nichts mehr von seinem Gesichte sehen konnte, außer einer Spitze seines Bartes.
Zur selben Zeit bemerkte ich rings um die beiden rote Blutflecken auf dem Verdeck, und ich begann zu vermuten, daß sie einander getötet hätten in ihren betrunkenen Orgien.
Während ich noch dastand und staunte, drehte sich Israel Hands halb herum und legte sich mit einem leisen Seufzer in der Stellung zurecht, in der er zuerst gelegen hatte. Dieser Seufzer, der von Schmerz und tödlicher Schwäche erzählte und die Art, wie sein Unterkiefer herunterhing, erweckte mein Mitleid. Aber alles war gleich wieder verflogen, als ich an jenes Gespräch dachte, das ich im Apfelfaß überhört hatte. Ich ging bis zum Großmast.
»Melde mich an Bord, Mister Hands,« sagte ich spöttisch.
Er rollte schwer mit den Augen, war aber zu schwach, um irgendwelche Überraschung auszudrücken. Nur mit Mühe brachte er ein Wort hervor: »Schnaps.«
Es schien mir, daß hier keine Zeit zu verlieren war. Ich drückte mich unter den Baum, der eben wieder herumschwang über das Verdeck, huschte nach achtern und die Treppe hinunter in die Kajüte.
Dort herrschte ein unbeschreiblicher Wirrwarr. Alle Schlösser waren aufgebrochen auf der Suche nach der Karte. Der Boden war mit einer dicken Schmutzkruste überdeckt, in der die Schurken gesessen haben mochten bei ihren Beratungen und beim Trinken, nachdem sie vorher in den Sümpfen herumgewatet hatten. Dutzende von leeren Flaschen fielen klirrend übereinander in den Ecken des schlingernden Schiffes. Eines der Medizinbücher des Doktors lag offen auf dem Tisch. Die Hälfte der Seiten war herausgerissen und hatte offenbar als Fidibusse für ihre Pfeifen gedient. Und auf alles das warf die Lampe ein düsteres, rußiges Licht.
Nach einigem Suchen fand ich endlich eine Flasche mit etwas Schnaps für Israel Hands, und für mich selbst spürte ich einige Biskuits, eine Dose mit eingemachten Früchten, ein großes Bündel Rosinen und ein Stück Käse auf. Mit dieser Beute ging ich wieder an Deck, versteckte meine eigene Ration hinter dem Ruder, damit der Bootsmann sie nicht erreichen konnte, und nachdem ich an der Pumpe noch einen tüchtigen Schluck Wasser getrunken hatte, brachte ich Hands den Branntwein.
Er tat einen sehr langen Zug, ehe er die Flasche vom Munde nahm.
»Ah!« sagte er, »beim Donner! Aber so etwas habe ich nötig gehabt!«
Inzwischen hatte ich mich schon in meiner eigenen Ecke niedergesetzt und fing an zu essen. »Stark verletzt?« fragte ich.
Er gab einen grunzenden oder eher bellenden Ton von sich.
»Wenn dieser Doktor an Bord wäre,« sagte er, »wäre ich bald wieder auf den Beinen; aber siehst du, so geht es mir immer. Ich habe eben niemals Glück. Was den Waschlappen da anbelangt,« sagte er mit einem Seitenblick auf den Mann mit der roten Mütze, »so ist er gut und tot. Er war ohnehin kein Seemann. – Und wo magst du eben hergekommen sein?«
»Nun,« sagte ich, »ich kam an Bord, um Besitz zu ergreifen, Mister Hands. Sie wollen mich also bis auf weiteres als Ihren Kapitän ansehen.«
»Übrigens,« fuhr ich fort, »diese Flagge kann ich nicht dulden auf meinem Schiff, Herr Hands. Mit Ihrer Erlaubnis werde ich sie niederholen. Lieber gar keine als diese.« Mit diesen Worten ging ich zur Flaggenleine, holte die verfluchte Flagge herunter und warf sie über Bord.
»Lang lebe der König!« rief ich, indem ich meine Mütze schwenkte. »Und aus ist's mit Kapitän Silver!«
Er schaute mich ziemlich sauer an, sagte jedoch nichts. Sein Gesicht hatte sich inzwischen wieder etwas gerötet, obwohl er noch immer sehr krank aussah.
