Julius Stettenheim
Wippchens Russisch-Japanischer Krieg
Julius Stettenheim

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Bebel und die Hereros.

Berlin, den 18. März 1904.

W. Ich bin eigentlich kein Freund von Besuchen bei bedeutenden Persönlichkeiten. Denn fünftens erfährt man eigentlich nichts. Auch die vorhergehenden vier Gründe sind durchaus triftig, aber jeder Leser kennt sie bereits. Ich habe sehr schlimme Erfahrungen gemacht. Die schlimmste ist die, daß doch nur in den allerseltensten Fällen derjenige, dem der Besuch gilt, hinausgeworfen wird. Meist ist dies der Besucher. Wieviele Versuche sind mißglückt, das Fliegen zu erfinden! Gewöhnlich endete der Erfinder des Fliegens in dem Flügel irgend einer Irrenanstalt. Aber noch hat kein Erfinder sich damit beschäftigt, in Mittel zu entdecken, auf welche Weise ein Interviewer nicht hinausfliegt, wenn er eben in aller Bescheidenheit auseinandergesetzt hat, in welcher Absicht er erschienen ist. Das Nichtfliegen sollte erfunden werden! Freilich wäre uns damit noch nicht geholfen. Ich glaube, daß dem berühmten armen Teufel, der am Ende der Schillerschen Räuber elf lebendige Kinder hat, sicherer geholfen werden kann, als dem Interviewer. Wie häufig habe ich Berühmtheiten interviewt, welche nichts für mich hatten als 154 einen Spieß, den sie umdrehten, worauf sie mich ausfragten. Während ich erschienen war, um zu hören, wollten sie Dinge von mir wissen, von denen ich keine Ahnung hatte. Ich versuchte, ihren aufdringlichen Fragen – verzeihen Sie das harte Wort! – auszuweichen, aber es nützte nichts, und da ich nicht Lust hatte, fortwährend wie Penelope bei Nacht zu vernichten, was ich den Tag über gewebt, mit einem Wort: eine Sisyphusarbeit vorzunehmen, so erfernte ich mich, ohne irgend etwas erfahren zu haben. Andere Berühmtheiten waren sogar boshaft genug, mir Fragen vorzulegen, die überhaupt nicht beantwortet werden konnten. Am schlimmsten verlief ein Besuch bei Sonnenthal. Er war eines Tages in Berlin eingetroffen, und ich ließ mich bei ihm melden. Als ich bei ihm eintraf, rief er: »Endlich!« und beeilte sich, Platz zu nehmen. Aha, dachte ich, bei Sonnenthal ist, wie gewöhnlich, kein Sitz zu haben, und ich begnügte mich bescheiden. O, meinte er, damit kommen Sie mir nicht davon, Sie müssen mir heute einige Fragen beantworten, welche mich auf meiner langen Künstlerlaufbahn in der peinlichsten Weise belästigt haben, und die ich nun endlich aus der Welt schaffen möchte. Sagen Sie also, lieber Freund, und bitte! ohne Umschweife: »Sein oder Nichtsein?«

Ich sah ihn fragend an. I, sagte er energisch, damit ist mir nicht gedient, und wenn Sie mir die Antwort schuldig bleiben, so bitte ich Sie, mir wenigstens zu sagen: »Siehst Du den schwarzen Hund durch Saat und Stoppel streifen?«

In großer Verlegenheit stammelte ich: Meister, ich sehe –

155 Weichen Sie mir nicht aus! fiel mir Sonnenthal ins Wort, antworten Sie mit ja oder nein. Ich will keine Ungewißheit mehr! Sagen Sie mir: »Hast Du zur Nacht gebetet, Desdemona?« Und als ich ihm sehr bestürzt ins Auge schwieg, rief er: »Wer lacht da?« und nach einer neuen Pause: »Wär's möglich? Könnt' ich nicht mehr zurück, wie mir's beliebt?«

Da faßte ich mir ein Herz und sagte: Nach Wien zurück? O wir freuen uns, daß Sie endlich wieder da sind!

