Julius Stettenheim
Wippchens Russisch-Japanischer Krieg
Julius Stettenheim

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IV.

Herrn Wippchen in Bernau.

Besten Dank für die Vernichtung der russischen Flotte durch die japanischen Torpedos. Sie stellen dieses Ereignis mit einer überraschenden Lebendigkeit dar, und ganz gewiß hätte Ihr Bericht die Leser ungemein gefesselt. Aber dies kann doch nicht der alleinige Zweck eines Berichtes sein. Ohne Zweifel haben Sie den Inhalt irgend eines erlogenen Extrablattes für authentisch gehalten, ein Uebriges hinzugetan und so die russische Armada aus der Welt geschafft. Warten wir also mit dem Abdruck, bis Ihr Bericht durch die Tatsachen aktuell wird, und senden Sie uns baldigst eine wenigstens halbwegs glaubhafte Darstellung des Beginns eines Krieges, welchem Sie Ihre ganze Aufmerksamkeit widmen müssen.

Ergebenst
Die Redaktion.

*

Bernau, den 14. Februar 1904.

Wenn Sie eine Ahnung von der Arbeit hätten, welche mir die Vernichtung der russischen Flotte verursacht hat, so wäre es Ihnen vielleicht nicht eingefallen, mein Feuilleton zu vernichten, mit dem ich so vielen Lesern gewiß eine 23 Freude bereitet hätte. Jedenfalls ist die Vernichtung einer Flotte mit der eines Feuilletons nicht in einem Atemzuge zu vergleichen. Ganz abgesehen von allem übrigen: volle drei Stunden kostete mich der Grund, in welchen ich die russische Flotte bohrte, während die Seite, zu welcher Sie meinen Bericht schoben, kaum zwei Sekunden in Anspruch nahm. Wenn Sie mein Manuskript angesehen hätten, so mußten Sie bemerken, mit welcher Sorgfalt die russische Flotte von mir zerstört worden war. Ich habe ganze Sätze ausgestrichen und durch neue ersetzt. Die Namen der Admiräle bereiteten mir große Schwierigkeiten, da mir nicht ein einziger bekannt war. Die Namen der im ersten Anlauf zerstörten Schiffe hatte ich aus demselben Grund zu erfinden und ich gab ihnen daher Namen, welche an die Vergehen und Fehler der russischen Regierung erinnerten, um mein Strafgericht wenigstens allen zivilisierten Lesern in milderem Licht erscheinen zu lassen: ich nannte sie Finland, Kischenew, Sibirien, Absolutismus usw. Das ganze Manuskript ist in den Schornstein geschrieben, und ich möchte meine Dinte mit dem Schweiß vergleichen, welchen Sisyphus vergoß, indem er das geflügelt gewordene Felsstück vergeblich auf dem Berg festzuhalten suchte. Und dennoch ist mein Los bedeutend nietenhafter. Denn wenn ich Sisyphus gewesen wäre, so wäre es mir auch gleichgültig gewesen, ob das Felsstück oben oder unten gelegen hätte. Ob mir aber eine ganze Flottenvernichtung gedruckt wird oder Manuskript bleibt, das ist doch wahrlich ein Unterschied wie zwischen Kabale und Liebe, Hero und Leander, Arria und Messalina, Zar und Zimmermann, Lorbeerbaum und Bettelstab und andere Repertoirestücke.