Er folgte meinen Bewegungen mit scharfen und verschlagenen Blicken, während sein Kinn noch immer auf seinem Brustkasten ruhte.
»Ich kann mir wohl denken,« sagte er schließlich, ich kann mir denken, Kapitän Hawkins, daß Sie gerne an Land gehen möchten. Wär's nicht gut, wenn wir da von Geschäften redeten?«
»Freilich,« sagte ich, »mit größtem Vergnügen, Herr Hands. Bitte –«
»Dieser Mann,« begann er mit einem schwachen Nicken in der Richtung des Leichnams – »O'Brien war sein Name – ein schmutziger Irländer – der Mann und ich haben Segel gesetzt für die Rückreise. – Nun, er ist tot, so tot wie ein Türnagel, und wer soll das Schiff jetzt segeln? Ohne daß ich dir hie und da einen Wink gebe, bist du nicht der Mann dazu, so viel ich sehen kann. – Nun, sieh her, du gibst mir zu essen und zu trinken – vor allem zu trinken! – und ein altes Taschentuch oder so etwas, um meine Wunde zu verbinden und ich werde dir Segelanweisungen geben. Das wäre ein verständiger Vorschlag, sollte man meinen.«
»Ich will Euch etwas sagen,« antwortete ich, »nach Kapitän Kidds Ankergrund gehen wir nicht mehr. Ich werde nach der Nordbucht fahren und das Schiff dort ruhig auf den Strand setzen.«
»Natürlich willst du das!« rief er aus, »ich bin doch kein so großer Einfaltspinsel. Ich kann das selbst sehen, nicht wahr? Ich habe meine Hand in dem Spiele versucht, ich habe verloren und du bist es, der mir den Wind aus den Segeln genommen hat. Nordbucht? Ja, es wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben! Ich würde dir behilflich sein, wenn du das Schiff nach dem Hinrichtungsdock segeltest. Das würde ich!«
Diese Rede schien mir recht vernünftig, und so schlossen wir sofort einen Vertrag. Schon nach wenigen Minuten segelte die »Hispaniola« leicht vor dem Winde entlang der Westküste der Schatzinsel und ich hatte alle Hoffnung, noch vor Mittag die Nordspitze zu erreichen, von wo man noch zur Flutzeit die Nordbucht erreichen konnte, in der man dann bei Ebbe trockenen Fußes an Land gehen konnte.
Sobald das Schiff auf Kurs war, ging ich hinunter nach meiner eigenen Seekiste, wo ich eines der seidenen Handtücher holte, die mir meine Mutter mitgegeben hatte. Damit verband Hands mit meiner Hilfe die von dem Messerstich in der Hüfte herrührende Wunde, und nachdem er etwas gegessen und noch einige Schluck Branntwein getrunken hatte, wurde er sichtlich lebendiger und machte überhaupt den Eindruck eines anderen Mannes.
Die Brise kam uns sehr zu Hilfe. Wir schossen davor hin wie ein Vogel. Die Küstenlinie flog vorbei und die Ansicht wechselte alle paar Minuten. Das hohe Land war bald hinter uns geblieben. Wir kamen vorbei an niedrigen Sandstrecken, die nur da und dort mit Zwergtannen bestanden waren, bald war auch dieses vorbei und wir umsegelten einen felsigen Hügel, der die Nordspitze der Insel darstellt.
Ich war sehr stolz auf mein neues Kommando und sehr erfreut über das helle Sonnenwetter und die verschiedenen Bilder der Küste. Ich hatte nun reichlich zu essen und zu trinken, und mein Gewissen, das mir sehr zu schaffen machte wegen meiner Desertierung, war nun endlich beruhigt durch die große Eroberung. Das einzige, was mich beunruhigte, waren die Augen des Bootsmann, die mich tückisch über das ganze Verdeck verfolgten und das sonderbare Lächeln, das nicht von seinem Gesicht wich. Es war ein Lächeln des Schmerzes und der Schwäche – das müde Lächeln eines alten Mannes. Aber es lag darin auch eine Portion Tücke, ein Schatten des Verrats in dem Gesichte, das mich unaufhörlich beobachtete bei meiner Arbeit.