Nun wurde er sehr böse, indem er aufstand und rief: »Doch warum endlich? Hab' ich denn eher wiederkommen wollen? Und wiederkommen können?«

Ich suchte ihn zu beruhigen: Aber Meister, so war es ja gar nicht gemeint. Wir bedauern nur, daß Sie kommen, um von der Berliner Bühne Abschied zu nehmen. Ich bitte Sie, mir zur Erinnerung an diese Stunde Ihr Autogramm zu geben und es mit Ihrem Bilde zu schmücken.

Da rief Sonnenthal: Die letzte Frage aus meiner Posarolle: »Kann ein Gemälde Ihre Ruhe trüben?« Denken Sie über die Antwort nach, und wie immer sie ausfallen möge, ich werde Ihnen dankbar sein.

Ich sah wohl ein, daß ich den Künstler in einem ungünstigen Moment interviewen wollte, versprach ihm, wiederzukommen, wenn er einmal weniger neugierig sein sollte, und zündete mir draußen die Zigarre an, welche er mir drinnen nicht gegeben hatte.

Hiermit glaube ich die Gefahren erschöpfend geschildert zu haben, welche uns drohen, wenn wir Männer aufsuchen, welche mit einem Fuß in der Unsterblichkeit stehen. Ich 156 habe es so dick bekommen, daß ich wünschen kann, ich spräche jetzt von meinem Fell. Und doch konnte ich es nicht unterlassen, Bebel aufzusuchen, als er im Reichstag über die Hereros gesprochen hatte. Wir liegen im Kampf mit ihnen, er steht ihnen bei, sie haben sich auf die Lauer gelegt, um uns zu meucheln, er will nicht, das wir diese Lauer mit Sturm nehmen und die Feinde vertreiben.

Bebel ist der berühmteste Führer der Sozialdemokratie. Seit länger als vierzig Jahren hat er fortwährend die Lage der Arbeiter derart verbessert, daß deren Unzufriedenheit heute noch ununterbrochen ihren höchsten Grad erreicht. Er selbst ist Drechsler und dadurch, daß er nie die Arbeit niederlegte und im Schweiße seines Angesichtes von Zeit zu Zeit erbte, ein wohlhabender Mann geworden. So wurde er ein Freund der Enterbten, indem er weiß, wie viel eine gute Erbschaft dazu beitragen kann, die Armut zu verscheuchen. Wäre Reden wirklich Silber, so wäre durch ihn, selbst wenn man weiß, wie sehr das Silber entwertet ist, die Lage der Arbeiter längst eine ausgezeichnete. So sucht er sie denn durch andauerndes Aufmuntern zum Streiken möglichst zu verbessern.

Am 17. hatte er im Reichstag für die Hereros das Wort ergriffen. Am 18. besuchte ich ihn, um von ihm zu hören, was er beabsichtigte, diesen unglücklichen Schwarzen ein weißenwürdiges Dasein zu erkämpfen.

Was sind Sie? fragte er mich, als mich sein Diener gemeldet hatte.

Ich sagte ihm, daß ich Berichtefabrikarbeiter sei.

Sie müssen die Arbeit niederlegen, rief er freundlich, denn Sie werden schlecht bezahlt. Sie dürfen sich nicht von 157 den Redaktionsjunkern, diesen Tintesaugern und Zeilenvampyren, ausbeuten lassen. Sie müssen höhere Honorare verlangen, und wenn Sie solche erreicht haben, in den Ausstand treten, um das Doppelte zu begehren, um dann mitten im Kriege die Feder in den Schoß zu legen und keinen Halter zu rühren, bis Ihnen bewilligt ist, was Sie fordern. Ihr Wahlspruch muß lauten: Lieber aus der Streikkasse sich sättigen als hungern. Denken Sie an Frau und Kinder!

Ich bin nicht verheiratet, Meister! sagte ich.