24 Ich will indes auch heute nicht zu den tauben Ohrenpredigern gehören, sondern das Unvermeidliche mit jener Würde tragen, welche jede Vertraulichkeit entfernt. Aber ich muß Sie doch darauf aufmerksam machen, daß in dem vorliegenden Kriege kein gewöhnlicher Maßstab an meine Berichte gelegt werden darf. In diesem Kriege werden die Enten in ungeheuren Schwärmen in die Erscheinung schwimmen, wird das Blaue derart vom Himmel herunter gelogen werden, daß diese Farbe überhaupt nicht mehr zu sehen sein wird, wird so gelogen werden, daß man sich vergeblich nach einem Balken umschauen dürfte, welcher sich nicht biegt, und werden die Lügen so kurze Beine haben, daß man nicht wird begreifen können, wie sie vorwärts kommen. Man wird sich an diese Tatsache gewöhnen müssen. Wenn in russischen Blättern über eine Schlacht berichtet werden wird, welche den Russen Hunderte von Toten und Verwundeten kostete, so wird man lesen, daß sich während des Kampfes die Zahl der Lebenden durch die Niederkunft zweier Marketenderinnen auf dem Schlachtfeld um fünf vermehrt habe, da die eine von Zwillingen, die andere von Drillingen – verzeihen Sie das harte Wort! – entbunden worden sei. Fliegt ein Schiff in die Luft, so darf man sicher sein, daß das Regierungsblatt das Wunder melden wird, die Flotte sei während des Kampfes durch zwei aus der Luft heruntergeflogene Schiffe bereichert worden. Mit bedeutend weniger Vorsicht aber ist die Nachricht aufzunehmen, daß ich gezwungen bin, Sie um einen Vorschuß von 40 M. zu bitten. Es ist dies die volle Wahrheit, aber so traurig sie auch klingen mag, sie wird nicht länger so klingen, als 25 bis zum Eintreffen der 50 M., oder sagen Sie lieber: der 60 M., um das halbe Hundert noch etwas voller zu machen.

*

Tokio, den 12. Februar 1904.

So leben wir denn mitten im zerschnittenen Tischtuch! Nachdem Japan in der Nacht vom 8. auf den 9. die russische Flotte angegriffen und stark beschädigt hat, befahl der Zar, dies für den Beginn der Feindseligkeiten zu halten, worauf Japan den Russen den Krieg erklärte. Dies war das Signal für beide Mächte, mit aller Deutlichkeit ihre Friedensliebe zu betonen. Rußland setzte in einer Note auseinander, welche Opfer es gebracht habe, um den Frieden aufrecht zu erhalten, und Japan versandte eine Zirkulardepesche, in der es schilderte, was es getan habe, den Krieg zu vermeiden. Mit einem Wort: Jetzt will es keiner gewesen sein!

Seit Würfel fallen und zum Schwert gegriffen wird, hat es noch keinen Krieg gegeben, welcher wußte, wer ihn angefangen hat. Immer waren beide von Friedensliebe beseelt und der andere hat die Schuhe an, in welche der Krieg geschoben wird. Keiner grub die Streitaxt aus, keiner öffnete den Janustempel. Man suchte nach dem Karnickel, aber das Kaninchen war nicht zu finden, es ging ihm wie dem Drachen, dem Lindwurm, der Hydra, dem Minotauros, dem Cerberus und anderen Ungeheuern, von denen man immer liest, die aber noch niemand von Angesicht zu Angesicht gesehen. So wird denn auch dieser 26 Krieg das Land und den Meeresspiegel mit Blut düngen, ohne daß Klio im stande sein wird, die Furie, welche dem Frieden den Giftbecher reichte, also gewissermaßen die Ur-Hebe, beim rechten Namen zu nennen.

Als die Nachricht von dem Erfolg bei Port Arthur hier eintraf, war der Jubel kolossal. Nur mit Mühe gelang es der Polizei, die Extrablatthändler vor der Gefahr, zerrissen zu werden, zu schützen. Die hübschen Japanerinnen wurden von ihnen unbekannten Herren auf offener Straße umarmt und teilten deren Freude. Ich selbst wurde von einer reizenden Frau umarmt, die mir sagte, sie habe noch nicht zu Mittag gespeist, und mich in ein Restaurant führte. Überall floß der trockene Henkell in Strömen. Das Volk zog vor das Schloß des Mikado, der auf dem Balkon erschien, den Fußfall der Bürger gnädigst entgegennahm und dann ankündigte, daß er zur Feier des Sieges ein Japantheon errichten lassen werde, in welchem die Helden von Port Arthur begraben werden sollten. Alle Schulen wurden geschlossen, und die Knaben ernannten die Schwächeren zu Russen und prügelten sie in die Flucht, deren Wildheit die Zuschauer sehr unterhielt.

Einem Russen, der in seiner Equipage durch die Straßen fuhr, wurden von einigen Erbfeinden die Pferde ausgespannt und an einen Roßschlächter verkauft. Abends war Tokio glänzend illuminiert, und tausende von Glühstrümpfen verscheuchten die Dunkelheit, so daß die Nachtwächter jubelnd ihre Posten verließen. Bis zum frühen Helios setzte sich der Siegesrausch in den Wirtshäusern fort, wo sich der Haß gegen Rußland dadurch Luft machte, 27 daß nicht eine einzige Portion Caviar oder Starlet bezahlt wurde, wenn sie bestellt und verzehrt war.