Das macht nichts, sagte er, Sie müssen trotzdem immer an sie denken. Wenn Sie keine Frau und keine Kinder haben, desto besser für sie, aber wie würden sie darben, wenn Sie sie hätten! Wozu haben Sie einen Daumen, wenn Sie ihn den Arbeitgebern, die sich im Schweiß der Familie, die Sie nicht haben, baden, nicht aufs Auge drücken wollen? Sonst geht es Ihnen wie den Hereros.

Da hatte sich also der große Agitator selbst mitten in die Medias res hineingeredet.

Die armen Hereros! rief er aus. Es geht ihnen wie den Schweizern. Kennen Sie den Tell? Lesen Sie ihn. Er ist eines der gesammelten Werke Schillers. Da kommen die Geßlerschen, die ihnen die Augen ausstechen und ihren Söhnen Äpfel vom Kopf schießen lassen. Diese Geßlerschen! Und welche Ähnlichkeit mit dem Namen eines früheren Kriegsministers! Ich will ihn nicht nennen, will kein böses Blut machen, er lautet Goßler. Da rottet sich also der Schweizer zusammen und geht den Geßlerschen zu Leibe. Denn es führt kein anderer Weg nach Küßnacht. Auch bei den Hottentotten nicht. Sie lebten still und 158 friedlich, waren harmlose Jäger, und die Geßlersche Schutztruppe verwandelte ihre Milch der frommen Denkart in gährend Drachengift. Das kann sich kein Hottentotte gefallen lassen. Die Schutztruppe hat ja da nichts zu suchen. Deutschland soll wenigstens das Hereroland mit seinen kleinen Garnisonen verschonen. Statt dessen wenden sich die deutschen Bundesstaaten an mich und bitten um Geld, weil sie die Hottentotten und Hereros noch mehr Augen ausstechen und noch mehr Äpfel vom Kopf schießen lassen wollen. Da, in der allerhöchsten Not bitte ich ums Wort und sage Nein! Die Geßlerschen sollen um Verzeihung bitten, alles ersetzen, was die unglücklichen Hereros ihnen im Zorn niedergebrannt und verwüstet haben, und wieder nach Deutschland kommen.

Das geht aber doch nicht! rief ich, als Meister Bebel geendet hatte. Wir können uns doch nicht angreifen lassen, ohne uns zu verteidigen, und um Entschuldigung bitten: Bitte, bitte, lieber Herero, seien Sie nicht böse, es war ja nicht so schlimm gemeint, und es soll auch nicht wieder vorkommen! Geben Sie uns die Hand und dann werfen Sie uns hinaus!

Der berühmte Agitator zündete sich eine Zigarre an, wie sie noch auf keiner Maifeier geraucht worden ist, und sagte dann ganz gemütlich: Aber, lieber Freund, so meine ich es auch gar nicht. Ich muß nur alles tadeln, was die Regierung tut. Wenn sie also unsere Kolonie fahren lassen würde, so würde ich im Reichstag im Namen des Reiches fordern, daß unsere Ehre gewahrt und an den Hereros durch eine hinreichend verstärkte Schutztruppe ein Exempel statuiert werde. Ich würde sagen: Meine Herren, 159 wir haben A gesagt, nun muß das Alphabet bis zum Z durchbuchstabiert werden. Die Regierung will das Hereroland verlassen, die Kolonie aufgeben, sie will Deutschland dem Gespött aussetzen, der Verachtung preisgeben. Das wollen wir nicht dulden. Die Hereros haben sich empört, Ansiedler getötet, Dörfer und Felder verwüstet. Das muß bestraft werden mit bewaffneter Hand. Es muß den Barbaren gezeigt werden, wer der Zivilisierte, d. h. der Stärkere ist. Und die Genossen werden mir zujubeln wie immer, wenn ich mit dem Kopf durch den Bundesrat gehe.

Wir schüttelten uns die Hände. Als ich fortging, forderte mich der Genossenführer nochmals auf, die Arbeit niederzulegen und, wenn ich nicht das doppelte Honorar erhielte, kein Blutbad mehr zwischen den Russen und den Japanern anzurichten. Das fehlte noch!


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