Der Angriff der Japaner überraschte die Russen vollkommen, so daß sie völlig die Fassung verloren und sich erst erholten, als es zu spät war. Ich kann es verstehen, daß die Russen über diese Art des Kriegführens außer sich sind und ihre Niederlage nicht gelten lassen wollen. »Nichtsahnende Feinde überrascht man nicht«, sagen sie sehr entrüstet. »Das ist geradezu ein Mißbrauch des Vertrauens, mit dem Rußland in den Krieg zog. Im Frieden haben Überraschungen einen Sinn. Eine Geliebte überrascht man mit einem Diamantring, und doppelt, wenn es Tait ist. Eine Frau überrascht man mit einem Hausfreund, oder sie überrascht ihren Gatten durch die Geburt eines Kindes. Diebe werden überrascht und dadurch verscheucht. Dergleichen Überraschungen sind nicht zu vermeiden, und immer wird es solche geben. Aber im Kriege ist es unanständig, mit Torpedos ins Haus zu fallen und wie Zieten aus dem heiteren Busch oder wie der Bergesalte aus der Felsenspalte im Schillerschen »Alpenjäger« gegen den Feind zu rücken und scharf zu schießen. Das sollte im Haag verboten werden!«

Bedenkt man, daß der Haag ein Werk des Zaren ist, so möchte man sich doch vor Lächeln den Bauch halten! Wie man hier allgemein erzählt, hat Frau Baronin v. Suttner sich an den Zaren mit der Bitte gewendet, den Krieg im Keim zu ersticken. Der Zar wird ihr geantwortet haben: »Beigehend ein Besen, mit dem Sie gefälligst vor Ihrer eigenen Tür fegen und den Sie dann in der Wirtschaft nützlich verwenden können. Stopfen Sie ihre Strümpfe, aber keine 28 Friedenspfeife für mich. Das werde ich, wenn es Zeit ist, selbst besorgen.« Das wäre die beste Antwort zur Charakterisierung der Friedensliebe des Zaren!

Der Einzug der Japaner in Söul, der Hauptstadt von Korea, gestaltete sich zu einem interessanten Triumphzug. Die Japaner waren in Tschemulpo (sprich: Tschemulpo) gelandet und marschierten auf Söul los, fest entschlossen, von ihren Waffen Gebrauch zu machen, wenn dies nötig werden sollte. Zum Glück für die Besatzung von Söul fanden sie aber keine vor, und da, soweit das Japanerauge reichte, die Kanonen nur gähnten und sich kein Hahn an einer Flinte rührte, so fand der Einzug ohne Störung statt. Die Söuler empfingen die Einziehenden mit dem lauten Hurra der bilderreichen chinesischen Schrift und führten sie in die Quartiere, wo mit Rum bedeckter Tee ihrer harrte und später getanzt wurde. Die auf Korea lebenden Chinesen scheinen ihren einstigen Feinden verziehen zu haben, daß sie besiegt worden sind. Jede Revancheidee haben sie ans Bein gebunden, und das finde ich klug. Nicht wie die Franzosen sind sie jeden Augenblick bereit, die alte Scharte hervorzuholen, um sie auszuwetzen, sondern sie sagen sich, daß beim Auswetzen auch ein neues Unglück passieren könne.

Es ist nun anzunehmen, daß die Russen sich rasch von der Niederlage ihrer Flotte erholt haben und in der Hoffnung daß ihnen auf dem festen Lande das Glück statt den Rücken die Vorderfront kehren wird, die in und um Söul liegenden Truppen angreifen werden. Ich eile morgen nach Korea, wenn Mars meine Gegenwart nicht an einer anderen Stelle fordert. Ich sehe einen Krieg entbrannt, dessen Länge, in 29 die er sich ziehen kann, nicht abzusehen ist. Es ist eine bange Frage: Wird das Rollen, in welches der Stein kam, bald aufhören, oder wird die lange Bank, auf welche der Frieden geschoben scheint, länger sein, als dies für Europa ersprießlich ist?

Wer kann diese Frage bejahen oder verneinen! Ich halte meinen Mund, wenigstens für nicht weise genug, ein entscheidendes Ja oder Nein zu sprechen. 30


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